Zur Reform des Gesundheitswesens

von
Robert Schlosser
06/07

trend
onlinezeitung

I. Was wird öffentlich beklagt?

 

Selbstverständlich sind die Kosten des Gesundheitswesens zu hoch!

Eine Reform jagt die nächste, um die Kosten zu senken. Das einzige greifbare Ergebnis besteht jedoch darin, dass die Leistungen dieses famosen Gesundheitssystems immer schlechter werden und die Versicherten immer mehr aus ihrem ausgezahlten Lohn zubuttern müssen.

 

Die Sachwalter des Kapitals in Politik und Unternehmerverbänden setzen auf ihre Wunderwaffen: Privatisierung und „Wettbewerb“, sprich Konkurrenz.

So viel gibt es allerdings in diesem Gesundheitssystem nicht mehr zu privatisieren. Die Selbstverwaltung der Versicherten ist kaum mehr als eine Fassade hinter der sich die verschiedensten Privatinteressen austoben können, als da wären:

die Pharmaindustrie

die Industrie für Medizingeräte

die Ärzte

die Apotheker

Jede sogenannte Gesundheitsreform ruft die Interessenverbände dieser Privatproduzenten auf den Plan, und es entbrennt ein heftiges Gerangel um Schuld an der Verschuldung und um Verlustzuweisungen. In diesem Gerangel spielen die Interessen der Versicherten kaum eine Rolle.

 

Und selbstverständlich melden sich regelmäßig der BDA und andere Kapitalistenverbände zu Wort und verlangen, dass die „Lohnnebenkosten“ weiter gesenkt werden, sprich die Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung.

 

Sparen ist angesagt und wird verlangt. Den Worten nach sollen alle sparen, aber tatsächlich werden die Lasten des Sparens hauptsächlich den Versicherten aufgezwungen. Sie erhalten weniger Leistungen und müssen mehr bezahlen. Tatsächlich sollen die Versicherten nicht sparen, sie werden vielmehr gezwungen, mehr auszugeben, zusätzlich zu ihren hohen Beiträgen in die Krankenversicherung. Ein merkwürdiges Sparen ist das!

 

II. „Es muss das getan werden, was ökonomisch notwendig und vernünftig ist“, so lautet es im Chor der öffentlichen Meinung.

 

Die gesetzlichen Krankenkassen wurden aber nicht als eine ökonomische Veranstaltung ins Leben gerufen sondern als eine soziale. Aus ökonomischem Interesse hätten die Besitzenden sie nie ins Leben gerufen. Sie hatten und haben kein grundsätzliches Interesse daran, weil sie über genügend Kleingeld verfügen, um sich privat zu versichern oder die Heilung ihrer Krankheiten aus dem Portemonnaie zu bezahlen. Die Krankenkassen selbst, aber auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle wurden der mehr oder weniger bedrohlichen sozialen Bewegung der Lohnabhängigen zu gestanden.

 

Die Bekämpfung von Krankheit verlangt Medikamente, medizinische Geräte etc. Und natürlich wurden und werden diese im Kapitalismus von Privatproduzenten erzeugt. Das Gesundheitssystem wurde im Laufe der Jahre zu einem immer bedeutenderen ökonomischen Faktor. Weil auch Unternehmen in die Krankenversicherung einzahlen mussten und müssen, belastet die Krankenversicherung die Profite aller Unternehmen, also das, was die Gesellschaft als Überschuss, Mehrwert produziert. Gleichzeitig sind die Einzahlungen von Unternehmern und Lohnabhängigen die Grundlage für die Realisierung von Profiten und Einkommen der Pharmaindustrie, der Ärzte etc. Das Brancheninteresse der „Gesundheitsindustrie“ kollidiert mit dem allgemeinen ökonomischen Interesse der Kapitalisten.

 

Die kapitalistischen Privatproduzenten wollen den ganzen gesellschaftlich erzeugten Mehrwert für sich und drängen daher auf Privatisierung möglichst aller sozialer Leistungen. Die Lohnabhängigen sollen nicht nur länger arbeiten und weniger verdienen, sie sollen aus dem geringen Verdienst auch möglichst die ganze soziale Vorsorge privat bestreiten. Das ganze ist ein ungeheurer Anschlag auf erkämpfte und zugestandene soziale Standards, die immer rascher abgebaut werden. Aber selbstverständlich ist es „ökonomisch vernünftig“, weil es den Interessen der „Wirtschaft“, die nichts anderes ist als ein Ansammlung kapitalistischer Privatproduzenten, entspricht.

 

III. Krankheit ist ein natürliches und ein soziales Problem.

 

Jeder Mensch kann einen Unfall haben und sich ein Bein brechen oder beispielsweise an einer Grippe erkranken, unabhängig davon, wie die Gesellschaft geformt ist und welche soziale Position er darin einnimmt. Krankheit lässt sich also nicht grundsätzlich ausschließen, ist Teil unser Natur, gehört zum menschlichen Leben.

 

Viele Krankheiten haben jedoch soziale Ursachen, werden ausgelöst durch die Arbeits- und Lebensbedingungen, die von Menschen gestaltet sind. Bricht man sich ein Bein, bei einem Arbeitsunfall, weil der Unternehmer an Arbeitssicherheit gespart hat, oder weil der Arbeitsdruck durch die Vorgesetzten so groß war, dass vorhandene Sicherheitseinrichtungen und –hinweise nicht beachtet wurden, dann ist die Krankheit sozial verursacht. Solche Krankheiten sind grundsätzlich vermeidbar, wenn man die sozialen Ursachen beseitigt.

Viele der heutigen Krankheiten sind direkt oder indirekt auf Belastungen während der Lohnarbeit zurückzuführen (wie wir gleich noch zeigen werden). Sie werden dadurch verursacht, dass kapitalistische Unternehmer das tun, was „ökonomisch notwendig und vernünftig“ ist. Weil dies als unabwendbar gilt, werden die Lohnabhängigen selbst für ihre Krankheiten verantwortlich gemacht. Es hat noch nie eine öffentliche Kampagne gegeben, die die Unternehmer für ihre ökonomisches Verhalten kritisiert und sie auffordert etwa für bessere Luft, weniger Schadstoffe und mehr gesunde Bewegung bei der Arbeit zu sorgen. Obwohl etwa die Dauernachtschicht erwiesener Maßen ungesund und für viele Krankheiten mit verantwortlich ist, wird man vergeblich darauf warten, dass unsere famosen Politiker die Unternehmer auffordern, auf Nachtarbeit zu verzichten. In Mode kommen stattdessen Kampagnen gegen das Rauchen, gesunde Ernährung und mehr Bewegung während der Freiheit.

 

Was den krankenversicherten Lohnabhängigen mitgeteilt wird ist zweierlei:

 

Eure Krankheiten sind Resultat Eures individuellen Fehlverhaltens! Korrigiert es!

Die Arbeitsbedingungen sind „ökonomisch notwendig und vernünftig“, quasi „gottgegeben“, daran kann man nichts ändert. Sorgt in Eurer immer kleiner werdenden Freizeit dafür, dass Ihr Euch ausreichend regeneriert, damit Euer „volkswirtschaftlicher Nutzen“ erhalten bleibt und Ihr niemandem zur Last fallt.

 

In Anbetracht der tatsächlichen Verursachung vieler Krankheiten durch sogenannte „ökonomisch vernünftige“ Arbeitsbedingungen, ist das ein dreistes Stück!

 

IV. Was für eine Reform des Gesundheitswesens brauchen wir?

 

Wir brauchen vor allem keine weitere Gesundheitsreform, die aus ökonomischen Überlegungen resultiert und daher die Lebensbedingungen der Lohnabhängigen weiter verschlechtert. Das Gesundheitssystem soll dem Erhalt und der Wiedererlangung der Gesundheit dienen und nicht für „ökonomisches Wachstum“ sorgen. Deshalb reicht eine gesetzliche Krankenkasse für alle. Außer den Vermögenden, die beständig nach neuen Möglichkeiten für profitable Geldanlage suchen, braucht niemand diverse Krankenkassen, die in Konkurrenz um möglichst großen Profit kämpfen.

 

„Wirtschaftliche Interessen“ von Privatproduzenten müssen soweit als möglich ausgeschaltet werden. Es ist sowieso „sozial notwendig und vernünftig“, dass eine Gesellschaft ihre Vorsorge für Krankheit, Alter etc. in solidarischer Gemeinschaft aus ihren „erwirtschafteten“ Überschüssen bestreitet. Fällt dieses Überschuss als Mehrwert in die Hände von Privatproduzenten, die obendrein ihre Vermögen durch belastende und krankmachende Bedingungen der Lohnarbeit erzielen und vergrößern, dann muss ein seinen sozialen Zweck erfüllendes Gesundheitsweisen überwiegend durch Abzug vom Profit der Unternehmen finanziert werden.

 

Um den Einfluss der „Wirtschaft“ auf das Gesundheitswesen zu begrenzen, muss die Selbstverwaltung der Versicherten gestärkt werden. Vertreter der „Wirtschaft“ haben in den Gremien selbstverwalteter Krankenversicherungen nichts zu suchen. Außerdem müssen die Befugnisse der selbstverwalteten Krankenversicherungen ausgedehnt werden. Will man ernst machen mit der Prävention und der Zurückdrängung krank machender Arbeitsbedingungen, dann müssen die Krankenkassen Zuständigkeiten von Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsicht abziehen und jeder Zeit Zutritt zu den Unternehmen haben, um hier eine Kontrollfunktion auszuüben.

 

Das wären die wesentlichen Punkte einer Gesundheitsreform, die ihren Namen verdient.

Editorische Anmerkungen

Den Artikel erhielten wir vom Autor am 9.6.07 zur Veröffentlichung.

Artikel von Robert Schlosser gibt es nicht nur im TREND sondern auch auch auf dessen Homepage:

Bedingungen sozialer Emanzipation
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