Kommt nun die Laufbahn einer Karrieristin an ihr Ziel? Oder
handelt es sich vielmehr um ein hoffnungsfrohes Zeichen der
politischen Öffnung? Die Ansichten gehen auseinander. Fakt
ist, dass die 43jährige Fadela Amara, die als Vorsitzende der
Frauenorganisation Ni Putes Ni Soumises (NPNS, „Weder Nutten
noch Unterwürfige“) bekannt geworden ist, in die konservative
Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy eintritt.
Die
Pantent-Antifundamentalistin der linksliberalen Öffentlichkeit
wird künftig als Staatssekretärin für die Vorstädte zuständig
sein – unter den Fittichen der zuständigen Ministerin, die
niemand anders ist als die katholische Fundamentalistin
Christine Boutin. Das ist die Dame, die 1999 mit der Bibel von
ihrem Abgeordnetensitz aus wedelte, um das sündige
Gesetzesprojekt zu verdammen, mit dem damals der „Zivile
Solidaritätspakt“ PACS geschaffen wurde. Dabei handelt es sich
um eine eingetragene Lebensgemeinschaft für nicht verheiratete,
homo- oder heterosexuelle Paare.
Ihr
jüngster Aufstieg bedeutet einen politischen Seitenwechsel für
die in Clermont-Ferrand geborene Tochter algerisch-berberischer
Eltern. Denn bislang war Amara sozialdemokratische Funktionärin.
In Clermont-Ferrand ist sie seit 2001 Stadträtin für den Parti
Socialiste (PS), obwohl sie diese Funktion nie wahrgenommen hat
und zu keiner einzigen Sitzung erschien. Aber bereits seit 1986
war sie eine führende Kaderin der PS-Satellitenorganisation SOS
Racisme, die damals der regierenden Sozialdemokratie als
attraktives Aushängeschild diente - und mit viel Geld aus dem
Elysée-Palast unter François Mitterrand aufgebaut wurde, um den
Schwung der Bewegung junger Einwanderer für gleiche Rechte und
gegen Rassismus einzufangen. Die dahinter stehende soziale
Bewegung wurde dadurch ausgesaugt und marginalisiert, folglich
zerstört, aber SOS Racisme diente vielen Individuen als
politische Karriereleiter wie etwa ihrem damaligen Sprecher und
heutigen Europaparlamentarier Harlem Désir.
Ähnliches gilt auch für die 2002/03 gegründete Vereinigung NPNS,
die ihrerseits durch den SOS Racisme-Apparat hochgezogen wurde.
Ähnlich wie die Stammorganisation arbeitete auch die
Tochtergruppe zu einem ernstzunehmenden und bitteren Problem,
nämlich zur (tatsächlich verbreiteten) Gewalt gegen Frauen in
den Vorstädten. Ähnlich wie SOS Racisme selbst diente aber auch
sie vielfach als Karrieremaschine. Umstritten war ihre Rolle,
als NPNS in den letzten drei Jahren zunehmend vorgeworfen wurde,
als Alibi für die „besseren Kreise“ und die Etablierten zu
dienen, weil sie Gewalt und Sexismus nur noch an den
marginalisierten Teilen der französischen Gesellschaft
festmache. Statt fundierte Gesellschaftskritik unter besonderer
Berücksichtigung der Frauenunterdrückung (aber auch anderer
Diskriminierungen) zu üben, feiere sie die „republikanischen
Ideale“ und beschönige die herrschenden Verhältnisse, während
sie zugleich die Situation in den Banlieues in finstersten
Farben ausmale und letztlich die Trabantenstädte als barbarische
Inseln in einer ansonsten harmonischen Gesellschaft darstelle.
Fadela Amara ist nun dort angelangt, wo sie vielleicht schon
immer hinwollte. Sarkozy und seinem Premierminister François
Fillon diente ihre Präsenz im Kabinett als Beleg für eine
Öffnung zu Einwandererkindern, ebenso wie jene von
Justizministerin Rachida Dati (41) oder der neuen
Staatssekretärin für „internationale Fragen und Menschenrechte“,
Rama Yade (30), Tochter eines früheren Präsidentenberaters und
Diplomaten mit Ministerrang im Senegal. Gleichzeitig sitzt in
derselben Regierung aber auch ein Minister für „Einwanderung und
nationale Identität“, Brice Hortefeux. Dieser hat präventiv
angeordnet, die Polizei müsse in diesem Jahr die Sollziffer von
25.000 Abschiebungen erreichen.
Am
darauffolgenden Tag, 24 Stunden nach der Ernennung von Fadela
Amara und Rama Yade ins Kabinett, setzte Präsident Nicolas
Sarkozy schon wieder ein anderes Signal. Am Mittwoch empfing
Sarkozy, im Rahmen seiner „Beratungen mit den politischen
Parteien über die Zukunft der Europäischen Union“, den alternden
Rechtsextremenführer Jean-Marie Le Pen im Elysée-Palast. Es
handelte sich um den allerersten Empfang für Le Pen im
Präsidentenpalast seit Bestehen der Fünften Republik (die 1958
begründet worden ist) überhaupt. Zudem fiel diese Premiere auf
Le Pens Geburtstag, denn der rechtsextreme Politiker wurde am
selben Tag 79, und Sarkozy konnte sich darüber nicht im Unwissen
befinden. Sarkozys Amtsvorgänger hatten Jean-Marie Le Pen von
den dortigen Treffen immer ferngehalten, zum Teil mit dem
formalen Argument, dass dessen Front National (FN) – aufgrund
des Mehrheitswahlrechts – nicht im französischen Parlament
vertreten sei. Präsident Sarkozy hat dem nun das ebenso formale
Argument entgegen gesetzt, der FN sitze aber im Europaparlament.
Hinter der Sache steckt, dass Nicolas Sarkozy bei den
zurückliegenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen das Gros
der bisherigen Wähler Le Pens anziehen konnte. Nunmehr möchte er
sie, trotz seiner Gesten der „politischen Öffnung“ (hin zu
früheren Linkspolitikern und/oder Nachfahren von Immigranten),
bei der Stange halten. Eine symbolische Aufwertung ihres
ehemaligen „Chefs“ kommt da gerade richtig. Kritiker (zu ihnen
gehören auch die französischen Sozialdemokraten) sprechen davon,
Sarkozy habe die rechtsextreme Partei dadurch sträflich
„normalisiert“. Aber um sich selbst zum totalen Mittelpunkt der
französischen Politik zu machen, der Alles und Alle vermittelt,
kommt ihm offenkundig jedes Mittel nicht gerufen. Sicherlich
handelte Sarkozy nicht aus Zuneigung zu Jean-Marie Le Pen,
ebenso wenig wie zuvor zu Fadela Amara. Zugeneigt ist Sarkozy im
Grunde nur einem, und das ist er selbst.
Editorische Anmerkungen
Den Artikel erhielten wir von Autor am
23.6.07 zur Veröffentlichung.
Das Frankreich der Reaktion. Neofaschismus
und modernisierter Konservatismus von Bernhard Schmid
wird bei Pahl-Rugenstein demnächst als Taschenbuch
erscheinen und in jeden gut sortierten linken Buchhandlung zu
haben sein.