Wenn Braune rot sehen
Lafontaine rechts aussen
von Peter Kratz
06/07

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Oskar Lafontaine, Vorsitzender der Partei "Die Linke" und Vorsitzender der "Linksfraktion" im Bundestag, forderte die Linke in Deutschland nicht nur auf, sich "das Zinsverbot" vom Islam abzuschneiden, wollte nicht nur den "Kapuzenmann" aus "Abu Ghureib" auf Parteitage nach Deutschland einladen (bis sich herausstellte, dass auch "der Kapuzenmann" - wie vorher schon "das Zinsverbot" und Lafontaines "Lied vom Teilen" aus 1990 - ein barer Schwindel, Betrug und Budenzauber war), war vor Jahren noch ein hervorragender Vertreter des Neokonseratismus, der gerne auch in der rechtsextremen Zeitschrift "MUT" publizierte. Insofern wundert es, wieso Guido Westerwelle ihn nicht umarmt, sondern ihm vorwirft, was eigentlich ein Argument der Linken ist: dass er ein barer Hugo Chavez ist, wie schon Benito Mussolini ein wahrer Ernst Röhm war. Eine Analyse von zwanzig Jahren Oskar Lafontaine brachte Peter Kratz schon 1995 in dem Buch "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD". Damals war Hugo Lafolini noch auf dem Weg zum Sozzen-Vorsitzenden, unter dem Beifall von "Linken". Auszüge:

 Lohnverzicht fürs Vaterland

"Auch in sich nach außen reputierlich gebenden konservativen Zeitschriften wie 'Mut' oder 'Criticon' haben Unionspolitiker die Grenze zwischen Konservativen und Rechtsextremen längst eingerissen." Das sagte die stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin 1989 in einem Interview. Der Parteivorstand der SPD druckte es in einem Flugblatt "Thema: Rechtsextremismus" ab, als neofaschistische Parteien mit ihrer gemeinschaftstümelnden Ideologie in der beginnenden ökonomischen Krise die ersten Wahlerfolge hatten. Schuldige wurden gesucht und bei CDU und CSU gefunden: Die Union habe nach rechts außen Kontakt gesucht und von dort Argumente übernommen, meinte Däubler-Gmelin. CDU und CSU hätten dadurch das gesellschaftliche Spektrum so weit verschoben, daß Politikkonzepte wieder hoffähig geworden seien, die im Nachkriegsdeutschland bisher nur von den Rechtsextremen vertreten wurden. Im Text des Flugblattes hieß es weiter, zu den "humanen Grundsätzen zählt die Unantastbarkeit des politischen Asyls ebenso wie das kommunale Wahlrecht für Ausländer. Die vernünftigen Teile der CDU/CSU sind aufgefordert, sich zu diesen Prinzipien einer modernen und weltoffenen Gesellschaft zu bekennen und sie in den eigenen Reihen durchzusetzen."

Sechs Jahre später heißt "modern" für die Sozialdemokratie etwas anderes als Emanzipation. Im März 1995 schrieb der stellvertretende SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine selbst in "MUT". Er vertrat hier die neokonservative Gemeinschaftsideologie, die den arbeitenden Menschen Opfer abverlangt, damit die Profite der Unternehmer steigen. "Mehr Kooperation statt Konfrontation" hieß der Artikel. Die beiden Zwischenüberschriften zeigten die Zielrichtung: "Deutschland braucht eine Modernisierungsstrategie" und "Die Investitionskraft der Unternehmen stärken". Es war auch deutlich zu lesen, auf wessen Kosten dies geschehen soll: "Mit moderaten Tarifabschlüssen haben auch die Gewerkschaften ihren Beitrag geleistet. Die Tarifautonomie hat sich 1994 in schwieriger Zeit bewährt. Ich bin sicher, daß die Tarifparteien auch in diesem Jahr zu vernünftigen Abschlüssen kommen werden." Lafontaine breitete in dem Blatt, das im Übergangsfeld zwischen Konservativen und Neofaschisten steht, ein SPD-Regierungsprogramm aus, das die gesamte Gesellschaft den Kapitalinteressen unterstellt: "Innovation, technischer Fortschritt und Qualifikation sind der Schlüssel zur Zukunft unseres Landes. Deshalb müssen Forschung, Entwicklung, Bildung und Wissenschaft wesentlich gestärkt werden. Und sie müssen sich stärker als bisher an der ökonomischen Verwertbarkeit ihrer Arbeit orientieren." Der Profit der Unternehmer ist zum Kriterium sozialdemokratischer Politik geworden, für ihn will Lafontaine sogar ökologische und ökonomische Risiken eingehen: "Ich plädiere auch dafür, daß die Diskussion über Chancen und Risiken neuer Technologien versachlicht wird. Wir brauchen ein neues gesellschaftliches Klima für Innovation und technischen Fortschritt. Wir brauchen in unserem Land eine neue Gründerwelle, eine neue Aufbruchstimmung, einen neuen technologischen Sprung nach vorn. Deshalb hat der Bundesrat beispielsweise bei der Gentechnologie jetzt dabei geholfen, unnötige Hemmnisse abzubauen - ohne daß berechtigte Sicherheitsinteressen zu kurz kommen. Zu einer umfassenden Modernisierungsstrategie gehört, das auch das Innovationspotential des Mittelstandes stärker als bisher genutzt wird. Die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen und für Existenzgründer müssen verbessert werden. Wir müssen zum Beispiel neue Wege gehen, um für innovative Unternehmen des Mittelstandes privates Risikokapital zu mobilisieren."

Lafontaine veröffentlichte dies nicht zufällig in einem Blatt der antidemokratischen und antiegalitären Rechten, denn Teile der Sozialdemokratie verfolgen heute eine Politik der technokratischen Gesellschaftsmodernisierung im Interesse des Kapitals, die offen Anleihen bei dieser Rechten macht. Es ist erschreckend, zu erkennen, daß dabei oftmals die Ideen der Konservativen Revolution Pate stehen, jener Sammlung antirepublikanischer Intellektueller der 20er Jahre, die den Faschismus als Weltanschauung systematisierten und in den Köpfen der Mittel- und Oberschicht, aber auch einiger Fraktionen der Bewegung der Arbeiter und Arbeiterinnen ihrer Zeit, die Machtübergabe an den Faschismus mental vorbereiteten. Während die Spitze der SPD in den 80er Jahren noch vor der geistigen Nähe zu solchen Positionen warnte, geniert sie sich heute nicht mehr vor der Zusammenarbeit mit der "Neuen Rechten", die die Nachfolge der "Weiße-Kragen-Faschisten" der 20er Jahre angetreten hat. Der Heroismus, die Risikobereitschaft, die Technikbegeisterung, und der formierende Antiamerikanismus und Nationalismus der Konservativen Revolution - bisweilen auch ihre antirationale Naturmystik - dienen maßgeblichen Sozialdemokraten heute als ideologischer Überbau für eine Wirtschafts-, Gesellschafts- und Militärpolitik, die noch vor zehn Jahren die Partei gespalten hätte.

Die Wendepunkte der SPD-Politik waren die Abschaffung des Asylrechts und die Auslandseinsätze der Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsauftrags des Grundgesetzes. Heute zeigt sich, daß dies keine isolierten politischen Projekte waren, sondern daß sie eine Politik jenseits des rechten Randes der Nachkriegs-Sozialdemokratie ermöglichten, die inzwischen auch die Bereiche der Wohlfahrtsversorgung und des "Sozialen Netzes" ergriffen hat. Lafontaine zeigte in seinem "MUT"-Artikel, daß er auch sein Finanzierungsmodell für diese Politik der technokratischen Modernisierung der Kapitalverwertungsmöglichkeiten bei der extremen Rechten der 20er und frühen 30er Jahre und ihren aktuellen Nachfolgern im Neokonservatismus entliehen hat: "Strengste Ausgabendisziplin auf allen Ebenen. Alle staatlichen Leistungen müssen überprüft werden. Der Staat muß sich auf seine eigentlichen Aufgaben konzentrieren. Da, wo Dienstleistungen von Privaten preisgünstiger angeboten werden, führt an Privatisierung kein Weg vorbei. ... Es muß auch sichergestellt werden, daß die Sozialleistungen auf die wirklich Bedürftigen konzentriert werden." Die Politik der letzten Reichskanzler der Weimarer Republik, Heinrich Brüning, Franz von Papen und Kurt von Schleicher, basierte schon auf diesen Prinzipien, die Konservativen Revolutionäre unterstützten sie publizistisch. Es scheint heute so, als ob etliche sozialdemokratische Spitzenpolitiker sich an den Konservativen der frühen 30er Jahren und ihren Vordenkern der 10er und 20er Jahre orientierten; jedenfalls beziehen sie sich oftmals - und teilweise sogar ganz offen und selbstverständlich - auf diese Zeit und ihre Politikkonzepte: vom Sozialabbau über die Hochtechnologie-Modernisierungen bis zur Geostrategie. Einen solchen Plan für den Sozialabbau, wie Lafontaine ihn 1995 in "MUT" präsentierte, kannte man in der Bundesrepublik Deutschland bisher vom Neokonservatismus; derartiges war in den letzten Jahren in der Tat schon öfter in "MUT" oder "Criticon" zu lesen gewesen, bisher jedoch nicht von einem Sozialdemokraten geschrieben.

Lafontaine mobilisierte hier schließlich auch den Gemeinschaftsgedanken, die Ideologie, nach der alle am selben Strang ziehen: "Unser Land braucht mehr Kooperation statt Konfrontation. Bund und Länder, Arbeitsgeber und Gewerkschaften, Wirtschaft und Politik, wir alle sind aufgerufen, gemeinsam zu handeln, um die vor uns liegenden Herausforderungen zu bestehen. Wenn dieser gesellschaftliche Konsens bewahrt wird, dann kann unser Land mit Zuversicht in die Zukunft blicken." Man kennt solche Thesen. Es ist die klassische Argumentation des Konservatismus, mit der die Privilegien weniger verteidigt werden gegen die Ansprüche der Vielen. Es sind Argumente zur Formierung der Gesellschaft auf die Interessen der Herrschenden. Die geschichtliche Erfahrung zeigt, daß der Lohn für die Massen in Wahrheit noch immer ausgeblieben ist. Solche Reden werden immer gewaltiger, ihr Heroismus wird immer mehr aufgeblasen, je größer die Opfer sind, die der Mehrheit der Bevölkerung abverlangt werden. Die "Herausforderungen" sind dann am größten, wenn eine aggressive Politik den eigenen Anteil am Weltmarkt vergrößern und internationale Konkurrenten verdrängen soll. Darum geht es heute in der Politik Deutschlands und des deutsch geführten Europa, auch für die Sozialdemokratie: Im Innern zusammenzuhalten, um nach außen in der Triadenkonkurrenz Ostasien-Nordamerika-Europa stark zu sein.
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In einer gemeinsamen Erklärung der SPD-Wirtschaftsexperten vom Juni 1994 zogen Rudolf Scharping, Oskar Lafontaine, die Wirtschaftsminister der SPD-geführten Bundesländer und die wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD-Fraktionen im Bundestag und den Landesparlamenten die politische Konsequenz: "Die Anstrengungen deutscher Unternehmen zur Erschließung neuer Märkte müssen durch eine aktive Außenwirtschaftspolitik unterstützt werden. Ein Land, in dem jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt, kann es sich nicht leisten, daß unsere Unternehmen auf den Auslandsmärkten nur deshalb das Nachsehen haben, weil sich die Regierungen unserer Konkurrenten wirksamer für ihre Unternehmen einsetzen. Die deutschen Botschaften im Ausland müssen sich stärker als bisher handelspolitisch engagieren. Die deutsche Entwicklungspolitik muß enger mit der Außenwirtschaftspolitik verzahnt werden. Bei den Finanzierungsbedingungen wichtiger Exportprojekte muß für mehr Chancengleichheit gesorgt werden."
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Die Interessen der Konzerne werden seit Jahren - von den Jusos über die Mehrheits-SPD bis zu den Realo-Grünen - als die Zukunftschancen der Menschen in Mitteleuropa ausgegeben: Nur mit konkurrenzlosen Hochtechnologie-Produkten - also mit Waren, deren Herstellungsweisen den Nichteuropäern vorenthalten werden - könne der eigene Wohlstand gegen die Schwellenländer der "Dritten Welt" verteidigt werden. "Wir müssen das produzieren, was die anderen noch nicht können", sagte Oskar Lafontaine im September 1993 in seinem Vortrag "Zukunftsperspektiven für das Modell Deutschland" vor der Friedrich-Ebert-Stiftung. Auch er, der sich sonst so antinationalistisch gibt, betonte hier den deutschen Führungsanspruch in Europa und der Welt: "Wir müssen die modernste Forschungslandschaft der Welt aufbauen, wenn wir pro Kopf die größte Exportnation der Welt bleiben wollen, was wir immer noch sind. ... Wir sind Exportweltmeister geworden, weil wir es in der Vergangenheit immer geschafft haben, Spitzenprodukte zu entwickeln und neue Technologien, die die anderen noch nicht hatten, und die wir dann auf den Weltmärkten plazieren konnten" - notfalls mit zwei Weltkriegen. Lafontaines "Wir" ist national gemeint und ausgrenzend.
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Konkrete realpolitische Ausformungen der allgemeinen Hightech-Euphorie brachten die wirtschaftspolitische Erklärung vom Juni 1994 und die Rede Oskar Lafontaines auf dem "Handesblatt Wirtschaftsforum" am 20. April 1994. "Kostenentlastung der Wirtschaft" durch vielfältiges staatliches Handeln hieß die Parole, nachdem die deutschen Unternehmen in der letzten Dekade Gewinne einfuhren wie sonst nur zu Kriegs-Boom-Zeiten. Staatlich geförderte "Transferzentren" sollen "die Umsetzung der Forschungsergebnisse in neue Produkte" beschleunigen, also in Waren, die privat verkauft werden können. Wenngleich sich die SPD-Wirtschaftspolitiker auch dem Mittelstand öffnen wollen, blieb dennoch das Interesse der Konzerne im Mittelpunkt deutlich. Die "jungen Technologieunternehmen", die "wagemutigen Unternehmer", die "freien Erfinder" wurden zwar in der Erklärung vom Juni 1994 beschworen, ihnen wurden finanzielle Vorteile versprochen. Doch in der Wirklichkeit kapitalistischer Konkurrenz werden die findigsten Unternehmen schnell geschluckt, Patente verschwinden in Konzerntresoren, Erfinder werden mit Erstnutzungsrechten an Großfirmen gefesselt. Den findigen Mittelständlern bot die SPD nur eine vage Hoffnung: "Durch diese Technologie-Transferzentren kann auch den kleinen und mittleren Unternehmen der Zugang zu moderner Spitzentechnologie eröffnet werden" - muß aber nicht! In der Wirklichkeit ziehen die kapitalkräftigen Konzerne durch Drittmittelforschung die interessanten und praktisch verwertbaren Erkenntnisse aus den staatlichen Forschungseinrichtungen ab, bevor sie öffentlich und den Kleinbetrieben zugänglich werden.
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Heroischer Zugriff auf den Bauplan der Welt

Das "Dritte Wirtschaftswunder" von Glotz und Thomas, Lafontaine und Scharping bedarf der Ideologie der "Neuen Rechten", um den faustischen Zugriff auf den Bauplan der Welt dort als heroische Tat der Menschheit zu verklären, wo er nichts als Profitgier der Konzerne des Nordens ist. Es bedarf der "Neuen Rechten" auch, um gegenüber der Mehrheit den Eindruck der Glaubwürdigkeit zu erlangen: Die Opfer der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger auf dem "Heimmarkt" sollen mit neuem Nationalgefühl gelindert werden: nationale statt soziale Solidarität. Das Wohlstandsgefälle zwischen Metropolen und Peripherie - zwischen Großstadt und Vorstadt, zwischen München und Niederbayern, zwischen Nord und Süd - wird ethnopluralistisch gerechtfertigt: Bewahrung der kulturellen Identität. Die ökonomischen Eroberungen werden militärisch abgesichert: Bundeswehreinsätze weltweit, Aufbau einer Europaarmee als Eingreiftruppe im Rahmen der Westeuropäischen Union WEU. Die Deutschen müssen heute in den Weltraum hinaus, so wie zu Kaisers Zeiten auf die Weltmeere: Aus den einfachen Gründen der Kapitalverwertung - weil neue Produkte neue Gewinne bringen - ebenso wie aus strategisch-militärischen Gründen.

Nationalstolz auf das "Made in Germany" erleichtert es sehr, die Gewinnspannen zu vergrößern. Die "Gefühlsgemeinschaft der Deutschen", von der Hans-Jochen Vogel immer wieder spricht, erleichtert es sehr, den Sozialabbau als "nationale Solidarität" mit den Ostdeutschen zu verkleiden. Wer die Gewinner am Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus sind, wer daran verdiente, die Industrie in den neuen Bundesländern platt zu machen - das wäre eine sozialistische Frage, keine sozialdemokratische. Otto Schily, SPD-MdB mit großbürgerlicher Herkunft, warf 1991 im "Vorwärts" zur Debatte um die Verfassungsreform dem Gewerkschaftsflügel "sektiererisches Eifern" vor und kritisierte: "Leider besteht auch bei Sozialdemokraten die Neigung, alles Erdenkliche aus dem eigenen politischen Programm für verfassungsgeeignet zu halten, beispielsweise das Recht auf Arbeit", das doch in Wahrheit nur "eine Fata Morgana" sei. Als Vorsitzender des Bundestags-Untersuchungsausschusses zur Treuhand-Anstalt sagte er 1994 gegenüber der "taz", wenn sich herausstellen sollte, daß sich private Unternehmen mit Hilfe der Treuhand-Anstalt zu Unrecht bereichert hätten, "wird das mit Sicherheit zu einer Rüge im Abschlußbericht führen". Was privaterseits wohl zu verkraften wäre.

Scharpings Berater für Ostdeutschland und Ökologie, Jens Reich, ging im April 1995 im "Spiegel" noch den letzten Schritt weiter, als er unumwunden die Ökodiktatur forderte. Dabei wurde auch klar, wie er die tabuisierte Gentechnik gegen die Proteste der ökologisch sensibilisierten Bevölkerung durchsetzen will. Man brauche "neue politische Instrumente", denn "mit der üblichen Legislative wird man die Dinge nicht in den Griff bekommen", sagte er dem "Spiegel", der sofort zurückfrage: "Liebäugeln Sie mit der Ökodiktatur?". Darauf Reich: "Nur weil die Parteien sich nicht auf einen Konsens einigen können, weil irgendwelche Lobbys blockierende Stöcke in die Räder stecken, können wir nicht Jahrhunderte warten. Es muß möglich sein, der Legislative in den Hintern zu treten. Wirkliche Veränderung ist nicht möglich, wenn ständige Wahlkämpfe alles blockieren." Der "Spiegel": "Ihr Motto lautet offenbar 'Mehr Diktatur wagen'." Jens Reich: "Ja."

Und dann plante der Scharping-Berater die Errichtung eines "Ökologischen Rates" mit "Verfassungsrang", über den er beim New Ager Rudolf Bahro gelesen hatte und der per "Ukas" und "Ordre du Mufti" regieren soll, wie Reich sagte: "Ich bin vehement dafür, daß man ein Instrument schafft, daß so laut befehlen kann, daß die Politik endlich aufwacht." Gewählt werden solle nur noch alle 15 Jahre. Wem Reich befehlen lassen will, sagte er auch: Sozialabbau und Gemeinschaftsgefühl in der Familie sollen Kapital freisetzen für Veränderungen, die er immer noch als ökologische Reformen bezeichnet; das finde er so sympathisch an Biedenkopfs Formierungs-Ideen. Hans Branscheidt von der linken Hilfsorganisation "medico international" schrieb dazu kritisch: "Kein Staatsanwalt regt sich, kein Verfassungsschutz wird irgend tätig, wenn der Wunschkandidat vieler für das Amt des Bundespräsidenten die Aufhebung der Verfassung propagiert." Im Gegenteil: Der stellvertrende SPD-Parteivorsitzende Oskar Lafontaine schlug vor, für eine große Koalition in Mecklenburg-Vorpommern ein Kabinett von vermeintlich unabhängigen Fachleuten unter der Führung eines Parteilosen zu wählen, "zum Beispiel Jens Reich".
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Lafontaines "Zukunft der Arbeit": Auf Einkommen verzichten, auf Wohlstand verzichten.

Die Debatte der 80er Jahre wurde unter dem Stichwort "Zukunft der Arbeit" geführt und hatte die Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich zum Ziel. Lafontaine, der mit Lohnverzichtsforderungen die Diskussion ausgelöst hatte, erklärte im März 1988 auf der Bundeskonferenz der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AFA): "Wir beklagen den sozialen Abbau, den die Wenderegierung zu verantworten hat, aber wir können ihn in absehbarer Zeit nicht rückgängig machen. ... Wenn nach einem Raubüberfall der größte Teil des Proviants weg ist, ist man gleichwohl verpflichtet, den verbleibenden Rest mit den Weggefährten zu teilen." Auf die Frage der "Wirtschafts-Woche": "Und wie schaffen Sie genügend Arbeitsplätze?" antwortete er zur gleichen Zeit: "Wenn beispielsweise die Lehrer einverstanden wären, etwas weniger Stunden zu arbeiten und damit auch etwas weniger Einkommen zu haben, wäre es kein Problem, die Lehrerarbeitslosigkeit zu beseitigen. Das können Sie ebenso für ungezählte andere Berufsgruppen durchrechnen." Damals gab es noch breite Kritik aus allen Parteiflügeln. Es sei "keine tragfähige sozialdemokratische Handlungsanweisung, lediglich die Schafe zur Selbstbeschneidung und zur Verteilung des Mangels untereinander aufzurufen und die Neuverteilung des Überflusses der Wölfe nicht einmal mehr in einer langfristigen Perspektive anzudeuten", meinten z. B. Hans-Joachim Schabedoth und Heinrich Tiemann vom eher rechten, reformistischen Flügel der Jungsozialisten.

Auf dieser sozialdemokratischen Debatte um die "Zukunft der Arbeit" konnte nach 1989 aufgebaut werden, um immer neue Pläne des Sozialabbaus zu propagieren. Seitdem die Massenarmut in Ostdeutschland sichtbar ist, wird aus der Sozialdemokratie heraus die Gelegenheit genutzt, in immer neuen Aufrufen und Erklärungen Konsumverzicht im Westen zu fordern. Was Lafontaine 1990 mit seinem "Lied vom Teilen" anrichtete, griffen 1992 Helmut Schmidt und Wolfgang Thierse mit Unterstützung des Daimler-Benz-Chefs Edzard Reuter in einem "Manifest für Deutschland. Weil das Land sich ändern muß!" auf: "Zurückstecken und den Lebensstil ändern", lautete ihr Appell an die Mehrheit der Bevölkerung. Das sei zwar schmerzlich, so die Millionäre, doch sei es jetzt nötig, freiwillig Verzicht zu leisten, um den inneren Frieden zu bewahren. Im Falle eines Krieges nähme die Bevölkerung dies ja auch auf sich, meinten die "Manifest"-Unterzeichner allen Ernstes.

Diese neue Offenheit in der SPD ist keineswegs außergewöhnlich. Die Partei sei schließlich kein "Schutzbund der kleinen Leute und Betriebsrat der Gesellschaft" mehr, sagte Scharping im September 1993 auf der Organisationskonferenz "SPD 2000". Hier wurden die Parteifunktionäre auf die neue Linie für die nächsten Jahre eingeschworen: Unverzichtbar für die Politik der SPD sei jetzt das "Bündnis mit den Starken und Leistungsfähigen" in der Gesellschaft. "Alle staatlichen Leistungen - auch die steuerlichen und sozialen - (müssen) einer kontinuierlichen Überprüfung unterzogen werden", hieß es im Juni 1994 in dem bereits zitierten Papier der SPD-Wirtschaftspolitiker. Scharping hatte im Mai gegen "Mitnahmeeffekte" bei den Sozialleistungsempfängern gewettert und die Überprüfung aller Leistungszahlungen an Hilfsbedürftige nach einem SPD-Wahlsieg angekündigt. Bereits im Dezember 1993 war diese Politik bei der Haushaltsdebatte des Bundesrates konkret geworden. Lafontaine erklärte: "Die Sozialdemokraten sagen nicht, daß Einschnitte in konsumtive Ausgaben nicht vorgenommen werden dürfen. Wir haben deshalb schon beim Sozialpakt einer Begrenzung etwa des Zuwachses der Sozialhilfe zugestimmt. Wir haben das jetzt im Vermittlungsausschuß für die nächsten Jahre wieder getan. ... Deshalb gehören auch alle sozialen Leistungen auf den Prüfstand. Ich wiederhole das hier."

Eine "weitgehende Überstimmung zwischen Lafontaine und Necker", dem Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, konstatierte der SPD-nahe Pressedienst "ppp" nach dem SPD-Wirtschaftsforum "Modernisierung des Standorts Deutschland" im Januar 1994, und zwar "hinsichtlich der begrenzten Verteilungsspielräume". Um den Konzernen Spielraum für die Hightech-Modernisierungen zu lassen, müßten die Zuwächse der öffentlichen Haushalte geringer ausfallen als das Wirtschaftswachstum. Hiervon wären dann vor allem die Sozialbereiche betroffen, denn z. B. die Technologieförderung aus staatlichen Subventionen soll ja weiter wachsen. Lafontaine legte auf dem Forum die Ziele klar: "Angesichts der Staatsverschuldung weiß doch auch jeder, daß jetzt nicht die Zeit für eine Nettoentlastung ist. ... Bei dem enormen Finanzbedarf für die Modernisierung der wirtschaftsnahen Infrastruktur brächte jede Schwächung der Investitionskraft des Staates der Wirtschaft auch mehr Schaden als Nutzen."

Er fuhr fort: "In diesem Zusammenhang ein Wort zur Pflege: Nach meiner Auffassung darf durch die Einführung einer Pflegeversicherung keine zusätzliche Kostenbelastung der Unternehmen entstehen." Das SPD-regierte Schleswig-Holstein schaffte dann als erstes Bundesland und gegen den Protest der evangelischen Kirche im September 1994 den Buß- und Bettag als arbeitsfreien gesetzlichen Feiertag ab, der bekennende Christ Johannes Rau kündigte dasselbe für Nordrhein-Westfalen an. Lafontaine ging noch weiter und wies auf mögliche Leistungseinschränkungen und weitere Feiertags-Opfer der Beschäftigten hin: "Wir müssen dafür Sorge tragen, daß sich die Pflegekosten und Beitragssätze in Grenzen halten. Sollte sich später herausstellen, daß ein Feiertag nicht ausgereicht hat, um die Belastung der Unternehmen zu kompensieren, muß erneut entschieden werden." Lafontaine forderte hier auch "ein entschiedenes Vorgehen gegen den Mißbrauch sozialer Leistungen" und "eine vorurteilsfreie Debatte über Löhne". Seiner Meinung nach müsse "bei Arbeitnehmern, die besonders qualifiziert und knapp sind, eine längere Arbeitszeit möglich sein" - was einer Zwangsverpflichtung gleichkommt. Norbert Walter, der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, forderte im Oktober 1994, "die Arbeitszeit für Ingenieure und Techniker in Deutschland deutlich anzuheben", dies verlange der Zwang zur internationalen Konkurrenzfähigkeit. Übrigens wird dies auch im Programm der Partei "Die Republikaner" vertreten. Daß die Wahl Hans-Olaf Henkels zum Chef des "Bundesverbands der deutschen Industrie" in der SPD-Spitze begrüßt wurde, wundert da nicht mehr. Henkel schrieb der SPD im Januar 1995 ins Stammbuch: "Das Herumgeeiere über Umbau oder Abbau (des Sozialtaates, P. K.) führt nicht daran vorbei: Wir müssen wirklich abbauen." Und drei Monate später sagte er: "Wir müssen endlich einmal den Mut aufbringen, die ausgeuferten Leistungsgesetze auf den Prüfstand zu stellen." Das hatte die bayrische SPD-Landesvorsitzende Renate Schmidt schon im November 1994 nach einer Tagung des rechtssozialdemokratischen "Seeheimer Kreises" fast wortgleich gesagt.

"Wir müssen unangenehme Entscheidungen treffen und Wahrheiten offen aussprechen", sagte Scharping hierzu bereits im November 1993 auf dem Wiesbadener Parteitag. Er war auch bereit, Arbeitszeitverkürzung ohne vollen Lohnausgleich zu akzeptieren. Die "Teilzeit-Offensive" zur Vermehrung von Halb- und Drittelarbeitsplätzen anstelle einer Vollbeschäftigung ummäntelt diese Politik noch etwas. Tatsächlich jedoch ist die vermehrte Einführung von Teilzeitarbeit nichts anderes als Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich im gesellschaftlichen Maßstab, die eine Verarmung derer nach sich zieht, die jetzt schon kaum mit Vollzeitlöhnen über die Runden kommen. Mitten in den Tarifauseinandersetzungen der Hightech-Schlüsselbranche Metall- und Elektroindustrie 1994 brachte die Sprecherin des SPD-Parteivorstands, Dagmar Wiebusch, eine Pressemitteilung heraus, die unter der Überschrift "SPD und Gesamtmetall: Arbeitskampf muß vermieden werden" den neuen Sozialpakt gegen die arbeitende Bevölkerung offenbarte.

Auf allen Ebenen sozialdemokratischer Politik schlägt die Forderung nach Sozialabbau durch. Der Pforzheimer SPD-Oberbürgermeister Joachim Becker z. B. beklagte 1994 in seinem Buch "Der erschöpfte Sozialstaat" die vermeintliche "Lawine sozialer Gefälligkeiten". Auf diesem Niveau hatte in den 70er Jahren Franz Josef Strauß gegen "Gratifikationen" gehetzt und - damals gegen den Protest der SPD - die in Jahrzehnten erkämpften Sozialleistungen als Almosen diffamiert, die in Zukunft einbehalten werden sollten. "Unser Sozialstaat ist nicht mehr finanzierbar", meinte nun Becker ganz im Stil des konservativen Rollback. Er forderte auch die Privatisierung "öffentlicher Aufgaben" vom Straßenbau bis zu den Schulen, allerdings verschwieg er noch die Konsequenzen: Straßenbenutzungsgebühren und Schulgeld. Diese Politik ist bereits Realität. In zahlreichen sozialdemokratisch regierten Großstädten wurden 1994/95 z. B. die Mittel im Jugendbereich gekürzt, obwohl der Mangel an Ausbildungsplätzen, Drogen- und Gewaltprobleme eher ein verstärktes Engagement erforderten. Becker wurde folgerichtig vom rechtsextremen "Studienzentrum Weikersheim" des berüchtigten Marinerichters Hans Filbinger zu dem Kongreß "Aufbruch und Erneuerung" aufs Hambacher Schloß eingeladen, der als Gegenveranstaltung zu den Befreiungsfeiern am 8. Mai 1995 gedacht war und bei dem sich die neokonservative Szene von Steffen Heitmann bis zum Umfeld der "Jungen Freiheit" treffen sollte.

"Menschen mußten immer verführt, gedrängt und genötigt werden, sich zu mühen und zu plagen. Freiwillig taten sie das selten. Das ist heute nicht anders als früher", schrieb Prof. Dr. Meinhard Miegel, Vorstand des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn, im November 1994 in dreiseitigen Zeitungsanzeigen der "Deutschen Bank". Wie bekommt man Menschen dazu, für Aktionärsgewinne zu arbeiten, während ihnen die Sozialleistungen gekürzt werden, die Gebühren für Hallenbad- und Büchereibenutzung erhöht, die Kindergärten geschlossen werden? Der schwäbische SPD-Oberbürgermeister Becker hat auch bereits an einen Zwangsarbeitsdienst für Sozialhilfeempfänger gedacht. Wo die Leistungen, die die Arbeitnehmer erarbeitet und mit ihren Sozialbeiträgen und Steuern für den sozialen Notfall bereits vorfinanziert haben, als "Gefälligkeiten" verspottet werden, liegt Zwang in der Tat nahe.

Lafontaine forderte dies ungeniert im April 1994 in der Wochenzeitung "Freitag" unter dem Titel "Zukunft der Arbeit: Kulturgesellschaft als Prinzip". Seine Argumentation mag als Klippschullatein erscheinen, zeigt jedoch, welches Verständnis von europäischer Kultur sich innerhalb der Sozialdemokratie breit macht und in wessen Interesse dies steht. Die Stelle sei daher im Zusammenhang zitiert: "Mehr denn je ist Solidarität gefragt. Die Verpflichtung junger Menschen für das Gemeinwohl stand - auch etymologisch gesehen - am Anfang der republikanischen Idee. In dem Begriff 'res publica' - übersetzt: Die öffentliche Sache - steckt etymologisch das Wort 'pubes'. Unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen Herkunft also ist die 'öffentliche Sache' einmal die Sache des 'Knaben' gewesen - kulturgeschichtliche eine Anspielung auf die Funktion der unverheirateten jungen Männer in den frühen römischen Gemeinschaften: Sie waren zu einer Art sozialem oder militärischem Dienst verpflichtet. Noch im 20. Jahrhundert empfinden wir es ja als selbstverständlich, daß junge Männer zum Wehrdienst eingezogen werden. Dabei nehmen wir hin, daß die Zivildienstleistenden relativ benachteiligt werden. Denn über die Möglichkeit, junge Menschen ganz allgemein zu einem sozialen oder ökologischen Dienst zu verpflichten, wird nur sehr zaghaft gesprochen. Durch eine solche Institutionalisierung der gesellschaftlichen Solidarität aber könnte manches Problem verringert werden."

Wenn die Altlasten der industriellen Standorte von einem "ökologischen" Zwangsdienst beseitigt werden, verringern sich nicht nur die Kosten für die Verursacher: die Stahl-, Elektro-, Chemie- und Energiekonzerne nämlich, die ansonsten für die gesundheitsbedrohenden Arbeiten horrende Lohnzahlungen aufbringen müßten. Zudem kommen auch noch die Arbeitslosen von der Straße, ihre soziale Unterstützung kann eingespart werden.

"Für eine allgemeine Dienstpflicht" sprach sich im August 1994 auch Florian Gerster aus, inzwischen SPD-Minister für Arbeit, Soziales und Gesundheit in Rheinland-Pfalz. Es bestehe ein "Trend zur Entsolidarisierung der Gesellschaft" - nicht etwa durch das Bündnis der SPD mit den "Starken", sondern durch die "Maxime der Selbstverwirklichung" des Individuums, die durch eine "Allgemeine Dienstpflicht" zurückgedrängt werden könne. Die müsse dann auch Frauen "offenstehen", wie Gerster es ausdrückte. "Der Wehrdienst stünde gleichberechtigt neben den Diensten im Sozialwesen, dem Umweltschutz und der Entwicklungshilfe." Bei weiter wachsenden gesellschaftlichen Problemen führt eine Politik, die die Gewinne der Besitzenden schont, geradewegs zu Zwangsverpflichtungen der Mehrheit der Bevölkerung.

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Arbeiten Tag und Nacht, wochentags und am Wochenende,
und die sozialen Sicherungssysteme zusammenstreichen


Zu den sozialdemokratischen Deregulierungsvorhaben gehörte bereits der Versuch Lafontaines in den 80er Jahren, die Vollbeschäftigung durch eine "Neudefinition der Arbeit" statt durch neue Arbeitsplätze zu erreichen. "Arbeit" sollte bis zum gänzlichen Lohnverzicht dereguliert, aber ideologisch aufgeladen werden. "Die Neudefinition der Arbeit hebt den Begriff der Arbeitslosigkeit auf", meinte er schlau vor der AfA-Bundeskonferenz 1988: "Es ist überflüssig zu erwähnen, daß die langjährige Fixierung des Arbeitsbegriffes auf die Erwerbsarbeit, also auf die bezahlte Arbeit, eine Ungerechtigkeit gegenüber den Menschen darstellte, die eine unbezahlte gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit geleistet haben und immer noch leisten. ... Auch die Forderung nach Gleichstellung der Frau in Beruf und Gesellschaft verlangt, die starre Trennung von bezahlter Erwerbsarbeit und Familienarbeit aufzuheben. Der Begriff der Arbeit sollte daher in Zukunft seine Bestimmung und Bewertung nicht in erster Linie aus der damit verbundenen Bezahlung erhalten, sondern daraus, inwieweit die Arbeit gesellschaftlich nützlich ist und inwieweit sie dem einzelnen Chancen zur Selbstverwirklichung, nach Emanzipation bietet."

Lafontaines Pläne wurden 1988 sogleich von links kritisiert. Elisabeth Vogelheim vom Vorstand der IG Metall warf Lafontaine die Übernahme der CDU-Frauen- und Familienideologie vor: "'Wir brauchen ein neues Verständnis von Arbeit. Arbeit ist nicht nur Arbeit, und Leistung ist nicht nur Leistung, wenn sie im Rahmen der Erwerbsarbeit erbracht werden. Arbeit gibt es nicht nur im Erwerbsleben, sondern auch in der Familie, im sozialen Dienst und im öffentlichen Leben. Die Arbeit in diesen Bereichen ist derjenigen im Beruf gleichwertig und muß deshalb entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung anerkannt werden. ...' Dieses Zitat ist nicht von Oskar Lafontaine", so Vogelheim, "auch wenn es sich so anhört, sondern es ist einer der Leitsätze der CDU für eine neue Partnerschaft zwischen Mann und Frau. Aber bei Oskar Lafontaine findet man ähnliche Sätze."

Im April 1989 konnte der SPD-Ministerpräsident beim "Zweiten Philips-Forum" der "Deutschen Philips Industrie GmbH" unter Leitung von Moderator Peter Glotz seine stark mutterkreuzverdächtigen Ansichten mit denen Kurt Biedenkopfs vergleichen, der bereits 1985 "die neue Sicht der Dinge" in seinem gleichnamigen Buch niedergelegt hatte. "Emanzipation heißt ... die Wiedergewinnung der natürlichen Rolle der Frau", meinte Biedenkopf, "die Zeit der Wiederentdeckung der Familie und der Hauswirtschaft als Ort der Identität des Menschen" sei angebrochen. Die Ausgliederung der meisten Frauen aus dem Gesellschaftsprozeß wurde hier mannigfach ideologisiert. "Zwei Querdenker im Gleichklang", berichtete "Die Welt" über das "Philips-Forum", "Kurt Biedenkopf und Oskar Lafontaine entwickelten ein in wesentlichen Teilen deckungsgleiches Bild der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland. ... Bei manchem Sozialdemokraten mochten Sirenen schrill erklungen sein, als Lafontaine mit Blick auf künftige soziale Netze und Systeme in Europa eine 'intelligente Industriepolitik' forderte und anfügte: 'Die Kosten sozialer Sicherungssysteme sind nicht sakrosankt.'"

Zahlreiche weitere Stellen im Buch: "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD".

 

Editorische Anmerkungen

Die Auszüge aus dem Buch "Rechte Genossen. Neokonservatismus in der SPD" (Berlin 1995) sind gespiegelt von der neu gestalteten Website des BIFF. Wir wurden von BIFF-Leuten auf diesen Text aufmerksam gemacht.

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Vorstand: Dipl.-Psych. Peter Kratz