Um keine Missverständnisse
aufkommen zu lassen: ich hege große Sympathie für den Widerstand
der Milchbauern. Manche Formen dieses Widerstandes zeigen
allerdings deutlich die soziale Perversion kapitalistischer
Marktwirtschaft, die sich nicht in der als selbstverständlich
empfundenen Perversion gesellschaftlicher Struktur (in der Form
des Privateigentums) erschöpft, sondern die Perversion des
Denkens und Handelns der darin agierenden Individuen produziert.
Weltweit hungern und verhungern
Millionen von Menschen. Das Elend spitzt sich momentan zu, z. B.
weil Geldanleger Termingeschäfte mit Grundnahrungsmitteln machen
und ihren maßlosen Reichtum weiter vermehren wollen.
Gleichzeitig erhalten Milchbauern in reichen Ländern wie
Deutschland für ihre Waren nur noch einen Preis, von dem sie
sich kaum nach als selbständige Bauern erhalten können.
Die hungernden und verhungernden
Menschen begehren auf und die Milchbauern begehren auf. Und was
machen diese Milchbauern? Sie vernichten lieber ihre Milch, als
sie zu den von großen Handelsketten aufgezwungenen Spottpreisen
zu verkaufen!
Was nicht verwertbar ist, dass
muss vernichtet werden! Das gilt für jeden Gebrauchswert, der in
einer verallgemeinerten Warenproduktion erzeugt wird. Sinken die
Preise soweit, dass sie keine gewinnbringende Verwertung von
Kapital mehr ermöglichen, dann muss das Angebot der Waren durch
Vernichtung vermindert werden. Das Verlangen Privateigentum und
Privatinteresse. Diese perverse Logik gilt nicht nur für die
großen Kapitale, sie gilt für alle Warenproduzenten in der
kapitalistischen Marktwirtschaft. Eine solche Vernichtung
geschieht regelmäßig in allgemeinen Krisen und bei
Firmenpleiten. Sie kann auch eine Form des Widerstandes von
kleinen Warenproduzenten werden, die nicht vom Verkauf ihrer
Arbeitskraft leben, sondern vom Verkauf ihrer selbständig
produzierten Waren. Vom erzielbaren Preis ihrer Waren hängt ihre
Existenz ab, ganz so wie die Existenz der Lohnabhängigen
entscheidend vom Preis der Ware Arbeitskraft abhängt.
Wehren sich die Lohnabhängigen
gegen zu geringe Löhne, dann verknappen sie ihr Angebot an
Arbeitskraft, sprich, sie streiken. Der entscheidende
Gebrauchswert für das Kapital wird zwar nicht vernichtet, aber
dem Gebrauch durch das Kapital kurzfristig entzogen.
Im Prinzip machen die Milchbauern
momentan nichts anderes! Sie wehren sich und kämpfen um ihre
Existenz in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Sie wenden die
Mittel an, die diese famose Gesellschaft ihnen bietet, ja von
ihnen verlangt: sie verknappen ihr Warenangebot, indem sie die
Milch vernichten. Die Form dieses Widerstandes hält dieser
Gesellschaft den Spiegel vor. Milch zu vernichten, wenn
Millionen Menschen hungern und verhungern, das ist pervers, so
pervers wie jede Vernichtung nützlicher Dinge um der Verwertung
willen. Diese Perversion der Vernichtung dringend benötigter
Lebensmittel, also in Anbetracht eines riesigen Elends, ist aber
nur Ausdruck perverser Verhältnisse. Wer seine Sinne noch
halbwegs beieinander hat, der kann das eigentlich kaum
aushalten!
Immerhin gibt es auch im
Widerstand der Milchbauern Ansätze und Zeichen, die über die
perverse Logik kapitalistischer Marktwirtschaft hinausweisen. So
haben jetzt Öko-Milchbauern aus NRW eine Tagesproduktion an eine
„Tafel“ gespendet, so dass Menschen, die durch das famose
kapitalistische Wachstum verarmt sind, umsonst in den Genuss von
Milch und Milchprodukten kommen. Kostenlose Grundversorgung
eben, als Ausdruck eines
gesellschaftlichen Bewusstsein von Solidarität, jenseits von
Privateigentum und Privatinteresse!
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.
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