Peter Trotzig Kommentare zum Zeitgeschehen

Was nicht verwertbar ist, muss
vernichtet werden!

06/08

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Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich hege große Sympathie für den Widerstand der Milchbauern. Manche Formen dieses Widerstandes zeigen allerdings deutlich die soziale Perversion kapitalistischer Marktwirtschaft, die sich nicht in der als selbstverständlich empfundenen Perversion gesellschaftlicher Struktur (in der Form des Privateigentums) erschöpft, sondern die Perversion des Denkens und Handelns der darin agierenden Individuen produziert.

Weltweit hungern und verhungern Millionen von Menschen. Das Elend spitzt sich momentan zu, z. B. weil Geldanleger Termingeschäfte mit Grundnahrungsmitteln machen und ihren maßlosen Reichtum weiter vermehren wollen. Gleichzeitig erhalten Milchbauern in reichen Ländern wie Deutschland für ihre Waren nur noch einen Preis, von dem sie sich kaum nach als selbständige Bauern erhalten können.

Die hungernden und verhungernden Menschen begehren auf und die Milchbauern begehren auf. Und was machen diese Milchbauern? Sie vernichten lieber ihre Milch, als sie zu den von großen Handelsketten aufgezwungenen Spottpreisen zu verkaufen!

Was nicht verwertbar ist, dass muss vernichtet werden! Das gilt für jeden Gebrauchswert, der in einer verallgemeinerten Warenproduktion erzeugt wird. Sinken die Preise soweit, dass sie keine gewinnbringende Verwertung von Kapital mehr ermöglichen, dann muss das Angebot der Waren durch Vernichtung vermindert werden. Das Verlangen Privateigentum und Privatinteresse. Diese perverse Logik gilt nicht nur für die großen Kapitale, sie gilt für alle Warenproduzenten in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Eine solche Vernichtung geschieht regelmäßig in allgemeinen Krisen und bei Firmenpleiten. Sie kann auch eine Form des Widerstandes von kleinen Warenproduzenten werden, die nicht vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben, sondern vom Verkauf ihrer selbständig produzierten Waren. Vom erzielbaren Preis ihrer Waren hängt ihre Existenz ab, ganz so wie die Existenz der Lohnabhängigen entscheidend vom Preis der Ware Arbeitskraft abhängt.

Wehren sich die Lohnabhängigen gegen zu geringe Löhne, dann verknappen sie ihr Angebot an Arbeitskraft, sprich, sie streiken. Der entscheidende Gebrauchswert für das Kapital wird zwar nicht vernichtet, aber dem Gebrauch durch das Kapital kurzfristig entzogen.

Im Prinzip machen die Milchbauern momentan nichts anderes! Sie wehren sich und kämpfen um ihre Existenz in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Sie wenden die Mittel an, die diese famose Gesellschaft ihnen bietet, ja von ihnen verlangt: sie verknappen ihr Warenangebot, indem sie die Milch vernichten. Die Form dieses Widerstandes hält dieser Gesellschaft den Spiegel vor. Milch zu vernichten, wenn Millionen Menschen hungern und verhungern, das ist pervers, so pervers wie jede Vernichtung nützlicher Dinge um der Verwertung willen. Diese Perversion der Vernichtung dringend benötigter Lebensmittel, also in Anbetracht eines riesigen Elends, ist aber nur Ausdruck perverser Verhältnisse. Wer seine Sinne noch halbwegs beieinander hat, der kann das eigentlich kaum aushalten! 

Immerhin gibt es auch im Widerstand der Milchbauern Ansätze und Zeichen, die über die perverse Logik kapitalistischer Marktwirtschaft hinausweisen. So haben jetzt Öko-Milchbauern aus NRW eine Tagesproduktion an eine „Tafel“ gespendet, so dass Menschen, die durch das famose kapitalistische Wachstum verarmt sind, umsonst in den Genuss von Milch und Milchprodukten kommen. Kostenlose Grundversorgung eben, als Ausdruck eines gesellschaftlichen Bewusstsein von Solidarität, jenseits von Privateigentum und Privatinteresse!

Editorische Anmerkungen

Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.