Die Republik Guinea anderthalb Jahre nach dem durch erzwungenen Regierungswechsel
Regierung kaputt, alte Mächte bestätigt, Soldaten meutern geggen Nahrungsmittelpreise

von Bernard Schmid

06/08

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„Fass meinen Kumpel nicht an“: So lautete die Devise des Staatspräsidenten der Republik Guinea, Lansana Conté, im zurückliegenden Monat. Der Kumpel, um den es geht, heißt Mamadou Sylla und genießt seinen öffentlichen Ruhm, umgeben von seinen drei Ehefrauen, in seiner prächtigen Villa. Er ist der einflussreichste Privatunternehmer des Landes. Seine Karriere fing damit an, dass Präsident Conté 1986 ihm und anderen Geschäftsmännern ein Guthaben in die Hand drückte, um eine private Unternehmerklasse zu schaffen – er hat es aber als einziger nie zurückgezahlt. Später wurde Sylla zum offiziellen Importateur von Waffen für die guineeische Armee, und er hält zahlreiche Einfuhrmonopole. Er schuldet dem Staat Abermillionen - aber jedes Mal, wenn ein Schuldtitel gegen ihn geltend gemacht werden soll, zieht er ein Papier aus der Tasche, das beweisen soll, dass die öffentliche Hand ihm noch mehr schulde.

Der notorisch korrupte Sylla ist aber in seinem Land ein durchaus umstrittener Mann. Vor anderthalb Jahren schmorte er etwa im Gefängnis, woraufhin jedoch Präsident Conté daraufhin persönlich in der Haftanstalt vorstellig wurde und ihn aus der Zelle holte - mit den Worten: „Die Justiz bin ich.“ Dieses Ereignis löste jedoch im Januar und Februar vergangenen Jahres einen aufstandsähnlichen Generalstreik aus, in dessen Verlauf 120 Menschen durch Schusswaffeneinsatz von Polizei und Armee starben und 3.000 verletzt wurden. Dabei ging es nicht ausschließlich um Sylla, sondern auch um die Erhöhung der Treibstoff- sowie Nahrungsmittelpreise, womit Guinea den Hungerrevolten im übrigen Westafrika um rund ein Jahr voraus war. 

Am Ende des Generalstreiks und Massenaufstands musste Präsident Conté jedoch - vorläufig - klein beigeben. Die beiden stärksten Gewerkschaften des Landes, die den Streik organisiert und angeführt hatten, präsentierten ihm eine Liste mit vier Namen von etablierten und renommierten Persönlichkeiten, die ihnen - im Gegensatz zur Mehrzahl des vorhandenen Personals des Establishments - als „nicht korrupt“ galten. Einen der vier Vorgeschlagenen sollte Conté zu seinem Premierminister ernennen und ihm die Regierungsgeschäfte anvertrauen. Dies tat er denn auch, und ernannte Ende Februar des Vorjahres den früheren Sekretär der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO sowie ehemaligen UN-Vertreter in Somalia, Lansana Kouyaté, zu seinem Premierminister. Fortan sollten die beiden Männer an der Spitze des Staates sich die Macht teilen, und der alte Präsident, dessen Abgang die protestierenden Massen zunächst gefordert hatten, sollte mit dem Premierminister - dem Gewerkschaften und „Zivilgesellschaft“ zunächst Vertrauen schenken mochten - koexistieren.  

Dieses „Modell“ der Doppelspitze machte daraufhin auf dem Kontinent Schule: Im März 2007 sorgte etwa das Abkommen von Ouagadougou nicht nur für einen Friedensschluss zwischen der „offiziellen“ Staatsmacht der Côte d’Ivoire, die die Südhälfte des Landes regierte, und den Rebellen, die die Nordhälfte beherrschten. Es sorgte auch dafür, dass der bisherige Rebellenchef Guillaume Soro zum Premierminister ernannt wurde und fortan zusammen mit dem amtierenden Präsidenten Laurent Gbagbo den Staat regieren sollte. Anderthalb Jahre hindurch taten sie dies, in einem prekären Machtgleichgewicht. Nun soll allerdings am 30. November dieses Jahres endlich die - mehrfach hinausgeschobene - Präsidentschaftswahl stattfinden und die relative Pattsituation auflösen. Und auch im ostafrikanischen Kenia endete der Streit um den mutmaßlichen Wahlbetrug vom vergangenen Dezember damit, dass Präsident Mwai Kibaki seinen politischen Rivalen Raila Odinga im April zum Premierminister ernannte.  

Aber in Guinea selbst hielt das „Modell“ nicht ewig: Kompromiss war gestern. Denn inzwischen ist Kouyaté aus dem Amt geschasst worden, und am 20. Mai wurde sein Nachfolger ernannt, der als „Technokrat“ geltende Ahmed Tidiane Souaré. Der neue Premier erklärte sich zwar im Wochenmagazin Jeune Afrique vom Montag dieser Woche selbst zum Mann des Kompromisses, ja des großen Spagats: „Ich bin der Mann des Präsidenten, der Gewerkschaften und der Bevölkerung“. Aber er fügte auch hinzu, dass „der Posten des Premierministers durch die Verfassung der Republik Guinea nicht vorgesehen ist“. Ein Hinweis, der zutrifft, aber tatsächlich vor allem dazu dienen sollte, darauf aufmerksam zu machen, dass Souaré auf einem Schleudersitz säße, würde er versuchen, sich mit dem Staatsoberhaupt anzulegen. 

„Fass Mamadou Sylla nicht an...“ 

Dass sein Amtsvorgänger Kouyaté seinerseits aus diesem Sessel flog, hat wiederum mit den Interessen von Mamadou Sylla zu tun. Denn um ihn drehte sich der letzte, und entscheidende, Streit zwischen Präsident und Premierminister. Am 10. April dieses Jahres hatte Sylla, in seiner Eigenschaft als vorgeblicher Präsident des Arbeitgeberverbands, umfassende Vollmachten - die ‚pleins pouvoirs’ - erhalten, um die Republik Guinea bei der 97. Konferenz der International Labour Organisation (ILO) zu vertreten. Das bedeutete nicht nur, den Bock zum Gärtner zu machen, sondern war auch dem Premierminister Kouyaté zu viel, dessen Regierung dadurch auf wirtschafts- und sozialpolitischem Gebiet die Hände gebunden wurden. Anfang Mai annullierte Kouyaté die Vollmacht, vor dem Hintergrund eines Machtkampfs innerhalb des guineeischen Arbeitgeberverbands, in dem zwei angebliche Vorsitzende sich die Legitimität streitig machen. Daraufhin wurde er vom Präsidenten aus dem Amt geworfen. 

Nun könnte man meinen, dass der Druck der Straße und der Gewerkschaften auf die politischen Machthaber damit wieder stark zu wachsen verspricht. Zumal die wichtigsten Zugeständnisse, die den Streikenden im vergangenen Jahr gemacht wurden - eine Senkung der Preise für Transportmittel sowie das wichtigste Grundnahrungsmittel, Reis - längst durch den internationalen Preisanstieg bei Öl und Getreide aufgezehrt und umgekehrt worden sind. Zu Jahresanfang wäre es vor diesem Hintergrund beinahe zum Ausbruch eines erneuten Generalstreiks gekommen, denn der damalige Premier Kouyaté durch geschickte Verhandlungsführung im letzten Moment abwenden konnte. Aber sein Abgang hat bislang nicht zu einer Explosion des sozialen Unmuts geführt. Im Gegenteil blieb es in den darauffolgenden Stunden überall ruhig, auch wenn die Entlassung Kouyatés Gesprächsthema Nummer eins war und Geschäfte oder Internetcafés aus Angst vor Unruhen und Plünderungen vorzeitig schlossen. Die Zeitschrift Jeune Afrique analysiert diese Situation so, dass Präsident Conté klug genug gewesen sei, abzuwarten, „bis die Popularität Kouyatés auf ihrem Tiefpunkt angelangt ist“ - aufgrund der ungelöst gebliebenen Probleme. 

Neuaushandlung der internationalen Wirtschaftsverträge  

Einen der wichtigsten Schlüsselpunkt der Probleme hatte Kouyaté erst ganz zuletzt angepackt, nämlich die mehrfach angekündigte und immer wieder hinausgezögerte Neuverhandlung der Rohstoffverträge, die Guinea mit ausländischen Firmen - welche die Bodenschätze des Landes oft zu Spottpreisen abbauen - verbinden. Doch in der zweiten Aprilwoche war es soweit: Die zur Neuverhandlung der Verträge eingesetzte Kommission kündigte an, mit der russischen Alumiumfirma Russal - die am Abbau der riesigen Bauxitvorkommen in Guinea beteiligt ist - Gespräche aufzunehmen. Das Unternehmen solle etwa dazu gebracht werden, erstmals eine Miete an den Staat für die zur Verfügung gestellten Gebäude und Infrastruktur zu entrichten. (Vgl. http://www.lediplomateguinee.info/ 

Dazu wird es nun vorläufig wohl nicht kommen, nachdem sich der Clan um Sylla - der bislang massiv an der Korruption in den Außenwirtschaftsbeziehungen verdient hat - gegen seine Rivalen und Gegner durchsetzen konnte. Vorbilder für eine erfolgreiche Neuaushandlung von Rohstoffverträgen hätte es durchaus gekommen, da es der Demokratischen Republik Kongo zum Teil gelungen ist, die während des Bürgerkriegs zu Anfang des Jahrzehnts von örtlichen Milizen ausgehandelten Verträge zur Verschleuderung der Bodenschätze juristisch zu attackieren. Zudem hat die neue chinesische Konkurrenz, die in Kongo ebenso wie in Guinea massiv präsent ist, es der Regierung in Kinshasa erleichtert, gegenüber ihren traditionellen Wirtschafts“partnern“ im Westen zusätzliche Spielräume zu erlangen. Dies versucht auch Präsident Conté mit einem Appell an chinesische Unternehmen. Allerdings streikten im April dieses Jahres mehrere hundert mit ihnen ins Land geholte chinesische Arbeiter, woraufhin 300 von ihnen nach Zusammenstößen mit der guineeischen Polizei in ihr Land zurückgeschickt wurden.  

Gestreikt wird seit Montag dieser Woche auch in der Alumiumfabrik von Russal, da die erhöhten Treibstoffpreise die Löhne der Arbeiter aufzehren. Bis heute wird die gröbte Alumiumfabrik des gesamten afrikanischen Kontinents durch den Arbeitskampf lahmgelegt, im Laufe der Woche drohte der Arbeitskampf sich zu radikalisieren (vgl. http://www.guineenews.org/articles/article.asp?num=20086541513).  

Soldaten meutern gegen zu teuren Reis 

Unterdessen kam von unerwarteter Seite her in der vergangenen Woche eine andere Revolte auf: Die Soldaten der Armee meuterten - und machten ihrerseits geltend, dass der Reis, dessen Kaufpreis ihnen zu 40 Prozent durch die Regierung subventioniert wird, zu teuer geworden sei. Zudem machten sie geltend, dass seit zwölf Jahren die ihnen zustehenden Prämien einbehalten worden seien, und reklamierten ausstehende Soldzahlungen in Höhe von fünf Milliarden guineeischen Francs (rund eine Million Euro). Die Soldaten schossen seit Montag vergangener Woche an vielen Orten des Landes in die Luft, wobei drei Zivilisten getötet und weitere 22 verletzt wurden (unter ihnen zehn schwer) - örtliche Beobachter sprechen davon, dass die schlecht ausgebildete Armee keinerlei Ausbildung über verantwortlichen Umgang mit Schusswaffen besitze und deshalb ohne Rücksicht auf Verluste geballert werde.  

Die Popularität ihres Ausstands bei der Bevölkerung erhöht das alles jedoch nicht. Selbst wenn die Meuternden am vergangenen Wochenende sogar so weit gingen, die Entlassung sämtlicher Generäle des Landes - „wenn nötig einschließlich des Generals Conté“, also des Präsidenten - und den Abgang der durchaus verhassten Militärführung zu fordern. Denn letztere machen die einfachen Soldaten für das Versickern ihrer Sold- und Prämienzahlungen verantwortlich. Am Wochenende verhandelte Präsident Conté allerdings mit den Anführern der Meuterer, woraufhin die Forderung nach dem Feuern aller Generäle urplötzlich verstummte. Ein Fünftel der ausstehenden Soldzahlungen sollen inzwischen geleistet worden sein. Den Meinungswandel der Anführer führt die Webpage Guineenews unterdessen darauf zurück, dass Conté dem Wortführer Claude Pivi ein Auto versprochen habe.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor.