Den Schlüssel zum Verständnis der Parteilichkeit als Ausdruck
der Klassengebundenheit einer Ideologie liefert der historische
Materialismus. Durch ihn ist erstmals in der Geschichte der
Philosophie und Wissenschaft der gesetzmäßige, dialektische
Zusammenhang zwischen dem gesellschaftlichen Sein und dem
gesellschaftlichen Bewußtsein wissenschaftlich, d. h.
dialektisch-materialistisch, aufgedeckt und begründet worden. Da
das gesellschaftliche Bewußtsein durch das gesellschaftliche
Sein bestimmt wird, kann es in einer Gesellschaftsordnung, die
auf Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht und
demzufolge in antagonistische Klassen, in Besitzende und
Besitzlose, Ausbeuter und Ausgebeutete, Herrschende und
Unterdrückte gespalten ist, kein einheitliches, alle Glieder
dieser Gesellschaftsordnung in gleicher Weise verbindendes und
verpflichtendes gesellschaftliches Bewußtsein geben. Die
Existenzbedingungen der Klassen, ihre Stellung und Rolle in der
betreffenden Gesellschaftsordnung und im Gesamtverlauf der
Geschichte, ihre ökonomischen und politischen Interessen und
Ziele bestimmen jeweils die Philosophie und Moral der Klassen
wie auch alle anderen Formen ihres Bewußtseins. Ihren
allgemeinen ideellen Widerschein finden die Klassenkämpfe
jeweils in den philosophischen Parteienkämpfen, besonders in den
Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern des Materialismus
und denen des Idealismus. In ihnen reflektieren sich in
abstrakter Gestalt die Gegensätze und Kämpfe zwischen
progressiven, aufstrebenden Klassen, deren Weltanschauungen in
der Regel materialistisch sind oder zum Materialismus tendieren,
und den reaktionären, untergehenden Klassen, deren
Weltanschauungen in der Regel idealistisch sind. So äußerte sich
etwa die ökonomische und politische Emanzipationsbewegung der
emporkommenden Bourgeoisie und deren Kampf gegen die
feudal-absolutistischen Ideologien und Institutionen in einem
vielgestaltigen Geltendmachen materialistischer Weltanschauungen
und weltanschaulicher materialistischer Motive: im Rahmen der
Renaissancephilosophie und des frühbürgerlichen Humanismus, in
Gestalt des Empirismus und des mechanischen Materialismus.
Die entscheidende Erscheinungsform des philosophischen
Parteienkampfes in unserer Epoche ist der Kampf zwischen dem
dialektischen und historischen Materialismus, der
marxistisch-leninistischen Philosophie, der Weltanschauung der
Arbeiterklasse und aller fortschrittlichen Menschen einerseits
und den verschiedenen Spielarten des philosophischen und
religiösen Idealismus, dem weltanschaulichen Rüstzeug der
untergehenden Bourgeoisie andererseits - in allgemeiner Form:
zwischen sozialistischer und bürgerlicher Ideologie.
Wie die gesellschaftlichen Gegensätze zwischen
fortschrittlichen und reaktionären Klassen, zwischen Bourgeoisie
und Feudaladel in der Epoche des beginnenden Kapitalismus und
zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie im Kapitalismus
und in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum
Sozialismus unversöhnlich sind, so sind auch die philosophischen
Gegensätze zwischen Materialismus und Idealismus unversöhnlich.
Ebenso wenig, wie zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen
Kapitalismus und Sozialismus-Kommunismus ein «dritter Weg»
möglich ist, ebensowenig kann es ihn zwischen der einheitlichen,
in sich geschlossenen Philosophie des dialektischen und
historischen Materialismus und der auf ihm begründeten
sozialistischen Ideologie einerseits und den vielfältigen Formen
der bürgerlichen Ideologie andererseits geben. «In einer
Gesellschaft der Lohnsklaverei eine unparteiische Wissenschaft
zu erwarten, wäre eine ebenso törichte Naivität, wie etwa von
den Fabrikanten Unparteilichkeit zu erwarten in der Frage, ob
man nicht den Arbeitern den Lohn erhöhen sollte, indem man den
Profit des Kapitals kürzt» (lenin, Werke 19, 3). Jeder Versuch,
bürgerliche und sozialistische Ideologie miteinander zu
versöhnen, endet unvermeidlich in der bürgerlichen Ideologie und
dient in letzter Instanz den Klasseninteressen der
imperialistischen Bourgeoisie. Darum kann «die Frage nur
so stehen: bürgerliche oder sozialistische Ideologie. Ein
Mittelding gibt es nicht (denn eine .dritte' Ideologie hat die
Menschheit nicht geschaffen, wie es überhaupt in einer
Gesellschaft, in der Klassengegensätze existieren, niemals eine
außerhalb der Klassen oder über den Klassen stehende Ideologie
geben kann). Darum bedeutet jede Herabminderung
der sozialistischen Ideologie, jedes Abschwenken von ihr
zugleich eine Stärkung der bürgerlichen Ideologie» (Lenin
5, 396).
Wenn auch bereits alle vormarxistischen Philosophien und
Ideologien überhaupt das Moment der Parteilichkeit als Ausdruck
ihres Klassencharakters und ihrer Klassengebundenheit
implizierten, so haben doch erst die marxistisch-leninistische
Philosophie und Wissenschaft ihren Klassencharakter, ihre
Parteinahme für die Sache der Arbeiterklasse und den
historischen Fortschritt der Menschheit offen, klar und
eindeutig ausgesprochen und das ihnen objektiv innewohnende
Wesensmerkmal der Parteilichkeit zu einem bewußt angewandten
theoretisch-methodischen Prinzip der wissenschaftlichen
Forschung und des Klassenkampfes (in allen seinen Formen)
entwickelt. Allen dem Marxismus vorausgegangenen Ideologien, die
die Interessen, Bestrebungen und Ziele ausbeutender und
herrschender Klassen zum Ausdruck brachten, war die Tendenz
gemeinsam, ihre Klassengebundenheit und Parteilichkeit
weitgehend hinter «höheren» Prinzipien, wie «Gott», «Idee»,
«Natur» usw., bewußt oder unbewußt zu
verbergen, die gegebenen Ausbeutungsverhältnisse nach dem
«Gesetz» oder auch dem «Willen» dieser «höheren» Prinzipien zu
rechtfertigen und ihre Standpunkte und Lehren, obwohl
ideologischer Reflex der Lebensinteressen bestimmter Klassen und
Schichten, für absolut gültige, allgemeinmenschliche
und für alle Menschen verbindliche auszugeben. Dies gilt in
verstärktem Maße für die Philosophie und Ideologie der
imperialistischen Bourgeoisie. Hinter ihrem Anspruch auf
«überparteiliche Objektivität» verbirgt sich einmal das
Bestreben, den apologetischen, auf die Sanktionierung und
Verewigung der bestehenden monopolkapitalistischen Zustände
orientierten Charakter der Philosophie und Ideologie in der
Epoche des Imperialismus zu verdecken und dem tatsächlichen, in
dieser Philosophie und Ideologie zum Ausdruck kommenden
Klassenegoismus und Klassensubjektivismus der untergehenden
Bourgeoisie den Rang des Normativen zu verleihen. Zum anderen
zielt die von den Ideologen der imperialistischen Bourgeoisie
vorgegebene Unparteilichkeit darauf ab, der zunehmenden
Hinwendung immer breiterer Massen der Werktätigen zu den von der
marxistisch-leninistischen Philosophie und sozialistischen
Ideologie verkündeten sozialistischen Zielen entgegenzuwirken,
den Prozeß ihrer progressiven weltanschaulichen Entscheidung zu
hemmen und die Fiktion der Möglichkeit weltanschaulicher
Neutralität, philosophischer und ideologischer Koexistenz und
Unparteilichkeit aufrechtzuerhalten, um die von ihr
ausgebeuteten Massen und die von ihr abhängige Intelligenz um so
fester an die Ideologie der imperialistischen Reaktion zu
binden. «Die Verurteilung ... der Parteilichkeit ... ist schon
offensichtliche Parteilichkeit» (lenin 11, 64). «Die
Parteilosigkeit ist in der bürgerlichen Gesellschaft nur ein
heuchlerischer, verhüllter, passiver Ausdruck der Zugehörigkeit
zur Partei der Satten, zur Partei der Herrschenden, zur Partei
der Ausbeuter, Parteilosigkeit ist eine bürgerliche Idee.
Parteilichkeit ist eine sozialistische Idee» (Lenin
10, 66). Erscheinungsformen bürgerlich-imperialistischer
Parteilichkeit und damit eines scheinwissenschaftlich
begründeten Klassensubjektivismus sind in der gegenwärtigen
bürgerlichen Ideologie solche Momente wie Unglaube in bezug auf
den gesellschaftlichen Fortschritt, Leugnung
erkennbarer und vom Menschen beherrschbarer gesellschaftlicher
Entwicklungsgesetze, Negierung und Ablehnung des Klassenkampfes
als Grundtatbestand der historischen Entwicklung,
Erkenntnispessimismus, Negierung der fortschreitenden
Naturerkenntnis und Naturbeherrschung, Unglaube in bezug auf die
Macht der menschlichen Vernunft, Entwicklung von
agnostizistischen Erkenntnistheorien, Verkündung von
irrationalistischen Weltanschauungen und Erhebung des
Irrationalismus zu einer philosophischen Methode, Proklamierung
der Versöhnbarkeit von Wissenschaft und Religion, jede Form des
Antihumanismus und Antikommunismus. All diese für die Ideologie
der imperialistischen Bourgeoisie charakteristischen Momente
werden als Resultate «überparteilichen», «objektiven»
Philosophierens und wissenschaftlichen Forschens verkündet.
Tatsächlich tragen sie jedoch deutlich das Gepräge
imperialistischer Klasseninteressen und sind ideologischer
Reflex der ausweglosen gesellschaftlichen Lage der
imperialistischen Bourgeoisie in der allgemeinen Krise des
Kapitalismus.
Die Parteilichkeit der heutigen bürgerlichen Philosophie und
Ideologie, die sich, mehr oder weniger verschleiert, in der
Parteinahme für die ökonomischen, politischen und ideologischen
Interessen der imperialistischen Bourgeoisie ausdrückt, kann
niemals in Übereinstimmung mit dem gesamtgesellschaftlichen
Fortschritt und der wissenschaftlichen Wahrheit stehen. Das
ergibt sich aus der gesellschaftlichen Stellung und Rolle der
Bourgeoisie und den historisch-klassenmäßig bedingten
Erkenntnisschranken der bürgerlichen Ideologie. Wie die
Bourgeoisie nach Erfüllung ihrer progressiven gesellschaftlichen
Funktion - der Vernichtung des Feudalismus und der Durchsetzung
der kapitalistischen Produktionsweise - immer mehr in Gegensatz
zur objektiven historisch-gesellschaftlichen Entwicklung geriet,
so gerieten auch ihre philosophischen und ideologischen
Repräsentanten in Gegensatz zum wissenschaftlichen Fortschritt,
zum objektiven Gang der Geschichte und zur wissenschaftlichen
Wahrheit. Der qualitativ neuen geschichtlichen Mission der
Arbeiterklasse als des Schöpfers der von Ausbeutung freien
sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft entsprechen die
neuen Qualitäten ihrer Philosophie, des dialektischen und
historischen Materialismus. Die von der Philosophie und
Ideologie der Arbeiterklasse implizierte Parteilichkeit ist eine
Parteilichkeit neuen Typus gegenüber der Parteilichkeit in allen
vorausgegangenen Ideologien. Sie trägt ein prinzipiell neues
Gepräge, das aus ihrem qualitativ neuen gesellschaftlichen und
wissenschaftlichen Inhalt resultiert. Sie enthält nicht mehr das
Moment des Klassensubjektivismus; denn die Interessen und Ziele
der Arbeiterklasse stehen in Übereinstimmung mit dem objektiven
Entwicklungsgang der Geschichte. Die
Parteinahme für die Interessen der Arbeiterklasse ist
gleichbedeutend mit der Parteinahme für den
gesamtgesellschaftlichen Fortschritt. Da der revolutionäre Kampf
der Arbeiterklasse um die Errichtung einer menschenwürdigen, von
Ausbeutung freien sozialistisch-kommunistischen
Gesellschaftsordnung sich auf wissenschaftlicher Grundlage
vollzieht, fällt die Parteinahme für diesen Kampf mit der
wissenschaftlichen Objektivität in eins.
Parteilichkeit und Wissenschaftlichkeit schließen in der
sozialistischen Ideologie einander nicht aus, sondern sind zwei
einander wechselseitig bedingende wesentliche Momente der
sozialistischen Ideologie im allgemeinen und des dialektischen
und historischen Materialismus im besonderen. Die Arbeiterklasse
ist zum entscheidenden Träger des gesellschaftlichen,
wissenschaftlichen und philosophischen Fortschritts der
Gegenwart geworden. Ihrer Ideologie haften keinerlei Schranken
mehr an, die - wie bei der imperialistischen Bourgeoisie - zu
Entstellungen der wissenschaftlichen Wahrheit oder zu einem
Hindernis für ihre volle Entfaltung führen könnten. «Im
Gegenteil, je unbefangener und rücksichtsloser die Wissenschaft
vorgeht, desto mehr befindet sie sich im Einklang mit den
Interessen und Strebungen der Arbeiter» (Marx/Engels
21, 307). In theoretisch-methodischer Hinsicht fordert das
Prinzip der Parteilichkeit die konsequente Durchführung des
Klassenstandpunktes der Arbeiterklasse in allen Bereichen des
Klassenkampfes und der Wissenschaft, vor allem die konsequente
Orientierung auf die wissenschaftliche und praktische
Bewältigung der vielfältigen neuen Probleme, die aus der
gegenwärtigen Epoche, aus dem Kampf zwischen Imperialismus und
Sozialismus, zwischen Krieg und Frieden, für den Aufbau des
Sozialismus und Kommunismus erwachsen. Zugleich schließt das
Prinzip der Parteilichkeit für den Marxismus-Leninismus den
konsequenten Kampf gegen alle Formen der reaktionären
bürgerlichen Ideologie ein und damit auch gegen jeden Versuch,
einer ideologischen Koexistenz oder der Ideologie eines «dritten
Weges» das Wort zu reden. Die Parteinahme für die Arbeiterklasse
und die Verwirklichung ihrer geschichtlichen Ziele erfordert den
beharrlichen und entschiedenen Kampf gegen alle jene Kräfte, die
den Befreiungskampf der Arbeiterklasse und den Aufbau des
Sozialismus und Kommunismus mit ideologischen Mitteln
aufzuhalten suchen oder aufhalten - gegen die verschiedenen
Spielarten der reaktionären imperialistischen Ideologie, gegen
Idealismus, Mystizismus und Religion, gegen Revisionismus und
Dogmatismus. Die Geschichte des Marxismus-Leninismus ist
zugleich die Geschichte des unversöhnlichen Kampfes des
dialektischen und historischen Materialismus, der
sozialistischen Ideologie überhaupt gegen die verschiedenen
Formen der bürgerlichen und revisionistischen Ideologie, gegen
ihre Entstellungen der gesellschaftlichen Entwicklung, der
Geschichte, der Ergebnisse der Naturwissenschaften.
Parteilichkeit für die Interessen der Arbeiterklasse schließt
so den allseitigen Kampf gegen jede Form bürgerlicher Ideologie
ein, zugleich aber auch die Aufbewahrung und Fortentwicklung all
dessen, was die Menschheit in ihrer geschichtlichen Entwicklung
an Vorwärtsweisendem und Bleibendem hervorgebracht hat, um es
für die Formung des weltanschaulichen und
kulturell-ideologischen Bewußtseins des sozialistischen Menschen
unserer Epoche fruchtbar zu machen.