Die ersten Türken in Berlin
von
Gültekin Emre

06/09

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Der allererste Türke, der in Berlin nachzuweisen ist, war der Gesandte der Ottomanischen Pforte Meklubsi-Asmi-Said-Effendi, der 1701 Berlin mit einem Gefolge von 15 Personen besuchte. Allerdings blieb dieser Besuch für längere Zeit ein Einzelfall, erst im Jahre 1763 traf ein weiterer Gesandter ein, Resmi el-Hadsch Ahmet Effendi: Er war am 14. Juli 1763 in Konstantinopel aufgebrochen, erreichte Berlin am 9. November und wurde am 21. November vom preußischen König Friedrich II. mit großem Gepränge empfangen. Ganz Berlin war damals auf den Beinen, denn jahrhundertelang waren die Türken als grausame Vernichter der abendländischen Kultur dargestellt worden:

„Vor Türken, Pestilenz und Noth, bewahre uns der Herre Gott!"

und jetzt sollte man einen von ihnen persönlich sehen können! In den fünfeinhalb Monaten, die Resmi Ahmet mit seinem Gefolge von 70 Personen in Berlin blieb, erlebte Berlin eine wahre Türkenzeit: „Datteln essen gehört jetzt zum guten Ton in Berlin, und die Gecken pflanzen sich einen Turban aufs Haupt", spottete der König. Alle Zeitungen waren von diesen Ereignissen voll, wobei Presse und öffentliche Meinung stolz die neuen Gedanken der Aufklärung vertraten: Die finstere Zeit der Türkenkriege und des Türkenhasses ist vorbei, jetzt kann endlich die türkische Kultur gewürdigt werden und können Handel, Wandel und gegenseitiges Verständnis an die Stelle der Kriege treten. Und seitdem kennzeichnet diese Haltung für sehr lange Zeit das Verhältnis der Berliner zu den Türken.

Die Annäherung zwischen Preußen und dem Osmanischen Reich war langwierig und kompliziert gewesen und war letztlich durch die politisch-militärische Situation veranlaßt worden. Die Schulbuch-Vorstellung vom großen türkischen Angriff auf Europa, gegen den sich alle Staaten Europas zusammenschließen, ist völlig falsch -Europa war nie ein einheitlicher Block. Der Hauptfeind der Osmanen in Europa war wegen seiner Lage Habsburg, und^ie Feinde Habsburgs waren daher ihre natürlichen Verbündeten (und umgekehrt). Daraus entwickelte sich im 16. Jahrhundert eine engere Zusammenarbeit zwischen Frankreich und dem Osmanischen Reich, die mit Unterbrechungen länger andauerte. Seitdem waren die Türken immer in die komplizierten politisch-militärischen Balanceakte zwischen den europäischen Mächten einbezogen.

Als nun Preußen langsam eine Großmacht wurde und sich seine Feindschaft mit Habsburg immer mehr verfestigte, stand auf internationaler Ebene die Frage eines Zusammengehens mit dem Osmanischen Reich an. Bemerkenswert ist, daß der preußische König dabei sehr langsam war, seine Feinde sahen diese Gefahr eines möglichen Bündnisses früher und genauer als Friedrich II. Zwar war bereits schon 1718 zum ersten Mal über die Anknüpfung diplomatischer Beziehungen Berlin - Konstantinopel nachgedacht worden, und 1721 war ein Stallmeister in einer halboffiziellen Aktion zum Pferdekaufen nach Konstantinopel entsandt worden, aber daraus entwickelte sich noch nichts - sogar osmanische Angebote wurden vom König ausgeschlagen!

Die endgültige Annäherung wurde durch den Wandel der militärischen Lage erzwungen: Durch die Annäherung zwischen Habsburg und Rußland (beide zugleich Feinde der Ottomanen) wurde die Lage Preußens bedrohlicher und der Gedanke an ein Bündnis mit der Pforte wichtiger. Die Kontaktaufnahme lief zuerst über Frankreich, das traditionell gute Beziehungen dorthin hatte, dann schickte der preußische König 1755 selbst einen Gesandten nach Konstantinopel, Herrn Rexin, der mehrere Jahre dort blieb. Durch den Siebenjährigen Krieg (1756-1763) wurde die Annäherung weiter vorangetrieben. 1761 wurde ein Freundschafts- und Handelsvertrag zwischen beiden Staaten- unterzeichnet, und dann stand die Frage einer engeren militärischen Zusammenarbeit an, weil beide gegen dieselben Gegner militärisch ziemlich schwach dastanden (Frankreich, Österreich und Rußland waren verbündet und durch den Tod Augusts III. von Polen drohten neue Kriege). Die Entsendung Resmi Ahmets nach Berlin hatte daher den Abschluß eines Militärbündnisses zum Ziel, das dann aber - wahrscheinlich auf Grund sehr weitgehender Forderungen des preußischen Königs - doch nicht zustande kam. Aber diese Seite des Besuchs ist nicht dokumentiert, sie unterlag der strengsten Geheimhaltung.

Editorische Anmerkungen

Den Text  ist ein Scan aus
Gültekin Emre, 300 Jahre Türken an der Spree, Ein Vergessenes Kapitel Berliner Kulturgeschichte, Westberlin 1983, S. 12-14