Betrieb & Gewerkschaft
Mahle Alzenau
Wie Bürokraten eine Besetzung verhindern

von
Karl Olben

06/09

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Am Samstag, den 16.5. drohte das Management des Autozulieferers Mahle über seine Pressesprecherin den Beschäftigten des Standortes Alzenau mit Kündigungen, wenn sie „weiter gegen die drohende Schließung des Werkes protestieren“. Bei den Aktionen handele es sich um einen „wilden Streik“, der nicht angemeldet worden sei“. „Es seien Listen über die Teilnehmer erstellt worden.“ „In dem Werk gingen 350 der 420 Mitarbeiter nicht zur Arbeit.“ (dpa) Wie war es dazu gekommen?

Seit nunmehr zwei Monaten kämpft die Belegschaft des Werkes gegen die Schließung, die für Ende Juni geplant ist. Es ist ihr wirklich gelungen, die ganze Region zu mobilisieren. Vor dem Werkstor steht eine Mahnwache, bei der täglich Delegationen von anderen Betrieben oder lokalen Vereinen, EinwohnerInnen der umliegenden Orte Kuchen und Geldspenden vorbeibringen. KandidatInnen und  PolitikerInnen aller Parteien einschließlich der CSU sehen sich gezwungen, ihre Solidarität zu versichern. Höhepunkte waren der Ostermarsch mit 1000 Beteiligten und eine Demonstration mit 3000 Teilnehmenden am 18. April.

Aber der Blick der Alzenauer Mahle-Beschäftigten geht über die Region hinaus: Am 13.5. besuchte ein Auto-Korso das Werk in Colmar/Frankreich, am 23.4. schon hatte es einen  konzernweiten Aktionstag gegeben. Zwei Monate höchstes Engagement der Belegschaft also, aber was konnte sie bewegen?

Die Verhandlungskommission

Frühzeitig wurde eine Verhandlungskommission gebildet, die sich aus dem Betriebsratsvorsitzenden D. Wissel, dem Aschaffenburger IG Metallchef Reitz und dem Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Hoffmeier zusammensetzt. Viel konnte diese in all den Verhandlungen nicht bewegen. Aber aus ihren Reihen stammt die Idee, dass das ganze Werk ab Juni in Kurzarbeit gehen soll und zwar bis zu 100%. Dann könne man nach zwei Jahren Kurzarbeit überprüfen, ob eine Wiederinbetriebnahme möglich sei.

Glauben die  Verhandlungsführer selbst an solchen Unsinn? Die Nachfrage nach Kolben müsste sich in Europa dafür verdoppeln und die Mahle-Manager eine komplette Kehrtwende hinlegen. Jede Erfahrung mit diesem Management, seinen Tricksereien und  ständigen Vertragsbrüchen, spricht dagegen.

Arbeitsniederlegung

Das war der erste Grund, warum die Frühschicht am 14. Mai statt zur Arbeit in die Kantine ging und Aufklärung von den Verhandlungsführern erwartete - die waren allerdings noch gar nicht im Betrieb. Die anwesenden Betriebsräte taten das, was „gute Betriebsräte“ in solchen Fällen tun: Sie beriefen eine Betriebsversammlung ein. Dann wird zwar auch nicht gearbeitet, aber juristisch ist es kein Streik, der in Deutschland verboten ist.

Aber etwas zweites hatte  offensichtlich die Frühschicht ermutigt, genau wie Spät- und Nachtschicht, die bis zum Freitagabend hindurch als Betriebsversammlung tagten: In Rosario/Argentinien halten die ArbeiterInnen ein Mahle-Werk seit dem 28.April besetzt. Die Soli-Seite der Alzenauer zeigt den Bericht dazu auf der ersten Seite, seitdem dieser auch auf Deutsch verfügbar ist (www.mahle-soli.de, www.linkezeitung.de).

Wie sehr das die Diskussion beflügelt hat, zeigte auch eine Veranstaltung des Vertrauenskörpers am 12. Mai: Zum Thema „Internationale Solidarität“ war der Vertrauensleutesprecher Fritz aus Stuttgart gekommen. Nach seinem Referat drehte sich die Diskussion um die Frage: „Wie bekommen wir mehr Solidarität aus den anderen Mahle-Werken?“ Allgemeine Zustimmung bekamen diejenigen, die erklärten: „Wir müssen zeigen, dass wir kämpfen, wir müssen anfangen, das haben wir bei der regionalen  Unterstützung gesehen, jetzt müssen wir einen Schritt weitergehen.“ Das Vorbild für diesen Schritt weiter ist die Belegschaft in Rosario.

Die zwei Tage Streik/Betriebsversammlung hatten offensichtlich die Entschlossenheit der Mehrheit der Belegschaft verstärkt, jetzt wirklich Druck auszuüben. Und die Gelegenheit war günstig: Alle waren im Betrieb, wenn jetzt keiner raus geht, wäre der Laden besetzt.

Angstmacher Neugebauer

Herr Neugebauer ist der Vorsitzende der IG Metall in Bayern und deshalb reiste er am Samstag den 16. Mai nach Alzenau, um eine Besetzung zu verhindern. Am 18.4. hatte er noch dem Aufsichtsrat von Mahle gedroht. Jetzt drohte er den KollegInnen. Er sprach von Hundertschaften Polizei, die schon bereit stünden und davon, dass sich alle Beteiligten zu Kriminellen machen würden. Er erklärte, dass dieser Staat die Kapitalisten und ihr Eigentum schützen würde, wo sonst IG Metall-Bonzen diesen Staat doch für den bestmöglichen halten. Er beschuldigte die Leute, Maschinen zerstören zu wollen, obwohl nicht einer das verlangt hatte. Der Begriff „Besetzung“ wurde zum Tabu erklärt, obwohl er sich selbst rühmte, einmal eine solche durchgeführt zu haben. Dass er selbst sich dauernd widersprach, machte die Sache nicht besser: Er vergrößerte die Verwirrung, die schon dadurch herrschte, dass der Chef der IG Metall, auf den man so große Hoffnung gesetzt hatte, sich ganz offensichtlich gegen die Belegschaft stellte.

Die Angstmache war nicht die einzige Masche des Herrn Neugebauer. In Presseberichten war vorher schon von der IGM gestreut worden, dass die Schließung vom Tisch sei. Ein geschickter Versuch Sand in die Augen aller, die auf Alzenau schauen, zu  streuen.

Als er die Leute dann totgeredet hatte, kam der nächste Trick: Über die Taktik redet man nicht öffentlich, das muss im kleinen Kreis entschieden werden. Die bewährte Führung, also Betriebsrat und IGM setzen sich jetzt zusammen und entscheiden das weitere Vorgehen. Die Versammlung war entmündigt. Die Lehre daraus: Es muss ein  Aktionskomitee gewählt werden, in das auch Betriebsratsvorsitzender und IGM gewählt werden können, aber auch eine Mehrheit von Delegierten aus der Versammlung, von Leuten, die bisher am besten die Aktionen organisiert haben. Diese Delegierten müssen der Versammlung rechenschaftspflichtig und jederzeit abwählbar sein.

Angsthase Neugebauer

Wie gefährlich ist eine Betriebsbesetzung wirklich? Erstmal ist ein Verbleiben im Betrieb überhaupt kein Straftatbestand, sondern ein Verstoß gegen die Arbeitsordnung, dass der Betrieb nach Arbeitsende zu verlassen ist. Es wurde auch noch nie in den letzten Jahrzehnten ein besetzter Betrieb in Deutschland von der Polizei geräumt. Im Gegenteil, gerade weil so etwas hohe Sympathie in der Bevölkerung hat, sind da alle Verantwortlichen sehr vorsichtig.

Die Räumung einer Belegschaft, die in der Bevölkerung der Region - also auch einer konservativen Stadt wie Alzenau, wo 70 Prozent CSU wählen - riesigen Rückhalt hat, wäre für die Herrschenden heute ein Spiel mit dem Feuer, nicht der politische Preis dafür eher größer wäre als der Nutzen für einen einzelnen Konzern.

Ein massiver Polizeieinsatz wäre das letzte, was Seehofer gerade brauchen kann - zumal gegen eine Belegschaft, die eine ganze Region hinter sich hat!

Das heißt natürlich nicht, dass eine Räumung nicht kommen kann oder früher oder später auch kommen mag. Aber Neugebauer hat dieses Szenario nicht dargestellt, um die ArbeiterInnen darauf mit Gegenmaßnahmen vorzubreiten - sondern um die Besetzung zu verhindern, die Beschäftigten in den Stand der Passivität und Opferrolle angesichts scheinbar unabänderlicher „Sachzwängen“ zu versetzen.

Auch Neugebauer hat Angst. Vielleicht, weil er auch Sozialdemokrat ist, vielleicht weil die  IGM-Spitzen versprochen haben, den sozialen Frieden zu wahren, wenn sie mehr Kurzarbeit bekommen. Deshalb tut auch die IG Metall selbst nichts, um die Solidarität im Mahle-Konzern zu organisieren. Alles muss von unten in Eigenregie geschehen! Neugebauer, wie auch Gesamtbetriebsrat Hoffmeier, helfen nicht den Alzenauern zu gewinnen, sondern sind zu Handlangern der Geschäftsführung geworden!

Spaltung

Alle „Lösungsvorschläge“ der Verhandler laufen auf Spaltung hinaus. Die Altersteilzeitler dürfen bleiben, schön für sie. Wer kurz vor der Rente ist, dem nützen auch die 2 Jahre Kurzarbeit. Die Geschlossenheit der Belegschaft wird so untergraben.

Neugebauer hatte von einer Massenentlassungswelle geredet. Er wollte damit zeigen, dass sich angesichts dessen keiner um Solidarität mit Alzenau kümmern würde und hat so erneut entmutigt. Das Gegenteil ist richtig, gerade weil an vielen Orten diese Entlassungen drohen, werden  Tausende auf ein kämpfendes Alzenau schauen und dadurch ebenso ermutigt werden, wie die Alzenauer durch Rosario. Eine Welle von Betriebsbesetzungen in Deutschland wäre die bessere Antwort auf die Krise der Kapitalisten, wäre besser als sich einzeln abschlachten zu lassen! Der Kampf ist noch nicht vorbei!

Trotzdem muss auch jetzt die Frage aufgeworfen werden, wie die Bürokratie eine Besetzung verhindern konnte? Sie arbeitete mit Tricks, Täuschung, nutzte die politische Unerfahrenheit der Beschäftigten, bestehende Spaltungslinien z.B. von Jung und Alt oder einfach die Ängste der ArbeiterInnen aus. Diese Tricks wird die Bürokratie immer anwenden. So wie Alzenau auch zeigt, dass der Apparat letztlich gegen die ArbeiterInnen und ihre Interessen agiert, dass jeder Illusion auch in „linke“ Bürokraten (Neugebauer und D. Wissel sind sicher eher am linken Flügel der IG Metall angesiedelt).

Es kam ihnen aber auch zugute, dass ihr keine organisierte politische und gewerkschaftlich oppositionelle Kraft gegenüberstand. Wir, die Gruppe Arbeitermacht, haben bisher drei Ausgaben des Betriebsinfos „Gegenwehr!“ in Alzenau und an anderen Standorten verteilt. Viele KollegInnen haben sie nicht nur begeistert genommen, gelesen und selbst vervielfältig, sie sahen darin auch ein Blatt, das „die Wahrheit schreibt“ und eine Perspektive weist. Zweifellos hat das auch Beschäftigte zur Arbeitsniederlegung ermutigt.

Die Lehre ist jedoch, dass es nicht nur wichtig ist, in diese Kämpfe einzugreifen, sondern auch im Betrieb eine oppositionelle Kraft aufzubauen, die im Ernstfall selbst die Führung übernehmen und den Bürokraten organisiert politisch Paroli bieten kann.

Editorische Anmerkungen

Den Text spiegelten wir von der WEBSITE der GRUPPE ARBEITERMACHT
 

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