Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Frankreich vor der Europaparlamentswahl: Bewegung 7. Juni? Von wegen...

06/09

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Interesse mau, sozialdemokratische Parlamentsopposition (mehr als) flau. Testwahl für neue Linkskräfte, und für den Niedergang der extremen Rechten

Nun steht es fest: Am 14. Juli dieses Jahres wird der rechtsextreme Franzose Jean-Marie Le Pen doch nicht die Eröffnungsrede auf der konstituierenden Sitzung des Europäischen Parlaments, das am ersten Junisonntag neu gewählt wird, halten. Wochenlang hatte die Vorstellung, der Auschwitzleugner und Rassist könnte für einen Tag lang - in seiner Eigenschaft als Alterspräsident - das Europäische Parlament verkörpern, sozialdemokratischen und bürgerlichen Abgeordneten aus allen EU-Ländern Unbehagen bereitet.

Zwei Anläufe brauchte es, um diese Vision zu bannen: Zwar hatten eine Mehrheit der Abgeordneten bereits Ende März d.J. einen Antrag zur Änderung der Geschäftsordnung angenommen. Er sollte verhindern, dass, bisherigen Gepflogenheiten entsprechend, der älteste Abgeordnete die Eröffnungssitzung präsidiert. Denn das könnte im Juli tatsächlich Jean-Marie Le Pen, der bis dahin 81 Jahre alt wird, sein. Der Antrag wurde jedoch im Rechtsausschuss des Parlaments im April o9 zurückgewiesen. Der rechtsextreme französische Europaparlamentarier Bruno Gollnisch jubelte in einem Kommuniqué über diesen Sieg. Derselbe Gollnisch, der etwa im März dieses Jahres vor dem Europaparlament noch gegen die „politische Inquisition“ in Deutschland wetterte, weil Horst Mahler und Sylvia Stolz wegen Holocaustleugnung sowie Zeigen des Hitlergrußes zu einer Haftstrafe verurteilt worden waren. Anfang Mai o9 stimmten die Europaparlamentarier deshalb nochmals ab und vermieden dabei die Formfehler, die sie bei ihrem letzten Versuch zur Abänderung der Geschäftsordnung begangen hatten.

Dieses Mal ist es definitiv: Auch im nächsten Europaparlament werden voraussichtlich 72 französische Abgeordnete sitzen - bislang waren es 78, aber aufgrund des Inkrafttretens des EU-Vertrags von Nizza vom Dezember 2000 verringert sich ihre Zahl in der kommenden Legislaturperiode. Aber es wird nicht ausgerechnet der alternde Rechtsextreme Le Pen sein, der ihr Land als Parlamentspräsident repräsentieren wird, auch nicht für einen Tag.

Diese Affäre hatte Frankreich einige Aufmerksamkeit erregt. Ansonsten aber lässt sich der Wahlkampf für die Europaparlamentswahl vom o7.  Juni her schlapp angehen. Das Desinteresse überwiegt bislang, die Wahlbeteiligung wird möglicherweise unter 40 % liegen, und die Meinungsforscher sind der Auffassung, die sozialen Frustrationen im Kontext „der Krise“ würden sich bei der EP-Wahl eher in Form von Stimmenthaltung denn eines bestimmten Wahlverhaltens niederschlagen. Ferner wird die Debatte überwiegend von innenpolitischen Frontlinien dominiert.

Die französische Sozialdemokratie: in schlapper Verfassung

Die größte parlamentarische Oppositionspartei, in Gestalt der französischen Sozialistischen Partei (PS), hatte sich im Vorfeld noch erhofft, im Wahlkampf gleichzeitig mit Präsident Nicolas Sarkozy abrechnen und für ein anderes Europakonzept werben zu können. Neben den Mechanismen zur Marktregulierung, die bislang das Funktionieren der Europäischen Union dominieren, hätte man die EU-Politik gern mit ein bisschen mehr sozialen Inhalten gefüllt gehabt oder ihr jedenfalls diesen Anschein verliehen. Anfänglich versuchten die führenden PS-Politiker, ihre Wahlkampagne gleichzeitig auf innerfranzösischer und EU-weiter Ebene zu führen. Dazu suchten sie sich drei prominente Gegner aus, die aus ihrer Sicht die konservativen und marktradikalen Kräfte in Europa besonders gut repräsentieren: Neben dem Franzosen Sarkozy erkoren sie sich dafür auch den italienischen Premierminister Silvio Berlusconi sowie den derzeitigen Präsidenten der EU-Kommission, den Portugiesen Jops.

Anfänglich schien der PS-Wahlkampf, in dem offensiv für die Abwahl der bisherigen EU-Kommission unter Führung Barrosos gleichzeitig mit einem Denkzettel für die heimische Sarkozy-Regierung geworben werden sollte, gut anzulaufen. Doch dann lief er zunehmend schleppend an und versandete schließlich im verbreiteten Desinteresse, das er hervorrief. Das offensive Werben für ein „linkes und soziales Europa“, mit einer anderen Mehrheit im Europaparlament und in der Brüsseler Kommission, rief allgemein eher Gähnen hervor. Ursächlich dafür war unter anderem auch die Tatsache, dass der innerparteiliche Streit um Posten, Plätze und Personen seit Ende April erneut die Oberhand bekam. Noch kurz vor dem 1. Mai war angekündigt worden war, dass die führenden Parteifiguren wie die Vorsitzende Martine Aubry, ihre Hauptrivalin Ségolène Royal und andere gemeinsam zum Arbeiterfeiertag demonstrieren würden. Daraus wurde dann doch nichts: Royal, die als Regionalpräsidentin im westfranzösischen Poitiers amtiert, zog es in letzter Minute vor, mit von Entlassung bedrohten Arbeitern in ihrer Region, in der Kreisstadt Niort, zu demonstrieren. Am folgenden Tag, dem o2. Mai, warb ein anderer großer Herausforderer der Parteiführung - Manuel Valls, der Bürgermeister der Pariser Vorstadt Evry und tendenzielle Rechtsausleger der Partei - in einer Talkshow energisch für seine Konzepte: Eine Umwandlung der Sozialistischen Partei nach Vorbild der US-amerikanischen und der italienischen Demokratischen Partei, also unter Aufgabe jeden Bezugs auf ihre marxistische Vergangenheit, zuzüglich einer ordentlichen Portion Law & Order. Die Partei, so Valls, müsse mit ihrer „Naivität in Sachen Ausländer- und Sicherheitspolitik“ aufhören.

(Nachträglich eingefügte Anmerkung: Schlussendlich fand doch noch, in der letzten Maiwoche, eine gemeinsame Wahlveranstaltung der beiden Rivalinnen Martine Aubry und Ségolèjne Royal im westfranzösischen Rezé, in der Nähe von Nantes, statt. Dieser erste gemeinsame Auftritt konnte nicht genügend Illusionen schaffen, um darüber hinwegzutäuschen, dass die beiden Damen sich in einem heftigen Machtkampf befinden, in dem es weitaus mehr um persönliche Profilierung denn etwa um die inhaltliche Ausrichtung der Partei geht. Zuvor hatte Aubry in der vorletzten Maiwoche die Parteiprominenten in beinahe heller Panik an den Parteisitze in der Pariser rue de Solferino einbestellt, um ihnen mitzuteilen, der Wahlkampf solle gefälligst auf neue Grundlagen gestellt werden; ein Neuanlauf sei nötig.)

Und so ist das Desaster für die stärkste parlamentarische Oppositionspartei da: Laut Umfragen wurden ihr Anfang und Mitte Mai nur 21 bis 22 Prozent der Stimmen prognostiziert. In der letzten Maiwoche waren es dann gar nur 19,5 % - gegenüber 27 Prozent für Sarkozys Regierungspartei UMP (und rund 17 bis 18 Prozent für die Zentrumspartei MoDem des Christdemokraten François Bayrou).

Law  & Order, für Sarkozy ein altbewährtes Erfolgsrezept

Die konservativ-wirtschaftsliberale UMP wirbt seit Wochen mit einer neu angefachten, massiven Law and Order-Kampagne für sich. Dafür hat der Bürgerblock wieder einmal ein neues Thema entdeckt, das die überall dräuende Unsicherheit bestätigen soll: „Die Jugendbanden“. Ende März o9 trat Sarkozy in der Pariser Vorstadt Gagny auf, wo er den Akzent auf dieses Thema legte und neue sicherheitspolitische Gesetzesvorschläge ankündigte: Die „Zugehörigkeit zu einer Bande“ -als Organisationsdelikt - solle künftig zu einer eigenständigen Straftat werden, nach dem Vorbild der 1981 abgeschafften Loi Anti-casseurs, der früheren französischen Entsprechung zum deutschen „Landfriedensbruch“paragraphen. Das dürfte, gegenüber nach außen hin eher undurchsichtigen Jugendstrukturen, zu erheblichen Beweisprobleme führen - wer ist nun Mitglied einer Bande, und wer nicht? -, enthebt Polizei und Justiz gleichzeitig aber der Notwendigkeit, Straftaten individuell zurechnen zu können.

Am 21. April o9 legte Sarkozy seine Platte erneut in Nizza auf, wo es, im Gegensatz zu manchen Pariser Vorstädten, nun wirklich kaum gefährliche Jugendbanden gibt. Die Versuche des Präsidenten, das Thema zu dramatisieren, wirkten dort auch leicht deplatziert. So versuchte der Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, bei einem Runden Tisch mit Sarkozy, einen Polizeikommissar zu dramatischen Aussagen über Jugendbanden zu bewegen. Dieser reagierte, indem er antwortete, die Justiz reagiere schon bisher sehr angemessen auf das Problem. Daraufhin versuchte Estrosi es nochmals bei einer Schuldirektorin. Auch sie wusste aber nichts Dramatisches zu berichten, sondern schwärmte von den Projektgruppen mit ihren Jugendlichen. Das hinderte Sarkozy nicht daran, im Anschluss eine martialische Kampfrede zu halten.

Neben diesem innenpolitischen Thema bestreitet die UMP ihre Vorwahlkampagne derzeit hauptsächlich mit der Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei.

Die französischen Grünen: Neoliberaler Spitzenkandidat, sonst auch interessante Einzelkandidat/inn/en

Neben der Sozialdemokratie präsentieren die Grünen eine mit durchaus interessanten Prominenten besetzte Liste. Neben dem Linksliberalen und geradezu fanatischen EU-Befürworter Daniel Cohn-Bendit kandidieren auch der linksalternative Bauerngewerkschafter José Bové und die frühere Untersuchungsrichterin Eva Joly, die sich in wichtigen Verfahren zur Finanzkriminalität bei führenden Konzernen - unter anderem der berüchtigten „ELF-Affäre“ -auszeichnete, auf vorderen Listenplätzen. Allerdings sanken seit den Wintermonaten zunächst die Wahlabsichten zugunsten der Ökopartei, die infolge ihrer Themensetzung vielen Beobachtern eher als „Schönwetterpartei“ gilt, welche aber in Zeiten, wo die Wirtschaftskrise und soziale Bedrohungen zu Hauptthemen für viele Einwohner des Landes geworden sind, nicht punkten können. Statt zuvor 10 Prozent konnten die französischen Grünen in den ersten Jahresmonaten nur noch auf 7 Prozent der Stimmen hoffen. Im Augenblick haben ihre Umfrageergebnisse sich jedoch wieder erholt und erneut das vorherige Niveau  (10, ja 11 Prozent) erreicht, mit erheblich überdurchschnittlichen Werten im Raum Paris.

(Radikalere) Linke: Wettlauf zwischen Anti-Neoliberalen rund um die KP und Antikapitalisten vom NPA

Ein solches Klima wie das der Finanz- und Wirtschaftskrise, mit den derzeit massiven Entlassungsplänen, ist hingegen eher günstig für die im weiteren Sinne marxistisch geprägte Linke. Dazu zählen der Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA, Neue Antikapitalistische Partei), der zur undogmatischen radikalen Linken mit früher teilweise trotzkistischer Herkunft – und vielen Neumitgliedern - zählt, sowie die traditions-trotzkistische Partei „Arbeiterkampf“ (LO) und die „Linksfront“. Letztere besteht aus der französischen KP und einer Abspaltung von der französischen Sozialdemokratie unter Jean-Luc Mélenchon, die eine Sammlungsbewegung ungefähr nach dem Vorbild der deutschen Linkspartei anstreben.

Alle Kräfte zusammen, die jedoch auf drei verschiedenen Listen kandidieren, können auf rund 15 Prozent der Stimmen hoffen. Anfänglich hatte dabei der NPA unter Olivier Besancenot die Nase deutlich vorne. Dessen Vorsprung hat sich jedoch reduziert, da die „Linksfront“ mit einem Versprechen der Vereinigung der Linken und der sozialen Oppositionskräfte relativ erfolgreich für sich wirbt. Ihr gelang es, enttäuschte frühere Anhänger der Linksparteien - KP und Sozialdemokratie - neu zu mobilisieren, obwohl auch ihr Profil mittelfristig auf eine Regierungsbeteiligung hinausläuft. Die Anhängerschaft der KP, die in jüngerer Zeit eher demotiviert und frustriert schien, hat sich seit Monaten vor diesem Hintergrund erstmals wieder sehr gut mobilisieren lassen, wie sich besonders am diesjährigen 1. Mai in Paris anschaulich zeigte.

Derzeit führt der NPA noch knapp vor der „Linksfront“ in den Prognosen, mal mit 7 Prozent gegenüber 6,5 Prozent, mal liegen beide bei rund sechs Prozent annähernd gleichauf. Letztere wird ihre Wähler allerdings besser mobilisieren können, die vom NPA umworbenen prekär Arbeitenden dürften sich nämlich in höherem Ausmaß der Stimme enthalten. Die traditionelle KP-Wählerschaft - die durch die „Linksfront“ gemeinsam mit früheren Sozialdemokraten nunmehr wieder besser motiviert werden kann - gilt Meinungsforschern als „politisch viel strukturierter“, d.h. verfügt über eine wesentlich klarere Parteipräferenz und ist in ihrem Wahlverhalten relativ diszipliniert.

Die französische extreme Rechte: Nicht tot, aber tief in der Krise

Seit Wochen äubert sich nun auch Frankreichs gröbte rechtsextreme Partei, der Front National (FN), in Kommuniqués und Stellungnahmen zu den „brennenden“ Arbeitskonflikten – besonders mit Schwerpunktlegung auf die Automobilindustrie. Schon seit März 2009 treten die als vergleichsweise „modern“ geltende Cheftochter (und Spitzenkandidatin zum Europaparlament in Nordostfrankreich) Marine Le Pen und sogar der eher dröge wirkende zweite Vizepräsident der Partei, Bruno Gollnisch, morgens um 5 Uhr vor Fabriktoren wie bei Peugeot im nordfranzösischen Douai auf. Um Flugblätter zur Finanz- und Wirtschaftskrise und zur „Notwendigkeit eines neuen Protektionismus“ zu verbreiten – eine Forderung, die teilweise gegen die EU gerichtet ist und teilweise auf europäischer Ebene gegen den Rest der Welt aufgeworfen wird. Die Finanz- und Wirtschaftskrise, betont die Le Pen-Partei landauf und landab, „bestätigt unsere Prognosen“, denn man habe man es schon immer gesagt, dass die Krise nahe und die Politik der Grenzöffnung für den freien Warenverkehr ein gefährlicher Unsinn sei.

Allerdings unterstützt die rechtsextreme Partei keineswegs die laufenden radikalen Betriebsaktionen. Sie fordert weder zu Klassenkampf - was ihrer politischen Natur auch widerspräche - noch zu den sich in jüngerer Zeit ausbreitenden „Bossnapping“-Aktionen in Gestalt der zeitweiligen Festsetzung von Managern oder Betriebsleitern  auf. Vielmehr möchte sie den vorhandenen, sozial begründeten Zorn gerne umlenken. Am 15. April forderte Marine Le Pen erstmals die abhängig Beschäftigten in Frankreich dazu auf, statt Bossnapping zu betreiben, lieber „ihre Abgeordneten und Politiker festzusetzen“. Dadurch reagierte sie auf die aktuelle Welle von Aktionen, die darin bestehen, Manager, Werksdirektoren oder Unternehmensleiter für 24 oder 48 Stunden festzusetzen - einzusperren -, weil die abhängig Beschäftigten etwa gegen drohende Entlassungen protestieren. Diese Aktionen sind durchaus populär, 55 Prozent der Franzosen erklärten sie am selben Tag für „gerechtfertigt“. Die rechtsextreme Jungpolitikerin Marine Le Pen aber möchte sie, statt auf die Vertreter von Wirtschaftsunternehmen, lieber auf „Politiker“ umlenken. Denn diese seien es die, „die dafür verantwortlich sind, dass die französische Industrie geopfert worden ist“, durch Freihandelspolitik und Grenzöffnung. Klingt ihre Forderung – nach dem zeitweiligen Einsperren von Politikern statt Managern oder Firmendirektoren – zwar zunächst radikal, so tritt ihr wahrer „populistischer“ bzw. volksgemeinschaftlicher Kern bei näherem Hinsehen zu Tage: Nationale Arbeit und das nationale Kapital, welch letzteres es gegen die internationale Konkurrenz in Schutz zu nehmen gelte, sollen auf dem Rücken als „korrupt“ respektive „unfähig“, wenn nicht gar „landesverräterisch“, dargestellter Politiker zusammenstehen.

Noch ist der Einfluss des FN auf die Lohnabhängigen und die Unterklassen im Augenblick begrenzt, ja erheblich zurückgegangen: Eine am o2. April 2009 durch die Tageszeitung La Croix publizierte Umfrage ergab, dass nur noch o5,7 Prozent unter den befragten Erwerbslosen erklärten, sie stünden dem Front National „politisch nahe“. Mitte der neunziger Jahre stimmten noch 20 bis 25 Prozent der damals registrierten Arbeitslosen, jedenfalls sofern sie überhaupt wählen gingen, rechtsextrem. Hingegen erklärte 13,6 Prozent derselben Erwerbslosen ihre „Nähe“ zur antikapitalistischen radikalen Linken und zu ihren Ideen. Dies widerspiegelt einen realen sozialen Zorn, der aber - jenseits der Ebene einzelner Betriebe - bislang aufgrund der äußerst defensiven Gewerkschaftsstrategie derzeit keinen angemessenen Ausdruck auch auf praktischer Ebene findet. Aber falls es den Gewerkschaften oder anderen kollektiven sozialen Akteuren nicht gelingt, der gärenden sozialen Wut gleichzeitig Ausdruck zu geben und ihr eine progressive, nicht rassistisch aufgeladene Stobrichtung zu verleihen, dann könnte die ohnmächtig in der Tasche geballte Faust tatsächlich am Wahltag zum Bulletin für die extreme Rechte greifen. Deren Umfrageergebnisse waren seit März dieses Jahres zunächst angewachsen, von zuvor knapp sechs Prozent auf nunmehr acht Prozent. (Im Augenblick sinkt die neofaschistische Rechte bei denselben Meinungsforschungsinstituten allerdings bereits wieder auf mal sechs, mal sieben Prozent. Aber die erwartete hohe Wahlenthaltung dürfte auch hier die Proportionen verzerren.)

Antisemitische Liste: bunt und doch zutiefst braun

Eine weitere Liste fischt im (rassistischen, vorwiegend jedoch) antisemitischen Sumpf, aber nicht nur dort, sondern auch sonst unter den Unzufriedenen an den „Rändern“ der Gesellschaft und des politischen Systems: Die von den Antisemiten Dieudonné M’bala – einem schwarzen „Mischling“ (métis) - und Alain Soral (vor 1993 KP, von 2006 bis Anfang 2009 beim Front National) aufgestellte und am Mittwoch, den 13.o5.o9 für die Europawahl angemeldete „Antizionistische Liste“ vereinigt Personen sehr unterschiedlicher Herkunft. Allen gemeinsam ist aber ein mehr oder minder wirres Verschwörungsdenken. Man findet Rechtsextreme, etwa von der militanten Faschistengruppe Renouveau français oder einen früheren Regionalverantwortlichen aus den Reihen der FN-Jugendvereinigung FNJ; aber auch die von den Grünen ausgeschlossene Auschwitzleugnerin Ginette Skandrani und den Anführer einer schiitischen Sekte, Yahia Gouasmi. Letzterer überraschte auf einer Pressekonferenz am 24. April durch die Aussage, der Zionismus zeichne sich dadurch aus, dass er die Familienmoral in Frankreich zerstöre: „Hinter jeder Scheidung steht ein Zionist.“ Dies bringt ein wahnhaftes Verschwörungsdenken gut auf den Punkt, wird aber in breiten Kreisen als grotesk bis pathologisch wahrgenommen.

Die Liste rangiert derzeit, weit abgeschlagen, im Null-Komma-Bereich. Die Ankündigung von Sarkozys Berater Claude Guéant, über ihr Verbot nachzudenken - zu einem Zeitpunkt, als die Liste ihr Wahlprogramm noch nicht hinterlegt hatte und es also zu früh war, über eine juristische Handhabe nachzudenken - hat ihr laut Auffassung der Opposition jedoch „unnütze Publizität“ verschafft. Am Dienstag, den 13. Mai o9 blockierten starke Polizeikräfte Dieudonnés „Wahlkampfbus“ für zwei Stunden auf den Champs-Elysées. Die Protagonisten waren zunächst ratlos, und Dieudonnés Ehefrau rief den alternden Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen an, um ihn um Rat zu fragen – so jedenfalls dessen eigene Darstellung -, aber nun versucht die Liste nochmals, aus ihrem Status als „Opfer des Systems“ Kapital zu schlagen. In breiten Kreisen wird sie jedoch eher clonewske Einlage wahrgenommen. Hoffentlich bleibt es auch genau so.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir vom Autor.