Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

‚Loi HADOPi’ – Neues Gesetz gegen „Raubkopieren“ im Internet
 

06/09

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Freibrief für Datensammelwut (im Kontext ihrer „Vorratsspeicherung“) und einschneidende Sanktionen ohne Gerichtsverfahren. Aber das Gesetz dürfte eventuell eine Totgeburt darstellen

Das neue Gesetz ist eine Totgeburt, es lebe das neue Gesetz? Abzuwarten bleibt, ob die Diagnose der Bürgerinitiative von Internetnutzer/inne/n ‚La Quadrature du Net’ sich bestätigt. Ihr zufolge handelt es sich bei dem am Dienstag, den 12. o5. 2009  verabschiedeten Anti-Raubkopier-Gesetz, das die Nutzung des Internet regulieren soll, um ein von Anfang an gescheitertes Projekt. „Feierliche Beerdigung des Gesetzestextes in der Nationalversammlung“ titelten die Quadratierer des Netzes auf ihrer Webpage, als an jenem Dienstag die Hände im französischen Parlament für die Vorlage gehoben wurden - die erst im zweiten Durchlauf angenommen werden konnte, nachdem sie in der dritten Aprilwoche o9 völlig überraschend keine Mehrheit gefunden hatte, weil auch viele Angehörige des bürgerlichen Lagers zögerten und die Abstimmung boykottierten. 

Noch ist offen, inwiefern die neuen Bestimmungen sich als anwendbar herausstellen werden und welche Folgen es zeitigen wird. Hingegen steht fest, dass die Loi HADOPI, wie der technische Name des Gesetzestextes lautet, gegen europäische Rechtsnormen verstösst, die ebenfalls jüngst verabschiedet wurden: Erst am o6. Mai o9 nahm eine deutliche Mehrheit im Europäischen Parlament - entgegen zuwiderlaufenden Bemühungen des Ministerrats der EU - den „Zusatzantrag 138/46“ an, der die Nutzung des Internet zum „Grundrecht“ für alle Einwohner der Europäischen Union erklärt.

Dreifachstrafe für „illegales Herunterladen“ von Inhalten (Musik, Filmen..)  

Eine Logik, die nicht mit jener der ‚Loi HADOPI’ vereinbar ist. Denn dieses neue Gesetz sieht vor, dass, wer gegen die Regeln verstöbt, mit dem Absperren seines o. ihres Zugangs zum Internet sanktioniert werden kann. Eine kleine, aber tückische Zusatzbestimmung schreibt ferner vor, dass die solcherart bestrafte Person dennoch für die Dauer eines Jahres weiterhin ihren - gesperrten - Internetzugang bezahlen muss, also nicht etwa kostenlos vom Internet abgeschnitten wird. Der Druck der Internetprovider, die sich weniger an den Sperren als am drohenden Verdienstausfall zu stören schienen, ermöglichte es. Eine Doppelbestrafung? Nein, falsch, sondern eine dreifache: Denn auch die Kosten für die technischen Vorrichtungen, die zur Sperrung eines Access zum „Netz der Netze“ mobilisiert werden, werden in einem solchen Fall dem User aufgehalst, der sich einer Regelverletzung schuldig gemacht haben soll.  

„Soll“, denn bestraft wird die Userin oder der User nicht für nachgewiesenes eigenes Verhalten, sondern für mutmabliches „Nichtbeherrschen der Schaffung eines sicheren Internetzugangs“. Das bedeutet: Wenn eine Person einen Access unterhält und ihr Computer auch von anderen Personen - etwa heranwachsenden Kindern, Lebensgefährten oder auch Freundinnen u. Bekannten - genutzt wird, dann ist der Anmelder haftungspflichtig, sofern  „Raubkopieren“ von ihrem Internetzugang aus festgestellt wird. Zuständig dafür ist die HADOPI. Auf dieses Namensungetüm, das auch in den Gesetzestitel eingegangen ist, hört die neu geschaffene „Hohe Behörde für die Verbreitung von Werken und (Urheber-)Rechten im Internet“. 

HADOPI wacht 

Die Behörde wird aktiv, wenn sie von den Eigentümern privater Urheberrechte angerufen wird. Das kann zum Beispiel im Namen von Künstlern oder auch ihre Erben, aber auch von Plattenfirmen oder Filmgesellschaften geschehen. Dabei ist höchst unwahrscheinlich, dass die finanzschwache Künstlerin, die sich in ihren Werken selbst verwirklicht und nur mit Müh’ und Not von ihrem Schaffen (über)leben kann, ins Spiel kommt, um ihre Urheberrechte geltend zu machen: Antragsberechtigt bei der HADOPI sind nämlich private Verfolgungsgesellschaften - eine Art Privatdetektive im Internet -, die das technische Know-How dazu haben, um als Experten tätig zu werden, die der Verletzung von Urheberrechten im Internet nachspüren. Die nötigen Mittel, solche Agenturen tätig werden zu lassen, besitzen aber eher die Kulturfirmen denn die jetzt in diesem Zusammenhang viel beschworenen kleinen Künstler/innen, freien Journalisten und andere Geistesschaffende ohne finanzielle Mittel. 

Die Sanktion in Gestalt von Sperren, die in Zeiten allgemeiner Internetnutzung nicht geringe Auswirkungen auf das soziale Alltagsleben haben können, wird in diesem Falle nicht durch ein Gericht (unter Anhörung auch der Gegenseite, also Respekt des „Grundrechts auf rechtliches Gehör“), sondern einseitig durch die neue Behörde verhängt. Diese kann sich dabei zunutze machen, dass seit dem im November/Dezember 2005 verabschiedeten Anti-Terrorismus-Gesetz „praktischerweise“ alle Internetprovider gesetzlich dazu verpflichtet worden sind, zwölf Monate lang sämtliche Zugangsdaten aufzubewahren. Dies können die Verfolger der „missbräuchlichen Internetnutzung“ sich nun ihrerseits, zu ganz anderen Zwecken als den ursprünglich vorgesehen („Terrorismusbekämpfung“), zunutze machen – und dadurch die Vorratsspeicherung nochmals neu legitimieren. 

Während einzelne prominente Künstler aus vermeintlichem finanziellem Interesse heraus für das neue Gesetz aktiv wurden und die französische Sozialdemokratie für ihre Opposition zur Gesetzesvorlage tadelten, hagelte es von Bürgerrechtlern und auch vielen anderen Kulturschaffenden Kritik. Noch ist unterdessen völlig unklar, ob die Kulturschaffenden überhaupt, wie von manchen erhofft, finanzielle Vorteile von diesem (brachialen) Vorgehen gegen „Raubkopierer“ im Internet haben werden. Denn wenn junge Leute heute – technisch versiert - im Internet „wie wild“ Musikstücke oder Filme herunterladen und ihnen dies morgen verwehrt wird, bedeutet dies ja noch lange nicht, dass sie dann umso mehr CDs kaufen oder kostenpflichtige Downloads vornehmen werden. Sofern es ihnen am nötigen Kleingeld fehlt, werden sie schlicht und einfach weniger Zugang zur Kultur haben als bisher. Und die fündigeren unter ihnen werden ohnehin schnell jene Webseiten, auf denen Downloaden unter gleichzeitiger Anonymisierung ihrer Daten möglich ist, zu nutzen wissen. 

Es hätte auch Alternativen gegeben, wie etwa die radikal linke Zeitung ‚Tout est à nous’ (Alles gehört uns) in der zweiten Maiwoche dazu anmerkte. So hätte die Regierung o. Parlamentsmehrheit dafür sorgen können, dass die Urheberrechte mit dem Tod des oder der Kulturschaffenden erlischt; anstatt die Plattenfirmen/Filmgesellschaften/Buchverlage usw. dazu zu verpflichten, auch über das Ableben des Anspruchsberechtigten hinaus dessen Erbinnen und Erben (bis zum Eintritt der Verjährungsfrist) einen regelmäbigen Obulus zu überweisen. Die dadurch frei werdenden Mittel – die dann nicht mehr Leuten zukämen, die keinerlei  Inhalte „geistigen Eigentums“ geschaffen haben, sondern aussschlieblich von ihrer juristischen Person als Nutznieber einer Erbschaft profitieren – hätten dazu dienen können, bspw. einen Fonds zu alimentieren, der einen allgemeinen Zugang zu Kulturgütern garantiert und finanziert.  

Auch sei nicht zuletzt darauf hingewiesen, wie heuchlerisch die Berufung auf die „materiellen Interessen der (besonders auch finanzschwachen) Kulturschaffen“ von Seiten einer Regierung ist, die – im Zusammenspiel mit den so genannten „Sozialpartnern“ – seit 2003 das bis dahin  bestehende soziale Absicherungssystem für die ‚intermittents du spectacle’ weitgehend geschleift hat. Dabei handelt es sich um nicht dauerhaft per Arbeitsvertrag beschäftigte Künstler/innen, die in der Zeit zwischen zwei Engagements – wenn sie entweder mit der Such nach neuen Aufträgen oder aber mit Proben beschäftigt sind – bis dato auf relativ reibungslose Weise aus der (ihnen eigenen) Arbeitslosenkasse abgesichert wurden. Die Zugangsbedingungen zu dieser sozialen Überlebensgarantie sind seit 2003 erheblich verschärft und eingeschränkt worden, im Zusammenspiel von Gesetzgeber, Arbeitgeberverbänden und des sozialliberalen Gewerkschaftsbunds CFDT, wobei die Letztgenannten zusammen die Arbeitslosenkasse (UNEDIC) paritätisch verwalten. Für viele, nicht fest angestellte Kulturschaffende bedeutete diese Neuregelung das (drohende oder eingetretene) finanzielle Aus. 

Eher, weitaus eher als im Interesse der Kulturschaffenden handelte die französische Regierung, als sie an die Schaffung des Gesetzesmonstrums ‚Loi HADOPI’ ging, im Auftrag der groben kulturindustriellen Konzerne, ihrer Anwältinnen und Anwälte.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.