Freibrief für
Datensammelwut (im Kontext ihrer „Vorratsspeicherung“) und
einschneidende Sanktionen ohne Gerichtsverfahren. Aber das
Gesetz dürfte eventuell eine Totgeburt darstellen
Das neue
Gesetz ist eine Totgeburt, es lebe das neue Gesetz? Abzuwarten
bleibt, ob die Diagnose der Bürgerinitiative von
Internetnutzer/inne/n ‚La Quadrature du Net’ sich
bestätigt. Ihr zufolge handelt es sich bei dem am Dienstag, den
12. o5. 2009 verabschiedeten Anti-Raubkopier-Gesetz, das die
Nutzung des Internet regulieren soll, um ein von Anfang an
gescheitertes Projekt. „Feierliche Beerdigung des Gesetzestextes
in der Nationalversammlung“ titelten die Quadratierer des Netzes
auf ihrer Webpage, als an jenem Dienstag die Hände im
französischen Parlament für die Vorlage gehoben wurden - die
erst im zweiten Durchlauf angenommen werden konnte, nachdem sie
in der dritten Aprilwoche o9 völlig überraschend keine Mehrheit
gefunden hatte, weil auch viele Angehörige des bürgerlichen
Lagers zögerten und die Abstimmung boykottierten.
Noch ist
offen, inwiefern die neuen Bestimmungen sich als anwendbar
herausstellen werden und welche Folgen es zeitigen wird.
Hingegen steht fest, dass die Loi HADOPI, wie der
technische Name des Gesetzestextes lautet, gegen europäische
Rechtsnormen verstösst, die ebenfalls jüngst verabschiedet
wurden: Erst am o6. Mai o9 nahm eine deutliche Mehrheit im
Europäischen Parlament - entgegen zuwiderlaufenden Bemühungen
des Ministerrats der EU - den „Zusatzantrag 138/46“ an, der die
Nutzung des Internet zum „Grundrecht“ für alle Einwohner der
Europäischen Union erklärt.
Dreifachstrafe für „illegales Herunterladen“ von Inhalten
(Musik, Filmen..)
Eine Logik,
die nicht mit jener der ‚Loi HADOPI’ vereinbar ist. Denn
dieses neue Gesetz sieht vor, dass, wer gegen die Regeln verstöbt,
mit dem Absperren seines o. ihres Zugangs zum Internet
sanktioniert werden kann. Eine kleine, aber tückische
Zusatzbestimmung schreibt ferner vor, dass die solcherart
bestrafte Person dennoch für die Dauer eines Jahres weiterhin
ihren - gesperrten - Internetzugang bezahlen muss, also nicht
etwa kostenlos vom Internet abgeschnitten wird. Der Druck der
Internetprovider, die sich weniger an den Sperren als am
drohenden Verdienstausfall zu stören schienen, ermöglichte es.
Eine Doppelbestrafung? Nein, falsch, sondern eine dreifache:
Denn auch die Kosten für die technischen Vorrichtungen, die zur
Sperrung eines Access zum „Netz der Netze“ mobilisiert werden,
werden in einem solchen Fall dem User aufgehalst, der sich einer
Regelverletzung schuldig gemacht haben soll.
„Soll“, denn
bestraft wird die Userin oder der User nicht für nachgewiesenes
eigenes Verhalten, sondern für mutmabliches
„Nichtbeherrschen der Schaffung eines sicheren Internetzugangs“.
Das bedeutet: Wenn eine Person einen Access unterhält und ihr
Computer auch von anderen Personen - etwa heranwachsenden
Kindern, Lebensgefährten oder auch Freundinnen u. Bekannten -
genutzt wird, dann ist der Anmelder haftungspflichtig, sofern
„Raubkopieren“ von ihrem Internetzugang aus festgestellt wird.
Zuständig dafür ist die HADOPI. Auf dieses Namensungetüm, das
auch in den Gesetzestitel eingegangen ist, hört die neu
geschaffene „Hohe Behörde für die Verbreitung von Werken und (Urheber-)Rechten
im Internet“.
HADOPI wacht
Die Behörde
wird aktiv, wenn sie von den Eigentümern privater Urheberrechte
angerufen wird. Das kann zum Beispiel im Namen von Künstlern
oder auch ihre Erben, aber auch von Plattenfirmen oder
Filmgesellschaften geschehen. Dabei ist höchst unwahrscheinlich,
dass die finanzschwache Künstlerin, die sich in ihren Werken
selbst verwirklicht und nur mit Müh’ und Not von ihrem Schaffen
(über)leben kann, ins Spiel kommt, um ihre Urheberrechte geltend
zu machen: Antragsberechtigt bei der HADOPI sind nämlich private
Verfolgungsgesellschaften - eine Art Privatdetektive im Internet
-, die das technische Know-How dazu haben, um als Experten tätig
zu werden, die der Verletzung von Urheberrechten im Internet
nachspüren. Die nötigen Mittel, solche Agenturen tätig werden zu
lassen, besitzen aber eher die Kulturfirmen denn die jetzt in
diesem Zusammenhang viel beschworenen kleinen Künstler/innen,
freien Journalisten und andere Geistesschaffende ohne
finanzielle Mittel.
Die Sanktion
in Gestalt von Sperren, die in Zeiten allgemeiner
Internetnutzung nicht geringe Auswirkungen auf das soziale
Alltagsleben haben können, wird in diesem Falle nicht durch ein
Gericht (unter Anhörung auch der Gegenseite, also Respekt des
„Grundrechts auf rechtliches Gehör“), sondern einseitig durch
die neue Behörde verhängt. Diese kann sich dabei zunutze machen,
dass seit dem im November/Dezember 2005 verabschiedeten
Anti-Terrorismus-Gesetz „praktischerweise“ alle Internetprovider
gesetzlich dazu verpflichtet worden sind, zwölf Monate lang
sämtliche Zugangsdaten aufzubewahren. Dies können die Verfolger
der „missbräuchlichen Internetnutzung“ sich nun ihrerseits, zu
ganz anderen Zwecken als den ursprünglich vorgesehen
(„Terrorismusbekämpfung“), zunutze machen – und dadurch die
Vorratsspeicherung nochmals neu legitimieren.
Während
einzelne prominente Künstler aus vermeintlichem finanziellem
Interesse heraus für das neue Gesetz aktiv wurden und die
französische Sozialdemokratie für ihre Opposition zur
Gesetzesvorlage tadelten, hagelte es von Bürgerrechtlern und
auch vielen anderen Kulturschaffenden Kritik. Noch ist
unterdessen völlig unklar, ob die Kulturschaffenden überhaupt,
wie von manchen erhofft, finanzielle Vorteile von diesem
(brachialen) Vorgehen gegen „Raubkopierer“ im Internet haben
werden. Denn wenn junge Leute heute – technisch versiert - im
Internet „wie wild“ Musikstücke oder Filme herunterladen und
ihnen dies morgen verwehrt wird, bedeutet dies ja noch lange
nicht, dass sie dann umso mehr CDs kaufen oder kostenpflichtige
Downloads vornehmen werden. Sofern es ihnen am nötigen Kleingeld
fehlt, werden sie schlicht und einfach weniger Zugang zur Kultur
haben als bisher. Und die fündigeren unter ihnen werden ohnehin
schnell jene Webseiten, auf denen Downloaden unter
gleichzeitiger Anonymisierung ihrer Daten möglich ist, zu nutzen
wissen.
Es hätte
auch Alternativen gegeben, wie etwa die radikal linke Zeitung
‚Tout est à nous’ (Alles gehört uns) in der zweiten Maiwoche
dazu anmerkte. So hätte die Regierung o. Parlamentsmehrheit
dafür sorgen können, dass die Urheberrechte mit dem Tod des oder
der Kulturschaffenden erlischt; anstatt die
Plattenfirmen/Filmgesellschaften/Buchverlage usw. dazu zu
verpflichten, auch über das Ableben des Anspruchsberechtigten
hinaus dessen Erbinnen und Erben (bis zum Eintritt der
Verjährungsfrist) einen regelmäbigen
Obulus zu überweisen. Die dadurch frei werdenden Mittel – die
dann nicht mehr Leuten zukämen, die keinerlei Inhalte
„geistigen Eigentums“ geschaffen haben, sondern aussschlieblich
von ihrer juristischen Person als Nutznieber
einer Erbschaft profitieren – hätten dazu dienen können, bspw.
einen Fonds zu alimentieren, der einen allgemeinen Zugang zu
Kulturgütern garantiert und finanziert.
Auch sei
nicht zuletzt darauf hingewiesen, wie heuchlerisch die Berufung
auf die „materiellen Interessen der (besonders auch
finanzschwachen) Kulturschaffen“ von Seiten einer Regierung ist,
die – im Zusammenspiel mit den so genannten „Sozialpartnern“ –
seit 2003 das bis dahin bestehende soziale Absicherungssystem
für die ‚intermittents du spectacle’ weitgehend
geschleift hat. Dabei handelt es sich um nicht dauerhaft per
Arbeitsvertrag beschäftigte Künstler/innen, die in der Zeit
zwischen zwei Engagements – wenn sie entweder mit der Such nach
neuen Aufträgen oder aber mit Proben beschäftigt sind – bis dato
auf relativ reibungslose Weise aus der (ihnen eigenen)
Arbeitslosenkasse abgesichert wurden. Die Zugangsbedingungen zu
dieser sozialen Überlebensgarantie sind seit 2003 erheblich
verschärft und eingeschränkt worden, im Zusammenspiel von
Gesetzgeber, Arbeitgeberverbänden und des sozialliberalen
Gewerkschaftsbunds CFDT, wobei die Letztgenannten zusammen die
Arbeitslosenkasse (UNEDIC) paritätisch verwalten. Für viele,
nicht fest angestellte Kulturschaffende bedeutete diese
Neuregelung das (drohende oder eingetretene) finanzielle Aus.
Eher,
weitaus eher als im Interesse der Kulturschaffenden handelte die
französische Regierung, als sie an die Schaffung des
Gesetzesmonstrums ‚Loi HADOPI’ ging, im Auftrag der groben
kulturindustriellen Konzerne, ihrer Anwältinnen und Anwälte.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor.
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