„In Afrika
organisiert man nicht Wahlen, um sie zu verlieren.“ Dieses
Bonmot stammt vom dienstältesten unter den Präsidenten des
Kontinents, Omar Bongo, der seit Januar 1967 die Erdölrepublik
Gabun anführt.
In 42 Amtsjahren an der Spitze eines halb
autoritären und halb klientelistisch funktionierenden Regimes,
in denen es an „Wahlen“ mit - höflich ausgedrückt - umstrittenen
Ergebnissen nicht mangelte, dürfte er gelernt haben, sein
Handwerkszeug zu beherrschen. Die Unterstützung Frankreichs ist
ihm dabei gewiss, auch wenn die Pariser Justiz vor nunmehr (bei
Erscheinen) zwei Wochen gegen ihn und die Staatschefs von
Congo-Brazzaville und Äquatorialguinea Ermittlungsverfahren
eingeleitet hat. Darin geht es um gigantische Guthaben, die in
Frankreich geparkt sind, und den Verdacht, diese seien durch
Unterschlagung, Raub und Korruption in ihren Ländern angehäuft
und im westlichen Ausland hinterzogen worden. Die Pariser
Staatsanwaltschaft - und hinter ihr das Justizministerium -
stemmt sich noch eifrig gegen die Ermittlungen, die durch eine
eifrige Untersuchungsrichterin veranlasst wurden.
Bongo ist
nicht allein, was die Haltung afrikanischer Staatschefs zu
freien, gleichen und geheimen Wahlen betrifft. Aber einer
scheint nun die löbliche Ausnahme zu bilden: Moussa Dadis Camara,
der 44jährige selbsternannte Präsident der Republik Guinea. Als
er das Licht der Welt erblickte, war Omar Bongo zweitausend
Kilometer weiter südöstlich bereits am Ruder, damals noch
Vizepräsident (unter dem krebskranken Léon Mba, erstes
Staatsoberhaupt nach der Unabhängigkeit, 1960 bis 67), aber, mit
französischer Unterstützung, bereits faktisch die Macht
ausübend.
Sicher, auch
Camara kam nicht wirklich demokratisch an die Macht: Am 22.
Dezember vergangenen Jahres wurde in der guineeischen Hauptstadt
Conakry der Tod des alternden Präsidenten, General Lansana Conté,
seit 1984 im Amt, bekannt gegeben. Zu diesem Zeitpunkt lag sein
Ableben allerdings in Wirklichkeit mutmaßlich schon mehreren
Tage zurück. Unterdessen bereiteten junge Offiziere sich darauf
vor, die Macht zu übernehmen. Am 23. Dezember putschten sie
gegen das alte Regime, das der Verfassung zufolge nunmehr der
Parlamentspräsident Aboubacar Somparé hätte anführen sollen -
obwohl das Mandat des Parlaments schon seit zwei Jahren
abgelaufen war -, aber auch gegen die ältere und tiefer in die
Netzwerke der Korruption verstrickte Offiziersgeneration. 25
alte Generäle und hohe Offiziere wurden kurz darauf;
unfreiwillig, aufs Altenteil geschickt.
Camara
scheint nun aber nicht auf Dauer im Amt bleiben zu wollen.
Jedenfalls kündigte er am (bei Erscheinen: vor-)letzten Sonntag
in Conakry an, er werde nicht selbst zur Präsidentschaftswahl
antreten, die seine Militärregierung - das „Nationalkomitee für
Demokratie und Entwicklung“ CNDD - noch in diesem Jahr
organisieren will. Aus demselben Anlass bekräftigte er, die
regierende Offiziersriege werde sich an den Kalender halten, der
im März dieses Jahres einem Bündnis von Oppositionsparteien und
Bürgerinitiativen (Associations) versprochen worden war. Er
sieht Parlamentswahlen am 11. Oktober vor, gefolgt von der Wahl
des nächsten Staatsoberhaupts am 13. Dezember. Sofern diese
Zusage wirklich eingehalten wird, hätte Guinea, das seit der
Unabhängigkeit 1958 erst zwei Präsidenten - Ahmed Sékou Touré
und Lansana Conté - erlebt hat, den ersten aus freien Wahlen
hervorgegangenen Anführer. Trifft dies zu, hätte Guinea auch
einen anderen Weg eingeschlagen, als die anderen afrikanischen
Staaten, in denen in den letzten Monaten Putsche stattfanden,
Madagaskar und Mauretanien. Im letzteren Fall tritt
Putschgeneral Ould Abdelaziz, der am 6. August vorigen Jahres
die demokratisch gewählte mauretanische Regierung entmachtete,
nun als „aussichtsreichster Kandidat“ zur Präsidentschaftswahl
am 6. Juni - die durch sein Armeeregime veranstaltet wird - an.
Aller Voraussicht nach wird die Militärdiktatur dadurch nur eine
zivile Verkleidung erhalten.
Beobachter
in Guinea zweifelten zunehmend daran, dass es dort so viel
besser kommen könnte. Am 15. April dieses Jahres hielt Juntachef
Camara eine Rede, in der er harte Worte gegen die
Oppositionsparteien und die „politische Klasse“ ergriff, die
seine Offiziersriege „nicht respektieren“ würden. Und er drohte
damit, selbst die Uniform gegen einen Anzug einzutauschen und
als Kandidat anzutreten. Nunmehr hat er solche Absichten
dementiert. Innenpolitische Kritiker weisen allerdings darauf
hin, dass in Conakry auch des öfteren Jugenddemonstrationen
stattfinden, in denen der Putschpräsident dazu aufgefordert, er
möge sein Mandat verlängern und möglichst lange an der Macht
bleiben. Sie zweifeln am spontanen Charakter dieser Aufläufe.
Camaras
Ankündigung kam zur rechten Zeit, denn am Vortag hatte es
erstmals offenen Aufruhr gegen die regierenden Militärs gegeben.
Den Vertrauensvorschuss, den das CNDD bislang in breiten Kreisen
in Guinea tatsächlich genoss - weil ihm zugute gehalten wird,
das hyperkorrupte Regime der alten Oligarchie abgesetzt- und
gleichzeitig die wachsende Gefahr eines ethnisierten
Bürgerkriegs verhindert zu haben -, schmolz in den letzten
Wochen zunehmend dahin. Am Samstag vorletzter Woche kam es in
der Hauptstadt Conakry zur Spontandemonstration von rund 1.500
Menschen, nachdem in der Nacht zuvor schwer bewaffnete Militärs
in Uniform - oder eventuell auch als Soldaten verkleidete Räuber
- ein Geschäft ausgeraubt und die Kasse mitgenommen hatten.
Daraufhin kam es am Samstag Abend zu Unruhen, bei denen
Jugendliche mit Steinen und Wurfgeschossen gegen die Gendarmerie
vorgingen und die Sicherheitskräfte dann das Feuer eröffneten.
Zwei Personen erhielten Schussverletzungen.
Seit Monaten
häufen sich Berichte über Übergriffe und Straftaten, die von
Militärs, oft mit vorgehaltener Waffe, begangen werden. Die
US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW)
publizierte dazu eigens einen Untersuchungsbericht, den sie am
27. April in Dakar vorstellte. HRW hatte 19 gewaltsame
Übergriffe, an denen Gruppen von jeweils bis zu zwanzig Soldaten
beteiligt waren und zu denen die Vereinigung Augenzeugen
befragen konnte, dokumentiert. Sie hatten Häuser, Geschäfte,
Restaurants, Büros und Krankenhäuser ausgeraubt, hatten Geld,
Autos, Computer und Fernsehgeräte mitgenommen oder am 23.
Februar einen Richter im Gerichtssaal mit der Waffe bedroht.
Es mag
durchaus sein, dass diese Vorfälle keineswegs durch die
Armeehierarchie gedeckt wurden, sondern dass Untergebene auf
eigene Faust handelten. Nur in einem einzigen Fall, den HRW
ermitteln konnte, jedoch ergriffen Vorgesetzte Sanktionen gegen
Militärs: Es ging um die Vergewaltigung einer 15jährigen,
woraufhin der leitende Offizier sich persönlich bei der Familie
entschuldigen ging. In anderen Fällen sind keine Missbilligungen
oder Disziplinarstrafen bekannt.
Zudem dient
das staatsoffizielle Vorgehen gegen den Drogenhandel als bequeme
Allgemeinrechtfertigung für alle möglichen Aktionen. Denn Drogen
lassen sich schließlich überall suchen - warum also nicht in
Wohnungen, Büros oder Restaurants?
Es trifft
zu, dass das Drogengeschäft unter dem alten Regime in Guinea ein
zunehmendes Problem wurde: Da die Machthaber in der Schlussphase
der Ära von Lansana Conté bereit waren, es mit internationalen
Legalität nicht so genau zu nehmen, auf die Gefahr hin, als
„Schurkenstaat“ eingestuft zu werden, entwickelten Kreise etwa
der kolumbianischen Drogenmafia zunehmende Aktivitäten in dem
Land. Sie benutzten das Land, einschließlich seiner
diplomatischen Einrichtungen auf auswärtigem Boden, zeitweise
als Drehscheibe auf dem Weg nach Europa. Dies führte zu
Problemen, als die Polizei anfing, gegen Drogenhändler - die
auch einheimische Kundschaft fanden - vorzugehen, während
einflussreiche Armeekreise sie beschützten: Die Episode im Juni
2008, als Militärs auf für ihren Lohn streikende Polizisten
schossen, hängt mit dieser Situation zusammen. (Auch die
libanesische Hizbollah fing aus vergleichbaren Gründen an, in
Conakry Fuß zu fassen, wo sie massiv ins Immobiliengeschäft
investiert haben soll.)
Die relativ
jungen Offiziere, die vor sechs Monaten die Macht übernommen
haben, versuchen diesen Praktiken - an den sie zuvor anscheinend
nicht oder kaum beteiligt worden waren - ein Ende zu setzen und
sich an die internationalen Großmächte wieder anzunähern.
Insbesondere übrigens an Frankreich, und die zeitweilig eisig
gewordenen Beziehungen zur früheren Kolonialmacht begannen sich
wieder aufzuwärmen: Im französischen Parlament befindet sich
derzeit ein Gesetzentwurf zur Neudefinition der Beziehungen
zwischen Paris und Conakry in Ausarbeitung. Der parlamentarische
Berichterstatter führt in seiner Begründung für den Entwurf
explizit aus, dass besonders die reichhaltigen Erzvorkommen in
Guinea von hohem Interesse seien. Die USA hingegen, die - neben
Russland - unter Lansana Contés Regime bessere Positionen
genossen, bleiben derzeit zum „illegalen“ Militärregime auf
größerem Abstand.
Auch den
Sohn des früheren Präsidenten, Ousman Conté, hatte es vor
einigen Wochen erwischt: Vor laufenden Fernsehkameras gab er zu,
ins Drogengeschäft verwickelt gewesen zu sein. Wie andere
prominente Angehörige der Oligarchie, die sich früher
hemmungslos bereichern konnte, unter ihnen ehemalig Minister
wurde er ins „Camp Yaya Alpha Diallo“ einbestellt. Die Verhöre
werden in der Regel live im Fernsehen übertragen. Ein Recht auf
Verteidigung wird dabei allerdings kaum gewährleistet, und wenn
auch in aller Regel wohl „die Richtigen“ trifft, so haben die
Anhörungen doch auch mitunter einen unangenehmen Beigeschmack
von Schauprozessen. Unterdessen führen viele Militärs in den
letzten Wochen einen Kampf gegen den Drogenhandel nach eigenen,
„soldatischen“ Vorstellungen vor: Angehörige von
Spezialeinheiten durchkämmen nächstens Wohnviertel in der
Banlieue von Conakry und nehmen „Drogensüchtige“ und -
angebliche oder tatsächliche - Prostituierte fest, die sie auf
Lastwagen aufladen und mitnehmen. Rund 200 verhaftete Personen
kamen kürzlich wieder frei. In der Regel trifft es dabei „arme
Teufel“, während ein Teil der örtlichen Bevölkerung sich
ermutigt fühlt, auf eigene Faust gegen benachbarte
„Lasterhöhlen“ vorzugehen.
Ein Teil der
Armee scheint unterdessen der CNDD-Spitze außer Kontrolle zu
geraten. Am 22. April sagte Regimechef Moussa Dadis Camara eine
geplante Reise nach Libyen in letzter Minute „aus Termingründen“
ab. Am selben Abend wurden im Camp Alpha Diallo von Anwohnern
Schüsse vernommen, und Spezialeinheiten kontrollierten Autos und
Passanten an der „Brücke des 8. November“, die das Stadtzentrum
auf einer Halbinsel vom übrigen Conakry - der Rest der
Hauptstadt ist ein 15 Kilometer langer Schlauch, der auf die
Brücke zuführt - trennt. Anfänglich zirkulierten „nur“ Gerüchte
über einen Militärputsch, der an jenem Tag vereitelt worden sei.
Aber inzwischen hat Camara selbst am (vor)letzten Sonntag
bestätigt, dass es einen versuchten Staatsstreich aus den Reihen
der Armee gegeben habe. Da „die Diktatur in Guinea vorüber“ sei,
würden die dabei festgenommenen Offiziere jedoch freigelassen
und um- respektive strafversetzt.
In Teilen
der Bevölkerung haben die regierenden Militärs ihren Kredit
offenbar eingebüßt. Moussa Dadis Camara dürfte es darum gehen,
die Armee zusammenzuhalten und ihre Einheit zu wahren oder
wieder herzustellen, indem er ankündigt, man wolle nicht auf
Dauer an der Macht bleiben. Ob dies allerdings das letzte Wort
in dieser Sache ist, gilt es abzuwarten.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor.
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