Guinea, Junta, Wahlen, etc.

von Bernard Schmid

06/09

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„In Afrika organisiert man nicht Wahlen, um sie zu verlieren.“ Dieses Bonmot stammt vom dienstältesten unter den Präsidenten des Kontinents, Omar Bongo, der seit Januar 1967 die Erdölrepublik Gabun anführt.

 In 42 Amtsjahren an der Spitze eines halb autoritären und halb klientelistisch funktionierenden Regimes, in denen es an „Wahlen“ mit - höflich ausgedrückt - umstrittenen Ergebnissen nicht mangelte, dürfte er gelernt haben, sein Handwerkszeug zu beherrschen. Die Unterstützung Frankreichs ist ihm dabei gewiss, auch wenn die Pariser Justiz vor nunmehr (bei Erscheinen) zwei Wochen gegen ihn und die Staatschefs von Congo-Brazzaville und Äquatorialguinea Ermittlungsverfahren eingeleitet hat. Darin geht es um gigantische Guthaben, die in Frankreich geparkt sind, und den Verdacht, diese seien durch Unterschlagung, Raub und Korruption in ihren Ländern angehäuft und im westlichen Ausland hinterzogen worden. Die Pariser Staatsanwaltschaft - und hinter ihr das Justizministerium - stemmt sich noch eifrig gegen die Ermittlungen, die durch eine eifrige Untersuchungsrichterin veranlasst wurden.

Bongo ist nicht allein, was die Haltung afrikanischer Staatschefs zu freien, gleichen und geheimen Wahlen betrifft. Aber einer scheint nun die löbliche Ausnahme zu bilden: Moussa Dadis Camara, der 44jährige selbsternannte Präsident der Republik Guinea. Als er das Licht der Welt erblickte, war Omar Bongo zweitausend Kilometer weiter südöstlich bereits am Ruder, damals noch Vizepräsident (unter dem krebskranken Léon Mba, erstes Staatsoberhaupt nach der Unabhängigkeit, 1960 bis 67), aber, mit französischer Unterstützung, bereits faktisch die Macht ausübend.

Sicher, auch Camara kam nicht wirklich demokratisch an die Macht: Am 22. Dezember vergangenen Jahres wurde in der guineeischen Hauptstadt Conakry der Tod des alternden Präsidenten, General Lansana Conté, seit 1984 im Amt, bekannt gegeben. Zu diesem Zeitpunkt lag sein Ableben allerdings in Wirklichkeit mutmaßlich schon mehreren Tage zurück. Unterdessen bereiteten junge Offiziere sich darauf vor, die Macht zu übernehmen. Am 23. Dezember putschten sie gegen das alte Regime, das der Verfassung zufolge nunmehr der Parlamentspräsident Aboubacar Somparé hätte anführen sollen - obwohl das Mandat des Parlaments schon seit zwei Jahren abgelaufen war -, aber auch gegen die ältere und tiefer in die Netzwerke der Korruption verstrickte Offiziersgeneration. 25 alte Generäle und hohe Offiziere wurden kurz darauf; unfreiwillig, aufs Altenteil geschickt.

Camara scheint nun aber nicht auf Dauer im Amt bleiben zu wollen. Jedenfalls kündigte er am (bei Erscheinen: vor-)letzten Sonntag in Conakry an, er werde nicht selbst zur Präsidentschaftswahl antreten, die seine Militärregierung - das „Nationalkomitee für Demokratie und Entwicklung“ CNDD - noch in diesem Jahr organisieren will. Aus demselben Anlass bekräftigte er, die regierende Offiziersriege werde sich an den Kalender halten, der im März dieses Jahres einem Bündnis von Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen (Associations) versprochen worden war. Er sieht Parlamentswahlen am 11. Oktober vor, gefolgt von der Wahl des nächsten Staatsoberhaupts am 13. Dezember. Sofern diese Zusage wirklich eingehalten wird, hätte Guinea, das seit der Unabhängigkeit 1958 erst zwei Präsidenten - Ahmed Sékou Touré und Lansana Conté - erlebt hat, den ersten aus freien Wahlen hervorgegangenen Anführer. Trifft dies zu, hätte Guinea auch einen anderen Weg eingeschlagen, als die anderen afrikanischen Staaten, in denen in den letzten Monaten Putsche stattfanden, Madagaskar und Mauretanien. Im letzteren Fall tritt Putschgeneral Ould Abdelaziz, der am 6. August vorigen Jahres die demokratisch gewählte mauretanische Regierung entmachtete, nun als „aussichtsreichster Kandidat“ zur Präsidentschaftswahl am 6. Juni - die durch sein Armeeregime veranstaltet wird - an. Aller Voraussicht nach wird die Militärdiktatur dadurch nur eine zivile Verkleidung erhalten.

Beobachter in Guinea  zweifelten zunehmend daran, dass es dort so viel besser kommen könnte. Am 15. April dieses Jahres hielt Juntachef Camara eine Rede, in der er harte Worte gegen die Oppositionsparteien und die „politische Klasse“ ergriff, die seine Offiziersriege „nicht respektieren“ würden. Und er drohte damit, selbst die Uniform gegen einen Anzug einzutauschen und als Kandidat anzutreten. Nunmehr hat er solche Absichten dementiert. Innenpolitische Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass in Conakry auch des öfteren Jugenddemonstrationen stattfinden, in denen der Putschpräsident dazu aufgefordert, er möge sein Mandat verlängern und möglichst lange an der Macht bleiben. Sie zweifeln am spontanen Charakter dieser Aufläufe.

Camaras Ankündigung kam zur rechten Zeit, denn am Vortag hatte es erstmals offenen Aufruhr gegen die regierenden Militärs gegeben. Den Vertrauensvorschuss, den das CNDD bislang in breiten Kreisen in Guinea tatsächlich genoss - weil ihm zugute gehalten wird, das hyperkorrupte Regime der alten Oligarchie abgesetzt- und gleichzeitig die wachsende Gefahr eines ethnisierten Bürgerkriegs verhindert zu haben -, schmolz in den letzten Wochen zunehmend dahin. Am Samstag vorletzter Woche kam es in der Hauptstadt Conakry zur Spontandemonstration von rund 1.500 Menschen, nachdem in der Nacht zuvor schwer bewaffnete Militärs in Uniform - oder eventuell auch als Soldaten verkleidete Räuber - ein Geschäft ausgeraubt und die Kasse mitgenommen hatten. Daraufhin kam es am Samstag Abend zu Unruhen, bei denen Jugendliche mit Steinen und Wurfgeschossen gegen die Gendarmerie vorgingen und die Sicherheitskräfte dann das Feuer eröffneten. Zwei Personen erhielten Schussverletzungen.

Seit Monaten häufen sich Berichte über Übergriffe und Straftaten, die von Militärs, oft mit vorgehaltener Waffe, begangen werden. Die US-Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) publizierte dazu eigens einen Untersuchungsbericht, den sie am 27. April in Dakar vorstellte. HRW hatte 19 gewaltsame Übergriffe, an denen Gruppen von jeweils bis zu zwanzig Soldaten beteiligt waren und zu denen die Vereinigung Augenzeugen befragen konnte, dokumentiert. Sie hatten Häuser, Geschäfte, Restaurants, Büros und Krankenhäuser ausgeraubt, hatten Geld, Autos, Computer und Fernsehgeräte mitgenommen oder am 23. Februar einen Richter im Gerichtssaal mit der Waffe bedroht.

Es mag durchaus sein, dass diese Vorfälle keineswegs durch die Armeehierarchie gedeckt wurden, sondern dass Untergebene auf eigene Faust handelten. Nur in einem einzigen Fall, den HRW ermitteln konnte, jedoch ergriffen Vorgesetzte Sanktionen gegen Militärs: Es ging um die Vergewaltigung einer 15jährigen, woraufhin der leitende Offizier sich persönlich bei der Familie entschuldigen ging. In anderen Fällen sind keine Missbilligungen oder Disziplinarstrafen bekannt.

Zudem dient das staatsoffizielle Vorgehen gegen den Drogenhandel als bequeme Allgemeinrechtfertigung für alle möglichen Aktionen. Denn Drogen lassen sich schließlich überall suchen - warum also nicht in Wohnungen, Büros oder Restaurants?

Es trifft zu, dass das Drogengeschäft unter dem alten Regime in Guinea ein zunehmendes Problem wurde: Da die Machthaber in der Schlussphase der Ära von Lansana Conté bereit waren, es mit  internationalen Legalität nicht so genau zu nehmen, auf die Gefahr hin, als „Schurkenstaat“ eingestuft zu werden, entwickelten Kreise etwa der kolumbianischen Drogenmafia zunehmende Aktivitäten in dem Land. Sie benutzten das Land, einschließlich seiner diplomatischen Einrichtungen auf auswärtigem Boden, zeitweise als Drehscheibe auf dem Weg nach Europa. Dies führte zu Problemen, als die Polizei anfing, gegen Drogenhändler - die auch einheimische Kundschaft fanden - vorzugehen, während einflussreiche Armeekreise sie beschützten: Die Episode im Juni 2008, als Militärs auf für ihren Lohn streikende Polizisten schossen, hängt mit dieser Situation zusammen. (Auch die libanesische Hizbollah fing aus vergleichbaren Gründen an, in Conakry Fuß zu fassen, wo sie massiv ins Immobiliengeschäft investiert haben soll.)

Die relativ jungen Offiziere, die vor sechs Monaten die Macht übernommen haben, versuchen diesen Praktiken - an den sie zuvor anscheinend nicht oder kaum beteiligt worden waren - ein Ende zu setzen und sich an die internationalen Großmächte wieder anzunähern. Insbesondere übrigens an Frankreich, und die zeitweilig eisig gewordenen Beziehungen zur früheren Kolonialmacht begannen sich wieder aufzuwärmen: Im französischen Parlament befindet sich derzeit ein Gesetzentwurf zur Neudefinition der Beziehungen zwischen Paris und Conakry in Ausarbeitung. Der parlamentarische Berichterstatter führt in seiner Begründung für den Entwurf explizit aus, dass besonders die reichhaltigen Erzvorkommen in Guinea von hohem Interesse seien. Die USA hingegen, die - neben Russland - unter Lansana Contés Regime bessere Positionen genossen, bleiben derzeit zum „illegalen“ Militärregime auf größerem Abstand.

Auch den Sohn des früheren Präsidenten, Ousman Conté, hatte es vor einigen Wochen erwischt: Vor laufenden Fernsehkameras gab er zu, ins Drogengeschäft verwickelt gewesen zu sein. Wie andere prominente Angehörige der Oligarchie, die sich früher hemmungslos bereichern konnte, unter ihnen ehemalig Minister wurde er ins „Camp Yaya Alpha Diallo“ einbestellt. Die Verhöre werden in der Regel live im Fernsehen übertragen. Ein Recht auf Verteidigung wird dabei allerdings kaum gewährleistet, und wenn auch in aller Regel wohl „die Richtigen“ trifft, so haben die Anhörungen doch auch mitunter einen unangenehmen Beigeschmack von Schauprozessen. Unterdessen führen viele Militärs in den letzten Wochen einen Kampf gegen den Drogenhandel nach eigenen, „soldatischen“ Vorstellungen vor: Angehörige von Spezialeinheiten durchkämmen nächstens Wohnviertel in der Banlieue von Conakry und nehmen „Drogensüchtige“ und - angebliche oder tatsächliche - Prostituierte fest, die sie auf Lastwagen aufladen und mitnehmen. Rund 200 verhaftete Personen kamen kürzlich wieder frei. In der Regel trifft es dabei „arme Teufel“, während ein Teil der örtlichen Bevölkerung sich ermutigt fühlt, auf eigene Faust gegen benachbarte „Lasterhöhlen“ vorzugehen.

Ein Teil der Armee scheint unterdessen der CNDD-Spitze außer Kontrolle zu geraten. Am 22. April sagte Regimechef Moussa Dadis Camara eine geplante Reise nach Libyen in letzter Minute „aus Termingründen“ ab. Am selben Abend wurden im Camp Alpha Diallo von Anwohnern Schüsse vernommen, und Spezialeinheiten kontrollierten Autos und Passanten an der „Brücke des 8. November“, die das Stadtzentrum auf einer Halbinsel vom übrigen Conakry - der Rest der Hauptstadt ist ein 15 Kilometer langer Schlauch, der auf die Brücke zuführt - trennt. Anfänglich zirkulierten „nur“ Gerüchte über einen Militärputsch, der an jenem Tag vereitelt worden sei. Aber inzwischen hat Camara selbst am (vor)letzten Sonntag bestätigt, dass es einen versuchten Staatsstreich aus den Reihen der Armee gegeben habe. Da „die Diktatur in Guinea vorüber“ sei, würden die dabei festgenommenen Offiziere jedoch freigelassen und um- respektive strafversetzt.

In Teilen der Bevölkerung haben die regierenden Militärs ihren Kredit offenbar eingebüßt. Moussa Dadis Camara dürfte es darum gehen, die Armee zusammenzuhalten und ihre Einheit zu wahren oder wieder herzustellen, indem er ankündigt, man wolle nicht auf Dauer an der Macht bleiben. Ob dies allerdings das letzte Wort in dieser Sache ist, gilt es abzuwarten.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.