BELGIEN: Die extreme Rechte vor den Europaparlamentswahlen –  Wird in Flandern das politische Kartenspiel neu gemischt?

von Bernard Schmid

06/09

trend
onlinezeitung

In Belgien ist die extreme Rechte vor allem im nördlichen, niederländischsprachigen Landesteil - Flandern - seit zwei Jahrzehnten gut verankert. Die wichtigste flämische nationalistische und rassistische Partei, die 1979 gegründet wurde, hieß noch bis im November 2004 Vlaams Blok (VB, Flämischer Block). Seitdem wurde sie in Vlaams Belang (VB, Flämisches Interesse) umbenannt, nachdem der oberste Gerichtshof Belgiens die Partei als rassistisch eingestuft und ihr deswegen das Anrecht auf staatliche Parteienfinanzierung entzogen hatte: Auf einem Parteitag gründete die Formation sich deswegen formal, unter verändertem Namen, kurzerhand neu.  

Der solchermaßen nochmals  „frisch gegründete“ VB zählte in jüngerer Zeit zu den stärksten rechtsextremen Kräften in der Europäischen Union. Nach den belgischen Parlamentswahlen vom Juni 2007 avancierte sie zur stärksten politischen Kraft im flämischen Landesteil, mit 24,5 Prozent der Stimmen (in Flandern) und der stärksten Parlamentsfraktion im Regionalparlament, wo die Partei 30 Sitze von insgesamt 124 hält. Seit kurzem jedoch muss sie dort um ihren politischen Rang fürchten, da neue politische Kräfte ihr Konkurrenz zu bereiten drohen. Unterdessen hat die extreme Rechte im französischsprachigen Landesteil in letzter Teil ziemlich erfolgreich Selbstzerstörung betrieben.

Belgien hat seit langem den Ruf eines Landes, das sich „doppelt“ oder gespalten darstellt. Bis hinein in den Comicstrip „Tim und Struppi“ - dessen Herkunftsland Belgien ist - hat dieses Stereotyp es geschafft, mit den Figuren der beiden ungeschickten Detektive Dupont und Dupond (deutsch: „Schulze und Schultze“), die einander ständig ins Wort fallen oder unnötig ergänzen.

Jenseits der Karikatur hat dieses Stereotyp einen ernsten Hintergrund, nämlich den belgischen „Sprachenstreit“, der schon früh nach der Begründung des Königreichs im Jahr 1830 - hervorgegangen aus den früheren Spanischen Niederlanden - ausbrach. Ursprünglich war Französisch, als Sprache der gebildeten Schichten, in ganz Belgien Amts- und Unterrichtssprache; die Bezeichnung „Flämisch“ diente zur Bezeichnung von Dialekten, die als Ausdruck von „Bauerntrotteln“ wahrgenommen wurden. Hintergrund war dabei auch, dass Wallonien, also die französischsprachige Südhälfte Belgiens, bis zur Mitte der 20. Jahrhunderts der mit Abstand reichere Landesteils war. Doch seitdem hat sich die Situation gründlich gewandelt. Das ehemals relativ wohlhabende Wallonien befindet sich seit Jahrzehnten ökonomisch im Abstieg, da die traditionell hier ansässigen Wirtschaftszweige (Stahl- und Schwerindustrie) ihre frühere Bedeutung verloren haben und zum Teil ruiniert sind. Nach langjährigem „Sprachenstreit“ wurde die parlamentarische Monarchie Belgien ab 1993 in einen Bundesstaat umgewandelt. Dies hat allerdings das politische Problem bislang nicht aufgelöst. Besonders als ab der Parlamentswahl im Juni 2007 und noch bis im Dezember 2007 monatelang keine handlungsfähige Regierung gebildet werden konnte und es infolgedessen zu einer tiefen institutionellen Krise kam, wurden Rufe nach Separation und Auflösung des Gesamtstaats laut. So ergab eine Umfrage in jenen Monaten, dass damals angeblich nur noch 49,6 Prozent der Flamen für den Fortbestand des Gesamtstaats einträten. Anfang Dezember 2006 hatte zudem das französischsprachige belgische Fernsehen eine Sendung unter dem Namen „Das Ende Belgiens“ ausgestrahlt, in der scheinbar hochoffiziell verkündet wurde, König Albert habe die Auflösung des gemeinsamen Staates beschlossen. Die Fernsehanstalt hatte ihren Zuschauer/inne/n dabei im Vorfeld nicht verraten, dass es sich um eine Fiktion und nicht um eine echte Ankündigung handele. Dieses Fake lieb die Welle der Emotionen zeitweise hoch schlagen und rief ziemliche Aufregung hervor. Ein Jahr später sollte die Sendung zunächst nochmals ausgestrahlt werden, es wurde dann (aufgrund der damals noch ungeklärten politischen Situation bei der Regierungsbildung auf Bundesebene) unterbunden, um eine als ernst empfundene Lage nicht noch zu verschärfen.

Beinahe alle politischen Parteien in Belgien sind nach Sprachgruppen (niederländischsprachig, französischsprachig sowie für die kleine deutschsprachige Minderheit in Ostbelgien) aufgeteilt. So existiert bspw. jeweils eine flämische und eine wallonische/französischsprachige christdemokratische, liberale, „sozialistische“, grüne Partei unter eigenem Namen. Erst bei der Formierung von Koalitionen, um eine Bundesregierung auf gesamtbelgischer Ebene zu bilden, treffen die beiden jeweiligen Parteien (identischer Couleur) dann zusammen. Als gesamtbelgische Parteien, die über Sprachgrenzen hinweg organisiert sind, existieren lediglich eine Handvoll politischer Organisationen: hauptsächlich die bürgerliche und pro-monarchistische Zentrumspartei BUB (Belgische Unie-Union Belge), deren Linie auch als „Belgicanismus“ bezeichnet wird, die maoistisch-stalinistische „Partei der Werktätigen“ PTB/PvdA und die trotzkistische LCR-LSP. Am weitesten auseinander klaffen auf beiden Seiten aber die jeweiligen rechtsextremen Kräfte: Die flämisch-nationalistische extreme Rechte findet keine Entsprechung auf wallonischer Seite, wo vielmehr das französische „Beispiel“ in Gestalt des Front National ziemlich unmittelbar nachzuahmen versucht wird – obwohl mit weitaus geringerem Erfolg.

Der flämische Nationalismus, der dereinst - im 19. und frühen 20. Jahrhundert - gegen eine echte sprachliche und dahinter stehende soziale Benachteiligung kämpfte, hat seinerseits das Antlitz eines hässlichen Revanchebegehrens angenommen. Schon im Ersten und Zweiten Weltkrieg hatten flämische Nationalisten im Namen einer „pangermanischen“ Vision gegen das übrige Belgien mit der deutschen Armee und Besatzungsmacht zusammen gearbeitet, hatten Nazikollaborateure und freiwillig dienende SS-Männer hervorgebracht. Das historische Erbe dieser dunklen Jahre prägt Teile des extremen flämischen Nationalismus, der ab 1979 im VB aufgegangen ist, bis heute. Eine hässliche Personifizierung dieses historisches Hintergrunds des VB verkörpert der junge Mörder Hans van Temsche: Der damals 19jährige wurde am 11. Oktober 2007 aufgrund eines rassistisch motivierten Doppelmords, den er anderthalb Jahre zuvor beging (an der 24jährigen Malierin Oulematou Niangadou und der zweijährigen Luna Drowart, dem belgischen Kind, das sie betreut hatte), in Antwerpen zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Sowohl sein Grossvater als auch sein Grossonkel dienten beide bei der Waffen-SS. Seine Tante Frieda van Temsche war von 2003 bis 2007 Abgeordnete des rechtsextremen Vlaams Blok respektive Vlaams Belang, und auch sein Vater Peter van Temsche war Gründungsmitglied der Partei seit dem Jahr  1979.

Zudem der flämische Nationalismus heute auch Träger des politischen Projekts, das nationale (gesamtbelgische) Sozialversicherungssystem zu zerstören, da man es satt habe, den inzwischen ärmeren französischsprachigen Landesteil durch den Transfer von Sozialbeiträgen „durchzufüttern“. In dieser Hinsicht ähnelt die Programmatik des Vlaams Belang jener der italienischen Lega Nord, die ebenfalls ein Ende der Subventionen für den ärmeren Süden fordert. Aufgrund der Dienstleistungsindustrie und der Häfen ist Flandern heute reicher als die südliche Landeshälfte. Rund 60 Prozent der 10,7 Millionen Belgier zählen zur flämischen Bevölkerung.

VB-Vorsitzender träumt vom italienischen „Modell’

Dieser Programmpunkt gegen den bestehenden Sozialstaat hat dafür gesorgt, dass der VB auch neo- oder wirtschaftliberalen Tendenzen politischen Ausdruck zu verleihen vermochte. Sein aktueller Vorsitzender (seit Anfang März 2008), Bruno Valkeniers, steht stellvertretend für diese Verkopplung von Wirtschaftsprofil und flämischem Nationalismus: Der neue Parteichef ist ein führender Wirtschaftsvertreter, der seit 2006 eines der größten Unternehmen im Hafen von Antwerpen leitet. Dennoch ist er gleichzeitig auch ein Nationalist, der ein „hartes“ ideologisches Profil aufweist. Im Jahr 1976 hatte er den Studentenverband NSV mit begründet, der die schwarz-weiß-roten Farben der Flagge Nazideutschlands benutzt. Noch im Jahr 2007 erklärte Valkeniers, dass er gegen „gelegentliche“ Straßengewalt nichts einzuwenden habe, und hinter einem glatten, höflichen Erscheinungsbild hetzt er offen gegen Homosexuelle und Einwanderer. 

Bislang bezog der Vlaams Belang seine Stärke daraus, dass er drei Themenfelder besetzte und zu einem einzigen Diskurs zusammenzog: den Rassismus gegen Einwanderer, die Ablehnung des belgischen Zentralstaats (der zugunsten der Bildung eines germanischen, niederländischsprachigen Separatstaats aufgegeben werden solle) und eine populistische Pose der „einzigen Opposition“ gegen „die da oben, all die Korrupten und Volksfernen“. Dabei waren es vor allem die Pose einer Vertretung der Unzufriedenen gegen „die da oben“ und das „Ausländerthema“, die der Partei ihre Massenwirksamkeit verschafften. Die separatistische Dimension zog bei seinem Massenpublikum weniger stark, wie eine Umfrage zu Anfang 2009 ausdrücklich bestätigte (vgl.  http://www.7sur7.be). Daneben trat der VB aber ferner, in anderer Hinsicht, auch wie eine klassische (konservativ-reaktionäre) Rechtspartei auf: Als das belgische Parlament am o1. April 2009 in einem Votum eine Kritik am Papst aussprach - aufgrund seiner umstrittenen Äußerungen zum Präservativ auf einer Afrikareise im März dieses Jahres, und aufgrund der Wiederaufnahme des den Holocaust leugnenden fundamentalistischen Bischofs Richard Williamson in die Amtskirche -, stimmten die Abgeordneten des VB neben jenen der flämischen national-konservativen NVA als Einzige dagegen. Anders als Holland ist der niederländischsprachige Teil Belgiens, ebenso wie Wallonien, überwiegend katholisch. - Der neue, eher  wirtschaftsliberale Parteichef Bruno Valkeniers träumt seit längerem erklärtermaßen von einer „Forzia Flandria“ (unter Anlehnung an Silvio Berlusconi frühere Bewegung Forza Italia), unter deren Schirm konservative, katholische und flämisch-nationalistische Rechte zusammengeschlossen werden sollten. In der öffentlichen Wahrnehmung des VB überwiegen jedoch eher das „Protestprofil“ zuzüglich des anti-belgischen Rassismus, und des gegen Einwanderer gerichteten Rassismus.

Gleichzeitig verbindet der gegen den belgischen Gesamtstaat gerichtete flämische Nationalismus den VB (und den „harten Kern“ seiner Anhängerschaft) aber mit anderen Kräften. Unter anderem mit rechts von ihm (oder neben ihm) stehenden militanten Extremisten, aber auch - vor dem Hintergrund eines „pangermanischen“ Bestrebens - mit niederländischen oder deutschen Rechten. Zu ersteren zählen extremistische Vereinigungen wie Voorpost (Vorposten), die am o7. Oktober 2007 eine Demonstration in einem Brüsseler Vorort – Rhode-Saint-Genèse - unter dem Motto „Belgien soll verrecken!“ organisierte, an welcher auch 17 gewählte Parlamentarier des VB teilnahmen.

Unter den Letztgenannten korrespondiert besonders die 2006 gegründete niederländische "Freiheitspartei" PVV (Partij voor de Vrijheid) mit dem flä¤mischen Nationalismus in Belgien. Die Partei unter Anführung von Geert Wilders ging ursprünglich aus einer Abspaltung von der rechtsliberalen Partei VVD - die Wilders im September 2004 verließ - hervor, bezog jedoch von Anfang an klar rechts"populistische" bis rechtsextreme Positionen. Sie befindet sich in den Niederlanden im Aufwind; Umfragen sehen derzeit sogar voraus, dass sie zur stärksten politischen Kraft in Holland avancieren könnte. Ihr Vorsitzender Geert Wilders, der vor allem mit Anti-Islam-Parolen die Aufmerksamkeit auf sich zog, schlug am 11. o5. 2008 vor, eine Volksabstimmung im niederländischsprachigen Teil Belgiens über "einen Zusammenschluss Flamens und der Niederlande" durchzuführen.

Neue Konkurrenten, und (bürgerliche) Parteien, die jeweils eine Andockstelle zum VB aufweisen

Nunmehr sind dem VB aber auf mehreren dieser Felder Konkurrenten erwachsen, die den Wählern versprechen, beispielsweise den Populismus und das Wettern gegen die „korrupten Politiker“ ohne den Rassismus zu haben.

Seit den belgischen Parlamentswahlen im Juni 2007 hat eine neue und eher  populistische Liste (ohne offen  naziähnliche Anklänge, im Gegensatz zum VB) dem Letzteren in Flandern seinen Rang als „einzige konsequente Opposition gegen den Politikerkonsens“ streitig zu machen versucht: Die LDD oder Liste Dedecker bezieht ihren Namen von ihrem Gründer, dem früheren Judo-Nationaltrainer Jean-Marie Dedecker. Der 56jährige – früherer Senator der rechtsliberalen flämischen Partei VLD, der ihn im Oktober 2006 ausschloss - und seine Anhänger gründeten im Januar 2007 eine eigene Liste mit starkem Personality-Show-Effekt und geringer programmatischer Tiefe. Die Erscheinung LDD ähnelt insofern dem italienischen „Phänomen Berlusconi“; sie selbst vergleicht sich unterdessen eher mit der rechtspopulistischen Partei des 2002 getöteten Niederländers Pim Fortuyn, der LPF (Liste Pim Fortuyn). Dedecker gibt aber auch an, von dem französischen Präsidenten Nicolas Sarozy und besonders seinen Law & Order-Reden positiv angetan zu sein.

In ihrer eher diffusen Programmatik verbindet die belgisch-flämische LDD Wirtschaftsliberalismus, Steuersenkungen, die Vorstellung einer eher harten Ausländer- und Sicherheitspolitik mit dem Vorschlag eines stärker föderal ausgestalteten Belgiens. Den Regionen soll dabei mehr Eigenverantwortung auch im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich zustehen, was zwar in dieselbe Richtung geht wie die von flämischen Nationalisten geforderte Entsolidarisierung etwa durch getrennte Sozialkassen, ohne aber so weit zu gehen wie die beim VB kultivierte Unabhängigkeitsforderung. Zudem setzt die LDD auf die Anziehungskraft von Personen und nominierte etwa die frühere belgische Judo-Olympiasiegerin Ulla Werbrouck (Jahrgang 1972) sowie eine frühere ‚Miss Belgien’ auf ihren Listen zu Europaparlaments- und Regionalparlamentswahl im Juni o9. (Allerdings hat auch der rechtsextreme VB eine frühere ‚Miss Belgien’, Anke Van Dermeersch, als Kandidatin für das Regionalparlament in Antwerpen nominiert.)

In Flandern konnte die neue Liste, die kurz nach ihrer Gründung bei den Parlamentswahlen 2007 die Fünf-Prozent-Hürde in der Region überspringen konnte (sie erhielt damals o6,5 %), in den letzten Monaten eine erhebliche Anziehungskraft entfalten. Seit Anfang des Jahres erlebte sie einen wahren Höheflug: Im Januar 2009 sagten Umfragen ihr für die belgischen Regionalwahlen, die (wie die Europaparlamentswahl) ebenfalls im Juni stattfinden, 16 Prozent der Stimmen vorher. Im April wurde ihr prognostiziert, zweitstärkste Partei in Flandern zu werden. Die Wahlabsichten für den rechtsextreme Vlaams Belang waren zu Jahresanfang zugleich von zuvor 25 auf noch 16 Prozent gesunken.

Allerdings kam es in den letzten Wochen, angesichts der Allmacht des Chefs –dem Nominierungswillkür und die Bevorzugung von neu Angeworbenen vorgeworfen wird – und personeller Querelen, aber auch aufgrund eines Bespitzelungsskandals (Dedecker hatte einen Privatdetektiv damit beauftragt, den früheren „Parteifreund“ und liberalen Aubenminister Karel van Gucht zu beschatten), zu heftigen Streitigkeiten und Verwerfungen innerhalb der ‚Liste Dedecker’. Nachdem u.a. am o7. April das frühere Führungsmitglied Paul Schietekat seinen Abgang erklärte, reagierte „Partei“chef Dedecker mit dem Ausspruch: „Wer nicht zufrieden ist, soll gehen!“ In der Folge erklärte am 20. April auch einer der Abgeordneten der LDD im belgischen Bundesparlament, Dirk Vijnck, seinen Austritt, woraufhin die Partei ihren Fraktionsstatus zu verlieren und dadurch monatlich 23.000 Euro Fraktionsgelder einzubüben drohte. Am Nachmittag des o4. Mai erklärte Dirk Vinjck jedoch seine Rückkehr in die Fraktion. Nunmehr bleibt, angesichts des zeitweise heftig ausgetragenen innerparteilichen Machtkampfs bei der LDD, abzuwarten, ob und wie dieser sich auf die Wahlergebnisse auswirken wird.

Die LDD droht dem Vlaams Belang also einen Teil seiner früheren Wähler abspenstig zu machen. Gleichzeitig hat sein Auftauchen aus Sicht der rechtsextremen flämischen Partei aber auch positive Effekte: Erstmals trat mit der Liste Dedecker eine erstarkende politische Kraft auf, die das seit Jahren über den VB verhängte Zusammenarbeitsverbot in Gestalt des so genannten Cordon sanitaire (wörtlich „Hygienegürtel“) - an die bürgerlichen ebenso wie die linken Parteien sich bislang gemeinsam hielten - offen übertritt. Die LDD erklärte sich stets für unterschiedliche Bündniskonstellationen „außer mit Sozialisten und Grünen“ offen und bezog darin, neben flämischen Liberalen und Christdemokraten, stets auch die extreme Rechte ausdrücklich ein. Allerdings  konnte sie dadurch zugleich auch Überläufer aus den Reihen des VB anziehen. Unterdessen hatte die LDD, solange ihre Fraktion nicht mehr „vollständig“ war, den prominenten „Dissidenten“ des VB Luc Sevehnans umworben. Aber dieser hatte ihr eine Absage erteilt, was einen Parteiübertritt betrifft, die Frage einer Aufnahme lediglich in die LDD-Abgeordnetengruppe bleib freilich zunächst noch offen.

Auf einer anderen Ebene bereitet auch eine andere neuere Partei dem VB Konkurrenz, in Gestalt der 2001 entstandenen „Neuen flämischen Allianz“ (NVA, für Nieuw-Flaamse Alliantie). Auch sie teilt einige Programmpunkte mit dem Vlaams Belang und lehnt andere von ihnen hingegen ab. Umgekehrt als die Liste Dedecker teilt sie jedoch den „konsequenten flämischen Nationalismus“, in Gestalt des Eintretens für eine definitive Unabhängigkeit von Belgien - die „auf friedlichem Wege“ anzustreben sei, wie die Partei hinzusetzen, während sie die „populistischen“ Aspekte im Programm des VB - dessen Diskurs gegen die „Systemparteien“ und die offen rassistische Dimension - ablehnt. Die NVA zählt eher ins Lager der nationalkonservativen Rechten, ging jedoch in den letzten Jahren Listenverbindungen mit den flämischen Christdemokraten ein, um die auf Bundesebene geltende Fünf-Prozent-Hürde zu überwunden, und gehörte von 2004 bis 2008 vorübergehend (mit einem Minister, Geert Bourgeois) der belgischen Zentralregierung in Brüssel an. Aufgrund ihres wesentlich „moderateren“ gesellschaftspolitischen Profils dürfte sie jedoch nicht dasselbe Publikum wie der VB haben, während die populistische LDD in stärkerem Ausmaß dieselbe potenzielle Wählerschaft mit der rechtsextremen Partei teilen dürften.

Derzeit werden Vlaams Belang, LDD und NVA zusammen rund 40 % der Stimmen prognostiziert. Manche Stimmen im Land vertreten die Auffassung, es stehe im Falle eines hohen Abschneidens dieser drei Listen die Frage eines drohenden „Ende(s) Belgiens“ auf dem Spiel. (Vgl. http://www.rtbf.be

Wallonien: Chaoshaufen FN

Hingegen steht es um die extreme Rechte in Wallonien derzeit eher schlecht bestellt. Ihre wichtigste Kraft war seit längerem der 1985 gegründete Front National (FN), der sich zwar an das Vorbild der gleichnamigen französischen Partei unter Jean-Marie Le Pen anlehnte, aber dabei in der Öffentlichkeit ein wesentlich extremistischeres und randständigeres Profil hatte. Zeitweise existierte eine (aufgrund personeller Querelen 1995 entstandene) Abspaltung unter dem Namen FNB für „Neue Front Belgiens“, die seit Anfang 2009 jedoch vom belgischen FN wieder absorbiert worden ist.

Diese Partei, die 2007 ihren Gründer und früheren Vorsitzenden Daniel Féret ausschloss, ist seit Monaten nur noch in Negativschlagzeilen geraten. In den Jahren 2007 und 2008 war der Abgeordnete Michel Delacroix - der zuvor den belgischen Blindenverband präsidierte, jedoch aufgrund seiner politischen Tendenzen dort zum Rucktritt gedrängt wurde - zeitweise ihr Vorsitzender. Er musste jedoch zurücktreten, nachdem Anfang November 2008 ein Video auftauchte, in dem man ihn dabei sehen und hören konnte, wie er ein - höchst gelinde ausgedrückt - geschmackloses „Liedchen“ über die Judenvernichtung trällerte. (Auf dem Video sieht man in derselben Szene auch einen Politiker des Vlaams Belang auftauchen, Luc Vankeerberghen. Während die offizielle Parteiposition des VB strikt pro-israelisch ist – aufgrund der Auffassung, Europa solle sich von der militärischen Wehrbereitschaft Israels sowie seiner Politik der Härte gegenüber der Arabern inspirieren lassen – hat auch die flämische rechtsextreme Partei ihre Skandale mit Antisemiten und Auschwitzleugnern.  Ihr früherer Vizevorsitzender von der Gründung 1979 bis im Jahr 2001, Roeland Raes, wurde am 12. Dezember 2008 in Brüssel wegen Holocaustleugnung zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ihm wurden  Äuberungen in einem Interview, das er am 31. Mai 2001einem holländischen TV-Sender gegeben hatte, vorgeworfen.)

Schon zuvor war bekannt, dass Delacroix eine gewisse Faszination für den deutschen Nationalsozialismus pflegte, aber auch für die belgische Kollaborateursbewegung der „Rexisten“ in den Jahren 1940-44, deren Chef Léon Dégrelle er vor seinem Tod getroffen hatte. Auf dem Foto, das ihn gemeinsam mit Léon Dégrelle zeigt, sieht man auch Patrick Sessler - denselben Sprecher des belgischen FN, der nach dem Auftauchen des Videos mit dem Lied über „Die kleine Jüdin in Dachau“ im November 2008 im Namen der Partei (schriftlich) die Distanzierung von Delacroix erklärte. Michel Delacroix hatte noch 2005 öffentlich Sympathien für den belgischen Nazikollaborateur erklärt, und im Jahr 2007 hatte er bei seinem Amtsantritt als Senator seinen Eid mit dem Nazigrub abgelegt. Heute hat er offiziell keine Funktion beim belgischen FN mehr inne, er zählt aber noch zu dem Kreis um den neuen Parteichef Daniel Hugyens.

Im Vorfeld der Europaparlaments- und der belgischen Regionalwahlen im Juni dieses Jahres zeigten sich die beiden „Clans“ um den früheren Parteichef Daniel Féret und um den jetzt (seit Dezember 2008) amtierenden Vorsitzenden  Huygens bis aufs Messer zerstritten. Beide versuchten eine Liste aufzustellen und beanspruchten dafür den Parteinamen und das Parteisymbol - eine spitze Flamme in den drei Nationalfarben, die (indirekt) vom italienischen MSI respektive (unmittelbar) vom französischen FN übernommen worden war - für sich. Im März 2009 entschieden jedoch die Gerichte, dass nur die Fraktion um  Daniel Huygens antreten und dafür den Parteinamen für sich benutzen darf. (Jean-Marie Le Pen wiederum zürnt nun auf den belgischen FN und forderte ihn gar auf, den bei den Franzosen abgeguckten Parteinamen und das Parteisymbol nicht mehr zu benutzen – nachdem die belgische Partei erklärt hatte, man distanziere sich von Le Pen, weil jener Ende März 2009 seine Einstufung der ‚Frage’ der historischen Existenz der Gaskammern vor dem Europäischen Parlament ein weiteres Mal als „Detail der Geschichte“ bezeichnet hatte.)

Aufgrund der zahllosen Skandale in jüngerer Zeit und ihrer Zerstrittenheit dürfte die wallonische extreme Rechte aber kaum das Niveau ihrer früheren Wahlergebnisse erhalten. Der FN im französischsprachigen Teil Belgiens hatte früher bei den meisten Wahlen im Durchschnitt rund 5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können, bei der Europawahl im Juni 2004 waren es 7,45 %. Momentan wird er dieses Ergebnis wohl kaum wiederholen können.

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor.