Zionist – Nichtzionist – Antizionist

Von Abraham Melzer

06/09

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Zionismus, nicht Zionismus und Antizionismus: Das war mein politischer Weg, meine langsame Emanzipation vom Zionismus. Ich bin in Israel aufgewachsen und habe dort den Zionismus zwar nicht mit der Muttermilch aufgesogen, aber in der Schule und in der Jugendorganisation - der man in den fünfziger Jahren als Kind und Jugendlicher in Israel fast schon obligatorisch beitreten musste, wie in der DDR in die FDJ - als Gehirnwäsche eingetrichtert bekommen.

Wir lernten, dass die Araber unsere Feinde sind. Von Palästinensern sprach man damals noch nicht. Sie existierten für uns nur als armselige Kreaturen, mit denen man aber kein Mitleid haben durfte. Und wir hatten als Kinder auch kein Mitleid. Ich erinnere mich an die Lieder, die wir sangen, wenn wir einen von ihnen sahen, einen alten, armen Mann, der hinter seinem dürren und klapprigen Esel marschierte: Arawi misken – masriach wesaken. (Elender Araber– stinkend und alt). Kinder sind meistens ehrlich und grausam, aber sie merken es nicht.

In der Jugendbewegung lernten wir Israel zu lieben und zu dienen, hauptsächlich wurden wir auf unsere künftige Aufgabe vorbereitet – Soldaten zu sein, und das unser Leben lang. Ich weiß nicht was aus mir geworden wäre, wenn mein Vater Israel 1958 nicht verlassen hätte. Ich weiß nicht einmal ob ich die unzähligen Kriege danach, insbesondere die Kriege von 1967 und 1973 überlebt hätte, in denen Tausende von Israelis umgekommen sind und auch einige meiner Klassenkameraden.

Mein Vater, der mehr Sozialist als Zionist war, hat mich zwar in einem humanistischen Geist erzogen, aber der Einfluss der Strasse, der Schule und der Jugendbewegung war stärker.

In den ersten zwanzig Jahren in Deutschland war ich immer noch von der zionistischen Gehirnwäsche stark beeinflusst und beeindruckt. Ich war stolz auf Israel ohne eigentlich zu wissen warum. Aber danach ließ es langsam nach und wurde immer schwächer. Der Grund für diese Distanzierung war die erste Intifada. Dieser Aufstand - Kinder mit Steinen gegen eine hoch gerüstete Armee - hat mich überrascht und genötigt etwas tiefer mit dem Problem der Araber, die man ab dann schon Palästinenser nannte, zu beschäftigen. Ich fing an die Schriften der neuen israelischen Historiker zu lesen und ließ es zu, dass sie mir die Augen öffneten. Ich fing an mit dem Kampf der Palästinenser um Freiheit, Unabhängigkeit und Menschenwürde zu sympathisieren und ihre Forderung nach Abzug der israelischen Armee aus den im Sechs-Tage-Krieg eroberten Gebieten zu unterstützen. Ich wollte nicht einer Nation angehören, die ein anderes Volk unterdrückt und ihm sein Land raubt. Ich habe in meiner Sozialisation gelernt, dass man so was nicht tun darf. Und je mehr ich mich vom Zionismus entfernte, desto mehr kam ich meiner neuen Heimat Deutschland näher. Ich fühlte mich immer mehr als Deutscher und war plötzlich stolz auf „unser“ Grundgesetz“ mit seinem § 1 – Die Würde des Menschen ist unantastbar.

Noch war ich aber kein Antizionist, sondern nur ein Nicht-Zionist. Ich erinnere mich an Diskussionen mit Felicia Langer oder Hajo Meyer, die da schon viel weiter waren und sich offen zu ihrem Antizionismus bekannten. Ich hatte da noch meine Hemmungen und wollte oder konnte noch nicht zugeben, dass ich gegen den Zionismus bin, weil für mich das einen Verrat an Israel gleichkam. Aber nach und nach, langsam aber stetig, verlor ich diese Hemmungen. Insbesondere aufgrund der nicht enden wollenden fürchterlichen Nachrichten aus der einzigen Demokratie im Nahen Osten, die aber nur für ihren jüdischen Bürgern demokratisch war. Mir wurde langsam klar, dass Israel entweder jüdisch oder demokratisch sein kann, beides auf keinen Fall. Ich begriff, dass der Zionismus seine Berechtigung längst verloren hatte. Mir wurde plötzlich auch klar, dass Antizionismus die Ablehnung einer Ideologie bedeutet und nicht die totale und unwiderrufliche Ablehnung des Staates Israel, in dem ich immerhin aufgewachsen bin und zu dem ich emotional immer noch eine starke Bindung empfand.

Wenn man davon ausgeht, dass die Gründung des Staates Israel als Antwort auf den noch herrschenden Antisemitismus Ende des 19ten und bis zur Mitte des 20ten Jahrhundert, eine vielleicht notwendige und berechtigte Geburt war, so muss man aber einsehen und zugeben, dass es bei dieser Geburt auch einen nachhaltigen Geburtsfehler gab, nämlich die Vertreibung der Palästinenser, die die Israelis bis heute nicht als Unrecht einsehen wollen. Deshalb verkapseln sie sich so sehr in ihrer Opferrolle, denn alles was Opfer machen, ist per Definition gerecht und rechtens und solange sie sich als Opfer definieren, blenden sie ihr Tätersein aus ihrem Bewusstsein aus und sie müssen sich damit nicht auseinandersetzen.

Ich musste aber lernen und einsehen, dass dies nicht der Fall ist. Dass nämlich auch ehemalige Opfer zu Täter werden können. Henryk M. Broder, der berüchtigte deutsch-jüdische Journalist, hat es vor wenigen Jahren so ausgedrückt: „Es stimmt: Israel ist heute mehr Täter als Opfer. Das ist auch gut und richtig so, nachdem es die Juden fast 2000 Jahre lang mit der Rolle der ewigen Opfer versucht und dabei nur schlechte Erfahrungen gemacht haben. Täter haben meistens eine längere Lebenserwartung als Opfer, und es macht mehr Spaß, Täter statt Opfer zu sein.“. Darauf hat der jüdische Schriftsteller Hajo Meyer kurz und treffend geantwortet: „Ja, hier hat Herr Broder vollkommen Recht! Aus meinem Verbleib im Vernichtungslager Auschwitz-Gleiwitz I erinnere ich mich noch lebhaft, wie viel Spaß der SS-Hauptscharführer Moll hatte, wenn er seinen großen Schäferhund auf einen meiner Kameraden hetzte. Der lachte sich wirklich halb tot dabei, vor allem wenn der Jude dann auch noch zu weinen und zu flehen anfing.“ Dem habe ich nichts hinzuzufügen.

Ich habe, nachdem ich solche und andere mich anwidernde und erschreckende Sätze gelesen habe, meine Position nochmals überdacht und entwickelte mich weiter in Richtung: Antizionist. Ja, ich bekenne offen, dass ich ein Antizionist bin, auf die Gefahr hin, dass man mich als einen „selbsthassenden Juden“ diffamieren wird, weil ich den Anspruch des Zionismus als absurd und anachronistisch betrachte. Die zionistische Idee hat sich erfüllt, es gibt einen jüdischen Staat. Dieser Staat ist zwar nicht „koscher“ demokratisch und bietet den Juden auch nicht die so lang ersehnte Sicherheit, aber er existiert und das ganze Gerede vom Existenzrecht Israels wird damit ad absurdum geführt. Die zionistische Bewegung, der Zionismus als Idee und Ideologie, sind jedoch überflüssig und sollten endlich begraben werden. Eine Ideologie, die behauptet, dass das Land Israel nicht all seinen Bewohnern gehört, sondern allen Juden in der Welt, ist eine faschistische und revisionistische Ideologie, mit der anständige Menschen nichts zu tun haben sollten und schon gar nicht die Juden, von denen mehr als 70% nicht in Israel leben.

Ich bin ein Antizionist, der die Existenz Israels nicht in Frage stellt, sondern nur das politische System mit dem Israel regiert wird. Dieses System ist ein Apartheidsystem, das fast ein fünftel der Einwohner, die das Pech haben keine Juden zu sein, benachteiligt. Wie kann Israel von sich behaupten eine Demokratie zu sein, wenn dort ein jüdischer Israeli eine nicht jüdische Israelin nicht- und nach dem Willen seiner Politiker niemals - heiraten kann und darf. Wie kann ein Staat demokratisch sein, wenn es einem Fünftel seiner Bewohner die Erinnerung an erlittenes Leid per Gesetz verbieten will? Wie kann ein Staat demokratisch sein, wenn es im Land geborenen Nichtjuden die Rückkehr nach Israel verbietet, aber jeden Juden in der Welt, sei er kriminell, rassistisch oder nur antidemokratisch, die Einwanderung nach Israel erlaubt und ihm sofort zum Staatsbürger macht. Potentiell sind ja alle Juden der Welt israelische Staatsbürger, ob sie es wollen oder nicht, während die Palästinenser, auch wenn sie israelische Staatsbürger sind, als ungewollte Fremde betrachtet werden. Und schließlich, wie kann ich mich als Jude und ehemaliger Israeli mit einem solchen Staat identifizieren? Gar nicht!

Viele Leser werden denken und mir vorwerfen, ich sei naiv. Meine Familie in Israel wirft mir vor, dass in mir der Dibbuk eingedrungen ist, zusammen mit Selbsthass und fanatische Obsession und man rät mir dringend diese Krankheit bei einem Facharzt behandeln zu lassen, „damit man die Widerwärtigkeit in deiner Seele heilt.“ Nun, eine gewisse Naivität und ein Mindestmaß an Obsession sind schon notwendig, wenn man, wie ich, versucht, die Welt zu ändern und sei es nur den israelisch-arabischen Konflikt zu einem guten Ende zu bringen. Deshalb glaube ich in meiner Naivität auch, dass eine Lösung möglich sei, „wenn ihr nur wollt“. Leider stelle ich nirgends in Israel einen ehrlichen und wahrhaftigen Willen zum Frieden fest. Man beharrt auf seinen selbstgerechten Positionen und schaut immer nur rückwärts statt vorwärts. „Humanist“ ist in Israel zu einem Schimpfwort geworden. Man hat Angst Siedlungen aufzugeben, als ob diese Siedlungen Israels Garantie für seine ewige Existenz wären. Dabei sind sie nur ein Hindernis auf dem Weg zu einem dauerhaften Frieden. Gleichwohl muss der erste Schritt zum Frieden nicht mit der Aufgabe von Siedlungen oder Rückgabe von Land beginnen. Er muss mit einem symbolischen Kniefall beginnen, wie ihn der deutsche Kanzler Willy Brandt in Warschau vorgeführt und damit die Herzen von Millionen jüdischer Opfer erreicht und geöffnet hatte, geöffnet für einen offenen und ehrlichen Dialog mit dem Volk der Täter.

Wo finden wir den israelischen Politiker mit Weitblick und Charisma, der die Herzen der Palästinenser erreicht und öffnet? Willy Brandt musste einen Kniefall machen vor sechs Millionen toten Juden, um die noch lebenden zu erreichen. Die Palästinenser leben noch und da wäre ein Kniefall vielleicht sogar überflüssig, wenn man mit ihnen einen ehrlichen und wahrhaftigen Dialog beginnen würde, wozu natürlich am Anfang die Anerkennung des Leides gehört, das die Israelis den Palästinensern zugefügt haben. Rückgabe von Land und Abbau von Siedlungen kommen erst danach. Solange aber die Israelis sich selber als Opfer des Konflikts sehen, weil sie sich in der ewigen Rolle des Opfers gut eingerichtet haben, solange sie glauben und sogar fest überzeugt sind davon, dass ihre Armee „die moralischste Armee der Welt“ sei, ist dieser Weg versperrt und nicht passierbar. Denn nur über diese Schwelle kann ein Dialog mit den Palästinensern beginnen und nachhaltige Wirkung haben. Israel hat aber keinen Willy Brandt und die Schwelle kennt auch noch keiner.

Editorische Anmerkungen

Den Text spiegelten wir von http://www.dersemit.de/