Material zum Thema "Schülerknast"
Bildungsstreik: Für welche Bildung kämpfen wir?

von Hannes Hohn

06/09

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Die PISA-Studie, die permanenten Debatten in Politik und Medien, aber auch die Amokläufe der letzten Zeit haben das Bildungswesen hierzulande zu einem brisanten Dauerthema werden lassen.

Doch erst mehrere Bildungsstreiks, sowohl in einzelnen Städten als auch bundesweit, haben dafür gesorgt, dass die Betroffenen - LehrerInnen und Eltern, vor allem aber natürlich die SchülerInnen - diese Fragen nicht nur erörtern, sondern sie als Anlass nehmen, zur Aktion zu schreiten, für ihre Forderungen zu kämpfen und sich dafür zu organisieren. So entstanden viele örtliche Bündnisse und auch Ansätze einer bundesweiten Struktur für Bildungs-Mobilisierungen.

Die Schülerstreiks haben nicht nur zehntausende Schülerinnen und Schüler politisiert. Sie haben auch zu wichtigen Einsichten geführt, z.B. dass der Staat oft massiv einschreitet, wenn sich SchülerInnen politisch betätigen und von ihrem Recht auf Streik gebrauch machen. Sie haben erlebt, dass Schulleiter - entgegen der Brandschutzordnung - die Schule abschließen, um zu verhindern, dass SchülerInnen zur Demo gehen. Sie lernten die verschiedenen Maßnahmen kennen, mit denen „renitente“ SchülerInnen bestraft werden können: unentschuldigte Fehltage,Tadel usw. Manche konnten auch hautnah erleben, dass die Polizei besonders handfeste Argumente gegen demonstrierende Jugendliche hat.
Eine wichtige, aber bittere Lehre mussten v.a. viele AktivistInnen ziehen: auch größere Proteste von SchülerInnen reichen nicht aus, um wirkliche Veränderungen im Bildungswesen durchzusetzen. Ohne die direkte Beteiligung und Unterstützung durch die Arbeiterklasse, insbesondere auch durch die Gewerkschaften ver.di und GEW und durch die Studierenden geht wenig.

Bildung und Gesellschaft

Die Krise und die damit einhergehenden oder drohenden Verschlechterungen werden viele Probleme des Bildungswesens weiter vergrößern. Auch das verweist auf einen, ja auf den zentralen Aspekt des Kampfes für ein besseres Bildungswesen. Der Kampf muss im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gesehen werden - ein qualitativ anderes, besseres Bildungssystem ist nur in einer anderen, sozialistischen Gesellschaft möglich.
Bei den Bildungs-Protesten und Schulstreiks ging es naturgemäß v.a. um aktuelle Fragen wie Lehrermangel, zu große Klassen, Leistungsdruck, mangelnde Möglichkeiten der Einflussnahme auf Bildungsinhalte, schulische Abläufe usw. Und natürlich ging es um Fragen der Mobilisierung.

Dadurch - aber auch, weil etliche Kräfte in der Bewegung daran kein Interesse haben - wurden perspektivische Fragen wie die nach einem alternativen bzw. sozialistischen Bildungssystem zu wenig behandelt. Ihre Vorstellungen für ein „alternatives“ Bildungssystem bestehen im Kern darin, die Mängel des derzeitigen Systems zu minimieren. So geht es um mehr LehrerInnen, kleinere Klassen, mehr Geld, mehr Demokratie und die Abschaffung des mehrgliedrigen Schulsystems sowie anderer sozial diskriminierender Strukturen.

All diese Forderungen sind natürlich unterstützenswert. Doch selbst wenn sie umgesetzt würden, änderte das noch nichts am Wesen von Bildung im Kapitalismus. Inhalt, Zweck und Form dieser Bildung dienen der Aufrechterhaltung, der Regeneration des Kapitalismus und der ideologischen Indoktrination.

Ein Beispiel. Die Benachteiligung von Kindern aus den „Unterschichten“, d.h. den unteren Schichten der Arbeiterklasse und dabei besonders von ImmigrantInnen, erfolgt ja keinesweg „nur“ dadurch, dass es in der Schule selbst strukturelle Benachteiligungen für sie gibt. Ein größeres Problem ist, dass Kinder aus den „bildungsfernen“ Schichten schon mit schlechteren Vorraussetzungen in das Bildungssystem einsteigen. Ihr familiäres, häusliches Milieu ist viel stärker von den Auswirkungen des Lohnarbeits- bzw. Arbeitslosenlebens ihrer Eltern geprägt als das von Kindern aus oberen Schichten oder auch der Arbeiteraristokratie.

Die Tatsache, dass LohnarbeiterInnen eben nicht bewusste Subjekte des Produktions- und Lebensprozesses im Kapitalismus sind, sondern unterdrückte Objekte, „Befehlsempfänger“; der Umstand, das Lohnarbeit stark von Arbeitsteilung und Entfremdung der Arbeit geprägt ist - all das führt tendenziell zur geistigen Verkümmerung, zum Desinteresse an Bildung, wenn nicht zu Alkoholismus usw. Diese Umstände prägen, genauer: schädigen das Heranwachsen von Kindern.

Wie immer die Bedingungen und Inhalte von Bildung modifiziert werden - das Bildungswesen bleibt eingebunden in die bürgerliche Gesellschaft. Ohne Revolutionierung der Gesellschaft bleiben auch substanzielle Verbesserungen - selbst im Sinne von Reformen - letztlich illusorisch. Auch deswegen ist es wichtig, den Kampf für „bessere“ Bildung“ mit dem Kampf für die Veränderung der gesamten Gesellschaft zu verbinden und über ein grundsätzlich anderes, sozialistisches Bildungssystem nachzudenken. Doch wie könnte „Bildung“ im Sozialismus aussehen?

Bildung im Sozialismus

Damit Bildung und „Erziehung“ Angelegenheiten der ganzen Gesellschaft werden und auch die Erzieher „erzogen“ werden können, ist es unabdingbar, dass Privateigentum, Konkurrenz und Profitmaximierung als die ökonomisch prägenden Verhältnisse abgeschafft werden. Erst dann kann die Gesellschaft frei und ohne bornierte Eigentümerinteressen demokratisch entscheiden, welchen Platz Bildung im gesellschaftlichen Kontext haben soll, wie sie inhaltlich und strukturell aussehen soll.

Im Kapitalismus teilt sich die Gesellschaft in Klassen. Deren Reproduktion ebendiese Klassen ist das zentrale Ziel von Bildung im Kapitalismus. So werden massenhaft LohnarbeiterInnen gebraucht, aber auch eine erhebliche Zahl von Spezialisten für Staat, Wissenschaft, Militär, Kultur usw. Während für die künftigen LohnarbeiterInnen oft relativ wenig Bildung „ausreicht“, erhalten die Kinder der „Oberschichten“ bessere Bildungsmöglichkeiten. Zur Reproduktion ihrer sozialen Rollen werden die einen zum „Gehorchen“, die anderen zum „Befehlen“ erzogen. Nicht die Entwicklung des Menschen als Individuum, sondern dessen Abrichtung zum Ausfüllen einer bestimmten Rolle in der arbeitsteiligen bürgerlichen Gesellschaft ist gefragt. Dieser „unmenschliche“ Zustand wird erst in der klassenlosen Gesellschaft, im Kommunismus, überwunden sein.
Das hat auch mit einem anderen Charakter von Arbeit im Kommunismus zu tun. Im Kapitalismus dominiert die entfremdete Arbeit. Unsinnige, unrationelle, stupide, gesundheitsschädliche Tätigkeiten wuchern allerorten. In der Entwicklung Richtung Kommunismus wird der Charakter von Arbeit völlig verändert. Die zur Reproduktion der Gesellschaft notwendige Arbeit, d.h. die Arbeitszeit, wird deutlich kürzer. So entsteht mehr Raum für Freizeit und gesellschaftliche Tätigkeit.

Die alte Arbeitsteilung - zwischen Kopf- und Handarbeit, zwischen Ausführen und Befehlen usw. - wäre im Kommunismus aufgehoben. Damit einher ginge auch eine andere Organisierung des Arbeitslebens. Im Kapitalismus gibt es eine relativ strenge, z.T. abrupte Trennung von Lernzeit (Kindheit/Jugend), Arbeitsleben und „Ruhestand“ (Rente) - bedingt durch die privaten Eigentumsstrukturen und die Erfordernisse kapitalistischer Produktion. Im Kommunismus kann auch diese aberwitzige Trennung überwunden werden.

Eine „sozialistische“ Schule?

Schon von Marx, aber auch von anderen Theoretikern (u.a. von Edwin Hoernle) wurde Bildung im Sozialismus/Kommunismus als Einheit von Arbeiten und Lernen verstanden. Diese enge Verzahnung von praktischem Tun und theoretischer Reflexion erst ermöglicht es, dass Wissen/Lernen in einer direkten Wechselwirkung mit der Praxis stehen und auf diese direkt zurückwirken.

Gewisse Elemente einer solchen „Arbeitsschule“ oder „polytechnischen Bildung“ gibt es - erzwungen durch die Erfordernisse der modernen Produktion - auch schon im Kapitalismus. Doch über Ansätze geht es da nicht hinaus. Teilweise nimmt es auch perverse Formen an, so z.B. wenn Azubis oder schulische PraktikantInnen als BilliglöhnerInnen missbraucht werden.

Im Sozialismus wird es die Institution „Schule“ in der jetzigen Form nicht mehr geben. Das betrifft u.a. die Struktur des „Lehrkörpers“. Allein die soziale Genese der meisten LehrerInnen heutzutage kann nur absurd genannt werden. Erst 13 Jahre Schule, dann 5 Jahre Uni, um schließlich wieder Jahrzehnte in der Schule zu verbringen! Das Leben - eine Schulstube, der Duft des Lebens - Kreidestaub.

Viele LehrerInnen sind verbeamtet. Dieser Status bringt nicht nur einige Privilegien mit sich, für die der Staat ideologische Treue, Streikenthaltung usw. fordert. Er bedeutet auch, dass diese LehrerInnen quasi für immer im Job bleiben - ob sie dafür geeignet sind oder nicht.
In Deutschland treibt die Verbürokratisierung des Schulsystems absonderliche Blüten. So werden SchulleiterInnen nicht gewählt, sondern ernannt. Es gibt für eine gesamtgesellschaftliche Frage wie die Bildung kein Bundesministerium; „Bildung ist Ländersache“ nennt sich dieses hahnebüchene Prinzip. Inhalte und Struktur von Bildung werden von abgehobenen, ungewählten, unkontrollierbaren „Expertengremien“ wie z.B. der Kultusministerkonferenz u.a. Elfenbeintürmlern bestimmt bzw. im Interesse des Kapitals organisiert.

Im Kommunismus werden Bildung und Erziehung vielmehr zu einer Sache, an der die gesamte Gesellschaft teilhat, wo sie demokratisch beraten und festlegen, welche Konzepte, Inhalte, Lehrpläne, Strukturen usw. notwenig sind. Auch dann kann es noch Bildungs-SpezialistInnen geben, doch v.a. als Helfer für ganz „normale“ Menschen, die sich ganz selbstverständlich gemeinsam um die Entwicklung Heranwachsender kümmern.

DDR als Vorbild?

Angesichts der Defizite des BRD-Bildungswesens werden zunehmend Stimmen laut, die meinen, das DDR-Bildungswesen sei besser gewesen. Dabei wird zumeist vergessen, dass die tatsächlichen Vorzüge der „DDR-Volksbildung“ nur möglich waren und funktionieren konnten, weil die DDR ein - wenn auch degenerierter, d.h. von einer bürokratischen Kaste beherrschter - Arbeiterstaat war. Die Enteignung der Kapitalistenklasse, die geplante Wirtschaft und die wesentlich geringeren sozialen Unterschiede in der DDR waren die grundlegende Basis des dortigen Bildungswesens.
Besser war in der DDR ohne Frage die Kinderbetreuung (nicht nur finanziell) und die Einheitlichkeit des Bildungswesens. Auch die Trennung von Schule und Kirche sowie einige Elemente polytechnischen Unterrichts waren wichtige Errungenschaften.
Doch andererseits war die DDR-Schule auch von zuviel 0815 und einer permanenten politischen Indoktrination geprägt. Kein Wunder: Die Herrschaft der Bürokratie als Kaste setzte eine ideologische Gleichschaltung und unangefochtene politische Alleinherrschaft voraus.

Vorsicht vor allzu viel Lob über die DDR-Bildung ist v.a. auch dann geboten, wenn deren obrigkeitsstaatliche Ordnungsprinzipien (Stichwort: Kopfnoten) gelobt werden.
Bestimmt über die Bildung hat nämlich auch in der DDR letztlich nicht die Gesellschaft, sondern der Staat.

Ausblick

Die eigentliche Bedeutung der Mobilisierungen im Bildungsbereich liegt weniger in den Teilerfolgen der Bewegung, so wichtig und unterstützenswert es auch ist, wenn marode Schulen saniert, mehr LehrerInnen eingestellt oder undemokratische Vorgänge an den Schulen angeprangert werden.

Ein wichtiger Effekt ist jedoch, dass die SchülerInnen den wahren Charakter des Staates - ob in Form des Knüppelbullen oder in Gestalt des „strengen“ Schulleiters – nicht nur kennenlernen, sondern auch verstehen, warum diese Strukturen im Kapitalismus unverzichtbar sind und wie sei bekämpft werden können.

Das wichtigste Ergebnis der Schulstreiks ist, dass die Bereitschaft vieler Jugendlicher, über Alternativen zum bürgerlichen Schulsystem und zum Kapitalismus insgesamt nachzudenken, größer geworden ist.

Der Haupteffekt der Bewegung ist die Gewinnung von Jugendlichen für eine revolutionäre Jugendorganisation! One solution - Revolution!

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 432
15. Juni 2009
 

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