Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Aus Anlass des aktuellen Bildungsstreiks in Deutschland:
RÜCKBLICK AUF DEN MEHRMONATIGEN BILDUNGSSTREIK IN FRANKREICH
(Februar bis Juni 2009)

06/09

trend
onlinezeitung

In den letzten Wochen, und mit zunehmender Tendenz seit Mitte Mai 09, ist er versandet: der jüngste Bildungsstreik in Frankreich. Selten dauerte ein Bildungsstreik so lange an, an den Hochschulen fing er am 02. Februar dieses Jahres. Selten war ein Bildungsstreik auch durch so gemischte Kräfte, von nicht wirklich linken Juradozentinnen bis hin zu linksradikalen Studenten, (aus unterschiedlichen aber sich überschneidenden) Motiven unterstützt worden.

Und selten hat es bei einem Bildungsstreik derart starke lokale Disparitäten gegeben, die dafür sorgten, dass die Bewegung sich spätestens ab April/Anfang Mai 09 auf überörtlicher Ebene auseinander lief - während einige lokale Hochburgen übrig blieben.  

            Rückblick und allererstes Fazit

Der Bildungsstreik an den Hochschulen hielt an den meisten Universitätsorten bis in den Monat Mai hinein an - und er hatte am 02. Februar dieses Jahres begonnen. Doch herrschten innerhalb dieses Streiks (quasi) von Anfang an äußerst starke örtliche Ungleichzeitigkeiten zwischen verschiedenen Universitäts„standorten“ - Ungleichheiten in Ausgangssituation und Streikverlauf, die nicht nur bis zum Schluss begleiteten, sondern die sich im Laufe der Wochen immer weiter zuspitzten.

Erreichen konnte der Ausstand im französischen (höheren) Bildungswesen bislang zumindest einen zweijährigen Stopp bei den Stellenstreichungen von Assistenten- und Forscherposten für junge Wissenschaftlerinnen oder Doktoranden. Nicht verhindern konnte er den sonstigen Stellenabbau, den der Streik zwar bekämpfte, der aber voraussichtlich dennoch im laufenden Jahr 1.390 Posten treffen wird. Vor dem Streik war der Abbau von insgesamt 3.000 Arbeitsplätzen, „wissenschaftlichen“ ebenso wie „technischen“, geplant gewesen.

Wochen und Monaten hindurch gingen Hochschullehrer/innen gemeinsam mit Studierenden auf die Straße. Aber sie suchten auch nach möglichst originellen Protestformen und Happenings, um zu verhindern, dass ihr Schwung erlahme und ihr Protest sich abnutze. Öffentliche Vorlesungen auf dem Asphalt, Happenings auf Brücken und Plätzen, Lesungen eines Romans - La Princesse de Clèves' - den Präsident Nicolas Sarkozy in der Öffentlichkeit als Beispiel nutzlosen Bildungsstoffs, den man auch einsparen könnte, bezeichnet hatte - in den Pariser Straßenbahnen, ein „öffentlicher Prozess“ gegen Hochschulministerin Valérie Pécresse…

Vor dem Pariser Rathaus fand Monate hindurch die so genannte „Runde der Sturköpfe" ( ronde des obstinés ) statt, in Anspielung an einen Ausspruch aus Regierungskreisen, wonach nur noch ein paar Sturköpfe die „Reform“ blockierten: Tag und Nacht, 24 Stunden am Tag, liefen seit März d.J. protestierende Lehrkräfte und Studierende stetig im Kreis vor dem Rathaus, mit diversen Schildern und Slogans ausgestattet. Am 3. Mai dieses Jahres wurde die „1.000 Stunde“ gefeiert, die das Rundlaufen nun schon ohne Unterbrechung dauerte – selbstverständlich nicht immer mit denselben Personen, die TeilnehmerInnen wechselten sich ab.

Die bürgerliche Presse hatte das streikende Hochschulpersonal anfänglich eher lieb gewonnen, und selbst der Knüppel tragende Arm der Staatsgewalt fasste dieses Protestpotenzial einige Wochen lang eher mit Samthandschuhen an. Doch zwischendurch „rappelte“ es dann auch wieder auf eher klassische Weise. Es kam zu massiven Zusammenstößen mit den uniformierten Vertretern der Staatsgewalt, als etwa mehrere hundert Doktoranden, HochschullehrerInnen und Forscherinnen am 26. März das „Nationale Zentrum für Wissenschaft und Forschung“ (CNRS) in Paris zu besetzten versuchten. Hundertschaften der kasernierten Bereitschaftspolizei CRS wurden in entgegen gesetzt. Es blieb nicht allein bei „CRS im CNRS“: Auch an der Sorbonne - der altehrwürdigen historischen Universität im Pariser Zentrum - wurde ein Seitenflügel, der von Protestierenden besetzt war, am selben Tag durch die Herren in blauer Uniform (in Frankreich trägt die Polizei marineblau) geräumt. Zwischendurch fand durchschnittlich alle 8 Tage eine größere Demonstration statt, an der in der Hauptstadt Paris, wenn es schlecht lief, mal 4.000 Leute, und an besseren Tagen auch über 10.000 Personen teilnehmen. Auch in anderen französischen Universitätsstädten wurde zeitgleich demonstriert.  

„Wir erlernen eine ganz neue Materie: Streik“  

Unter den Hochschullehrer/inne/n traten seit Anfang Februar 2009 zunächst auch solche Gruppen in den Streik, die seit Jahrzehnten – wenn je überhaupt – an keinem Ausstand beteiligt waren. Beispielsweise das Lehrpersonal der Universität Lyon-III: Diese eher rechtslastige Fakultät, an der unter anderem Jura und Geschichtswissenschaft unterrichtet wird, entstand im Mai 1968 aus einer Abtrennung des streikgegnerischen Teils der Hochschullehrerschaft von der bestreikten Universität Lyon-II. Noch nie hatte hier ein Arbeitskampf stattgefunden. Bis im Februar dieses Jahres. Auch wenn unter anderem rechte und rechtsextreme Studierendenverbände schäumten und dagegen zu mobilisieren versuchten, schloss sich ein Teil des Lehrpersonals – selbst in Jura – einem landesweiten Streik der Hochschullehrer an.  

            Rechte militante Streikgegner

Vor allem die rechte Studierendenorganisation UNI, der der Regierungspartei UMP nahe steht, mobilisiert unterdessen gegen den Streik (gegen den unter Hochschullehrern wie unter den Studierenden). Als am ersten Märzwochenende ein „Jugendkongress“ der UMP im nordfranzösischen Arras stattfand, ließen die Jungkarrieristen der Regierungspartei sich dabei filmen, wie sie Streiktransparente an der örtlichen Universitäten abrissen. Oder eher, wie sie sie minutenlang abzureißen versuchten - denn die Bourgeoissöhnchen stellten sich dabei derart dämlich an, dass ihr Video auf rechtsextremen Webpages gepostet wurde, um die bürgerlichen Rechten lächerlich zu machen. (Vgl. http://www.nationspresse.info/) Nach dem Motto „Das wäre uns nicht passiert“, denn die Rechtsextremen wären gleich mit Eisenstangen angerückt. Im Gegensatz zum Studierendenstreik von Anfang 2006 - gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes in Gestalt des „Ersteinstellungsvertrags“ CPE -, als tatsächlich an Hochschulen wie in Toulouse faschistische Schlägerkommandos gegen Streikende vorgingen, kamen Letztere allerdings in diesem Jahr kaum zum Einsatz. Gegen Schluss der Streikbewegung, Anfang Mai 09, griffen dann jedoch in Lyon faschistische Aktivisten aus den Reihen der ‚Jeunesses Identitaires’ doch noch streikende Studierende körperlich an. (Vgl http://www.leprogres.fr ) Ungewöhnlich war, dass, vor allem in der Endphase des Hochschulstreiks, mancherorts auch rechtsextreme Aktivisten etwa der ‚Identitaires’ - in Einzelfällen - offen in studentische Vollversammlungen kamen und dort am Mikrophon vorsprachen, um ihre Anti-Streik-Position politisch offensiv zu begründen. 

            Am Hauptpunkt des Bildungsstreiks: eine Niederlage 

Der Hochschulkonflikt ging allmählich seinem Ende entgegen, nachdem das umstrittene Regierungsdekret zur Arbeitszeit der Hochschullehrer – das im Februar vorübergehend auf Eis gelegt worden – bei der Kabinettssitzung am 22. April 09 nun doch definitiv verabschiedet worden ist. (Vgl. http://www.lefigaro.fr/) Trotz geringfügiger Überarbeitungen, die Kritiker als „pure Kosmetik“ betrachten, wurde die grundsätzliche Struktur und Philosophie der „Reform“ der Hochschullehre beibehalten. Opponenten sprechen von einer „Provokation“. (Vgl. http://www.liberation.fr/ )

Hochschul-Ministerin Valérie Pécresse führte zuvor – seit dem vorläufigen Rückzug des Dekrets im Februar 2009, um es zu „überarbeiten“ – zeitweilige nun Verhandlungen mit von ihr ausgewählten Gesprächspartnern durch, die jedoch durch die größte Gewerkschaft der Hochschullehrer – den SNESup-FSU– als „pure Farce“ betrachtet werden.

Allerdings ergab der Ausstand an den Hochschulen, vor diesem Hintergrund, daraufhin ein sehr uneinheitliches Bild. So wurden an einem Teil der Hochschulen die Vorlesungen quasi wie im „Normalbetrieb“ wieder aufgenommen. An anderen Universitäten fällt ein Teil der Veranstaltungen aus, während andere stattfinden. Andernorts wiederum, etwa an den außerhalb der Ballungszentren gelegenen Hochschulen in den Pariser Vorstädten wie Paris-13 in Villetaneuse, bleiben die Studierenden zu Hause: Da sie selbst oft weit von der Hochschule entfernt in anderen Trabantenstädten wohnen und keine bequeme Verkehrsanbindung besteht, bleiben sie in ihrer Mehrzahl der Hochschule fern, so lange der „Normalbetrieb“ nicht wieder begonnen hat. Auch die Teilnahme an den Protestaktionen fällt von Stadt, oder von Universität zu Universität, sehr unterschiedlich aus.  

Worum ging es im Kern? Zu den „Reformen“ in der Bildung, mit einem Exkurs zum Gesundheitswesen („Reform“ der Krankenhäuser) 

Die ganze Auseinandersetzung war -- und ist, denn der Streit in der Sache bleibt bestehen -- eine Folge des „Gesetzes über die Autonomie der Universitäten", das im August 2007, also mitten in der Hochsommer- und Urlaubspause, verabschiedet worden ist. Damals kämpften die Studierenden den ganzen Herbst 2007 gegen dieses Gesetz an (also für seine Rücknahme, da es bereit in Kraft getreten war), aber vergeblich. Denn die damalige Bewegung lief sich tot, da die Studierenden allein blieben und nicht auf die „Konvergenz“ mit anderen Streiks und Kämpfen bauen konnten. Die Regierung setzte auf die Karte „Aussitzen“, und dies zum damaligen Zeitpunkt mit Erfolg. - Selbstverständlich ist dieses Gesetz, mitsamt seinen Begleiterscheinungen, vor dem Hintergrund gesamteuropäischer und transnationaler Entwicklungen, insbesondere des so genannten „Bologna-Prozesses“ im Bildungswesen, zu beleuchten. Denn die Entwicklungen in mehreren EU-Ländern dürften sich im Hinblick auf die Sache durchaus ähneln.

Als eine der Folgeerscheinungen dieses Gesetzes vom August 2007 - demzufolge die Hochschulen finanzpolitisch autonom sein müssen, sich wie Unternehmen verhalten und selbst (unter anderem auch über Drittmittel aus der Privatwirtschaft) finanzieren können sollen - erhält der Universitäts-Präsident de facto Vollmachten ähnlich denen eines UnternehmensChefs.- - Äußerst ähnlich verläuft übrigens die Entwicklung im französischen Krankenhauswesen, wo ebenfalls der Direktor mit umfassenden Vollmachten - wie ein Unternehmenschef - ausgestattet werden soll. Und auch die Krankenhäuser sollen „finanzpolitisch autonom“ werden, und sich ab dem Jahr 2012 auf dieselbe Weise wie die Privatkliniken finanziell selbst tragen können. Dagegen fanden ab Ende April 09 zwei gut befolgte Aktionstage der Beschäftigten statt - von den Krankenschwestern bis zum „höheren“ Ärztepersonal. In der Folge überarbeitete die konservative Regierungspartei UMP den Gesetzentwurf - die ‚Loi Bachelot’, benannt nach der amtierenden Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot - nochmals ein wenig überarbeitet worden, bevor er nach der Nationalversammlung (dem „Unterhaus“ des französischen Parlaments) Anfang Mai in den Senat oder das „Oberhaus“ zur Debatte u. Annahme verwiesen wurde. Insbesondere nahm sie nunmehr, in der vom Senat veränderten Fassung, stärkere Rücksicht auf die Ärzte an den Kliniken, die zu ihrer Kernklientel gehören (während sie zugleich vor dem Hintergrund dieses Konflikts durch die rechtskonservative Opposition um Philippe de Villiers eifrig umworben wurden). Nunmehr werden dem Ärztekollegium doch etwas stärkere Vollmachten gegenüber dem Direktor, als nicht mehr völlig alleinigem „Chef“, eingeräumt. (Dieses Gesetz ist am Dienstag dieser Woche, 16.o6.o9 vom parlamentarischen Vermittlungsausschuss zwischen Nationalversammlung und Senat abgesegnet worden, vgl. http://www.ouest-france.fr , und wird nächste Woche durch beide Kammern definitiv angenommen werden. Die ‚sozialistische’ Parlamentsopposition hat angekündigt, im Falle seiner Verabschiedung das französische Verfassungsgericht dagegen anzurufen, vgl. http://www.lefigaro.fr/ )

Der gefundene „Kompromiss“ ähnelt freilich weitaus stärker einer Macht- und Pfründeteilung zwischen Monarch und Aristrokratie, denn einer Re-Demokratisierung - oder überhaupt erst einer Demokratisierung - der Krankenhausstrukturen. Hingegen kommt es in den Schulen und Hochschulen, wo die Entwicklung parallel dazu verläuft, bislang nicht einmal zu einem solchen „Kompromiss“… - Der Neoliberalismus nimmt eben zuweilen eben eher monarchieähnliche Strukturen in manchen gesellschaftlichen Bereichen an…

Zurück an die Universitäten und zu ihrer zwangsweise verordneten „Autonomie“ (finanzieller Natur): Dieselbe wird nun auch auf die Anstellungsbedingungen der Hochschullehrer/innen heruntergebrochen: Die Universitätspräsidenten sollen entscheiden können, wie sie die Arbeitszeiten der Hochschullehrer/innen zwischen Lehre (Unterricht & Vorbereitung, Klausurenkorrigieren) einerseits und Forschung andererseits aufteilen. Bislang galt theoretisch das Prinzip "halbe - halbe". Es stimmt, dass in der Praxis nicht wirklich kontrolliert wurde, ob die Lehrenden auch in diesem Ausmaß Forschung betreiben, wissenschaftliche Artikel publizieren und Ähnliches - oder nicht. Manche taten dies sogar über das theoretisch geltende Arbeitsmasse hinaus. Andere wiederum weit weniger, oder auch gar nicht - das gilt vor allem für jene, die einen lukrativen Posten in der Privatwirtschaft "nebenher laufen" hatten.

Dieser reale Zu- oder Missstand wird nun zum Vorwand genommen, um den Hochschulpräsidenten die Machtbefugnis zu erteilen, die Arbeitszeiten „ihrer" Lehrkräfte anders einzuteilen. Dabei soll der Hochschulpräsident die Arbeitszeit, die für Unterricht aufgewendet wird, individuell (theoretisch pro Lehrkraft, je nach Ergebnissen ihrer Forschungsarbeit: wie viele Artikel wurden veröffentlicht, an wie vielen Seminaren wurde teilgenommen) auf bis zu 300 % der bisherigen Zeitbemessung hoch setzen können.

Die Maßgabe, dass die Erhöhung der Arbeitszeit sich nach der „Qualität der Forschung" der einzelnen Lehrkräfte richten solle, ist dabei pure Augenwischerei. Real wird sie sich danach richten, wie viel Geld die einzelnen Universitäten haben, um wie viel Personal einzustellen. Als Richtwert dürfte dabei in der Praxis folgende Formel gelten: „Je ärmer die Uni = je größerer Mangel an Lehrpersonal = desto stärkere Erhöhung der Unterrichtszeiten". Dies könnte sich als eine Art Teufelskreis erweisen... (Das Ganze in einem Kontext, wo ohnehin seitens der politisch Verantwortlichen, u.a. Sarkozy und seiner Umgebung, die wissenschaftliche Forschungstätigkeit - sofern sie keine quantifizierbaren u. ökonomisch verwertbaren Ergebnisse produziert - in aller Öffentlichkeit disqualifiziert wird. So sprach bspw. der, Ex-Präsident Jacques Chirac nahe stehende, Schriftsteller Denis Tillinac im Februar o9 höhnisch-sarkastisch davon, die Forscher/innen beschäftigten sich damit, „das Geschlecht der Schmetterlinge“ zu ergründen. Im Unterton inbegriffen: Und da wagen sie es auch noch, die übrige Gesellschaft zu belästigen und zu streiken…)

Kritisiert wird durch die Opponent/inn/en zudem, dass die „Qualität der Forschung" sich nicht immer quantitativ (an der Zahl der publizierten Artikel) messen lässt . Und dass es eine seltsame Konzeption gegenüber den Studierenden sei, „Unterricht als Strafe" zu präsentieren - was eine entsprechende Motivation der Unterrichtenden nach sich ziehen dürfte...Zudem kann eine gewisse Willkür, je nach Ge- oder Missfallen, nicht ausgeschlossen werden; auch wenn dagegen jetzt bestimmte Mechanismen vorgesehen werden.

Das überarbeitete Dekret, so wie es am 22. April verabschiedet worden ist, sieht dazu konkret vor, dass alle vier Jahre eine Überprüfung und Bewertung der Forschungstätigkeit einzelner Lehrkräfte vorgenommen wird, durch den CNU (Conseil national des universités), der im französischen System über die Vergabe von „Lehrbefähigungen“ (qualifications) an den Hochschulen entscheidet. Allerdings wird von Kritikern nicht nur moniert, dass der CNU in den letzten Jahren zunehmend zum konservativen Organ, in dessen Reihen vor allem Machtspielchen zum Tragen kommen, erstarrt sei. Zudem wird von ihrer Seite befürchtet, dass vor allem quantitative Kriterien (wie viele Artikel in Fachpublikationen wurden veröffentlicht?) zum Tragen kommen werden, wenn es darum geht, eine Grundlage für die Bemessung der Arbeitszeit zu finden. ( Vgl. http://www.liberation.fr/ )

Solcherlei Kriterien vermögen aber weder, viel über den dafür erforderlichen Aufwand auszusagen, noch über die Qualität der Forschung und der dabei gewonnen Erkenntnisse. Eine Flut von Publikationen muss nicht unbedingt auf eine hohe Qualität der Forschung hindeuten, oft ist das Gegenteil der Fall, oder es handelt sich um vielfache Variationen ein- und derselben Erkenntnis. An solcherlei puren quantitativen Bemessungen hat auch Präsident Nicolas Sarkozy seinen Gefallen gefunden: In seiner berühmt-berüchtigt gewordenen Ansprache an die Wissenschaftler (zum neuen Jahr) vom 22. Januar 2009 – die ihrerseits sehr viel böses Blut an den Universitäten und Forschungseinrichtungen hervorrief, hatte Sarkozy die Intellektuellen des Landes dafür gerüffelt, dass die Anzahl ihrer Artikel in Fachpublikationen geringer sei als jene ihrer anglo-amerikanischen Kollegen, und dass die französische Forschung deswegen von geringer „Effizienz“ sei. Der Präsident, der dabei anscheinend quasi betriebswirtschaftliche Kriterien (eine Messung des „Out-puts“) zur Grundlage zu nehmen schien, stellte die französischen Wissenschaftler dabei beinahe unverhüllt als faul hin: Einige von ihnen, so wetterte der Präsident, kämen in ihre Forschungseinrichtungen, „weil es geheizt und beleuchtet ist“. Große Teile der französischen Intellektuellen betrachteten diese in weiten Teilen groteske Rede vom 22. Januar als Schlag ins Gesicht, sie wurde mit zur Initialzündung für die Hochschulproteste.

Nunmehr war, infolge des Ausstands der Lehrkräfte, alsbald auch die Studierendenbewegung, angefacht durch den Streik der Hochschullehrer im Februar dieses Jahres als „Zündung“, wieder erwacht. Die basisdemokratische Selbstorganisation in Gestalt der „nationalen Koordination der Studierenden“ (CNE) hat sich an mehreren Wochenende versammelt. Sie rief auf dem Höhepunkt des Konflikts zur Ausweitung und unmittelbaren „Radikalisierung des Universitätsstreiks“ auf und warnte die Regierung vor der „Illusion“, sie könnte den aktuellen Hochschul- und Studierendenstreik „aussitzen und sich totlaufen lassen“ (‚ laisser pourir '), was man im Französischen allgemein auch ‚stratégie du pourrissement' (von pourrir = faulen, verwesen) nennt. Leider kam es schlussendlich doch dazu, dass sich genau dies ereignen konnte… 

Nicht nur im Hochschulwesen 

Aber nicht nur im Hochschulbereich gab (und gibt) es derzeit massive Proteste im Bildungswesen. Letztere durchziehen vielmehr die gesamte „Kette“ des Bildungssystems, von Vor- und Grundschulen bis hin zum Universitätssektor. Dabei geht es nicht allein um den durch die Regierung geplanten Stellenabbau im öffentlichen Bildungswesen: 11.500 Lehrer/innen/posten wurden im laufenden Schuljahr 2008/09 vernichtet, weitere 13.000 sollen es im kommenden Schuljahr 2009/2010 werden.

Besonders umstritten ist ferner auch die Politik der Stellenbesetzung an der Spitze des Schulbehörden, die seit 2002 durch die seitdem einander abwechselnden konservativen Regierungen – zunächst unter Präsident Jacques Chirac, später unter seinem Amtsnachfolger Nicolas Sarkozy – verfolgt wird: Hohe Posten und führende Positionen der Schuldiensthierarchie werden mit Herrschaften besetzt, die aus der Grauzone zwischen Konservativen und Rechtsextremen kommen. Also aus jenem Milieu, wo das „zu egalitäre“ und „zu sehr vermasste“ öffentliche Schulwesen explizit in Frage gestellt. Beispielsweise aus dem 1974 gegründeten ‚Club de l'Horloge', der in den letzten 35 Jahren politische Figuren des konservativen Lagers wie auch der extremen Rechten (Yvan Blot, Jean-Yves Le Gallou, Henry de Lesquen) hervorgebracht hat. Der ‚Club de l'Horloge' predigte und predigt offen eine Ideologie der „angeborenen und natürlichen Ungleichheit“, aufgrund derer jegliche auf Chancengleichheit ausgerichtete Bildungspolitik „ideologischer Verblendung“ entspringe und bestenfalls vergebliche Mühe sei, und der Elitezüchtung. In den ersten sieben Monaten der konservativen Regierung von Jean-Pierre Raffarin (die im Mai 2002 aus der Wahlniederlage des „linken“ Premierministers Lionel Jospin bei der Präsidentschaftswahl hervorging) , bis Dezember 2002, wurden 14 von insgesamt 30 Präsidenten der französischen Schulbezirke ausgewechselt. Letztere heißen ‚Recteurs' , was nicht mit den Rektoren einzelner Schulen (französisch: proviseurs ) zu verwechseln ist. An die Spitze des einflussreichen Schulbezirks von Paris wurde so der aktive Privatschullobbyist Maurice Quénet ernannt, und den Vorsitz jenes von Amiens übernahm Michel Leroy. Alle beide waren zuvor Sekretäre des ‚Club de l'Horloge' gewesen. So berichtet die linkskatholische Zeitschrift ‚Golias', die sich u.a. auf Recherchen zum Treiben reaktionärer katholischer Fundamentalistenmilieus spezialisiert hat, in einer ausführlichen Analyse zur Schulpolitik in ihrer Ausgabe vom Oktober 2008.

Der Masterplan der Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy läuft unter anderem offen darauf hinaus, katholische Privatschulen sollten die Lücken auffüllen, die durch die zunehmende Bildungsmisere im öffentlichen Sektor entstehen. Dies geht u.a. aus Präsident Sarkozys ‚Lettre de Mission' (vom Mai 2007) an seinen Bildungsminister Xavier Darcos, der dessen Aufgabenstellung definiert, hervor. Darin wird der Minister aufgefordert, überall, aber besonders in den sozial benachteiligten Trabantenstädten ( banlieues ), die Ansiedlung von Privatschulen zu begünstigen. Diese werden, seiner Philosophie zufolge, schon für das fehlende Bildungsangebot sorgen.

Die Wochenendbeilage der liberalen Pariser Abendzeitung ‚Le Monde' - unter dem Namen ‚Le Monde 2' - machte Ende März 09 mit einer Titelstory über „Die resistenten Lehrer“ auf. Darin ging es um inzwischen über 2.000 Grundschullehrer, aber auch Schuldirektoren, die aufgrund ihrer erklärten Weigerung, die neuen Lehrprogramme anzuwenden, unter dem Druck ihrer Hierarchie stehen und mit disziplinarischen Strafen bedroht werden. Letztere reichen von der Einbehaltung eines Teils ihres Gehalts über unangekündigte Kontrollen der Schulbehörden in ihrem Unterricht bis zur offenen Drohung, „unfolgsame“ DirektorInnen ihres Amts zu entheben. Im Hintergrund ihrer Weigerung, mit den „neuen Programmen“ zu arbeiten, steht besonders die aktuell durchgeführte Abschaffung von 3.000 Stellen für spezialisierte Lehrkräfte – die so genannten RASED -, die speziell dafür eingestellt waren, sich um lernschwache Schüler/innen zu kümmern und ihnen während und neben der Unterrichtszeit besondere pädagogische Unterstützung zukommen zu lassen. Nach dem Willen der Regierung sollen diese spezialisierten Lehrkräfte wegfallen, und die ausfallende Unterstützung soll durch die „normalen“ Klassen- und Fachlehrer/innen außerhalb der Unterrichtszeiten übernommen werden. Dies bedeutet: in den Mittagspausen oder nach Unterrichtsschluss am späteren Nachmittag – als zu Zeiten, wo die Schüler/innen die schlechteste Konzentration aufweisen dürften. Und dies, während aufgrund der aktuell ebenfalls durchgeführten Konzentration des Unterrichts an den Grundschulen von bislang fünf auf vier Wochentage, bei gleich bleibender Stoffmenge, die verbleibenden Unterrichtstage ohnehin für die Kleinen schon überlastet werden. Hauptsache aber, das Ziel des Einsparens von Personal und seiner möglichst „effizienten“ Nutzung kann gewahrt bleiben...

Blockieren kann die Weigerung vieler Lehrer/innen und auch Direktionen, diese „Reform“ umzusetzen, aber nur, sofern die Verweigerer in genügend großer Zahl sind, um einerseits den Übergang der „Sonder-Unterrichtsstunden“ auf das „normale“ Lehrpersonal zu blockieren, aber andererseits die Schüler nicht zu bestrafen. Örtlich, in den Hochburgen der „Verweigerer“bewegung etwa in Westfrankreich, ist dies der Fall: Eine Reihe von Schulen haben dort einfach die Abgabe der örtlichen Programms mit den neuen „Sonderlernzeiten“, die sie laut Vorgabe von oben selbst ausarbeiten sollten, in Gänze verweigert. Die „Reform“ konnte dort bislang nicht greifen. Hochburgen dieser „Bewegung zivilen Ungehorsams“ liegen in Südwest- und Westfrankreich: ‚Le Monde 2' berichtet aus Rezé bei Nantes, wo bislang 80 von insgesamt 120 Grundschullehrern zu den „VerweigerInnen“ zählen. Die Bewegung könnte sich noch ausbreiten, während unterdessen der Druck auf die „Ungehorsamen“ beträchtlich wächst.

Betroffen von der Dampfwalze der „Reformen“ sind, nicht zuletzt, auch die Kindergärten. Frankreich weist dabei bis heute ein spezifisches System auf, das sich als „Vorschule“ (ihr Name lautet ‚école maternelle') bezeichnen lässt: Diese ist zwar nicht obligatorisch, vermittelt den Kindern aber bereits im Alter von 2 bis 6 Jahren wichtige Kenntnisse (einfache Zahlen- und Schreibkenntnisse) und liefert, vor allem, einen Rahmen für die Sozialisierung mit Gleichaltrigen und Erwachsenen. Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. Bildungsminister Xavier Darcos aber äußerte in den vergangenen beiden Jahren offen seine Geringschätzung, indem er betonte, man sehe es auf Seiten der Regierung nicht ein, dass man „Lehrkräfte mit Hochschulausbildung dafür bezahle, dass sie Windeln wechseln und während des Mittagsschläfchens aufpassen“. Auch dies wurde seitens der betreffenden Lehrkräfte und Erzieher als Frontangriff und Schlag ins Gesicht empfunden, zumal es mitnichten ihre Aufgabe – im Umgang mit Kindern im Alter zwischen 2 und 6 – beschreibt. Als konkrete Auswirkung seiner Konzeption plant Minister Darcos nun, die erste Jahrgangsstufe der Vorschule – die so genannte ‚petite section', für Zwei- und Dreijährige – vollständig abzuschaffen und durch so genannte ‚Jardins d'éveil' (ungefähr: „Wachgärten“) zu ersetzen. Der springende Punkt: Letztere werden nicht mehr als schulisches Angebot durch die öffentliche Hand betrachtet. Ihre Nutzung wäre kostenpflichtig, im Gegensatz zu den bestehenden Vorschulen.  

Das (vorläufige) Ende des Hochschulstreiks 

Die Protest- und Streikbewegung durchzieht also alle Sektoren des französischen Bildungswesens. Ihr „Zugpferd“ bildete aber in diesem Frühjahr vor allem der Hochschulstreik. Und dieser wiederum wurde, vor allem, von einigen örtlichen „Bastionen“ vorangetrieben.

Dazu zählte lange Zeit sogar die Sorbonne, die „altehrwürdige“ Universität („Paris-1“) im historischen Zentrum von Paris - wenngleich es deren (in ein Hochhaus im Pariser Süden ausgelagerte) Außenstelle für Geisteswissenschaftler/innen ‚Tolbiac’ war, die weitaus stärker in der Streikbewegung engagiert war. (FUSSNOTE 1)

Am 19. Mai 09 ging allerdings auch dort, an Paris-1, der Hochschulstreik zu Ende. Bei einer Vollversammlung war mehrheitlich beschlossen worden, das Streikende auszurufen, wenngleich es dagegen noch ein paar Widerstände von aktivistischen Minderheitengruppen gab und der Übergang zum „Normalbetrieb“ der Hochschule mehrere Tage lang chaotisch verlief. Daraufhin blieben als Streikhochburgen nur noch ein Handvoll Hochschulen im Westen Frankreichs übrig. Am frühen Vormittag des o3. Juni wurde auch an der Universität Toulouse-Le Miral („Toulouse-2“), die in einem sozial stark benachteiligten Stadtviertel von Toulouse in Südwestfrankreich gelegen ist, als allerletzter bestreikter Hochschule der Ausstand beendet. Dort trugen Polizisten die rund 30 aktiven Blockierer/innen, die vor Ort noch die Wiederaufnahme des Vorlesungs- und Hochschulbetriebs zu ver- oder behindern versuchten, aus dem Gebäude. Zuvor hatte die Universitätsleitung die Universität administrativ geschlossen, die erst im Laufe des o4. Juni durch die Direktion wieder geöffnet wurde. (Vgl. http://www.ladepeche.fr )

Bis dahin war der Streik überall zunehmend abgebröckelt, aus einem Bündel von Gründen heraus. Dabei kamen die im Laufe der Zeit zunehmende mangelnde Sieges- und Durchsetzungsperspektive (angesichts der Tatsache, dass außerhalb der Universitäten der vielfach angekündigte gewerkschaftliche Sozialprotest ausblieb bzw. im Laufe des Frühjahrs 2009 durch die Gewerkschaftsführungen derart eng kanalisiert wurde, dass er keinerlei Wirkung entfaltete..), die näher rückenden Jahresendprüfungen, die Angst um den Verlust eines ganzen Studienjahres, aber auch die sich intensivierende Pressekampagne zu diesen Themen zusammen. Seit dem Wochenende des 1. Mai hatte die bürgerliche Presse begonnen, zunehmend Panik zu schüren: Das Schul- und Universitätsjahr ging zu Ende, ohne dass man vielerorts absehen könne, ob und wie Prüfungen organisiert werden könnten; für viele Studierende drohe ein Jahr ganz ohne Abschluss; und der Ruf der französischen Hochschulen im In- und Ausland sei zunehmend gefährdet, weshalb sich auch immer weniger ausländische Studierende (aber auch französische Abiturient/inn/en) an den Universitäten des Landes einschreiben möchten - so lautete der Tenor.

Am Ende verfingen die, durch die Medien mit zunehmender Intensität vermittelten, Drohungen. Tatsächlich zeichnete sich für viele Studierende ab, dass sie es sich nicht erlauben konnten, auf den Abschluss eines ganzen Jahres zu verzichten - aus vielfältigen Gründen, weil nämlich ihr Stipendium, ihre Anstellungschance oder u.U. auch ihr Aufenthaltsstatus (für ausländische Studierende) daran hing. Präziser gefasst, viele von ihnen hätten sich dies nur dann „leisten“ können, wenn das Jahresende allgemein und an allen oder vielen Hochschulen ausgefallen wäre, so dass sämtliche Studierende vor derselben Perspektive gestanden hätten. In letzterem Falle hätten die gesellschaftlichen Situationen notgedrungen an diese Situation als „höhere Gewalt“ anpassen müssen: Im Juli 1968 fand das Abitur jenes Jahres auch mit knapp zweimonatiger Verspätung statt, und es wurde trotzdem dennoch allgemein gesellschaftlich anerkannt und sollte nicht (wie von mehreren Seiten gedroht worden war) als „verschenktes“ Abitur gewertet. (FUSSNOTE 2) Aufgrund der starken örtlichen Disparitäten zwischen einzelnen Universitäten und Städten, der Ungewissheit über den Fortgang des Streiks oder seine Beendigung… konnten oder mochten viele Studierende dieses Risiko jedoch, in diesem Jahr, nicht eingehen. Und selbstverständlich ist die „Arbeitsmarktsituation“ heutzutage auch nicht so locker wie im Jahr 1968, wo sich kein/e Studierende/r um die eigene berufliche Zukunft ernsthafte Sorgen machen musste - sondern unglaublich viel angespannter. Und viele Studierenden müssen zudem ihren Unterhalt neben dem Hochschulstudium her sauer verdienen, zur Mitte dieses Jahrzehnts waren lt. den verfügbaren Statistiken 58 % der Studierenden nebenher erwerbstätig. Auch dies ist ein Unterschied zu 1968, wo die Studierenden - diese machten kaum o5 % eines Jahrgangs aus - in ihrer großen Mehrheit aus bürgerlichen Elternhäusern kamen und doch vergleichsweise wenig von materiellen Sorgen geplagt wurden.

In circa einem Drittel der französischen Universitäten stellte sich, wie die Sonntagszeitung JDD in ihrer Ausgabe vom o3. Mai 09 konstatierte, die Frage des „Wie?“ bei der Organisierung der Examen und Jahresendprüfungen: Sollten die Abschlussprüfungen nach hinten verlegt werden; in den Sommer hinein oder gar in den September? (Die reaktionäre Schriftstellerin und „Wissenschaftlerin“ Hélène Carrère d’Encausse forderte in derselben Nummer der Sonntagszeitung rabiat dazu auf, Studierende und Lehrkräften müssen nun „den gesamten Sommer hindurch arbeiten“, um sozusagen den Ruf und die Ehre des französischen Hochschulsystems wieder herzustellen. Unterdessen stellte Bildungsministerin Valérie Pécresse von der UMP in Aussicht, die Studienstipendien würden im Sommer um einen Monat länger ausbezahlt, und auch die Plätze in den Studierendenheimen würden über einen Monat hinaus zusätzlich zur Verfügung gestellt.) Oder solle man den Inhalt der Abschlussprüfungen dem verringerten Jahrespensum im abgelaufenen zweiten Jahressemester anpassen? Drohe aber dann nicht „ein Verschenken der Diplome“, die gesellschaftliche Nichtanerkennung der solcherart erworbenen Abschlüsse?

Laut vorliegenden Informationen hat bislang nur eine Universität, Toulouse-Le Mirail oder „Toulouse 2“, sich tatsächlich für eine zeitliche Hinausschiebung der Abschlussprüfungen des laufenden Jahres - um einen Monat, in den Sommer hinein - entschieden. An den übrigen Hochschulen hat man sich eher dazu entschlossen, nun verpasste Vorlesungen und Seminare noch nachzuholen, im Eiltempo zu büffeln und den Stoff doch noch irgendwie unterzubringen - um die Prüfungen zum ursprünglich programmierten Zeitpunkt abzuhalten. Im Prinzip mit unverminderter Stoffmenge.. So ist es jedenfalls vorgesehen. Unterdessen heizt ein Teil der bürgerlichen Presse (bspw. die Boulevardzeitung ‚Le Parisien’ vom 11. o6. 2009, mit einer Titelstory: ‚Des examens au rabais?’, also ungefähr: „Anspruchslosere Prüfungen?“) die Furcht davor an, es könnten Prüfungen mit verringertem, vermindertem Anspruch stattfinden. Was, im Einzelnen, vielleicht aufgrund lokaler „Arrangements“ zwischen Studierenden und Lehrenden eveeeeeeentuell manchmal der Fall sein könnte - aber an den späteren Lebenschancen der Studierenden vielleicht gar nicht so viel verändern dürfte. Aber die Aussicht, oder eher: das Insistieren der bürgerlichen Presse darauf, nährt die Furcht vor späterem „Versagen“…

Angehörige und frühere Sprecher/innen der nunmehr, vorläufig, beendeten Streikbewegung im französischen (höheren) Bildungswesen betonen unterdessen, diese sei nur „vertagt“, aber nicht abgeschlossen. Bei Jahresbeginn im September gehe es wieder richtig mächtig los. Abwarten. Allerdings darf sich die Regierung über das derzeitige Abklingen des Studierendenprotests wohl doch nicht zu früh freuen: In den letzten Jahren reihte sich in den betroffenen Sektoren eine Streikbewegung beinahe an die andere: Studierende (November 2003), Oberschüler/innen (März/April 2005), Anti-CPE-Streikbewegung (Februar, März und April 2006), Studierendenstreik gegen das „Gesetz zur Autonomie der Universitäten“ im Herbst 2007 und nun der aktuell zu Ende gegangene Ausstand. Fortsetzung folgt, irgendwann bestimmt…! 

ANMERKUNGEN 

FUSSNOTE 1: Selbst das bürgerliche Regenbogenmagazin ‚Paris Match’ publizierte in der ersten Maihälfte eine Reportage „aus der besetzten Sorbonne“ mit vielen Fotos - die Faszination für den Mythos der bestreikten Sorbonne, der aus dem Mai ’68 datiert, zieht eben beim Publikum noch immer. (Auch wenn sich von der sozialen Zusammensetzung des Sorbonne-Publikums, vor allem aber des umliegenden Stadtteils her, diese Hochschule und ihre räumliche Umgebung - das Quartier Latin - längst zu geldbürgerlich-unrevolutionär geprägten Örtlichkeiten entwickelt haben. An anderen Hochschulen ist da wesentlich mehr los… Abgesehen, sicherlich, von der im 13. Pariser Bezirk gelegenen Außenstelle, Tolbiac. 

FUSSNOTE 2: Studien haben übrigens mit 30jährigem Abstand ergeben, dass viele AbsolventInnen des Sommers 1968 in ihrem späteren Leben, in ihrer späteren beruflichen oder Wissenschaftskarriere usw. im Durchschnitt sogar eher besser abschnitten als die Jahrgänge vor und nach ihnen. Wohl, weil sie damals hoch motiviert in den „Ernst des Lebens“ eingetreten waren…

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir vom Autor am 17.6.09.