Anmerkung: Die heutige (19.6.09 - red.
trend) Predigt des geistlichen Führers Khamenei macht
den Ernst der Lage im Iran sehr deutlich. Gewiss haben wir
hier mit einer bis zum äußersten entschlossenen Regime zu
tun. Die Befürchtung eines Blutbads ist nicht von der Hand
zu weisen. Doch ist nicht zuletzt trotz dieser Gefahr eine
kritische Auseinandersetzung mit der sog. Opposition nötig,
um zu überprüfen, ob und in wie weit dieser Konflikt mit dem
wirklichen Leben Millionen von Iranern zu tun hat.
Der Westen hat
eine neue Bewegung und einen neuen Helden entdeckt. In Zeiten
der globalen Krise ein willkommener Anlass. Von den
Linksliberalen bis hin zu den konservativsten Kreisen, schwärmt
man über die Bewegung des zivilen Ungehorsam im Iran und dessen
Wortführer Mussawi. Welche Bedeutung diese Zuwendung für den
jetzigen Seelenzustand im Westen hat, werden wir weiter unten
sehen. Doch zunächst lohnt es sich, einige der Kernaussagen
dieser Euphorie einer kritischen Untersuchung heranzuziehen.
Das Bild im
Großen, das von den Ereignissen im Iran gezeichnet wird, besagt
folgendes: Eine erstarkte Reformbewegung als Ausdruck der
Unzufriedenheit der städtischen Bevölkerung, insbesondere der
jungen Generation, die mit Mitteln des zivilen Ungehorsam den
Staatsapparat herausfordert und die Perspektiven für einen
demokratischen Iran öffnet. Dies alles ist zustande gekommen im
Folge der „offensichtlichen Wahlmanipulation“ in großer Manier,
was die Empörung des angeblich so gedemütigten Volkes mit sich
zog. Wir wollen erst einmal überprüfen, ob dieses Bild stimmt
und in wie weit hier Wahrheiten und Lügen vermischt in einer
Packung der Öffentlichkeit präsentiert werden. Beginnen möchten
wir von einigen Detailinformationen über die Führungsriege
dieser Bewegung. Anschließend möchten wir die Strukturen
untersuchen, die hinter dieser Führungsriege stehen und die
Hintergründe beleuchten, die zu dieser Auseinandersetzung
geführt haben. Schließlich widmen wir uns dem Programm dieser
Reformbewegung.
Doch ein Wort
vorab: Der Verfasser dieser Schrift kämpft seit drei Jahrzehnten
gegen das iranische Regime und betrachtet diesen Staat als eine
der schlimmsten Sorten des kapitalistischen Staates, ein Staat
der abgeschafft werden muss. Also bedeutet diese kritische
Auseinandersetzung keinesfalls eine Beschönigung der Gegenseite
des Kampfes, des iranischen Staatsapparats mit Khamenei an
dessen Spitze und mit Ahmadinedschad als dessen Präsident.
Vielmehr halte ich diese reaktionären Kräfte weit aus schlimmer
als deren Gegenpart, also die sog. Reformer. Doch eine kritische
Auseinandersetzung ist um so nötiger, da wir hier mit einer
beispiellosen Kampagne zur Verdrehung der Wahrheiten zu tun
haben. Dies dem Leser etwas näher zu bringen, ist die Aufgabe
dieser Schrift.
Wer ist
Mussawi, wer sind seine engen Mitstreiter?
Mir Hussein
Mussawi hat seine politische Karriere in der Islamischen
Republik als Chefredakteur der Zeitung Jomhurye Eslami,
Parteiorgan der gleichnamige Partei, begonnen. Dies war die
erste Partei, die direkt nach der Revolution gegründet wurde.
Der Parteiführung gehörte eine Reihe der wichtigsten Mullahs,
u.a. der später ermordete Beheshti und die jetzigen Gegenspieler
Khamenei und Rafsandschani, an. Ab 1360 (1981) iranischer
Zeitrechnung wurde Mussawi zum Ministerpräsidenten berufen und
diente in diesem Posten bis zum Ende des Krieges 1367 (1988).
Diese Zeitspanne ist gleich mit einer Reihe von
gesellschaftlichen und politischen Ereignissen mit
weitreichender Bedeutung. In diesem Zeitraum hat die erste,
große Hirnrichtungswelle stattgefunden; hat die sog. Islamische
Kulturrevolution begonnen, was die Ermordung Tausender
Studentinnen und Studenten und die völlige Islamisierung der
Universitäten zur Folge hatte; und schließlich wurden die
Weichen für die Durchsetzung islamischer Normen im Alltag
gestellt. Mussawi war einerseits als Ministerpräsident (Dieser
Posten wurde später abgeschafft. Mussawi blieb damit der letzte
Ministerpräsident der Islamischen Republik) und andererseits als
Mitglied des Rates der Kulturrevolution an allen diesen
Entscheidungen maßgeblich beteiligt. Um ein Bild über die
Grausamkeit dieser Zeit nur in kürzen Abrissen zu malen:
-
zwischen 1981-84
wurden fast jeden Tag Dutzende Gefangene hingerichtet; an
manchen Tagen über Hunderte. Die Meldung der Hinrichtungen wurde
als Triumph verbreitet. Ein besonders grausamer Tag war im Juni
1981, an dem über 300 hingerichtet wurden. Unter diesen befanden
sich etliche jugendliche unter 18 Jahren, die zum Teil nur wegen
des Besitz eines Flugblatts hingerichtet wurden.
-
Allein bei der sog.
Kulturrevolution an den Unis wurden über Hunderte Studenten in
Teheran, Shiraz, Ahwas, Täbriz und anderswo umgebracht. Die
überwiegend linken Studenten hatten den Entschluss gefasst, die
Unabhängigkeit der Universitäten zu verteidigen und hatten sich
auf Universitätsgeländern verbarrikadiert, in der naiven
Annahme, die Gegenseite, also der Staat, würde nur Prügeltrupps
organisieren. Statt Gegendemonstranten
hat der Staat jedoch die Pasdaran
geschickt. Der Verfasser hat diese Nacht auf dem Gelände der
Teheraner Universität verbracht, mit sausenden Kugeln über dem
Kopf. Erst um ca. 3.00 Uhr morgens haben wir eingesehen, dass
ein Verbleib nur den sicheren Tod bedeutet und haben über einen
Seitenausgang das Gelände verlassen.
-
Die Kleiderverordnung
wurde in diesen Jahren erlassen. Laut einer von Mussawi
unterschriebenen Verordnung durften die Frauen beim Behördengang
nicht nur die Islamische Kleiderordnung befolgen. Es wurde
darüber hinaus bestimmt, dass kein leichter Stoff für die
Kleidung verwendet werden durfte und allein die dunklen,
seriösen Farben, braun, dunkelgrau und dunkelblau erlaubt
wurden. Für Männer wurde das Tragen halbärmliger Hemden
verboten.
-
Die
Rechtsstaatlichkeit wurde offiziell unterlaufen und die
Islamische Rechtssprechung eingeführt. Laut dieser
Rechtssprechung musste den verletzt gefangenen Kombattanten
weitere Verletzungen zugefügt werden, damit sie ihre verdiente
Todesstrafe erhielten. Von einem ordentlichen Gerichtsverfahren
konnte keine Rede sein. Ein einziger Geistlicher hat in Person
den Ankläger, den Rechtsanwalt und den Richter gespielt und im
Schnellverfahren, das i.d.R. nicht länger als 5 Minuten gedauert
hat, über Leben und Tod der Gefangenen entschieden.
Die Liste kann
beliebig fortgesetzt werden. Es liegen über 20 Jahre zwischen
diesen Ereignissen und der heutigen Entwicklung. Doch -
abgesehen von dem Tatbestand, dass Mord nicht verjährt- ist die
Tatsache entscheidend, dass die Verantwortlichen von damals sich
bis jetzt keineswegs von diesen Taten distanziert haben. Als
Mussawi bei einer Wahlveranstaltung vor einigen Monaten mit der
Frage seiner Rolle während der Kulturrevolution konfrontiert
wurde, hat er dies mit dem kurzen Hinweis abgetan, dass er dafür
keine Verantwortung trage und Abdolkarim Soroush – der in London
lebende Islamgelehrte, der damals Mitglied des Rats der
Kulturrevolution war – diese gefordert habe. Daraufhin
veröffentlichte Sorousch einen kleinen Teil der Gespräche beim
Revolutionsrat, der nicht nur Mussawis Beteiligung belegte,
sondern ihn, neben seinem Mentor Rafsandschani, als
Hauptverantwortlicher für diese blutigen Ereignisse entlarvt.
Laut Protokoll äußert Rafsandschani seine Besorgnis über die
Aktivitäten der Linken an den Unis und fordert, dass „mit Hilfe
einiger gläubiger Jugendliche diesem Chaos bei den Unis Einhalt
geboten werden sollte. … einen Ausbruch der Gewalt fürchten wir
nicht. Besser jetzt als 3 Monate später“. So weit Rafsandschani
zu diesem Thema. Doch laut Sorousch ist Mussavi der Einzige, der
bei dieser Sitzung von der „Notwendigkeit einer Kulturrevolution
durch die Anwesenheit von Massen an den Unis“ sprach. So kam es,
dass die operativen Stäbe für die Durchführung dieser blutigen
Massakers sich gebildet haben. Mussavi nahm als persönlicher
Beauftragter von Khomeini an den Sitzungen des Rats der
Kulturrevolution teil und koordinierte sogar als Regierungschef
die Aktionen von anderen Beteiligten. Seine jetzige Aussage, er
habe dabei keine Rolle gespielt, ist also eine glatte Lüge. So
weit zur Person Mussavi und seine direkte Rolle bei den
Massakern in den Jahren seiner Regierung.
Doch was haben
die anderen oben erwähnten Fakten über die Rechtslage im Iran
mit Mussavi zu tun? Eine Reihe der damals aktivsten Richter und
Staatsanwälte, die bei dieser Entwicklung eine zentrale Rolle
gespielt haben, gehören jetzt entweder zu den engsten Vertrauten
von Mussavi oder sind seine Mentoren im Klerus. Unter anderem
ist von einem Geistlichen Namens Hojat-Ol-Eslam Mussavi-Tabrizi
zu sprechen, der damals den Posten des „Obersten Anwalt der
Revolution“ - das Pendant zum Oberstaatsanwalt - bekleidete.
Die oben erwähnte Rechtssprechung über die Ermordung der
Verletzten Kombattanten stammt eben von dieser Person, der dies
in einem Interview im September 1981 äußerte. Mussavi-Tabrizi
ist einer der engen Mitarbeiter von Mussavi bei seinem Wahlkampf
und gehört zu der Führungsriege seines Stabs.
Ein Anderer ,
viel wichtigere Person ist der Groß Ajatollah Sanei. Ohne
Zweifel ist Sanei einer der Hauptstützen Mussawis innerhalb der
klerikalen Hierarchie. Als Groß Ajatollah hat sein Wort viel
Gewicht. Dieser Sanei war ebenfalls ab 1982 bis 1985 in der
Justiz aktiv und zwar als Oberstaatsanwalt. Sein Nachfolger war
ein anderer Namensvetter von Mussavi, nämlich der Geistliche
Hojat-Ol-Eslam Mussavi-Khoiini. Auch dieser gehört jetzt zum
Wahlkampfteam von Mussavi.
Interessanter
ist vielleicht der Ursprung von einem anderen Kreis seiner
Unterstützer. Um Mussawi herum hat sich ein erfahrenes
Wahlkampfteam gebildet, bestehend aus einer Reihe ehemalige
Kader der „Organisation Islamischer Mudschaheddin“. Dieser
Organisation war als Gegenmodell zur damals linksgerichteten,
jedoch islamische, Organisation der Volks-Mudschaheddin
gegründet worden. Das Ziel dieser Organisation war es, den Elan
des bewaffneten Kampfes, der die Volks-Mudschaheddin umgab zu
zerstören und als eine der reinen Lehre Treuen Organisation
ebenso einen solchen Elan auszustrahlen. Selbstverständlich
zeichnete diese Organisation ihre Treue zum Klerus und ihre
stark antikommunistische Ideologie aus. Die Organisation war
maßgeblich bei der Gründung der berüchtigten Revloutionswächter
(Pasdaran) beteiligt. In den Jahren von Mussawis Regierung haben
die Kader diese Organisation die Abteilung Nachrichtendienst von
diesem Pasdaran geleitet. Diese Abteilung war ausschließlich mit
der Ausspähung, Verfolgung und Zerschlagung linker
Organisationen sowie von Volks-Mudschaheddin befasst. Diese
Aufgabe wurde möglichst von der Planung bis zur letzten
Ausführung in dieser Abteilung konzentriert. Die letzte Stufe
dieser Aufgabe war der Verhör von Gefangenen im Evin Gefängnis,
was selbstverständlich auch deren Folterung für Geständnisse
beinhaltete. So hat diese Abteilung den berüchtigten Saal 209
in diesem Gefängnis direkt unter ihre Kontrolle. Was da
geschehen ist, braucht hier nicht erwähnt zu werden, dem Leser
sollte jedoch klar sein. Die Frage lautet nun, wer für diese
Abteilung verantwortlich war. Hier die Namen: Mohsen Armin, Said
Hadjarian, Mohsen Mir-Damadi, Mohammad Atrianfar, Morteza Elviri,
Feizollah Arab-Sorkhi, Mohsen Aghadjeri, Salamati usw. usf. Alle
diese Personen sind nach wie vor im Politischen Leben des Irans
sehr aktiv. Sie bilden zugleich den engen Kreis der Berater von
Mussawi. Kein Einziger dieser Personen wurde je zur Rechenschaft
gezogen noch sich von dieser Vorgeschichte distanziert. Nebenbei
erwähnt gehörte auch der in Paris lebende Filmemacher Mohsen
Makhmalbaf zu diesem Kreis der Erleuchteten. Dem Autor ist
zumindest eine z.Z. In Berlin lebende Person bekannt, die von
ihm verhaftet wurde.
Auch diese
Liste kann beliebig fortgesetzt werden. Dies dürfte jedoch
ausreichend über den engen Kreis der Führungsriege um Mussawi
aussagen. Das Bild ist jedoch erst dann komplett, wenn die
tatkräftige Unterstützung des Rafsandschani Klans und seien
zentrale Rolle bei der Planung und Finanzierung der Kampagne
noch dazu gerechnet wird.
Im zweiten
Teil werden wir die Hintergründe beleuchten, die zu diesem
erbitterten Machtkampf geführt haben.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor am
20.6.09.
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