Revolutionäre Krise
Zuspitzung der Kämpfe im Iran

von Werner Pirker

06/09

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Die Auseinandersetzungen im Iran nehmen einen immer antagonistischeren Charakter an. Große Teile der Bevölkerung wollen die in der Islamischen Republik herrschenden Verhältnisse nicht mehr hinnehmen. Somit ist eine revolutionäre Krise entstanden. Die Frage, ob der Massenaufruhr den Machtkampf innerhalb der Eliten auslöste oder umgekehrt, ist nicht eindeutig zu beantworten. Es handelt sich eher um zwei einander gegenseitig durchdringende Erscheinungen.

Daß eine so verzweifelt entschlossene, kampfbereite Massenbewegung wie die iranische »grüne Welle« ihre Ursache nicht auch in einer tiefgehenden sozialen Unzufriedenheit haben sollte, ist schwer vorstellbar. Zumal sich die soziale Situation im Iran alles andere als rosig darstellt. Und doch spricht die Revolte in Teheran und anderen persischen Städten keine soziale Sprache. Die Revolution, so sie eine sein sollte, äußert sich nicht als Klassenauseinandersetzung. Wenn Klasseninteressen nicht artikuliert werden, bedeutet das aber noch lange nicht, daß keine auf dem Spiel stehen. Die im modernen Revolutionsbegriff inkludierte Emanzipation der Unterschichten steht im Iran nicht auf der »revolutionären« Agenda. Die »grüne« Agenda ist vielmehr eine liberale. Das die grüne Welle tragende Subjekt sind die städtischen Mittelschichten, die Intellektuellen und die Jugend.

War die islamische Revolution von 1979 noch Ausdruck einer breiten Koalition aller Volksklassen gegen die Schah-Despotie und in diesem Sinn emanzipatorisch, so reflektiert die gegenwärtige Erhebung die moderne Klassendifferenzierung. Die liberale Bourgeoisie mobilisiert ihren Massenanhang zur Überwindung des islamisch-korporatistischen Modells. Von der islamischen Revolution entwickelte Formen des Sozialpaternalismus sind auf die Abschußliste geraten. Die iranische Revolution anno 2009 hat sich in postmoderner Verkehrung des Revolutionsbegriffs die soziale Deemanzipation auf ihre Fahnen geschrieben.

Diese Offensive des Neoliberalismus ist keineswegs in Opposition zur Mullah-Herrschaft entstanden, sondern aus dem Inneren des islamischen Nomenklaturasystems hervorgegangen. Ajatollah Rafsandschani, einer der reichsten, weil korruptesten Männer des Iran, der diese Metamorphose am deutlichsten verkörpert, gilt als die graue Eminenz der gegenwärtigen Umsturzbewegung. So sehr sich der erbitterte Machtkampf im Iran von den Revolutionsspielen in ehemaligen Sowjetrepubliken auch unterscheiden mag – bei allem Heroismus wird auch er sich dem Schicksal aller postmodernen Revolutionen, nur die Massenszenen für Fraktionskämpfe innerhalb des herrschenden Regimes geliefert zu haben, nicht entziehen können. Wie sollte es auch anders sein bei einer Revolution, die im Zeichen der liberalen Hegemonie stattfindet und die volle Wiedereingliederung des Iran in das System der imperialistischen Weltordnung zum Ziel hat?

Editorische Anmerkungen

Der Text  erschien in der Jungen Welt am 22.6.2009. Wir spiegelten von dort.