Der Pressekonzern ,Le Monde’ nach
der Ochsenfroschstrategie – Aufgebläht, geplatzt und nun
Aufkaufkandidat. Die große liberaler Abendzeitung wird zum
Gegenstand für Investoren-Strategien
Die
Zeiten ändern sich. Heute wie gestern. „Als ich ins Amt kam,
fragten sich die Journalisten von ,Le Monde’, von wem die
Zeitung aufgekauft werden wird. Heute fragt man sich, wen Le
Monde als nächstes aufkaufen wird.“ Diese oft zitierten Worte
kommen von Jean-Marie Colombani, der von 1994 bis 2007
Herausgeber – ,directeur de publication’ – der im Jahr der
Befreiung, 1944, gegründeten Pariser Abendzeitung war.
Unter ihm als Unternehmenschef kaufte der Pressekonzern
‚Groupe Le Monde’ bündelweise andere Medien, aber auch
Druckereien sowie ein Reisebüro zusammen. Auf dem Höhepunkt
der Strategie, die Colombani verfolgte, wurde der
Pressekonzern Eigentümer des prestigereichen Fernseh- und
Kulturmagazins ‚Télérama’, des auf Übersetzungen aus der
internationalen Presse spezialisierten Wochenmagazins
,Courrier International’, mehrerer Regionalzeitungen in
Südfrankreich rund um den ,Midi Libre’ und anderer Titel -
mitsamt den dazugehörigen Webseiten und Werbeunternehmen.
Gerechtfertigt wurde diese offensive Konzernpolitik allzeit
mit einem noblen Ziel: Es gehe nur darum, die journalistische
Unabhängigkeit des als Qualitätszeitung und Flaggschiff der
französischen Presse geltenden Titels Le Monde – als „Kopf“
des gesamten Konglomerats – zu wahren. Um in diesen Zeiten der
Kapitalkonzentration auf dem Pressemarkt ohne Furcht vor
feindlichen Übernahmen bestehen zu können, müsse man, so
lautete die Logik Colombanis, mit den Wölfen heulen, nur eben
lauter. Wer nicht gefressen werden wolle, müsse selbst
gefräßig werden. Dies verschaffe der Spitze des
Pressekonglomerats die nötigen finanziellen Spielräume, um
ihre eigene Politik umzusetzen und sie sich nicht von anderen
Akteuren diktieren zu lassen.
Heute ändern sich die Zeiten erneut, und der anstehende Wandel
droht erstmals einschneidende Konsequenzen auf die interne
Redaktionspolitik von ,Le Monde’ zu haben. Denn Colombanis
Strategie ist grandios gescheitert: Der Pressekonzern hat sich
hoffnungslos finanziell mit ihr übernommen. Allgemeine
Tendenzen wie den Rückgang der Werbeeinahmen, die Konkurrenz
durch Gratiszeitungen sowie das Internet vermochte sie nicht
aufzuhalten. Seit 2002 endete jedes Geschäftsjahr mit
Verlusten, im seither vergangenen Zeitraum wurden in der
Gesamtsumme 200 Millionen Euro Defizite eingefahren. Derzeit
sitzt der Pressekonzern auf angeblich 100 Millionen Schulden
(die Le Monde-Gruppe selbst hat sie freilich, laut einer
AFP-Meldung viom 30. Mai, auf 25 Millionen heruntergerechnet).
Und ab dem kommenden Jahr werden neue Verbindlichkeiten
fällig: 25 Millionen, die dazu gedient hatten, ,Télérama’ zu
übernehmen, müssen in 2011 an die Geschäftsbank BNP
zurückgezahlt werden. 2012 werden weitere 22 Millionen und
2014 nochmals 47 Millionen fällig.
Das absehbare Ende des Prinzips der Redakteurs-Kontrolle
Nun steht zum ersten Mal explizit das Prinzip der Souveränität
der Redakteursgesellschaft (SRM), die bislang noch das letzte
Wort über die Geschicke der Pariser Abendzeitung hatte, zur
Disposition. Zwar hielt die SRM, in der ein Teil der insgesamt
400 Redakteure von ,Le Monde’ bestimmt, auch bislang nur einen
winzig kleinen Teil der Kapitalanteile an dem Pressekonzern.
Doch über ein komplexes System ineinander verschachtelter
Beteiligungen hielt die SRM, über eine Holdingsstruktur,
dennoch ein Kontrollposition inne. Insbesondere war ihr
garantiert, dass kein Herausgeber oder Zeitungsdirektor gegen
ihren Willen eingesetzt werden konnte.
Am o9. April 10 hat eine Versammlung der ‚Le
Monde’-Journalisten den Plan abgesegnet, auf diese Art von
Journalistenkontrolle über die Zeitung definitiv zu verzichten
und die SRM erstmals auch in fundamentalen Fragen der
Unternehmenspolitik minoritär werden zu lassen. Denn zu dem
Zeitpunkt drohte das Presseunternehmen, bis im Juli 2010
Bankrott anmelden zu müssen, falls es bis dahin kein frisches
Geld beschaffen kann. Die Pariser Bank BNP, die bis dahin
bereit gewesen war, alljährlich ein Auge über verspätete
Rückzahlungen während der Sommerferienperiode – in der die
Auflage der Zeitung in den Keller sinkt – zuzudrücken und bis
im Herbst zu warten, hat das Ende dieser Haltung signalisiert.
Am 10. Juni 10 soll nun die Redakteursgesellschaft, und am 14.
Juni 10 der Aufsichtsrat des Pressekonzerns – vorläufig - über
die „Angebote“ potenzieller Investoren zur Geldanlage beraten.
Letztere haben noch bis zum 15. Juni Zeit, um ein
„definitives“ Angebot zu unterbreiten. Derzeit gelten drei
potenzielle Anleger als sichere Kantonisten, ein bis zwei
weitere potenzielle Interessenten sollen sich interessiert
zeigen. Der künftige Investor soll, laut den Absichten des
Pressekonzerns, „sechzig bis siebzig Millionen Euro“ an
Flocken mitbringen. (Vgl. Meldung der Nachrichtenagentur AFP
vom 3o. Mai 10, um 09.23 Uhr.)
Dazu ist nicht jeder wirtschaftliche Akteur in der Lage, und
gleichzeitig interessiert daran. Dabei wäre ein solcher Preis
allerdings noch sehr günstig, um die Kontrolle über eine solch
renommierte Zeitung wie ,Le Monde’ – die bislang noch
erfolgreich ,Agenda Setting’ betreibt, also (durch die
Reihenfolge und Rangordnung ihrer Schlagzeilen) die
Prioritätensetzung anderer Medien wie etwa der
Abendnachrichten des Fernsehens oder auch die Gegenstände von
Hochschulvorlesungen beeinflussen kann – zu erlangen.
Zum Vergleich: Der Aufkauf der Kontrolle über ,Le Figaro’ –
die auflagenstärkste konservative Zeitung in Frankreich, die
bei Themen der Außenpolitik eine Qualitätszeitung, bei
innenpolitischen Themen jedoch ein propagandistisches
Käseblatt ist – kostete den Luftfahrt- und
Rüstungsindustriellen Serge Dassault im Jahr 2004 die
Kleinigkeit von 230 Millionen Euro. Einen ähnlich hohen Preis
kostete auch 2007 die Wirtschaftstageszeitung ,Les Echos’.
Von Franco-Spanien zur Hegemonieposition in Lateinamerika:
der Konzern PRISA
Bis vor kurzem schien nur ein solcher Investor in Frage zu
kommen, der gleichzeitig Interesse bekundet und finanzielle
potent genug zu sein schien: das spanische Medienunternehmen
PRISA (Promotora de Informaciones Sociedad Anonima). Es gibt
die den spanischen „Sozialisten“ des PSOE – also der aktuellen
Regierungspartei unter José Luis Rodriguez Zapatero - nahe
stehende größte Tageszeitung des Landes heraus, den 1976
pünktlich zum „Übergang zur Demokratie“ begründeten Titel ,El
Pais’. Es betreibt rund 300 Radiosender im spanischsprachigen
Amerika (von Chile über Kolumbien und Mexico bis hinein in die
USA), aber auch im portugiesischsprachigen Brasilien. Ihm
gehören Fernsehstationen wie der spanische TV-Sender Cuatro
und Satellitenkanäle.
PRISA kontrolliert bereits heute 15 Prozent der Kapitalanteile
am ,Groupe Le Monde’. Das Unternehmen zeigte sich an einer
Ausweitung seiner Investitionen in dem französischen
Pressekonzern, in den es bislang 25 Millionen Euro angelegt
hat, interessiert.
Nur hat die Sache einen dicken Haken: PRISA selbst ist mit
fünf Milliarden (!) Euro - nicht Millionen, sondern Milliarden
- verschuldet und hat sich selbst beim Aufkauf von
Fernsehsendern finanziell übernommen. Seit einem Abkommen, das
am o5. März publik und am o6. März 10 unterzeichnet wurde,
läuft die Übernahme von 57 Prozent der Kapitalanteile an PRISA
durch einen US-amerikanischen Rentenfonds, ,Liberty
Acquisition Holdings Corp.’, der 660 Millionen Euro an
Frischgeld mitbrachte. Zwar hat Letzterer dem
Presseunternehmen, das derzeit u.a. durch Verkäufe von
Konzernsegmenten seine Verbindlichkeiten von 5 auf 3,3
Milliarden abzubauen versucht, versprochen, sich nicht direkt
in seine Medienpolitik einzumischen. Die Nordamerikaner hatten
ihm signalisiert: Wir sind nicht am Zeitungsmachen, sondern
nur an rentablen Investitionen interessiert. Die Familie
Polanco, die das Unternehmen aufbaute – ihr verstorbener
Gründervater Jesus de Polanco hatte unter dem Diktator Franco
in den frühen siebziger Jahren den Schulbuchmarkt übernehmen
und dabei dicke Gewinne erzielen können -, bleibt trotz einer
Verringerung ihres Kapitalanteils von 70 auf 30 Prozent am
Ruder. Doch wie alle Pensionsfonds dürfte der Investor bald
deutlich machen, dass er außerordentlich hohe kurzfristige
Gewinnziele verfolgt. Demnach dürfte der Hedgefunds also kein
Interessen an Investitionen, die nicht zwingend
gewinnversprechend erscheinen, zeigen.
Mäzen und Medienmogul
Seit dem 11. Mai sind zwei weitere potenzielle Großinvestoren
aufgetaucht. Auf der einen Seite steht das Gespann des
französischen Mäzens Pierre Bergé mit dem Geschäftsbanker
Mathieu Pigasse von der Lazard-Bank – die zu den glorreichen
Finanzberatern der Regierung Griechenlands zählt. Pigasse hat
im August 2009 das Kulturmagazin ‚Les Inrockuptibles’ zu 80
Prozent aufgekauft, dessen Gründer und bisheriger Leiter
Christian Fevret inzwischen von Bord geekelt worden ist und im
März dieses Jahres seine Koffer packte. Ab kommenden Herbst
soll das Magazin vollkommen umgemodelt und von der
Kulturzeitschrift zum Newsmagazin umstrukturiert werden. Laut
Informationen haben Bergé und Pigasse Mitte Mai eine
Finanzstruktur, ein gemeinsames Tochterunternehmen zwecks
Vorbereitung der Investition in den Le Monde-Pressekonzern,
auf die Beine gestellt.
Auf der anderen Seite läuft sich auch der 84jährige frühere
Pressemogul des Mitte-Links-Spektrum, Claude Perdriel, warm.
Ihm gehört heute das sozialliberale Wochenmagazin ,Le Nouvel
Observateur’, das noch immer als irgendwie links gilt, doch zu
60 Prozent aus Reklame – zum Gutteil Luxuswerbung – besteht.
Erhält Perdriel den Zuschlag, so würde er nach dem Nouvel Obs
auch den Le Monde-Konzern zu voraussichtlich 60 Prozent
übernehmen und in eine Filiale seines Mischunternehmens SFA
umwandeln, dessen Hauptaktivität aus der Herstellung von...
Toilettenhäuschen besteht.
Perdriel hat klar zur Bedingung erhoben, dass er nur dann beim
,Groupe Le Monde’ einsteigen werde, falls er den derzeit die
Geschicke des ,Nouvel Observateur’ leitenden Denis Olivennes
mitbringen dürfe. Dieser soll zum Chef des Presseunternehmens
avancieren. Bei seinem derzeitigen Betätigungsort, dem ,Nouvel
Observateur’, gilt Olivennes als „sehr interventionsfreudiger“
Herausgeber. Im Frühsommer 2009 führte er höchstpersönlich das
Interview mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy, das unter den
Journalisten des Wochenmagazins heftig umstritten war, weil es
als weitgehend distanz- und kritiklos erschien. Dennoch wurde
es ins Blatt genommen. Olivennes hat auch eine politische
Vergangenheit als Leiter der ,Fondation Saint-Simon’, einer
Stiftung, die versuchte, Einfluss auf die französische
Sozialdemokratie zu nehmen, um sie zur Übernahme neoliberaler
Dogmen und Marktapologetik zu bewegen. Anfang 2007 war
Olivennes bei der zunächst anonym bleibenden Gruppe ,Les
Gracques’ aktiv. Diese versuchte die französischen Sozialisten
im Falle eines Wahlsieges zu einem Bündnis mit der
Mitte-Rechts-Partei ,Mouvement Démocrate’ von François Bayrou,
statt mit den übrigen Linksparteien, zu überreden und zu
drängen.
Als vierte Option liegt inzwischen auch noch ein Angebot von
dem italienischen Geschäftsmann Carlo de Beneditti, der auf
der Apenninenhalbinsel die Mitte-Links-Zeitung ‚La Republicca’
kontrolliert, auf dem Tisch. Auch ist seit kurzem noch vage
vom potenziellen Interesse eines fünften Akteurs, des
schweizerischen Medienkonzerns Ringier, an einem Einstieg bei
,Le Monde’ die Rede.
Vorläufiges Fazit
Wer auch immer von den drei, vier oder fünf in Frage kommenden
Investoren bis Ende Juni dieses Jahres bei ,Le Monde’
einsteigen wird: Er dürfte das Ende der bisherigen, begrenzten
„Selbstverwaltung“ der Zeitung durch einen Teil seiner
Journalisten besiegeln. Der Übergang zu einem „völlig normal
funktionierenden“, rein kapitalistischen Imperativen
gehorchenden Presseunternehmen ist beschlossene Sache.
Unterdessen werden auch schon Strategien bei der Redaktion der
Zeitung selbst erwogen, um aus dem finanziellen Schlamassel
herauszukommen, wie auf jeden Fall die (meisten der) in Frage
kommenden Investoren es eher kurz- denn mittelfristig von ihr
erwarten dürften. So wird die Umstellung von dem bisherigen,
traditionellen Nachmittags-Erscheinen (in Paris, und am
folgenden Morgen in der französischen „Provinz“) auf eine bei
sonstigen Printmedien übliche vormittägliche Erscheinungsweise
erwogen. Auch soll auf eine „stärkere Komplementarität
zwischen der Papier- und der Internet-Ausgabe“ der Zeitung,
also auf mehr abweichende (und zahlungspflichtige) Inhalte auf
ihrer Webseite, geachtet werden. (Vgl. dazu einen Artikel im
,Figaro-Magazine’ zur Situation bei ,Le Monde’, vom
21.o5.2010.)
Nicht erst anlässlich der Krise, sondern schon seit mehreren
Monaten ist aber auch ein Verlust an kritischer Substanz in
der Veröffentlichungspolitik von ,Le Monde’ zu beobachten.
Bislang zeichnete die Zeitung sich dadurch aus, dass sie sich
zwar nicht offen für politische Ziele engagierte – oder nur
mit wenigen Ausnahmen, so ergriff ,Le Monde’ mehrfach explizit
zugunsten einer stärkeren EU-Integration Frankreichs Partei -,
sondern ihre Parteinahmen stärker im Hintergrund hielt; dass
sie aber schaffte, für fast alle politischen Lager jeweils
wichtige Informationen in ihre Spalten zu hieven. So konnte
,Le Monde’ eine Reihe gesellschaftlicher Bewegungen, wie etwa
den französischen Mai ‚68 (dessen Teilnehmer/innen den
Widerhall ihrer Rebellion oftmals via ,Le Monde’ verfolgten),
oder auch politische Modephänomene – wie den Hype um die
„Präsidentschaftsbewerbung“ der dumm-rechts-unfähigen Ségolène
Royal im Herbst 2006 und Winter 2006/07 – begleiten. Royal als
angeblich aussichtsreiche Sozi-Kandidatin war über Monate
hinweg maßgeblich durch die Berichterstattung von ,Le Monde’
mit aufgebaut worden.
Bis vor kurzem fanden sich so höchst unterschiedliche
Positionen, von aus der radikalen Linken kommenden Redakteuren
und Redakteuerinnen (wie u.a. dem Gewerkschaftsspezialisten
Rémi Barroux) bis zum thachteristischen,
brutal-wirtschaftsliberalen Redakteur Eric Le Boucher, in dem
Blatt. Ausgeschlossen von diesem sehr breiten
Informationspluralismus war hingegen lange Zeit, tendenziell,
die extreme Rechte – diese war zwar Gegenstand intensiver
analytischer Berichterstattung, es wurde ihr aber selbst
i.d.R. kein Platz zur Selbstdarstellung eingeräumt.
(Allerdings wurde der rechtsextremen Politikerin Marine Le Pen
nun im Dezember 2009, im Zuge der durch die Regierung
ausgelösten „Debatte über die nationale Identität“, eine
Viertelseite in der Rubrik für Meinungen und Gastkommentare
gegeben.)
Nur, diese Spannbreite wurde in den letzten Monaten bereits
reduziert. Rémi Barroux beispielsweise wurde die Zuständigkeit
für Gewerkschaften und Streiks entzogen, und er wurde in die
Rubrik „Planet“ versetzt, wo er nun über Vulkanausbrüche
berichten darf – nun ja, auch ein feines Themengebiet.
Alles in allem bleibt ,Le Monde’ zwar (im Augenblick) eine
Qualitätszeitung. Wie lange dies so bleibt, vor allem falls
ein an kurzfristiger Rendite interessierter Investor künftig
die Übernahme schaffen sollte, bleibt hingegen sehr
dahingestellt.
Editorische Anmerkung
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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