Berlin, im Mai 2010
Der alte Mensch muss gefeiert werden,
dass er sein Leben
bis jetzt gemeistert hat. So ist er wertvoll: sein Wissen,
sein inneres Archiv, seine Erfahrungen, als Zeitzeuge.
Ilse Biberti / Hennig Scherf
Das Alter kommt auf meine Weise
Vorbemerkung
Die vorliegende pflegepolitische Skizze ist ein Arbeitspapier, das
der Weiterentwicklung bedarf. Es wurde anlässlich des vom Ministerium
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Regierung der BRD
einberufenen Kongresses entwickelt, der am 8. Juni 2010 in Berlin, im
Kongress-Zentrum der ehemaligen Hauptstadt der DDR zur Pflege-Charta
unter dem Motto „Pflegezeit ist Lebenszeit“ ausgerichtet wird. Der
Autor dieser pflegepolitischen Skizze ist offizieller Teilnehmer
dieses Kongresses. Er ist Pflegeassistent im Rahmen einer ambulanten
Pflege einer Überlebenden des Holocaust und gehört zu den
Erstunterzeichnern der vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend organisierten Unterstützerliste für die Durchsetzung
der „Charta für die Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ als
rechtsverbindliches Gesetz für die gesamte Gesellschaft.
1. Zum gegenwärtigen Stand der ambulanten
Pflege und Versorgung alter Menschen im Bundesland Berlin
– die hier aufgelisteten Erfahrungssätze,
Fragen, Thesen und Vorschläge zur Erhöhung des menschenrechtlichen
Niveaus der ambulanten Altenpflege in Berlin fußen auf Erfahrungen, die
im Verlauf der letzten zehn Jahre mit alten Menschen, Angehörigen von
pflegebedürftigen alten Menschen, Pflegedienstleitungen,
Pflegefachkräften, Pflegehilfskräften, Ärzten, Behörden, Krankenkassen,
Pflegestützpunkten, Basisinitiativen, gesundheitspolitischen Vertretern
politischer Parteien und gesellschaftlicher Verbände sowie ehrenamtlich
Tätigen gemacht wurden
– was noch gar nicht öffentlich reflektiert
wurde: der Widerspruch zwischen dem zunehmenden öffentlichen Reden vom
demographischen Wandel und gewachsener gesamtgesellschaftlicher
Verantwortung einerseits und dem Anstieg der Zahl der durchgängig nach
Prinzipien privatkapitalistischer Rentabilität arbeitenden
Pflegedienste, gegenwärtig 523 an der Zahl, andererseits
– das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen
im vorliegenden Pflegeassistenzfall einer ambulanten Pflege einer
Überlebenden des Holocaust in der Abfolge mehrerer Pflegedienste mag
durch folgende Auflistung von Vernachlässigungen, Misshandlungen,
Pflegemängeln und Übergriffen, die repräsentativ für einen
beträchtlichen Teil der in Berlin tätigen Pflegedienste ist, hinreichend
umrissen sein: Vernachlässigungen in der Grundpflege, Vernachlässigungen
in der hauswirtschaftlichen Pflege, Zwangsmedikation, Missachtung der
Essensgewohnheiten des zu pflegenden Menschen, Zwangsmahlzeiten,
Zuwendungsentzug, soziale Isolation, seelische Misshandlungen, fehlende
Krankheitsbeobachtung, Bestrafung wegen Pflegekritik mittels
abgeblockter Flüssigkeitszufuhr mit der Folge der Austrocknung des
Körpers und anschließender Einweisung in ein Krankenhaus, körperliche
Misshandlung, Leistungsbetrug, sexuelle Übergriffe von weiblichen
deutschen Pflegern auf den Vorsorgebevollmächtigten, Fälschung der
Pflegedokumentation, Missachtung des Eigentums des pflegebedürftigen
Menschen, Diebstähle, illegale Wohnungsbesuche von Pflegekräften
außerhalb der Pflegeeinsatzzeiten, Missachtung der religiösen Gefühle
des pflegebedürftigen Menschen, Ausgrenzung des Vorsorgebevollmächtigten
vom Pflegeprozess, Anfertigung demütigender Pflegeberichte, Durchführung
von Pflegevisiten ohne Anfertigung eines Pflegevisitenprotokolls,
kalkulierte Eingriffe in lebenswichtige Familienbeziehungen, permanente
und teilweise mit krimineller Energie durchgeführte Infragestellung der
Vorsorgebevollmächtigung, Verletzung des Hausrechts, Durchführung der
Pflege ohne individuelle Pflegeplanung, gewinnorientierte Minutenpflege,
Reduktion der Persönlichkeit des zu pflegenden Menschen auf Physiologie,
Weitergabe von Gesundheitsdaten an unbefugte Dritte, unter dem
Deckmantel der Biographiearbeit durchgeführte invasive Befragung des
pflegebedürftigen Menschen, Pathologisierung von Persönlichkeit und
Krankheit des pflegebedürftigen Menschen, Ignorierung ärztlicher
Anordnungen, Ignorierung von Anordnungen des pflegebedürftigen Menschen,
Ignorierung von Anordnungen des Vorsorgebevollmächtigten, Beihilfe zum
Versuch einer Zwangsbegutachtung, Nichteinhaltung des Pflegevertrages in
den lebenswichtigen Bereichen Pflegeeinsatzzeiten und
Pflegeeinsatzdauer, Bedarfsfeststellung ohne den pflegebedürftigen
Menschen und Vorsorgebevollmächtigten, Missbrauch des Gastrechts von
Pflegekräften in der Wohnung des pflegebedürftigen Menschen,
Pflegekräfte unter Drogenmissbrauch bei der Arbeit, Verweigerung von
menschlicher Hilfeleistung bei der Nahrungsaufnahme mit dem Ergebnis
eines Untergewichts von 47,5 Kilogramm infolge eines Gewichtsverlusts
von 6,5 Kilogramm, hausarztwidrige Zuteilung von 700 statt verordneter
1500 Milliliter Flüssigkeit pro Tag für den pflegebedürftigen Menschen
– was vorliegende Pflege und geschilderte
Erfahrungen anderer Betroffener ergeben hat: der heutige Stand der
ambulanten Altenpflege ist über weite Strecken erniedrigend,
bevormundend, diskriminierend oder repressiv für den hilfebedürftigen
alten Menschen, nicht zuletzt für den dementiell erkrankten Menschen,
was nicht wenige engagierte Pflegekräfte zum Ausstieg aus der Pflege aus
Gewissensnot bewogen hat und was in völligem Gegensatz zu dem durch
Artikel 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
garantierten Recht älterer Menschen steht: „Die Union anerkennt und
achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges
Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.“
– was äußerst auffällig ist: der militärisch
grundierte Verhaltensstil in Leitungsstrukturen vieler Pflegedienste,
die durchgängige offiziersmäßige Vermachtung des Betriebsklimas, was
sich zwangsläufig auf den tagtäglichen Umgang mit pflegebedürftigen
Menschen überträgt, wodurch ursprüngliche Solidarität der Pflegekräfte
mit den Pflegebedürftigen am Ende in Subalternität gegenüber
Geschäftsführung und Pflegedienstleitung umschlägt, umschlagen muss
– ein Gebot der Stunde: Überwindung des
Objektstandpunktes gegenüber alten und pflegebedürftigen Menschen, Käte
Tresenreuther, Gründerin des ersten Altenselbsthilfe-Zentrums in Berlin
und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes: „Ältere brauchen wirklich keine
Bevormundung, sondern Selbstbestimmung und eine Aufgabe.“
– Umkehr notwendig: den Prozess des
Älterwerdens nicht reduzieren auf einen Verfallsprozess, wovon die
durchweg defizitär angelegten Pflegeberichte über alte und
pflegebedürftige Menschen in den Pflegedokumentationen ein tagtägliches
Zeugnis ablegen, sondern Konzentration auf die schöpferischen und
eudämonistischen Momente des Alterungsprozesses
– die Rolle des alternden Menschen in der
Gesellschaft muss neu bestimmt werden, die Möglichkeiten seiner aktiven
Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozess müssen erkannt und
gefördert werden
– die Unmöglichkeit der Entlassung der
Repräsentanten des Gemeinwesens der Stadt Berlin aus ihrer Verantwortung
für eine Humanisierung der ambulanten Altenpflege, die Art und Weise,
wie das Gemeinwesen von Berlin zu seinen alten und hilfebedürftigen
Menschen steht, bestimmt in hohem Maße auch das kulturelle Gesamtniveau
dieser Stadt auf allen anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens
– um dem humanistischen Menschenbild im
Bereich der ambulanten Altenpflege zum Durchbruch zu verhelfen, um das
Niveau im Umgang mit alten Menschen auf ein Niveau zu heben, das
Mindeststandards der Menschenrechte garantiert, ist vermutlich eine
Umwälzung des gesamten kulturell-geistigen Überbaus der Gesellschaft
notwendig, eine Neuerfindung der Demokratie in allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens, ein evolutionärer wie revolutionärer Prozess,
was der britische Politikwissenschaftler und ständige Gastkommentator
des Berliner „Tagesspiegels“ Roger Boyes jüngst auf das einfache
politische Motto gebracht hat: „Deutschland braucht eine
Kulturrevolution.“
– ein kulturelles Erbe, das fast
ausgestorben zu sein scheint: das Lernen von alten Menschen.
Schlaglichtartig erhellt folgende Episode den erschreckend niedrigen
kulturellen Stand der Altenpflege in Berlin. Die im vorliegenden
Pflegeprozess zu pflegende Person rezitiert eines Tages die Anfangszeile
eines Gedichtes, um mit der Pflegerin ins Gespräch zu kommen. Das
Gedicht ist von ihr, ein poetisches Werk von atemberaubender Schönheit,
das eine dramatische Szene aus ihrem Verfolgungsschicksal beeindruckend
verarbeitet. Reaktion der Pflegerin, die keine Hilfskraft ist, sondern
eine examinierte Krankenschwester: Die pflegebedürftige Person spricht
wieder einmal „wirres Zeug“, es wird ein Gespräch über das Rezitierte,
ein tiefes Bedürfnis des zu pflegenden Menschen, brutal abgeblockt und
die Gedichtzeile als neues Beweisstück für die „Verwirrtheit der
Patientin“ in die Pflegedokumentation eingetragen. Nichts
charakterisiert das erschreckend niedrige fachlich-kulturelle Niveau von
Pflegekräften besser als diese ebenso erschütternde wie groteske Episode
aus dem Pflegealltag in Berlin.
2. Unter dem Schutzdach der „Charta der
Rechte pflege- und hilfebedürftiger Menschen“
– die herausragende Bedeutung der „Charta
der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, erarbeitet im Jahre
2005 vom Deutschen Zentrum für Altersfragen im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Entwurf
für eine Gesetzesvorlage für ein noch eingeleitendes
Gesetzgebungsverfahren in der höchsten Volksvertretung in der
Bundesrepublik. Dieses juristische Schutzdach für wehrlose,
pflegebedürftige Menschen ist um so notwendiger, als die Zahl der alten,
pflegebedürftigen Menschen von Jahr zu Jahr stetig steigt, gerade in
Berlin. Verfassungsmäßig zustehender Schutz von Integrität und
Menschenwürde für diese Gruppe von Menschen gerät immer mehr in Gefahr,
ausgehöhlt zu werden. Eine pflegepolitische Aufgabe ersten Ranges also:
die Wiederherstellung des über weite Strecken beschädigten Personstatus
des pflegebedürftigen alten Menschen, insbesondere des dementen alten
Menschen, worauf in jüngster Zeit insbesondere die Studienleiterin an
der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg Verena Wetzstein
aufmerksam gemacht hat: „So werden in manchen Entwürfen demente Menschen
nur noch als Personen im sozialen Sinn betrachtet. Ihnen ist zwar noch
mit Respekt vor der Person, die sie einmal waren, zu begegnen, aber die
Anerkennung als Personen im Vollsinn ist ihnen entzogen. Ihr moralischer
Status kann dann im Verlauf der Demenz immer weiter eingeschränkt
werden, bis es nur noch eine Frage der Vereinbarung ist, inwieweit
dementen Menschen mit Respekt zu begegnen ist und worauf sich diese
erstreckt. Konzeptionen, die den Personstatus eines Menschen an den
aktuellen Besitz von Bewusstseinsleistungen binden, müssen in logischer
Folge dementen Menschen das Personsein absprechen oder es zumindest
graduell einschränken. Damit werden demente Menschen von der vollen
Mitgliedschaft menschlicher Gemeinschaft ausgeschlossen. Als Konsequenz
daraus ergibt sich im praktischen Bereich die Gefahr eines
therapeutischen und – was wesentlich schwerer wiegt – pflegerischen
Nihilismus wie auch expliziter Forderungen nach der Anwendung von
Sterbehilfemaßnahmen bei schwer dementen Menschen.“
– ein alarmierender Ist-Zustand in der Welt
der Pflege ist dieser: nur ein verschwindend kleiner Kreis der in Berlin
arbeitenden ambulanten Pflegedienste hat sich bisher in die
Unterstützerliste des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend für die Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens bezüglich
der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, die über
die elektronischen Medien für jedermann zugänglich ist,
rechtsverbindlich und öffentlich sichtbar eingetragen
– eine Vielzahl von Pflegefach- und
Pflegehilfskräften hat von der „Charta der Rechte hilfe- und
pflegebedürftiger Menschen“, diesem grundlegenden Dokument der
Verteidigung der Menschenrechte im Rahmen der pflegerischen Tätigkeit,
überhaupt noch nie etwas gehört
– Notwendigkeit einer breiten und
systematisch angelegten Diskussion der Angestellten von ambulanten
Pflegediensten über die als rechtsfähiger Entwurf vorliegende „Charta
der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“
Vorschlag:
die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, dieses
halbamtliche Dokument des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, wird
rechtsverbindlicher Bestandteil eines jeden zwischen einem hilfe- und
pflegebedürftigen Menschen und einer Pflegeeinrichtung abgeschlossenen
Pflegevertrages
3. Eine Grundfrage: die Frage nach der
Kontrolle der Tätigkeit von ambulanten Pflegediensten
– der Ist-Zustand: der Pflegeprozess im
ambulanten Bereich verläuft weitestgehend – verglichen mit anderen
Pflegeprozessen, z. B. mit denen in Krankenhäusern – anonym und im
Verborgenen, in der Regel im Rahmen einer nach außen abgeschotteten
Zweier-Beziehung zwischen pflegebedürftiger Person und Pflegekraft
– in diesem Zusammenhang erhebt sich eine
unabweisbare Frage: die Frage nach dem Warum der geringen Einfluss- und
Kontrolltätigkeit der zuständigen Hausärzte bezüglich des tagtäglich zu
organisierenden Pflegeprozesses, die über die Ausstellung von
Hauspflegeverordnungen, Rezeptverordnungen und Verordnungen anderer
Therapiemaßnahmen kaum hinauskommt
– eine weitere unabweisbare Frage: die
fehlende Kontrolle ambulanter Pflegevorgänge durch die verantwortlichen
Abteilungen der Bezirksämter der Stadt Berlin, und dies trotz der
Tatsache, dass die Bezirksämter neben den Pflegekassen immer stärker als
Leistungsträger von Pflegen in Erscheinung treten
Vorschlag:
Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle für das Land Berlin
zwecks Kontrolle über die Einhaltung der Bürger- und Menschenrechte im
Rahmen der ambulanten Pflege und Versorgung für Tausende von hilfe-
und pflegebedürftigen Menschen, Träger: Senat von Berlin
– eines der wichtigsten Instrumente
natürlicher sozialer Kontrolle wäre der Möglichkeit nach der Kiez, die
Nachbarschaft, das Wohngebiet, in welchem tagtägliche und von etlichen
Pflegediensten getragene ambulante Pflege und Versorgung
hilfebedürftiger alter Menschen stattfindet, woraus folgen könnte:
zielstrebige Entwicklung der Ressourcen dieser natürlich gewachsenen
Gemeinschaften auch und gerade zum Zweck der Humanisierung der
ambulanten Altenpflege
Vorschlag:
Etablierung von Angehörigen-Ratschlägen in den Wohngebieten mit dem
Ziel der Durchführung regelmäßiger Beratungen von Angehörigen von
pflegebedürftigen Menschen und ehrenamtlich Tätigen, zu denen
Vertreter der dort tätigen Pflegedienste und die verantwortlichen
Hausärzte eingeladen werden, um die nicht abfälschbaren Interessen und
Lebensansprüche der pflegebedürftigen Menschen angemessen und wirksam
durchsetzen zu helfen
4. Kooperation der Stadt Berlin mit
anderen europäischen Hauptstädten auf dem Gebiet der ambulanten
Altenpflege
– zur Hebung des fachlichen Niveaus von
Pflegeangeboten und Diskussionsansätzen zur ambulanten Altenpflege
sollten die beruflichen Fachverbände und pflegepolitischen
Entscheidungsträger von Land und Kommunen in einen gemeinsamen,
gegenseitig befruchtenden Lernprozess mit den entsprechenden
Verantwortlichen anderer europäischer Hauptstädte treten, vor allem mit
Repräsentanten in der Schweiz, in den Niederlanden, in Polen, in England
und in den skandinavischen Ländern
– es ist schon seltsam und bezeichnend:
findet in Berlin ein Fußball-Länderspiel zwischen England und
Deutschland statt, erscheinen in Berlin plötzlich britische Polizisten,
um gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen Ausschreitungen zwischen
englischen und deutschen Schlachtenbummlern zu verhindern. Warum sollen
nicht englische Altenpflegerinnen und Altenpfleger nach Berlin kommen,
um ihr pflegerisches Können unter Beweis zu stellen – in gemeinsamer
Arbeit mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen?
Vorschlag:
Abschluss von praktikablen Kooperationsverträgen zur Verbesserung der
Arbeit in der ambulanten Altenpflege zwischen Berlin und anderen
europäischen Hauptstädten, die den Austausch von Pflegekräften zur
Anregung eines gemeinsamen Lernprozesses vor Ort, den lebendigen
Erfahrungsaustausch der Pflegedienstleitungen, die gemeinsame
Erarbeitung von Pflegestandards großstadttypischen Zuschnitts und
andere hilfreiche Maßnahmen beinhalten würden
5. Dialog mit den Familien von
Eingewanderten
– Sichtung von Möglichkeiten der Entwicklung
eines offenen und wechselseitig befruchtenden Dialogs von
Pflegeeinrichtungen mit Familien der in Berlin lebenden Eingewanderten
aus europäischen und außereuropäischen Ländern zum Thema ‚Umgang mit
alten Menschen und Altenpflege: kulturelle Differenz und
Gleichartigkeiten’
Vorschlag:
Vereinbarung von gegenseitigen
Patenschaften als Möglichkeit zur Entwicklung von gegenseitigem
Verständnis und von Angeboten gegenseitiger Hilfe und Unterstützung im
Bereich der Betreuung alter Menschen
6. Erarbeitung eines Perspektivplans
‚Humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde im Land
Berlin für den Zeitraum 2010 bis 2020’
– die pflegepolitischen Verantwortungsträger
des Senats von Berlin organisieren einen Prozess des vertieften
Nachdenkens über ambulante Pflege und der wissenschaftlichen Analyse
ihrer ökonomischen, sozialen, sozialpsychologischen und kulturellen
Voraussetzungen im Rahmen einer unabhängigen Arbeitsgruppe
– diese unabhängige Arbeitsgruppe legt dem
Senat und der demokratischen Öffentlichkeit Berlins einen Perspektivplan
‚Humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde im Land
Berlin für den Zeitraum 2010 bis 2020’ zur Diskussion und anschließenden
Beschlussfassung vor
– den Bezugsrahmen zur Erarbeitung eines
Perspektivplans für die Jahre 2010 bis 2020 zum Thema ‚Humane und
aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde’ gibt der
Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland vor, in erster Linie kraft
Rechtsvorschrift, wie sie mit § 11 Abschnitt 1
Pflege-Versicherungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland als
allgemeinverbindlich festgelegt wurde: „Die Pflegeeinrichtungen pflegen,
versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen, die ihre Leistungen in
Anspruch nehmen, entsprechend dem allgemein anerkannten Stand
medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse. Inhalt und Organisation der
Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der
Menschenwürde zu gewährleisten.“ Hinzukommt die Rechtsvorschrift, wie
sie mit Artikel 23 der Revidierten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai
1996 zum sozialen Schutz älterer Menschen festgelegt wurde, sowie der
bereits erwähnte Artikel 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union. Expliziten rechtlichen Schutz vor Willkür und
Alleinvertretungsansprüchen jeglicher Art gegenüber hilfebedürftigen
Menschen gewährleistet außerdem Artikel 22 der UN-Konvention über die
Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen, denn dort heißt es
rechtsverbindlich: „Menschen mit Behinderungen dürfen unabhängig von
ihrem Wohnort oder der Wohnform, in der sie leben, keinen willkürlichen
oder rechtswidrigen Eingriffen in ihr Privatleben, ihre Familie, ihre
Wohnung oder ihren Schriftverkehr oder andere Arten der Kommunikation
oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen ihrer Ehre oder ihres Rufes
ausgesetzt werden. Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf
rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“
Schließlich sei unbedingt noch § 1 des Gesundheitsdienstreformgesetzes
des Landes Berlin in diesem Zusammenhang genannt, weil diese
Rechtsvorschrift indirekt darauf hinweist, pflegerische
Aufgabenstellungen grundsätzlich sowohl an die gesundheitspolitischen
Vorgaben der Vereinten Nationen als auch an das bürgerschaftliche
Engagement der Bürger dieser Stadt zu binden. Es heißt dort: „Der
öffentliche Gesundheitsdienst des Landes Berlin orientiert sein Handeln
an einem Leitbild. Es stellt sich den großstadttypischen
gesundheitlichen und sozialen Problemlagen und reagiert flexibel auf
sich verändernde Rahmenbedingungen. Im Rahmen der Daseinsvorsorge achtet
er dabei besonders auf die Stärkung der Eigenverantwortung sowie des
bürgerschaftlichen Engagements und berücksichtigt
geschlechtsspezifische, behindertenspezifische und ethnisch-kulturelle
Aspekte. Der öffentliche Gesundheitsdienst orientiert seine Arbeit am
Programm des Gesunde-Städte-Netzwerkes und an den Grundsätzen von Public
Health.“ Die konkrete Ausgestaltung dieses Rahmens gesellschaftlicher
Normen und allgemeiner Rechtsgrundsätze, d. h. die detaillierte
rechtliche Unterschutzstellung der unverzichtbaren Lebensansprüche von
pflegebedürftigen Menschen in der Vielfalt ihrer familiären,
medizinischen, pflegerischen, psychosozialen, kulturellen, ethnischen,
religiösen und anthropologischen Bedürfnisse und Interessen, erfolgt
über die „Charta der Rechte pflege- und hilfebedürftiger Menschen“ mit
ihren acht fundamentalen Artikeln und Detailausführungen zur konkreten
und umfassenden Durchsetzung der Bürger- und Menschenrechte im Bereich
der Pflege und Versorgung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen
– den menschenrechtlichen Maßstab für die
Erarbeitung eines Perspektivplans ‚Humane und aktivierende Pflege unter
Achtung der Menschenwürde im Land Berlin für den Zeitraum 2010 bis 2020’
bildet folglich die „Charta der Rechte pflege- und hilfebedürftiger
Menschen“, gleichgültig, ob sie noch als Entwurf oder bereits als
gültiges Gesetz vorliegt
– die empirische Grundlage für die
Erarbeitung dieses Perspektivplans bildet eine gezielte Befragung von
pflegebedürftigen Menschen, von Angehörigen und von Kräften, die die
Pflege und Versorgung der pflegebedürftigen Menschen aktiv durchführen,
d. h. von Pflegehilfskräften, von Pflegefachkräften und von in den
Pflegedienstleitungen tätigen Leitungskräften
Vorschlag:
Etablierung einer gesellschaftlich tragfähigen Interessenvertretung
hilfe- und pflegebedürftiger Menschen u. a. durch die Schaffung von
Beiräten bei Pflegekassen und kommunalen Institutionen, bestehend aus
pflegebedürftigen Menschen, Angehörigen von pflegebedürftigen
Menschen, engagierten Pflegeassistenten und Pflegeberatern, Vertretern
von Wohngebieten, engagierten Ärzten und Mitarbeitern des
Gesundheitswesens, Vertretern von Basisinitiativen und ehrenamtlich
Tätigen
Editorische Anmerkung
Wir
erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.
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