Perspektivüberlegungen zur Humanisierung der ambulanten Altenpflege im Bundesland Berlin
Eine pflegepolitische Skizze

von Antonín Dick

6/10

trend
onlinezeitung

Berlin, im Mai 2010

Der alte Mensch muss gefeiert werden, dass er sein Leben
bis jetzt gemeistert hat. So ist er wertvoll: sein Wissen,
sein inneres Archiv, seine Erfahrungen, als Zeitzeuge.

Ilse Biberti / Hennig Scherf
Das Alter kommt auf meine Weise

 

Vorbemerkung
Die vorliegende pflegepolitische Skizze ist ein Arbeitspapier, das der Weiterentwicklung bedarf. Es wurde anlässlich des vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Regierung der BRD einberufenen Kongresses entwickelt, der am 8. Juni 2010 in Berlin, im Kongress-Zentrum der ehemaligen Hauptstadt der DDR zur Pflege-Charta unter dem Motto „Pflegezeit ist Lebenszeit“ ausgerichtet wird. Der Autor dieser pflegepolitischen Skizze ist offizieller Teilnehmer dieses Kongresses. Er ist Pflegeassistent im Rahmen einer ambulanten Pflege einer Überlebenden des Holocaust und gehört zu den Erstunterzeichnern der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend organisierten Unterstützerliste für die Durchsetzung der „Charta für die Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“ als rechtsverbindliches Gesetz für die gesamte Gesellschaft.

1. Zum gegenwärtigen Stand der ambulanten Pflege und Versorgung alter Menschen im Bundesland Berlin

– die hier aufgelisteten Erfahrungssätze, Fragen, Thesen und Vorschläge zur Erhöhung des menschenrechtlichen Niveaus der ambulanten Altenpflege in Berlin fußen auf Erfahrungen, die im Verlauf der letzten zehn Jahre mit alten Menschen, Angehörigen von pflegebedürftigen alten Menschen, Pflegedienstleitungen, Pflegefachkräften, Pflegehilfskräften, Ärzten, Behörden, Krankenkassen, Pflegestützpunkten, Basisinitiativen, gesundheitspolitischen Vertretern politischer Parteien und gesellschaftlicher Verbände sowie ehrenamtlich Tätigen gemacht wurden

– was noch gar nicht öffentlich reflektiert wurde: der Widerspruch zwischen dem zunehmenden öffentlichen Reden vom demographischen Wandel und gewachsener gesamtgesellschaftlicher Verantwortung einerseits und dem Anstieg der Zahl der durchgängig nach Prinzipien privatkapitalistischer Rentabilität arbeitenden Pflegedienste, gegenwärtig 523 an der Zahl, andererseits

– das Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen im vorliegenden Pflegeassistenzfall einer ambulanten Pflege einer Überlebenden des Holocaust in der Abfolge mehrerer Pflegedienste mag durch folgende Auflistung von Vernachlässigungen, Misshandlungen, Pflegemängeln und Übergriffen, die repräsentativ für einen beträchtlichen Teil der in Berlin tätigen Pflegedienste ist, hinreichend umrissen sein: Vernachlässigungen in der Grundpflege, Vernachlässigungen in der hauswirtschaftlichen Pflege, Zwangsmedikation, Missachtung der Essensgewohnheiten des zu pflegenden Menschen, Zwangsmahlzeiten, Zuwendungsentzug, soziale Isolation, seelische Misshandlungen, fehlende Krankheitsbeobachtung, Bestrafung wegen Pflegekritik mittels abgeblockter Flüssigkeitszufuhr mit der Folge der Austrocknung des Körpers und anschließender Einweisung in ein Krankenhaus, körperliche Misshandlung, Leistungsbetrug, sexuelle Übergriffe von weiblichen deutschen Pflegern auf den Vorsorgebevollmächtigten, Fälschung der Pflegedokumentation, Missachtung des Eigentums des pflegebedürftigen Menschen, Diebstähle, illegale Wohnungsbesuche von Pflegekräften außerhalb der Pflegeeinsatzzeiten, Missachtung der religiösen Gefühle des pflegebedürftigen Menschen, Ausgrenzung des Vorsorgebevollmächtigten vom Pflegeprozess, Anfertigung demütigender Pflegeberichte, Durchführung von Pflegevisiten ohne Anfertigung eines Pflegevisitenprotokolls, kalkulierte Eingriffe in lebenswichtige Familienbeziehungen, permanente und teilweise mit krimineller Energie durchgeführte Infragestellung der Vorsorgebevollmächtigung, Verletzung des Hausrechts, Durchführung der Pflege ohne individuelle Pflegeplanung, gewinnorientierte Minutenpflege, Reduktion der Persönlichkeit des zu pflegenden Menschen auf Physiologie, Weitergabe von Gesundheitsdaten an unbefugte Dritte, unter dem Deckmantel der Biographiearbeit durchgeführte invasive Befragung des pflegebedürftigen Menschen, Pathologisierung von Persönlichkeit und Krankheit des pflegebedürftigen Menschen, Ignorierung ärztlicher Anordnungen, Ignorierung von Anordnungen des pflegebedürftigen Menschen, Ignorierung von Anordnungen des Vorsorgebevollmächtigten, Beihilfe zum Versuch einer Zwangsbegutachtung, Nichteinhaltung des Pflegevertrages in den lebenswichtigen Bereichen Pflegeeinsatzzeiten und Pflegeeinsatzdauer, Bedarfsfeststellung ohne den pflegebedürftigen Menschen und Vorsorgebevollmächtigten, Missbrauch des Gastrechts von Pflegekräften in der Wohnung des pflegebedürftigen Menschen, Pflegekräfte unter Drogenmissbrauch bei der Arbeit, Verweigerung von menschlicher Hilfeleistung bei der Nahrungsaufnahme mit dem Ergebnis eines Untergewichts von 47,5 Kilogramm infolge eines Gewichtsverlusts von 6,5 Kilogramm, hausarztwidrige Zuteilung von 700 statt verordneter 1500 Milliliter Flüssigkeit pro Tag für den pflegebedürftigen Menschen

– was vorliegende Pflege und geschilderte Erfahrungen anderer Betroffener ergeben hat: der heutige Stand der ambulanten Altenpflege ist über weite Strecken erniedrigend, bevormundend, diskriminierend oder repressiv für den hilfebedürftigen alten Menschen, nicht zuletzt für den dementiell erkrankten Menschen, was nicht wenige engagierte Pflegekräfte zum Ausstieg aus der Pflege aus Gewissensnot bewogen hat und was in völligem Gegensatz zu dem durch Artikel 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Recht älterer Menschen steht: „Die Union anerkennt und achtet das Recht älterer Menschen auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben.“

– was äußerst auffällig ist: der militärisch grundierte Verhaltensstil in Leitungsstrukturen vieler Pflegedienste, die durchgängige offiziersmäßige Vermachtung des Betriebsklimas, was sich zwangsläufig auf den tagtäglichen Umgang mit pflegebedürftigen Menschen überträgt, wodurch ursprüngliche Solidarität der Pflegekräfte mit den Pflegebedürftigen am Ende in Subalternität gegenüber Geschäftsführung und Pflegedienstleitung umschlägt, umschlagen muss

– ein Gebot der Stunde: Überwindung des Objektstandpunktes gegenüber alten und pflegebedürftigen Menschen, Käte Tresenreuther, Gründerin des ersten Altenselbsthilfe-Zentrums in Berlin und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes: „Ältere brauchen wirklich keine Bevormundung, sondern Selbstbestimmung und eine Aufgabe.“

– Umkehr notwendig: den Prozess des Älterwerdens nicht reduzieren auf einen Verfallsprozess, wovon die durchweg defizitär angelegten Pflegeberichte über alte und pflegebedürftige Menschen in den Pflegedokumentationen ein tagtägliches Zeugnis ablegen, sondern Konzentration auf die schöpferischen und eudämonistischen Momente des Alterungsprozesses

– die Rolle des alternden Menschen in der Gesellschaft muss neu bestimmt werden, die Möglichkeiten seiner aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Lebensprozess müssen erkannt und gefördert werden

– die Unmöglichkeit der Entlassung der Repräsentanten des Gemeinwesens der Stadt Berlin aus ihrer Verantwortung für eine Humanisierung der ambulanten Altenpflege, die Art und Weise, wie das Gemeinwesen von Berlin zu seinen alten und hilfebedürftigen Menschen steht, bestimmt in hohem Maße auch das kulturelle Gesamtniveau dieser Stadt auf allen anderen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens

– um dem humanistischen Menschenbild im Bereich der ambulanten Altenpflege zum Durchbruch zu verhelfen, um das Niveau im Umgang mit alten Menschen auf ein Niveau zu heben, das Mindeststandards der Menschenrechte garantiert, ist vermutlich eine Umwälzung des gesamten kulturell-geistigen Überbaus der Gesellschaft notwendig, eine Neuerfindung der Demokratie in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, ein evolutionärer wie revolutionärer Prozess, was der britische Politikwissenschaftler und ständige Gastkommentator des Berliner „Tagesspiegels“ Roger Boyes jüngst auf das einfache politische Motto gebracht hat: „Deutschland braucht eine Kulturrevolution.“

– ein kulturelles Erbe, das fast ausgestorben zu sein scheint: das Lernen von alten Menschen. Schlaglichtartig erhellt folgende Episode den erschreckend niedrigen kulturellen Stand der Altenpflege in Berlin. Die im vorliegenden Pflegeprozess zu pflegende Person rezitiert eines Tages die Anfangszeile eines Gedichtes, um mit der Pflegerin ins Gespräch zu kommen. Das Gedicht ist von ihr, ein poetisches Werk von atemberaubender Schönheit, das eine dramatische Szene aus ihrem Verfolgungsschicksal beeindruckend verarbeitet. Reaktion der Pflegerin, die keine Hilfskraft ist, sondern eine examinierte Krankenschwester: Die pflegebedürftige Person spricht wieder einmal „wirres Zeug“, es wird ein Gespräch über das Rezitierte, ein tiefes Bedürfnis des zu pflegenden Menschen, brutal abgeblockt und die Gedichtzeile als neues Beweisstück für die „Verwirrtheit der Patientin“ in die Pflegedokumentation eingetragen. Nichts charakterisiert das erschreckend niedrige fachlich-kulturelle Niveau von Pflegekräften besser als diese ebenso erschütternde wie groteske Episode aus dem Pflegealltag in Berlin.

2. Unter dem Schutzdach der „Charta der Rechte pflege- und hilfebedürftiger Menschen“

– die herausragende Bedeutung der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, erarbeitet im Jahre 2005 vom Deutschen Zentrum für Altersfragen im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend als Entwurf für eine Gesetzesvorlage für ein noch eingeleitendes Gesetzgebungsverfahren in der höchsten Volksvertretung in der Bundesrepublik. Dieses juristische Schutzdach für wehrlose, pflegebedürftige Menschen ist um so notwendiger, als die Zahl der alten, pflegebedürftigen Menschen von Jahr zu Jahr stetig steigt, gerade in Berlin. Verfassungsmäßig zustehender Schutz von Integrität und Menschenwürde für diese Gruppe von Menschen gerät immer mehr in Gefahr, ausgehöhlt zu werden. Eine pflegepolitische Aufgabe ersten Ranges also: die Wiederherstellung des über weite Strecken beschädigten Personstatus des pflegebedürftigen alten Menschen, insbesondere des dementen alten Menschen, worauf in jüngster Zeit insbesondere die Studienleiterin an der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg Verena Wetzstein aufmerksam gemacht hat: „So werden in manchen Entwürfen demente Menschen nur noch als Personen im sozialen Sinn betrachtet. Ihnen ist zwar noch mit Respekt vor der Person, die sie einmal waren, zu begegnen, aber die Anerkennung als Personen im Vollsinn ist ihnen entzogen. Ihr moralischer Status kann dann im Verlauf der Demenz immer weiter eingeschränkt werden, bis es nur noch eine Frage der Vereinbarung ist, inwieweit dementen Menschen mit Respekt zu begegnen ist und worauf sich diese erstreckt. Konzeptionen, die den Personstatus eines Menschen an den aktuellen Besitz von Bewusstseinsleistungen binden, müssen in logischer Folge dementen Menschen das Personsein absprechen oder es zumindest graduell einschränken. Damit werden demente Menschen von der vollen Mitgliedschaft menschlicher Gemeinschaft ausgeschlossen. Als Konsequenz daraus ergibt sich im praktischen Bereich die Gefahr eines therapeutischen und – was wesentlich schwerer wiegt – pflegerischen Nihilismus wie auch expliziter Forderungen nach der Anwendung von Sterbehilfemaßnahmen bei schwer dementen Menschen.“

– ein alarmierender Ist-Zustand in der Welt der Pflege ist dieser: nur ein verschwindend kleiner Kreis der in Berlin arbeitenden ambulanten Pflegedienste hat sich bisher in die Unterstützerliste des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens bezüglich der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, die über die elektronischen Medien für jedermann zugänglich ist, rechtsverbindlich und öffentlich sichtbar eingetragen

– eine Vielzahl von Pflegefach- und Pflegehilfskräften hat von der „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, diesem grundlegenden Dokument der Verteidigung der Menschenrechte im Rahmen der pflegerischen Tätigkeit, überhaupt noch nie etwas gehört

– Notwendigkeit einer breiten und systematisch angelegten Diskussion der Angestellten von ambulanten Pflegediensten über die als rechtsfähiger Entwurf vorliegende „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“

Vorschlag:
die „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, dieses halbamtliche Dokument des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, wird rechtsverbindlicher Bestandteil eines jeden zwischen einem hilfe- und pflegebedürftigen Menschen und einer Pflegeeinrichtung abgeschlossenen Pflegevertrages

3. Eine Grundfrage: die Frage nach der Kontrolle der Tätigkeit von ambulanten Pflegediensten

– der Ist-Zustand: der Pflegeprozess im ambulanten Bereich verläuft weitestgehend – verglichen mit anderen Pflegeprozessen, z. B. mit denen in Krankenhäusern ­– anonym und im Verborgenen, in der Regel im Rahmen einer nach außen abgeschotteten Zweier-Beziehung zwischen pflegebedürftiger Person und Pflegekraft

– in diesem Zusammenhang erhebt sich eine unabweisbare Frage: die Frage nach dem Warum der geringen Einfluss- und Kontrolltätigkeit der zuständigen Hausärzte bezüglich des tagtäglich zu organisierenden Pflegeprozesses, die über die Ausstellung von Hauspflegeverordnungen, Rezeptverordnungen und Verordnungen anderer Therapiemaßnahmen kaum hinauskommt

– eine weitere unabweisbare Frage: die fehlende Kontrolle ambulanter Pflegevorgänge durch die verantwortlichen Abteilungen der Bezirksämter der Stadt Berlin, und dies trotz der Tatsache, dass die Bezirksämter neben den Pflegekassen immer stärker als Leistungsträger von Pflegen in Erscheinung treten

Vorschlag:
Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle für das Land Berlin zwecks Kontrolle über die Einhaltung der Bürger- und Menschenrechte im Rahmen der ambulanten Pflege und Versorgung für Tausende von hilfe- und pflegebedürftigen Menschen, Träger: Senat von Berlin

– eines der wichtigsten Instrumente natürlicher sozialer Kontrolle wäre der Möglichkeit nach der Kiez, die Nachbarschaft, das Wohngebiet, in welchem tagtägliche und von etlichen Pflegediensten getragene ambulante Pflege und Versorgung hilfebedürftiger alter Menschen stattfindet, woraus folgen könnte: zielstrebige Entwicklung der Ressourcen dieser natürlich gewachsenen Gemeinschaften auch und gerade zum Zweck der Humanisierung der ambulanten Altenpflege

Vorschlag:
Etablierung von Angehörigen-Ratschlägen in den Wohngebieten mit dem Ziel der Durchführung regelmäßiger Beratungen von Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen und ehrenamtlich Tätigen, zu denen Vertreter der dort tätigen Pflegedienste und die verantwortlichen Hausärzte eingeladen werden, um die nicht abfälschbaren Interessen und Lebensansprüche der pflegebedürftigen Menschen angemessen und wirksam durchsetzen zu helfen

4. Kooperation der Stadt Berlin mit anderen europäischen Hauptstädten auf dem Gebiet der ambulanten Altenpflege

– zur Hebung des fachlichen Niveaus von Pflegeangeboten und Diskussionsansätzen zur ambulanten Altenpflege sollten die beruflichen Fachverbände und pflegepolitischen Entscheidungsträger von Land und Kommunen in einen gemeinsamen, gegenseitig befruchtenden Lernprozess mit den entsprechenden Verantwortlichen anderer europäischer Hauptstädte treten, vor allem mit Repräsentanten in der Schweiz, in den Niederlanden, in Polen, in England und in den skandinavischen Ländern

– es ist schon seltsam und bezeichnend: findet in Berlin ein Fußball-Länderspiel zwischen England und Deutschland statt, erscheinen in Berlin plötzlich britische Polizisten, um gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen Ausschreitungen zwischen englischen und deutschen Schlachtenbummlern zu verhindern. Warum sollen nicht englische Altenpflegerinnen und Altenpfleger nach Berlin kommen, um ihr pflegerisches Können unter Beweis zu stellen – in gemeinsamer Arbeit mit ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen?

Vorschlag:
Abschluss von praktikablen Kooperationsverträgen zur Verbesserung der Arbeit in der ambulanten Altenpflege zwischen Berlin und anderen europäischen Hauptstädten, die den Austausch von Pflegekräften zur Anregung eines gemeinsamen Lernprozesses vor Ort, den lebendigen Erfahrungsaustausch der Pflegedienstleitungen, die gemeinsame Erarbeitung von Pflegestandards großstadttypischen Zuschnitts und andere hilfreiche Maßnahmen beinhalten würden

5. Dialog mit den Familien von Eingewanderten

– Sichtung von Möglichkeiten der Entwicklung eines offenen und wechselseitig befruchtenden Dialogs von Pflegeeinrichtungen mit Familien der in Berlin lebenden Eingewanderten aus europäischen und außereuropäischen Ländern zum Thema ‚Umgang mit alten Menschen und Altenpflege: kulturelle Differenz und Gleichartigkeiten’

Vorschlag:

Vereinbarung von gegenseitigen Patenschaften als Möglichkeit zur Entwicklung von gegenseitigem Verständnis und von Angeboten gegenseitiger Hilfe und Unterstützung im Bereich der Betreuung alter Menschen

6. Erarbeitung eines Perspektivplans ‚Humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde im Land Berlin für den Zeitraum 2010 bis 2020’

– die pflegepolitischen Verantwortungsträger des Senats von Berlin organisieren einen Prozess des vertieften Nachdenkens über ambulante Pflege und der wissenschaftlichen Analyse ihrer ökonomischen, sozialen, sozialpsychologischen und kulturellen Voraussetzungen im Rahmen einer unabhängigen Arbeitsgruppe

– diese unabhängige Arbeitsgruppe legt dem Senat und der demokratischen Öffentlichkeit Berlins einen Perspektivplan ‚Humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde im Land Berlin für den Zeitraum 2010 bis 2020’ zur Diskussion und anschließenden Beschlussfassung vor

– den Bezugsrahmen zur Erarbeitung eines Perspektivplans für die Jahre 2010 bis 2020 zum Thema ‚Humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde’ gibt der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland vor, in erster Linie kraft Rechtsvorschrift, wie sie mit § 11 Abschnitt 1 Pflege-Versicherungsgesetz der Bundesrepublik Deutschland als allgemeinverbindlich festgelegt wurde: „Die Pflegeeinrichtungen pflegen, versorgen und betreuen die Pflegebedürftigen, die ihre Leistungen in Anspruch nehmen, entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse. Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten.“ Hinzukommt die Rechtsvorschrift, wie sie mit Artikel 23 der Revidierten Europäischen Sozialcharta vom 3. Mai 1996 zum sozialen Schutz älterer Menschen festgelegt wurde, sowie der bereits erwähnte Artikel 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Expliziten rechtlichen Schutz vor Willkür und Alleinvertretungsansprüchen jeglicher Art gegenüber hilfebedürftigen Menschen gewährleistet außerdem Artikel 22 der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen, denn dort heißt es rechtsverbindlich: „Menschen mit Behinderungen dürfen unabhängig von ihrem Wohnort oder der Wohnform, in der sie leben, keinen willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen in ihr Privatleben, ihre Familie, ihre Wohnung oder ihren Schriftverkehr oder andere Arten der Kommunikation oder rechtswidrigen Beeinträchtigungen ihrer Ehre oder ihres Rufes ausgesetzt werden. Menschen mit Behinderungen haben Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe oder Beeinträchtigungen.“ Schließlich sei unbedingt noch § 1 des Gesundheitsdienstreformgesetzes des Landes Berlin in diesem Zusammenhang genannt, weil diese Rechtsvorschrift indirekt darauf hinweist, pflegerische Aufgabenstellungen grundsätzlich sowohl an die gesundheitspolitischen Vorgaben der Vereinten Nationen als auch an das bürgerschaftliche Engagement der Bürger dieser Stadt zu binden. Es heißt dort: „Der öffentliche Gesundheitsdienst des Landes Berlin orientiert sein Handeln an einem Leitbild. Es stellt sich den großstadttypischen gesundheitlichen und sozialen Problemlagen und reagiert flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingungen. Im Rahmen der Daseinsvorsorge achtet er dabei besonders auf die Stärkung der Eigenverantwortung sowie des bürgerschaftlichen Engagements und berücksichtigt geschlechtsspezifische, behindertenspezifische und ethnisch-kulturelle Aspekte. Der öffentliche Gesundheitsdienst orientiert seine Arbeit am Programm des Gesunde-Städte-Netzwerkes und an den Grundsätzen von Public Health.“ Die konkrete Ausgestaltung dieses Rahmens gesellschaftlicher Normen und allgemeiner Rechtsgrundsätze, d. h. die detaillierte rechtliche Unterschutzstellung der unverzichtbaren Lebensansprüche von pflegebedürftigen Menschen in der Vielfalt ihrer familiären, medizinischen, pflegerischen, psychosozialen, kulturellen, ethnischen, religiösen und anthropologischen Bedürfnisse und Interessen, erfolgt über die „Charta der Rechte pflege- und hilfebedürftiger Menschen“ mit ihren acht fundamentalen Artikeln und Detailausführungen zur konkreten und umfassenden Durchsetzung der Bürger- und Menschenrechte im Bereich der Pflege und Versorgung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen

– den menschenrechtlichen Maßstab für die Erarbeitung eines Perspektivplans ‚Humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde im Land Berlin für den Zeitraum 2010 bis 2020’ bildet folglich die „Charta der Rechte pflege- und hilfebedürftiger Menschen“, gleichgültig, ob sie noch als Entwurf oder bereits als gültiges Gesetz vorliegt

– die empirische Grundlage für die Erarbeitung dieses Perspektivplans bildet eine gezielte Befragung von pflegebedürftigen Menschen, von Angehörigen und von Kräften, die die Pflege und Versorgung der pflegebedürftigen Menschen aktiv durchführen, d. h. von Pflegehilfskräften, von Pflegefachkräften und von in den Pflegedienstleitungen tätigen Leitungskräften

Vorschlag:
Etablierung einer gesellschaftlich tragfähigen Interessenvertretung hilfe- und pflegebedürftiger Menschen u. a. durch die Schaffung von Beiräten bei Pflegekassen und kommunalen Institutionen, bestehend aus pflegebedürftigen Menschen, Angehörigen von pflegebedürftigen Menschen, engagierten Pflegeassistenten und Pflegeberatern, Vertretern von Wohngebieten, engagierten Ärzten und Mitarbeitern des Gesundheitswesens, Vertretern von Basisinitiativen und ehrenamtlich Tätigen

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.