Blockade einer Abschiebung
„Demonstrieren ja, blockieren nein“, mit dieser
Devise versuchte die Behörde die Wogen am Abend
des 29.4. in Wien zu glätten. Spontan hatten sich
DemonstrantInnen am Hernalser Gürtel versammelt,
um einen Polizeitransporter am Weiterfahren zu hindern.
Darin befand sich der Asylwerber Cletus B.,
Trainer des FC Sans Papiers, der am Nachmittag desselben
Tages bei der Stürmung der Marswiese
durch eine Hundertschaft der Polizei verhaftet worden war. Die
AktivistInnen widersetzten sich der
Vorgabe der Polizei, die von dem entschlossenen Vorgehen der
DemonstrantInnen überrascht wurde. Denn
diese wehrten sich durch Kettenbildung und eine Sitzblockade
gegen erste Räumungsversuche durch die
Polizei. So griffen die BeamtInnen im Zuge der letztlich
durchgeführten Räumung zu unsportlichen
Methoden: Einzelne Personen wurden herausgerissen und an der
Hand oder Kapuze über den Boden
geschleift, Fußtritte ausgeteilt, die AktivistInnen verbal
angegriffen und schließlich folgte ein
Knüppeleinsatz. Während die DemonstrantInnen ihrer
Friedfertigkeit in Sprechchören Nachdruck
verliehen wie „Wir sind friedlich, was seid ihr?“, mussten sich
die BeamtInnen gegenüber PassantInnen
rechtfertigen. Manchen PolizistInnen schien es nach der
Wahrnehmung von AugenzeugInnen
richtiggehend Unbehagen zu bereiten, die Gesetze gegen friedlich
auf dem Boden sitzende DemonstrantInnen
durchsetzen zu müssen. Als Cletus B. letzten Endes in einen
zweiten Transporter gebracht wurde, der
ohne Rücksicht auf die Umstehenden lospreschte, wurde den
Anwesenden klar, dass die Abschiebung nicht mehr direkt
verhindert werden konnte. Von den 42 im
Zuge der Räumung Verhafteten, werden nun drei Personen
strafrechtliche Tatbestände vorgeworfen.
Obwohl sie nur passiven Widerstand geleistet
hatten und sich von der Polizei wegtragen hatten
lassen, müssen sie sich nun wegen „Widerstand gegen die
Staatsgewalt“ und „schwerer
Körperverletzung“ verantworten.
Der Justizsprecher der Grünen, Albert
Steinhauser, spricht im Hinblick auf die polizeiliche Räumung
von einem Paradigmenwechsel, in dem Sinne, dass nach dem
politischen Willen des Innenministeriums
die Polizei bei antifaschistischen und linken Demonstrationen
verstärkt auf Kriminalisierung und
Repression setzt, um die statistische Überzahl rechtsextremer
Straftaten auszugleichen. Nach
Einschätzung von AktivistInnen ist die Strafverfolgung der drei
DemonstrantInnen auch als Signal an die Öffentlichkeit zu
verstehen, um den gesamten Widerstand
gegen Abschiebungen in eine kriminelle Ecke zu rücken. Und auch
die Umstände der Abschiebung selbst
sorgen für Kontroversen. So haben die Grünen eine
parlamentarische Anfrage eingebracht, um
zu klären, ob die rechtlichen Rahmenbedingungen bei der
Deportation eingehalten wurden. Den
Worten von Albert Steinhauser zufolge soll dem Verdacht
nachgegangen werden, ob die
Fremdenpolizei die Rechte der Betroffenen ausgehöhlt hat, um die
öffentliche Aufmerksamkeit für ihre
Situation zu erschweren und die Abschiebung durchziehen zu
können.
Praxis des zivilen Ungehorsams
Das Besondere an der Aktion des zivilen
Ungehorsams vom 29.4. ist die Tatsache, dass keine
Organisation hinter der Blockade des
Gefangenentransportes stand und das Handeln allein auf der
spontanen Selbstorganisation der AktivistInnen beruhte,
die auf das Bekanntwerden der Abschiebung
über SMS und Internet entschlossen reagierten. Andreas Görg von
ENARA (European Network Against Racism
Austria) führt die Motivation der DemonstrantInnen auf das
Gefühl von massivem Unrecht zurück, das
die Menschen zum praktischen und spontanen Handeln inspirierte.
Neben Zweifeln an der
Verhältnismäßigkeit wird von AktivistInnen der besondere,
nämlich eindeutig politische Charakter
der Polizeiaktion gegen den FC Sans Papiers hervorgehoben. Denn
die Stürmung der Marswiese richtete sich
mit dem Verein direkt gegen ein kulturelles und soziales Projekt
von MigrantInnen mit gewissem
Bekanntheitsgrad, was die moralische Empörung bei den
AktivistInnen noch verstärkte.
Andreas Görg hebt die politische
Sensibilisierung für das Thema Rassismus und Abschiebungen
hervor: „Da merkt man, dass unsere jahrelange Arbeit,
unser Diskurs, doch Früchte trägt“. Trotzdem
wurden selbst ältere AktivistInnen von der
Entschlossenheit überrascht, mit der hier eine Abschiebung
zu verhindern versucht wurde: „Wir hätten nicht zu
träumen gewagt, dass so etwas passiert“, so
Andreas Görg. Angefangen bei Aktionen gegen Deportationen
am Flughafen in den 1990er Jahren, über
die zahlreichen Todesfälle bei Abschiebungen bis hin zu
Demonstrationen wie jener anlässlich des
zehnten Todestages von Marcus Omofuma am 1.Mai 2009 zieht sich
ein Faden durch die Geschichte, der zur
politischen Sensibilisierung der AntirassistInnen beitrug.
Michael Genner von Asyl in Not bemerkt:
„Das war die erste Aktion dieser Art zumindest seit sehr langer
Zeit. In Hainburg in der Au haben die
Menschen sich vor die Bäume gesetzt, damit sie nicht
umgeschnitten werden. Hier haben sich
Menschen schützend vor andere Menschen gestellt, was noch viel
wichtiger ist, um ein Unrecht abzuwehren,
das ihnen zugefügt wird.“ Michael Genner unterstreicht, dass es
in den Bundesländern bereits ähnliche
Aktionen gegeben hat wie etwa in der Vorarlberger Gemeinde
Röthis, wo sich BewohnerInnen schützend
vor das Hause einer Familie stellten, die abgeschoben werden
sollte und sich sogar der Bürgermeister an der
Protestaktion beteiligte. Einen weiteren Faktor stellen
die Bildungsproteste des vergangenen Jahres dar, denn die
Besetzungen und anderen Aktionen des
zivilen Ungehorsams bildeten wichtige Erfahrungen für die
Handlungsweise der AntirassistInnen, unter
denen sich gerade auch Studierende befinden.
Für Herbert Langthaler von der asylkoordination
können die antirassistischen Proteste in Österreich
an keine republikanische Tradition wie in Frankreich
anknüpfen, wo sogar hohe Amtsträger durch
Patenschaften die Abschiebung von Menschen ohne Papiere
verhinderten. So richtet sich die Aktion
des zivilen Ungehorsams auf der Strasse gegen Gesetze, die von
den NGOs auf der politischen und
rechtlichen Ebene bekämpft werden. Dabei könnten sich die NGOs
durchaus noch mehr einbringen, so
Langthaler, denn für den Fall, dass die rechtlichen
Möglichkeiten ausgeschöpft sind, stehen sie vor
der Frage nach den weiteren Handlungsoptionen. Auch für
den Obmann der Afrika
Vernetzungsplattform, Alexis Nshimyimana Neuberg, ist die Aktion
des zivilen Ungehorsams ein ermutigendes
Zeichen, das in der African Community überwiegend mit einem
Gefühl der Solidarität aufgenommen wurde
und sich von den Erfahrungen mit fehlender Zivilcourage der
BürgerInnen erfreulich abhebt. Ansätze
für eine mögliche Zusammenarbeit und Bündnisse mit
antirassistischen Initiativen sieht
Alexis Nshimyimana Neuberg vor allem beim gemeinsamen Einsatz
für die Schaffung von besseren
Rahmenbedingungen in Österreich, um Situationen überhaupt erst
zu vermeiden, in denen Gefahr im Verzug
ist und Menschen abgeschoben werden. Gerade im Vorfeld von
Wahlen und Beschlüssen von Gesetzen
braucht die African Community starke Bündnispartner, um solche
Regelungen zu verhindern.
Durch eine solche Aktion des zivilen Ungehorsams
wird das Bild in Frage gestellt, das vor allem die
rechten Parteien gerne malen, nämlich: „’Alle
Österreicher sind verbiesterte Rassisten’ und das stimmt
einfach nicht. Es gibt da in der Bevölkerung viel mehr
Empathie als es scheint“, so Herbert Langthaler.
Denn dieser Eindruck entspricht auch gar nicht den
Erfahrungen, die die asylkoordination etwa bei
den Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen
macht. Sogar eine begrenzte Legalisierung
des Aufenthaltsstatus von Menschen, die eine gewisse Zeit hier
leben, hält Langthaler unter gewissen
Konstellationen für mehrheitsfähig. Von AktivistInnen wird zudem
eine Verbindung der unterschiedlichen
Ebenen der antirassistischen Arbeit angestrebt. Der
Konzentration in der politischen Praxis
auf Wien soll durch die Verknüpfung mit dem Widerstand von
Gemeinden in den Bundesländern, die sich
für den Verbleib „ihrer“ MigrantInnen in Österreich aussprechen,
entgegengewirkt werden. Das Ziel ist dabei die Schaffung
eines Raumes des Antirassismus, der die
verschiedenen Ebenen des Widerstandes im Alltag zusammenführt.
Für Michael Genner gehört neben der
Aufklärung der Öffentlichkeit vor allem das unmittelbare
Eingreifen, wenn jemand in Gefahr ist,
abgeschoben zu werden, zu den wichtigen Handlungsoptionen. Jeder
Mensch mit gutem Willen könne in seinem
Alltag, in der Nachbarschaft und in der Schule aufmerksam sein
und darauf achten, wo jemand von der
Fremdenpolizei abgeholt wird und sich mit Gleichgesinnten
zusammenschließen, um auf die Strasse zu
gehen und Abschiebungen zu verhindern. Antirassistische
AktivistInnen heben hervor, dass schon
durch das kritische Nachfragen bei einer Fluglinie, die
Abschiebungen vollzieht, ein gewisser
Druck erzeugt werden kann. Auch ist es schon vorgekommen, dass
Fluggäste, die Zeugen einer Abschiebung
wurden, sich schlicht weigerten, Platz zu nehmen – was jedoch
gegenwärtig immer schwieriger wird, weil die EU zunehmend
auf Charterabschiebungen durch die
Grenzschutzagentur Frontex setzt, was einem Entzug der Kontrolle
durch die Öffentlichkeit gleichkommt.
Angesichts der rassistischen Hetze in gewissen kleinformatigen
Tageszeitungen sehen AntirassistInnen
einen weiteren Handlungsspielraum darin, eine mediale
Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die von
den AktivistInnen selbst gestaltet wird und die dazu beitragen
kann, rassistische Stereotype
aufzubrechen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Gleiche Rechte und Integration
Nach den Worten des Obmanns des Vereins FC Sans
Papiers, Di-Tutu Bukasa, hat die Stürmung der
Marswiese durch die Polizei die Mannschaft in einen
Schockzustand versetzt und die Spieler sind
frustriert. Der FC Sans Papiers sei gegründet worden, um
die Jugendlichen auf dem Fußballfeld ihre
eigene Stärke spüren zu lassen und sie von der Strasse
fernzuhalten. „Aber dieser Traum ist um 80%
reduziert“, so Bukasa. Für die African Community ist die
Polizeiaktion laut Alexis Nshimyimana
Neuberg verbunden mit Angst und Erschrecken, denn viele fürchten
sich nun davor, in der Öffentlichkeit
aufzutreten. Wenn die Macht nicht so ungleich verteilt wäre wie
jetzt, dann hätten auch rassistische
Diskurse in der Gesellschaft weniger Einfluss, meint Herbert
Langthaler und fordert eine Öffnung der
Institutionen gemäß dem Anteil der MigrantInnen in der
Bevölkerung. Alexis Nshimyimana Neuberg
wünscht sich eine Legalisierung zumindest für Menschen, die es
aufgrund gewisser Integrationsfaktoren
„verdienen“. Gerade die hohen Hürden, um an Aufenthaltspapiere
zu gelangen wie etwa der Nachweis eines
Einkommens, stellen ein großes Problem dar, das negative
gesellschaftliche und psychologische Folgen nach sich
zieht. Neuberg nennt die französische Stadt
Lyon als positives Beispiel, wo Personen, deren
Asylverfahren nach einem Jahr noch nicht
abgeschlossen ist, eine Arbeitserlaubnis erhalten. Kritisch
sieht Neuberg auch den Umstand, dass die
beiden Fußballer abgeschoben wurden, obwohl sie durch ihre
Aktivitäten für die Mannschaft ein
Bleiberecht genießen hätten sollen. Denn der FC Sans Papiers
kann als erfolgreiches Modell der
Integration betrachtet werden, da die Spieler gegen andere
österreichische Mannschaften bei
Turnieren und in der Liga antreten.
Perspektiven
In Österreich fehlen laut Herbert Langthaler
Strukturen, die – vergleichbar etwa den trotzkistischen
Gewerkschaften in Frankreich – ein Rückgrat für Menschen
ohne Papiere darstellen könnten. Hinzu
kommt, dass in anderen Ländern ein höheres Ausmaß an
Selbstorganisation der Betroffenen besteht
– ein Ansatz, den in Österreich nicht zuletzt der FC Sans
Papiers verfolgt. Selbstkritisch wird von
AntirassistInnen angemerkt, dass der Widerstand gegen
Abschiebungen letztlich nur ein
unterstützender Kampf sein kann, der sich stets der Gefahr des
Paternalismus bewusst sein muss. In den
wenigen Fällen, bei denen eine Abschiebung wirksam verhindert
werden konnte, waren es die MigrantInnen
selbst, die aktiv handelten. Nichts desto trotz gibt es
reichlichen Handlungsbedarf für
AntirassistInnen: So drücken AktivistInnen im Gespräch den
Wunsch nach einer Verbindung der
Lebenswelten aus, etwa durch das Angebot von Beratung in
rechtlichen Fragen oder von Freiräumen,
in denen Menschen ohne geklärten Aufenthaltsstatus nicht
permanent dem Druck durch die Exekutive
ausgesetzt sind. Die antirassistischen Proteste haben den
Spielern des FC Sans Papiers zumindest
den Mut gegeben, weiterzumachen und nicht ganz mit dem Sport
aufzuhören, so Di-Tutu Bukasa. Für die
Zukunft wünscht sich Bukasa gemeinsame Trainings des FC Sans
Papiers mit anderen Mannschaften sowie
eine Amnestie für die Jugendlichen, damit sie legal hier bleiben
können. Außerdem werde ein Spendenkonto
eingerichtet, um die soziale Absicherung der Spieler zu
ermöglichen. Der prekäre Status solle beendet werden,
denn die Mitglieder des Vereins möchten nach
den Worten ihres Obmanns „frei atmen können statt
frustriert zu werden“.
Editorische Anmerkung
Den Text
erhielten wir von den AutorInnen für diese Ausgabe.
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