Tunesien
Neues Spezialgesetz erlaubt Strafverfolgungen gegen „Gefährdung der ökonomischen Sicherheit“

von Bernard Schmid

06/10

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Oder: Eine tolle neue Idee, um jedwede Opposition mundtot zu machen…

Erzählt es mal lieber nicht Wolfgang Schäuble oder Nicolas Sarkozy, liebe Leserinnen und Leser, sonst kommen sie nur wieder auf dumme Ideen. Es wäre aber - aus ihrer Sicht -auch gar zu verlockend… Sarkozy, Schäuble und Co. träumen vielleicht davon, aber das tunesische Regime hat es unternommen! Es stellt, seit der Annahme eines neuen Sondergesetzes zur Änderung des tunesischen Strafgesetzbuchs am 15. Juni 2010, die Gefährdung der „vitalen Interessen des Landes“ und darunter der „ökonomischen Sicherheit“ durch „Kontakte zu ausländischen Akteuren (parties étrangères)“ unter Strafe. Darunter kann auf jeden Fall alles fallen, was auf Boykottforderungen gegenüber dem Regime und/oder der tunesischen Wirtschaft hinausläuft; aber theoretisch eben auch jegliche scharfe Kritik, die dazu führen könnte, dass die außenwirtschaftlichen Interessen „des Landes“ durch Herabstufung der Kontakte zu ihm beeinträchtigt werden.

Es handelt sich um den neuen Artikel 61 bis (= 61a) des Code pénal, des tunesischen Strafgesetzbuchs. Seine Annnahme im tunesischen Parlament erfolgte am vergangenen Dienstag fast einstimmig, was kaum verwunderlich ist, zumal die diktatorisch regierende Staatspartei RDC („Demokratische Verfassungs-Versammlung“) von Präsident Zine ben Abidine Ben Ali das Pseudo-Parlament weitgehend dominiert. Lediglich zwei Abgeordnete der handzahmen, legalen und vom Ben Ali-Regime tolerierten Oppositionspartei Ettajdid („Erneuerung“, ex-kommunistisch) stimmten dagegen. Ihre Partei hatte zuvor den ersatzlosen Rückzug des Gesetzentwurfs gefordert.

Bis dahin hatte das tunesische Strafgesetzbuch „lediglich“ die Gefährdung der „nationalen Sicherheit“ auf dem Gebiet der diplomatischen Beziehungen und im militärischen Bereich unter Strafe. (Was, im letzteren Punkt, relativ klassisch für den Strafverfolgungsanspruch eines Staats ist. Im erstgenannten Punkt wurde der Strafverfolgungsanspruch auch schon in jüngerer Vergangenheit, etwa auf Auslandskontakte der Opposition im Falle ihrer Finanzierung durch europäische NGOs oder Stiftungen, ausgedehnt.) Auf diese Delikte steht bislang eine Höchststrafe von 20 Jahren.

Nunmehr wird der Bereich des Strafbaren also auch auf die „ökonomischen Interessen“, die als „vital“ definiert werden, „des Landes“ ausgedehnt. Könnte darunter nicht etwa auch der Hinweis fallen, dass Urlaub dort, wo gefoltert wird, vielleicht doch nicht so klasse ist? Oder dass die tunesische Ökonomie in weiten Teilen durch die mafiösen Familienclans des Präsidenten Ben Ali, vor allem seiner noch übleren Gattin (Leila Trabelzi) kontrolliert wird?

Das tunesische Regime hat inzwischen beteuert, es gehe ihm nicht darum, „die demokratischen Freiheiten für Menschenrechtsaktivisten einzuschränken“ (vgl. Artikel 1: http://www.rtlinfo.be), etwa ihre Meinungsfreiheit. Nicht doch, aber nicht doch.

Harharhar! Großes Ehrenwort vom Oberfolterer!

Vgl. dazu:

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.