In Ecuador ist die Todesstrafe abgeschafft und trotzdem wurde
in der Gemeinde La Cocha ein Mann, der auf einem Dorffest
einen anderen Mann zu Tode geprügelt hat, zum Tode verurteilt.
Er soll auf die gleiche Weise sterben wie sein Opfer. Wie
passt das zusammen? Es geht um die Forderung der indigenen
Gemeinden, die Rechtssprechung in die eigenen Hände nehmen zu
können. Sie berufen sich dabei auf eine traditionelle
Rechtssprechung, die sie verteidigen. Damit kommen sie in
Konflikt mit der Verfassung von Ecuador, die die Todesstrafe
generell verbietet.
Die
indigenen AktivistInnen und durchaus aus nicht die ganze
indigene Bevölkerung, die es als Kollektivsubjekt sowenig wie
jedes andere Volk gibt, berufen sich dabei auf die 2008
verabschiedete Verfassung Ecuadors. Die räumt den indigenen
Gemeinden das Recht ein, entsprechend ihrer Traditionen Recht
zu sprechen. Ähnliche Konflikte gibt es auch in Bolivien. In
der 2009 angenommenen Verfassung ist die indigene
Rechtssprechung garantiert? Doch was bedeutet die überhaupt,
fragen sich viele BolivianerInnen nach den Vorfällen in einer
Gemeinde im Umkreis der Hochland-Bergbaustadt Potosi. Dort
wurden 4 Ermittlungsbeamte von den indigenen BewohnerInnen
erhängt. Diese gaben an, sie hätten die Polizisten für
verkleidete Autodiebe gehalten und kurzen Prozess gemacht.
Die indigenen Schnellrichter hatten insgesamt 15 vermeintliche
Autodiebe zum Tode verurteilt und sich auf die traditionelle
Rechtssprechung berufen. 11 Verurteilte hatten das Glück, der
indigenen Lynchjustiz entkommen zu sein. Das sind keine
Einzelfälle Auch der linke Autor Raul Zibechi hat in seinem
Buch „Bolivien –Zersplitterung der Macht“, das auf Trend von
dem Autor kritisch rezensiert wurde, einige Beispiele dieser
indigenen Rechtsprechung beschrieben.
„ Auf Schildern in dem Stadtteil wird „Tod den Dieb gefordert“
und Puppen mit umgeknickten Köpfen säumen die Straßen. „In
einigen Fällen werden die von den Nachbarn überraschten und
identifizierten Delinquenten tatsächlich umgebracht“, schreibt
Zibechi.
Gegen Verklärung indigener Traditionen
Trotz dieser nun schon vielfältig dokumentierten Praxis der
indigenen Rechtsprechung, wird auch in Teilen der
Solidaritätsbewegung in Europa noch immer sehr naiv an die
indigenen Traditionen herangegangen. So wurde in der
Monatszeitung analyse und kritik (ak) von April dieses Jahres
unter der Überschrift „Nicht-kapitalistische Vergangenheiten
nutzen“ – die indigenen Konzeptionen dürfen nicht dem
Eurozentrismus zum Opfer fallen“ der Text eines Walter Mignolo
aus der Zeitschrift turbulence nachgedruckt, in dem richtig
herausgearbeitet wird, dass die indigenen Vorstellungen nur
oberflächlich mit linken Konzeptionen des Kollektiveigentums
zu tun haben. Unverständlicherweise stellt sich der Autor aber
auf Seiten dieser indigenen Vorstellungen und polemisiert
gegen linke Vorstellungen wie den Marxismus.
Teilweise findet sic h dort ein Gebräu von
Fortschrittsfeindlichkeit, Esoterik und Mystik, dass wenig mit
fortschrittlichen Positionen zu tun hat und wie die indigene
Lynchjustiz durchaus dem fortschrittlicheren Konzepten zum
Opfer fallen könnten, auch wenn sie aus Europa kommen. Dafür
werden wohl weniger die indigenen Hierarchien wohl aber
Menschen aus diesen Communitys, die nicht unbedingt in und von
und in der Tradition leben wollen, dankbar sein. Wer den im
letzten Jahr angelaufenen Film Birthwatcher gesehen hat, wird
über die Grausamkeit der indigenen Hierarchien keinen Zweifel
mehr haben. Während der indigene Patriarchal die ganze
Verwandtschaft rumkommandierte, ließ er alle für sich
arbeiten. Als ein Jugendlicher aus der indigenen Gemeinde sich
vom mühsam verdienten Geld, ein paar Nike-Schuhe kaufte, wurde
er vom Patriarchen derart beleidigt und gedemütigt, dass sich
der Junge erhängte. Da kann ich nur mit Karl Marx sagen, es
ist nichts Schlechtes dabei, dass diese ganze alte Welt durch
die bürgerliche Kultur verändert und über den Haufen
geschmissen wird. Die Verteidiger der alten Scholle, zu denen
wohl auch der turbulence-Autor gehört, sollen nur heulen.
So
schreibt der Autor über die indigenen Vorstellungen von
Gemeinschaftlichkeit: „ In einem gemeinschaftlichen System
verschwindet sowohl der Unterschied zwischen Eigentümer und
lohnabhängigen Arbeiter als auch der zwischen Chef und
Angestellten in administrativen Organisationen“. Da muss sich
doch der Linke fragen, wohin in dieser indigenen
Volksgemeinschaft der Mehrwert verschwindet. Mignolo stellt
diese Frage nicht. Denn er ist überzeugt: „Die Linke mit ihrer
europäischen Genealogie des Denkens kann nicht das Monopol für
sich beanspruchen, die Vision für eine nichtkapitalistische
Zukunft auszuformulieren.“ Als hätte es nicht genügend
lateinamerikanische DenkerInnen und PraktikerInnen wie
Mariategui gegeben, die den Marxismus auf die konkrete
Situation in Lateinamerika angewandt hatten.
So
richtig es ist, Kämpfe zu unterstützen, die die
Lebensverhältnisse der Menschen verbessern, so fatal ist es,
wenn dieses bessere Leben in alten Traditionen und archaischen
Lebensweisen gesucht wird und noch absurder ist es, wenn das
von Linken in Europa noch abgefeiert wird .
Es
sind nicht alte Traditionen und vorkapitalistische
Rechtssprechung sondern Land, Lohn, ein Dach über den Kopf,
was den Menschen fehlt. Die kubanische Revolution hat diese
Primärbedürfnisse für die große Mehrheit der Menschen
durchgesetzt. Die Regierungen in Bolivien und Ecuador können
sich daran ein Beispiel nehmen.
Editorische Anmerkung
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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