Soziale Rechte statt Rückgriff auf indigene Traditionen
Eine Kritik an der Vorstellung, dass indigene Traditionen etwas Erhaltenswertes sind

von Peter Nowak

06/10

trend
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In Ecuador ist die Todesstrafe abgeschafft und trotzdem wurde in der Gemeinde La Cocha ein Mann, der auf einem Dorffest einen anderen Mann zu Tode geprügelt hat, zum Tode verurteilt. Er soll auf die gleiche Weise sterben wie sein Opfer. Wie passt das zusammen? Es geht um die Forderung der indigenen Gemeinden, die Rechtssprechung in die eigenen Hände nehmen zu können. Sie berufen sich dabei auf eine traditionelle Rechtssprechung, die sie verteidigen. Damit kommen sie in Konflikt mit der Verfassung von Ecuador, die die Todesstrafe generell verbietet.

Die indigenen AktivistInnen und durchaus aus nicht die ganze indigene Bevölkerung, die es als Kollektivsubjekt sowenig wie jedes andere Volk gibt, berufen sich dabei auf die 2008 verabschiedete Verfassung Ecuadors. Die räumt den indigenen Gemeinden das Recht ein, entsprechend ihrer Traditionen Recht zu sprechen. Ähnliche Konflikte gibt es auch in Bolivien. In der 2009 angenommenen Verfassung ist die indigene Rechtssprechung garantiert? Doch was bedeutet die überhaupt, fragen sich viele BolivianerInnen nach den Vorfällen in einer Gemeinde im Umkreis der Hochland-Bergbaustadt Potosi. Dort wurden 4 Ermittlungsbeamte von den indigenen BewohnerInnen erhängt. Diese gaben an, sie hätten die Polizisten für verkleidete Autodiebe gehalten und kurzen Prozess gemacht.
Die indigenen Schnellrichter hatten insgesamt 15 vermeintliche Autodiebe zum Tode verurteilt und sich auf die traditionelle Rechtssprechung berufen. 11 Verurteilte hatten das Glück, der indigenen Lynchjustiz entkommen zu sein. Das sind keine Einzelfälle Auch der linke Autor Raul Zibechi hat in seinem Buch „Bolivien –Zersplitterung der Macht“, das auf Trend von dem Autor kritisch rezensiert wurde, einige Beispiele dieser indigenen Rechtsprechung beschrieben.
„ Auf Schildern in dem Stadtteil wird „Tod den Dieb gefordert“ und Puppen mit umgeknickten Köpfen säumen die Straßen. „In einigen Fällen werden die von den Nachbarn überraschten und identifizierten Delinquenten tatsächlich umgebracht“, schreibt Zibechi.

Gegen Verklärung indigener Traditionen

Trotz dieser nun schon vielfältig dokumentierten Praxis der indigenen Rechtsprechung, wird auch in Teilen der Solidaritätsbewegung in Europa noch immer sehr naiv an die indigenen Traditionen herangegangen. So wurde in der Monatszeitung analyse und kritik (ak) von April dieses Jahres unter der Überschrift „Nicht-kapitalistische Vergangenheiten nutzen“ – die indigenen Konzeptionen dürfen nicht dem Eurozentrismus zum Opfer fallen“ der Text eines Walter Mignolo aus der Zeitschrift turbulence nachgedruckt, in dem richtig herausgearbeitet wird, dass die indigenen Vorstellungen nur oberflächlich mit linken Konzeptionen des Kollektiveigentums zu tun haben. Unverständlicherweise stellt sich der Autor aber auf Seiten dieser indigenen Vorstellungen und polemisiert gegen linke Vorstellungen wie den Marxismus.

Teilweise findet sic h dort ein Gebräu von Fortschrittsfeindlichkeit, Esoterik und Mystik, dass wenig mit fortschrittlichen Positionen zu tun hat und wie die indigene Lynchjustiz durchaus dem fortschrittlicheren Konzepten zum Opfer fallen könnten, auch wenn sie aus Europa kommen. Dafür werden wohl weniger die indigenen Hierarchien wohl aber Menschen aus diesen Communitys, die nicht unbedingt in und von und in der Tradition leben wollen, dankbar sein. Wer den im letzten Jahr angelaufenen Film Birthwatcher gesehen hat, wird über die Grausamkeit der indigenen Hierarchien keinen Zweifel mehr haben. Während der indigene Patriarchal die ganze Verwandtschaft rumkommandierte, ließ er alle für sich arbeiten. Als ein Jugendlicher aus der indigenen Gemeinde sich vom mühsam verdienten Geld, ein paar Nike-Schuhe kaufte, wurde er vom Patriarchen derart beleidigt und gedemütigt, dass sich der Junge erhängte. Da kann ich nur mit Karl Marx sagen, es ist nichts Schlechtes dabei, dass diese ganze alte Welt durch die bürgerliche Kultur verändert und über den Haufen geschmissen wird. Die Verteidiger der alten Scholle, zu denen wohl auch der turbulence-Autor gehört, sollen nur heulen.

So schreibt der Autor über die indigenen Vorstellungen von Gemeinschaftlichkeit: „ In einem gemeinschaftlichen System verschwindet sowohl der Unterschied zwischen Eigentümer und lohnabhängigen Arbeiter als auch der zwischen Chef und Angestellten in administrativen Organisationen“. Da muss sich doch der Linke fragen, wohin in dieser indigenen Volksgemeinschaft der Mehrwert verschwindet. Mignolo stellt diese Frage nicht. Denn er ist überzeugt: „Die Linke mit ihrer europäischen Genealogie des Denkens kann nicht das Monopol für sich beanspruchen, die Vision für eine nichtkapitalistische Zukunft auszuformulieren.“ Als hätte es nicht genügend lateinamerikanische DenkerInnen und PraktikerInnen wie Mariategui gegeben, die den Marxismus auf die konkrete Situation in Lateinamerika angewandt hatten.

So richtig es ist, Kämpfe zu unterstützen, die die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern, so fatal ist es, wenn dieses bessere Leben in alten Traditionen und archaischen Lebensweisen gesucht wird und noch absurder ist es, wenn das von Linken in Europa noch abgefeiert wird .

Es sind nicht alte Traditionen und vorkapitalistische Rechtssprechung sondern Land, Lohn, ein Dach über den Kopf, was den Menschen fehlt. Die kubanische Revolution hat diese Primärbedürfnisse für die große Mehrheit der Menschen durchgesetzt. Die Regierungen in Bolivien und Ecuador können sich daran ein Beispiel nehmen.

Editorische Anmerkung

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.