Im kommenden September finden in Berlin Wahlen statt. Es
ist darum Zeit sich näher damit zu beschäftigen, welchen
Nutzen sie haben und was aus ihnen für die lohnarbeitende
Bevölkerung rauskommt. Soviel sei vorweg verraten: Die
Lohnsklaverei wird nicht abgeschafft!
Hier eine aktuelle ausführliche Analyse zu Wahlen,
Demokratie und Parlament.
Der bürgerliche Staat kann seine ökonomischen Ziele nur
dann verwirklichen, wenn sieh seine Bürger bei der
Verfolgung ihrer materiellen Interessen innerhalb der
Grenzen bewegen, die er ihnen setzt. Er ist darauf
angewiesen, daß alle die staatlichen Praktiken als
notwendige Funktionen für ihr Interesse
anerkennen. Die einen müssen sich zu der schlichten
Einsicht bequemen, daß gewisse Einschränkungen ihres
Gewinnstrebens unerläßlich sind bei der staatlichen
Garantie der produktiven Verwendung ihres Eigentums. Die
anderen müssen sieh damit abfinden, daß gewisse
Einschränkungen ihrer Reproduktion unerläßlich sind für die
staatliche Garantie ihrer Lohnarbeit.
Der Verzicht der Bürger auf die Anwendung von Gewalt bei
der Austragung ihrer Gegensätze, positiv: die Zustimmung
zum staatlichen Gewaltmonopol, ist das Mittel des Staates,
die konkurrierenden, daher freien Bürger seinem Zweck, der
Vermehrung des Privateigentums, zu unterwerfen. Weil ihr
Materialismus diesem Zweck nur dient, wenn er sich durch
den staatsidealistischen Gehorsam gegenüber seinen Gesetzen
relativiert, wenn sieh also die Klassen zum Instrument des Allgemeinwohls
machen, versichert er
sich des Funktionierens seiner Gewalt dadurch, daß er sich
beim Volk die Einwilligung zu seinen Maßnahmen einholt.
Dabei stellt er selbstverständlich nicht seine notwendigen
Geschäfte in die Disposition der Bürger, sondern läßt sie
darüber entscheiden, welche Alternativen staatlicher
Gewaltausübung eingeschlagen werden. Sie bestimmen in
Wahlen diejenigen Repräsentanten, die sie für die
Verrichtung der staatlichen Aufgaben für am besten geeignet
halten. Da es in der Wahl nur um die Zustimmung zu den
Staatsmaßnahmen geht, sind alle Stimmen gleich wichtig. Die
Wahl wird durch Mehrheit entschieden und der bleibenden
Notwendigkeit dieser Willenskundgabe durch periodische
Abhaltung Rechnung getragen. Die Bürger, die sich für das
politische Amt zur Verfügung stellen wollen, erhalten von
Staats wegen die Möglichkeit, ihr Programm, durch das sie
sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen, zu propagieren:
die Parteien konkurrieren durch politische Willensbildung
um die Stimmen der Wähler und damit um die Führung der
Staatsgeschäfte.
Diese besteht einerseits in der Tätigkeit des Parlaments,
in dem die gewählten und nur ihrem staatsmännischen
Gewissen verantwortlichen Repräsentanten mehrheitlich die
anfallenden Kollisionen durch gesetzliche Vorschriften so
regeln, wie es das Allgemeinwohl gebietet. Andererseits in
dem Wirken der Regierung, die diese Vorschriften mit Hilfe
des Gewaltapparats durchsetzt. Schließlich in der
konstruktiven Kritik der Opposition, welche als
repräsentative Minderheit der Wähler deren Unzufriedenheit
die einzig erwünschte Form gibt, die einer politischen
Alternative.
Der beständig beschworenen Gefahr, daß die
institutionalisierte Rücksichtnahme auf den Bürgerwillen
für die praktische Kritik am Staatszweck mißbraucht wird,
begegnet die Demokratie durch den Zwang zur
Grundgesetztreue (Parteienverbot u.ä.) sowie durch die
gesetzlich fixierte Bereitschaft der Staatsmänner, auf die
Demokratie zu verzichten, wenn es um die Rettung des
Staates geht.
Mit den gefeierten demokratischen Prozeduren gesteht der
moderne bürgerliche Staat ein, daß seine politische
Herrschaft vom Willen der Unterworfenen abhängt, die Bürger
also über alle Mittel verfügen, ihn überflüssig zu machen.
Zugleich nimmt dieser Staat auf den freien Willen nur so
Rücksicht, wie dieser als Abstraktion von den materiellen
Interessen auftritt. Damit liegt der Fortschritt der
Demokratie gegenüber allen früheren Staatsformen darin, daß
sie den Willen der Untertanen für die Vermehrung des
Reichtums, von dem sie nichts haben, einsetzt. Deshalb
führt der ökonomische Kampf der Lohnarbeiter zum
politischen Kampf g e g e n den Staat, während der
politische Kampf um staatliche Alternativen den ökonomischen verhindert und mit
dem Staat die Ausbeutung erhält – so oder so !
a)
Vom Standpunkt des Staates bzw. seiner Agenten, die die
Konkurrenz entsprechend den Bedürfnissen des
Privateigentums verwalten, stellt sich die abstrakte
Bestimmung der Demokratie, daß die Staatsgewalt auf dem
Willen des Volkes beruht, in einem etwas anderen Licht dar:
Demokratie gilt ihnen als "die schlechteste aller
Staatsformen, außer allen anderen", womit sie klar zum
Ausdruck bringen, daß der Staat nicht seinen Endzweck darin
hat, sich dem Willen der Bürger anzubequemen. Umgekehrt: er wird mit seinen Aufgaben am
besten fertig, wenn er sich die Zustimmung der Bürger zu
seinen Werken verschafft. In ihrer positiven Unterstützung
seiner Gewalt (die es nicht schon deshalb nicht mehr gibt,
weil sie unterstützt wird) beweisen sie ihm, daß sie den
Willen haben, sich in der Konkurrenz durchzuschlagen, also
ihre Freiheit so zu gebrauchen, wie es ihm gefällt. Die Notwendigkeit
demokratischer Legitimation besteht
also für den bürgerlichen Staat insofern, als die
Abstraktion der arbeitenden Bürger von ihrem besonderen
Willen identisch ist mit der Fortführung ihrer ökonomischen
Funktion und Pflicht, mithin das F u n k t i o n i e r e n
der Produktionsweise garantiert. Wenn die geschädigte
Mehrheit des Volkes i h m die Loyalität verweigert, will
sie ihre Freiheit nicht mehr, denkt an minder hohe Güter
der menschlichen Existenz, so daß er sich bemüßigt fühlt,
die Freiheit gegen die niederen Kräfte hochzuhalten. Im
Votum für den Staat bekundet das Volk, daß es bereit ist,
den Staat f ü r s i c h auszunutzen, solange es ihn braucht
– und der Staat antwortet auf diese Bereitschaft mit all
den Gesetzen, die jene unselige Zweideutigkeit des Wortes
,brauchen' beseitigen: er wird gebraucht, ohne für sie
brauchbar zu sein. Die demokratische Wahl, die nicht mit
den Stimmen der Kapitalisten entschieden wird, gestattet
also dem Staat die Verwendung der Arbeiterklasse, nicht
umgekehrt, weil sie Index des sozialen Friedens ist. Eine
Tatsache, die jeder Staatsmann ausspricht, wenn er
öffentlich die Stimmen radikaler Parteien und anderes
zählt; als
T e s t bewußt durchgeführt bei allen w e r d e n d e n
Demokratien!
b)
Die Leistung des demokratischen Zirkus besteht also
durchaus nicht darin, daß sich der Staat durch Wahlen vom
Willen seiner Bürger abhängig m a c h t , er weiß vielmehr
die vorhandene Abhängigkeit so zu gestalten, daß die Bürger
selbst ihren Willen aufgeben. Wenn der Staat sie nur
darüber abstimmen läßt, wer von den Politikern die
staatlichen Ämter verwalten darf, so läßt er keinen Zweifel
darüber, daß neben den nicht gewählten Organen von Recht,
Verwaltung etc. auch die Institutionen der politischen
Entscheidungen sich nicht den Wünschen der Bürger
anbequemen, geschweige denn ihre Existenznotwendigkeit in
Frage steht. Er regelt die Willenskundgabe so, daß seine
Untertanen keine andere Wahl haben, als ihre Unterwerfung
unter den Staatswillen zu bekunden.
Die höchste demokratische Errungenschaft zeichnet sich
dadurch aus, daß sie die gewaltsame Abstraktion des "freien
Menschen" zur Leistung seines eigenen Willens macht. Das
Kreuz hinter dem Kandidaten ist die zur Anschauung
gebrachte Gleichgültigkeit gegen die Überlegungen der
Wähler, die auf das Votum für einen Repräsentanten und
damit auf das Ja zum Staat zusammenschrumpfen. Der Staat
kann daher den Wählerwillen m e s s e n und mit dem
Mehrheitsprinzip auch offen die Rücksichtslosigkeit gegen
den besonderen Willen und seine Gründe demonstrieren. Durch
diesen demokratischen Grundsatz wird weder die Minderheit
der Stimmen. vergewaltigt noch die Regierung der Besten
verunmöglicht, wie reaktionäre Kritiker monieren – die M e
h r h e i t d e s V o l k e s gibt sich für den Staat auf,
weswegen Mehrheit, Minderheit und Nichtwähler g l e i c h e
r m a ß e n je nach K l a s s e n zugehörigkeit die
Staatsgewalt zu spüren bekommen. Weil die Wahl den
Gegensatz zu seiner Basis institutionalisiert, die Bürger
von der Herrschaft ausschließt, indem de ihr zustimmen,
weiß der Staat auch den bleibenden Konflikt zwischen seinen
Maßnahmen und den Interessen seiner Bürger zu bewältigen:
die periodische Abhaltung von Wahlen gewährleistet den
Bestand des Gewaltverzichts. Sie macht mit der regelmäßigen
Ausnahme des Bürgervotums seine Rücksichtslosigkeit zum
Alltag der Untertanen.
Deren erzwungene Unterordnung unter die staatlichen Zwecke
wird also durch die Wahl als das beständige Werk ihrer
eigenen staatsbürgerlichen Vernunft besiegelt. Die ihnen
abverlangte Willensleistung, sich zum willfährigen Objekt
der Staatsgeschäfte zu machen, bewerkstelligen sie dadurch,
daß sie alle paar Jahre das zum alleinigen Inhalt einer
p o l i t i s c h e n E n t s c h e i d u n g machen, was
sie ansonsten als tägliche politische E n t h a l t s a m k
e i t praktizieren: die Mehrheit der Bürger verrät ihr
Interesse an dem Staatszweck durch den vorab entschiedenen
Vergleich ihrer Wünsche mit politischen Alternativen ihrer
Nichterfüllung. Der einzelne Bürger schafft es, freiwillig
von seinen Interessen zu abstrahieren und in der Wahl sich
aufgrund seines Vergleichs für eine Weise der Durchführung
des Staatsprogramms auszusprechen, in der kaum verhüllten
Gewißheit, daß er damit die Fortdauer seines Schadens
beschließt. Die mangelnde Wahlmüdigkeit des Volkes zeigt,
daß auf der subjektiven Seite des angestellten Vergleichs
nur Bedürfnisse in die Waagschale geworfen werden, die
schon in Staatsillusionen verwandelt sind. Nicht erst im
Akt der Wahl nimmt also der Prolet von sich Abstand; in ihr
vollzieht er nur die a u s d r ü c k l i c h e Zustimmung
zu der Gewalt, die er erträgt, weil er sie – als
Lohnarbeiter auf sie angewiesen – zum Mittel seiner
Reproduktion verklärt. Dazu gehört nicht zuletzt der schöne
Trost, die Regierung selbst gewählt zu haben, mit der man
unzufrieden ist, und eine Alternative zu haben, die man das
nächste Mal wählen kann.
c)
Wenn der demokratische Staat die Abhängigkeit seines
Erfolges vom Willen der Bürger in ein Mittel seines
Gewaltgeschäfts verwandelt, macht er mit der Sicherung
seiner politischen Existenz die seiner Repräsentanten zu
einer unsicheren Sache. Zwar kann heute jeder beschließen,
Politiker zu werden (und die Demokratie hat nie über den
Mangel an Politikernachwuchs klagen müssen, weil die
herrschenden Klassen noch immer der Wille ausgezeichnet
hat, den Staat für ihre Interessen zu bewahren), doch hängt
sein Zugang zu den politischen Ämtern davon ab, ob er die
Gunst der Wähler zu gewinnen und zu erhalten vermag; den
Charaktermasken der Staatsnotwendigkeiten fällt also die
demokratische Pflicht zu, um ihrer Karriere willen den
Bürgern all die Sauereien in rosigem Lichte auszumalen, die
sie ihnen anzutun gewillt sind, falls sie sie zum Zuge
kommen lassen. Die Rücksichtnahme, die ansteht, ist die
Übersetzung der Staatsentscheidungen in das Interesse der
Betroffenen am Staat.
Die politische Willensbildung des Volkes durch die Parteien
besteht in dem einfachen Trick, dem eigennützigen
Staatsidealismus des einfachen Mannes, der auf die
Leistungen des Staates für sich spekuliert, das zuteil
werden zu lassen, was er verlangt: den Betrug. Die
Politiker verwenden ihre ganze beschränkte Phantasie, die
ihr praktisches Geschäft nicht erfordert, darauf, die
Bürger, denen der Staat im gesellschaftlichen Alltag die
Segnungen ihrer jeweiligen Klasse zuteil werden läßt, mit
dem Versprechen zu beglücken, dies alles werde nur zu
seinem Besten fortgesetzt. So vielfältig die Konkurrenz der
Kandidaten sich gestaltet, so simpel sind die
Grundprinzipien, derer sie sich dabei bedienen. Man muß
allen gesellschaftlichen Gruppen unbekümmert um ihre
Gegensätze, deren Erhaltung der Staat besorgt, versprechen,
nur die staatlichen Maßnahmen aus dem Repertoire
auszuwählen, von denen sie sich etwas versprechen, wobei
die Sammlung der verschiedenenorts geäußerten
Versprechungen das bekannte, weil notwendige Staatsprogramm
ergibt – allerdings in der verhimmelten Gestalt des Nutzens
für alle. Die hohe Kunst, jedem gerade das anzukündigen,
was er sich jeweils erwartet, stößt notwendig auf
Schranken. Die Staatsbürger wissen nicht nur durch die
öffentliche Kenntnisnahme sich widersprechender
Ankündigungen, sondern auch durch die vergangenen vier
Regierungsjahre, daß der Staat nur wenige zufriedenstellt.
Die Politikerangebote enthalten daher auch stets
zusätzliche Hinweise auf den Charakter ihrer Absichten:
Einschränkungen werden gemacht, die Ohnmacht des Staates
ins Feld geführt und an die staatsbürgerliche Einsicht
appelliert, daß die divergierenden Ansprüche nur dann zur
Geltung kommen können, wenn alle den Rahmen des Möglichen
berücksichtigen. Wem dabei die Möglichkeiten, und wem dabei
die Notwendigkeiten zufallen, bleibt nicht verborgen,
weswegen die Parteienkontroversen am liebsten auf dem Feld
der I d e a l e geführt werden, die noch jeder Bürger mit
seinem Vorteil gleichsetzt, obwohl sie ihm mit der
verklärten Form der ersten Staatsparagraphen die Gewalt
sämtlicher Paragraphen ankündigen. Es sind die heiligsten
Güter der Demokratie, die Ideale des Gegensatzes von Staat
und Bürger, um die die Parteien im "Grundwertestreit"
rangeln: Freiheit, Würde des Menschen, Gleichheit und
Gerechtigkeit etc. Wenn sich die Parteien gegenseitig die
Befähigung zur Vertretung der gemeinsamen Ideale
absprechen, dann demonstrieren sie wozu diese taugen: die
Wirkungen der alle Politiker einenden Staatsnotwendigkeiten
lassen sich in die Folge von Unfähigkeit und in den Verrat
an den höheren Zielen des Staates verwandeln. Um Ideale
läßt sich munter streiten, vor allem, wenn es darum geht,
die Sorgen der Betroffenen in Zustimmung zu verwandeln.
Deswegen kämpft die eine Partei für persönliche Freiheit,
christliche Verantwortung und soziale Marktwirtschaft gegen
Sozialismus, die andere um Freiheit. soziale Gerechtigkeit
und Reformsolidarität gegen die ewig Gestrigen und die
dritte für Freiheit und persönliche Würde gegen den Rest
der Parteienwelt. Was sich nicht nur hierzulande als
klassische Parteienlandschaft tummelt – Konservative,
Reformer und Liberale –, das sind die notwendigen
Ausgestaltungen der staatsmännischen Reflexion auf die
Konflikte zwischen Staat und Bürgern, deren Unzufriedenheit
der Politiker als Gefährdung der wirtschaftspolitischen und
sonstigen Maßnahmen und vor allem seines Postens fürchtet,
weswegen er sie nicht aus der Welt schaffen, sondern in
Zustimmung verwandeln will. Die Reformer lassen es sich
angelegen sein, die Unzufriedenheit der Untätigkeit des
Staates anzulasten und demokratische Politik in das Wagnis
zu mehr Demokratie zu übersetzen. Dagegen knüpfen
Konservative an der anderen Seite des Gegensatzes, dem
Bewußtsein des Bürgers von der Notwendigkeit des Staates an
und machen aus Politik ein dauerndes Geschäft zur Rettung
des Staates, dem der einzelne zu seinem eigenen Besten
nicht beständig anspruchsvoll in die Quere kommen dürfe.
Die Liberalen schließlich – nicht ganz auf der Höhe der
Zeit – setzen auf die Säuernis des Privatsubjekts, das den
Staat als Mittel und Hindernis zugleich begreift. Deswegen
erklären sie die Allgegenwart des Staates zur Ursache aller
Übel, stellen garantiert die Freiheiten an die erste Stelle
und den Staatsbürger als den idealen Menschen des § 1 in
Gegensatz zum Staat der späteren §§ und verkünden, um an
die Macht zu kommen, die Einschränkung des Staates zum
staatlichen Endzweck.
Weil Parteien diesen Streit veranstalten, um von a l l e n
gewählt zu werden, ,Weltanschauungsparteien', wie der Name
schon sagt, in funktionierenden Demokratien verpönte
Minderheiten sind, sind auch die Grundattribute der
existierenden Alternativen wenig mehr als das variierte
Versprechen, Staat für alle zu machen – sozialdemokratisch
die soziale Frage zu lösen, christdemokratisch die
gemeinsamen Ideale zu bewahren und liberaldemokratisch
säkularisierter Christenmensch und negativer Sozialdemokrat
zu sein. Demokratische Parteien sind Volksparteien, die den
einseitigen Interessenausgleich des Staates in ihren
eigenen Reihen vorwegnehmen, indem sie durch
innerparteiliche Demokratie und sonstigen Zirkus dafür
sorgen, daß die Interessen der gesellschaftlichen Gruppen,
die nach Einflußnahme auf den Staat streben, sich in der
Partei ausklüngeln können und zugleich alle auf die
Vertretung der Parteilinie nach außen verpflichtet sind.
Deswegen hat der beständige Kleinkrieg mit großen Idealen
mit den praktischen Entscheidungen der Politiker auch wenig
zu schaffen. Wenn es um das Regieren Geht, demonstrieren
sie noch jedesmal, daß ihre Auseinandersetzungen um die
beste Politik in der Erhaltung der besten aller möglichen
Welten endet – und in der gibt es keine Alternativen,
zumindest nicht für das materielle Interesse der Mehrheit.
Regierungswechsel erschüttern die Kontinuität der
staatlichen Gewaltmaschinerie nicht, sie dienen ihr; und
alle Gegensätze, die beim Geschäft, an die Regierung zu
kommen, nicht ausgetragen, aber demonstriert werden und das
Herz aufrechter Demokraten höher schlagen lassen, weil
seine Staatsform so lebendig ist, verschwinden, wenn keine
Partei die Mehrheit gewinnt: große und kleine Koalitionen.
Die praktischen Alternativen aber sind eben die in den
früheren SSSS dargestellten – und finden Befürworter und
Gegner quer durch die Parteien bzw. je nachdem, wer sie
gerade als Regierung zu beschließen und wer als Opposition
anzugreifen hat. Daß die Kontinuität der Politik, die sich
hierzulande über die immer wieder mühsam aufgepäppelten
Differenzen der Parteien vermittelt durchsetzt, auch
umstandsloser vonstatten gehen kann, zeigt sich dort, wo
sich Volksparteien nicht aus politischen Organisationen
gesellschaftlicher Interessengegensätze gebildet haben,
sondern von Haus aus gemeinsame Mittel der konkurrierenden
Interessengruppen gewesen sind. In den USA ist Politik p r
a g m a t i s c h , Parteien sind W a h l k a m p f m a s c
h i n e n , Kandidaten Erfolgsmenschen und ihre Konkurrenz
die um die überzeugendste Darstellung der nackten
Staatsmoral und ihrer eigenen Person.
Die beständige Konkurrenz der Parteien um die Bürgerstimme
konstituiert neben der politischen Praxis die Agitation als
bleibende Einrichtung des politischen Lebens, in der all
die Weisheiten verkündet werden, die in den
Ideologiezusätzen die Staatsseite charakterisieren. Was vor
der Wahl als Wahlkampf ausgefochten wird, bildet nur einen
selbständigen und staatlich finanzierten Teil dessen, was
die Parteien täglich an politischer Bildungsarbeit zu
leisten haben – dem Staatsinteresse der Bürger ihre
Variante von Politik als Material seines Vergleichs zu
präsentieren und seinem staatsbürgerlichen Idealismus
beständig neue Nahrung zu geben, weil sie sich seiner
bedienen wollen. Weil die P a r t e i e n die S t a a t s
geschäfte vollziehen u n d als Parteipolitik kritisieren,
sind s i e der Gegenstand der Zustimmung, Enttäuschung und
Kritik von seiten des Volkes und bereichern dessen Opfer um
die Freiheit der Wahl von Alternativen seiner Durchsetzung
– die Staatsgewalt aber um die relative Sicherheit, der
Kritik entzogen zu sein. Indem die Parteien alles, was im
Staat passiert, zum Mittel ´i h r e r Durchsetzung machen, machen sie sich zum Mittel s
e i n e r Erhaltung und werden als solches in der
Verfassung gewürdigt – auch wenn ihre Konkurrenz ab und an
das ,Vertrauen in den Staat' erschüttert.
Die Konkretisierung des willentlichen Gewaltverhältnisses,
als das der demokratische Staat in SS3 erklärt wurde,
ergibt auch nähere Bestimmungen der Spezies von
Repräsentanten, die für die Sphäre politischer
Entscheidungen zuständig sind. Sie haben nicht nur die
Aufgabe, über die Gewaltausübung zu entscheiden, die
Ärmsten müssen dies Geschäft auch dem Bürger als seinem
Interesse dienend nahebringen und dem politischen Gegner
all das vorwerfen, was sie selbst sind und tun. Gewalt und
Moral gehören auch bei ihnen zusammen: die eine
p r a k t i z i e r e n sie, wenn man sie läßt, die andere
d e m o n s t r i e r e n sie, damit man sie läßt.
Heuchelei ist ihre Profession und daher auch ihr Charakter,
Korruption und Lüge ihre politische Existenznotwendigkeit.
Auch sie sind beschränkte Demokraten: das Volk führen sie
beständig im Munde, weil es ihnen überall in die Quere
kommt. – Kurz, sie sind das getreue Spiegelbild ihrer
Opfer!
d)
Durch die Wahl ist die Erledigung der Staatsgeschäfte von
den Repräsentanten abhängig, die das Volk mit der Ausübung
der Staatsgeschäfte betraut hat. Damit die gewählten
Volksvertreter ihre Entscheidungen über die Kollisionen der
bürgerlichen Gesellschaft im Staatsinteresse fällen können,
die Wahl also nicht dazu mißbraucht werden kann, von den
Repräsentanten Konzessionen gegenüber partikularen
Interessen zu erzwingen, sind die Gewählten vom Willen
ihrer Wähler unabhängig: indirekte Demokratie
(Gewissensfreiheit der Abgeordneten und
Nichtverantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Volk).
Auf der anderen Seite darf die Erfüllung der
Staatsfunktionen, soll sich der Staat erhalten, nicht der
Willkür einer unabhängigen Regierung überlassen bleiben. Es
muß gewährleistet sein, daß die Erfordernisse der
Konkurrenz, um deretwillen die Bürger den Staat brauchen
und wollen, den gültigen Maßstab bilden, nach dem sich alle
Maßnahmen richten. Die Anerkennung des Bürgerwillens bleibt
darin erhalten, daß die Anwendung der Staatsgewalt von der
Entscheidung aller gewählten Repräsentanten über die
effizienteste Bewältigung der entstehenden Aufgaben
abhängig ist: die Exekutive ist den Beschlüssen des
Parlaments unterworfen, in dem die Volksvertreter die
Prinzipien festlegen, nach denen die anfallenden
Kollisionen zu behandeln sind, und sie der Regierung in
Gesetzesform zur Ausführung vorschreiben. Die Beratung und
Gesetzgebung des Parlaments sorgt dafür, daß die Ansprüche
an die Staatsleitung gemäß der Gesamtheit der
Staatsleistungen relativiert und ihre (Nicht-)Erfüllung
dementsprechend verbindlich festgelegt wird. Die
parlamentarischeDemokratie gibt sich damit als eine
Regelung der Staatsgewalt zu erkennen, die den Staat als
Mittel der nationalen Reichtumsvermehrung erhält, indem sie
die Regierungsgewalt verpflichtet, von der rücksichtslosen
Erfüllung aktueller Bedürfnisse Abstand zu nehmen, und in
Gesetzen die einzelnen Probleme dem staatlichen
Gesamtinteresse, das er mit seinen begrenzten finanziellen
Mitteln verfolgt, unterordnet: Das Parlament entscheidet
nicht nur über alle Maßnahmen des Staates und fixiert ihre
Ausführung durch Gesetze, es beschließt auch durch die
Bewilligung des jährlichen Staatshaushalts und der
staatlichen Kreditvergabe die Verteilung der Mittel für die
Ausführung der Gesetze.
Die Arbeit des Parlaments besteht also darin, den sich
wandelnden Erfordernissen nach rechtlichen, sozial- und
wirtschaftspolitischen Aktivitäten der Regierung durch
G e s e t z e nachzukommen, die mit der Verpflichtung des
Staates die Rechtmäßigkeit von Ansprüchen an ihn und die
Verpflichtung der Bürger gegen ihn allgemeingültig
festlegt. Als gesetzgebendeGewalt stößt das Parlament dabei
die Gesetze, die für die Bürger unumstößlich sind,
beständig um: sie werden ergänzt, geändert, aufgehoben,
womit der Gesellschaft das Recht zuteil wird, das sie
braucht. Damit gesetzliche Neuregelungen nicht dem in den
bestehenden Gesetzen existenten Staatszweck zuwiderlaufen,
sind sie dem Gebot der Verfassungsmäßigkeit unterworfen,
die durch das Verfassungsgericht festgestellt wird.
Die gesetzlichen Entscheidungen über die beste Regelung der
anfallenden Kollisionen werden von den im Parlament
versammelten Volksvertretern gemeinsam, wegen ihrer
differierenden Vorstellungen über die beste Staats führung
aber mehrheitlich gefällt. Damit der in den verschiedenen
Parteien zum Programm erhobene Weg, die Bürger Mores zu
lehren, anläßlich einzelner Beschlüsse nicht der Freiheit
des Abgeordneten zum Opfer fällt, unterwerfen die Parteien
ihre Abgeordneten dem Zwang, der den Wählern verboten ist:
Durch den Fraktionszwang und die geschäftsordnungsmäßige
Übertragung aller parlamentarischen Initiativen an die zu
Fraktionen zusammengeschlossenen Parteien wird der einzelne
Abgeordnete zum Erfüllungsgehilfen des Parteiwillens,
weswegen neben die Berufung auf die Gewissensfreiheit der
Abgeordnete gegenüber dem Wähler die Berufung der Parteien
auf den Wählerauftrag gegenüber dem einzelnen Abgeordneten
tritt. (Dagegen wird in solchen Ländern, wo die Parteien
die in ihnen sich geltendmachenden politischen Ansprüche
der diversen Interessengruppen nicht zu einer gemeinsamen
politischen Programmatik ausgestaltet haben, wo der
einzelne Abgeordnete also als Interessenvertreter
bestimmter Gesellschaftsgruppen im Parlament sitzt, die
Konkurrenz der Anforderungen an den Staat durch jeweils
aktuell sich bildende Mehrheiten von Befürwortern oder
Gegnern der jeweiligen Gesetzesvorlage entschieden, also im
Parlament selbst ausgetragen.)
Um zu gewährleisten, daß die regierende Partei die
Gesetzesbeschlüsse nicht ohne Rücksichtnahme auf die
gesellschaftlichen Interessengruppen, auf die der Staat
angewiesen ist, fällt, ist das Gesetzgebungsverfahren
zumeist als Zweikammersystem organisiert, wobei die zweite
Kammer nur als Instanz moralischer Einflußnahme durch ein
gewisses Beratungs- oder Einspruchsrecht bei
Gesetzesbeschlüssen oder aber als Kontrollorgan des
Parlaments durch die Instanzen ausgestaltet sein kann,
denen die Ausführung der Gesetze mit zufällt.
Da die Gesetze der Parlamentarier die Erwartungen der
Wählermehrheit beständig enttäuschen – sie werden dem
Allgemeinwohl geopfert –, dient die Beratung der Gesetze
zugleich der Agitation der Bevölkerung für seine
Repräsentanten/Alternativen: Öffentlichkeit des Parlaments.
Während die für die Festlegung der Gesetzesvorlagen
notwendigen juristischen, ökonomischen und politischen
Erörterungen den von Sachberatern und Regierungsexperten
unterstützten, nach Fraktionsstärke besetzten Ausschüssen
zufällt, dienen die öffentlichen Debatten der Demonstration
der konkurrierenden im Parlament vertretenen Parteien; sie
zeigen, daß sie mit der Beschließung bzw. Ablehnung des
jeweiligen Gesetzes das Staatswohl im Auge haben und damit
den Wählerauftrag erfüllen. Die Größen der Parteien
bewähren sich dabei stellvertretend als gewählte
Repräsentanten, indem sie auf der Grundlage der falschen
Gleichung von Staats- und Bürgerinteresse sich
wechselseitig die Befähigung zur Erledigung der
Staatsgeschäfte absprechen, sich die Ideale der staatlichen
Gewalt unter die Nase reiben und so im formellen Gewande
des Streits über faktisch schon entschiedene Gesetze den
Staatsidealismus der Bevölkerung für sich zu vereinnahmen
suchen. Anwesenheit der Abgeordneten und Intensität der
Plenumsdebatten richten sich daher weniger nach der
Wichtigkeit des behandelten Gesetzes für den Staat als nach
dem Demonstrationseffekt, den sie erlauben, d.h. danach,
wieweit sich an der behandelten Entscheidung Alternativen
herausstreichen lassen, weil es im Volk Affinitäten zur
einen oder anderen Seite gibt. Neben Haushaltsdebatten, in
denen die Funktionstüchtigkeit des Staates am Ensemble
seiner Maßnahmen diskutiert wird, firmieren daher
Entscheidungen, an denen die nationale Moral der Wähler für
Regierung oder Opposition mobilisiert werden kann, oder
andere, gerade die Öffentlichkeit bewegende Regelungen
(Reform des § 218, Energie) als bevorzugte Gegenstände
ausgedehnter, öffentlich verfolgbarer Parlamentssitzungen.
Während die Regierungspartei in diesen Debatten ihre für
alle verbindlichen Entscheidungen rechtfertigt, bewährt
sich in ihnen die Opposition als konstruktive Kritik der
Staatsmaßnahmen im Rahmen des Staates und erfüllt damit
ihre demokratische Aufgabe, den sicheren Schaden der
Bevölkerungsmehrheit, den sie ihr statt der Regierung antun
möchte, der Regierungspartei anzulasten und so die
bleibende Unzufriedenheit in Form einer möglichen
Regierungsalternative zu repräsentieren. Gesetzen, die auch
ohne ihre Zustimmung zustandekommen, stimmt sie deshalb zu
oder lehnt sie ab, je nachdem ob sie sich davon Anklang bei
den Wählern verspricht, und nutzt so den Vorteil, nicht
regieren zu müssen, dazu aus, die staatsbürgerliche
Unzufriedenheit mit der Regierung gehörig zu schüren, um
selbst an die Macht zu kommen.
Eigentlicher Angriffspunkt der Bürger und damit der
Opposition ist die Regierung, der Exekutivausschuß der
Mehrheitspartei, also das Ausführungsorgan der Gesetze. Den
Schranken parlamentarischer Beschlüsse unterworfen, setzt
sie diese in die Tat um und zeichnet sich gegenüber dem' im
Parlament organisierten Streit der Repräsentanten durch die
Einheitlichkeit ihrer Handlungen aus (Richtlinienkompetenz,
Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Kanzler). Sie
bildet die politische Spitze der Verwaltung, modifiziert
die bleibenden Staatsaufgaben, die von der verbeamteten
Bürokratie kontinuierlich und unbeschadet aller politischen
Wechsel erledigt werden, gemäß den jeweiligen politischen
Entscheidungen über ihren besten Vollzug und findet am
bürokratischen Sachverstand ihren willfährigen Diener
ebenso wie ihr Korrektiv. Die verschiedenen
verfassungsrechtlichen Formen der Abhängigkeit bzw.
Unabhängigkeit von Parlament und Regierung sind dabei
nichts weiter als Modi die parlamentarischen Entscheidungen
und ihre Ausführung nicht in einen prinzipiellen
Widerspruch geraten zu lassen, die Regierung nicht gegen
die gemäß seinen Aufgaben und Mitteln in Gesetze
verwandelten Kompromisse gesellschaftlicher Anforderungen
an den Staat handeln zu lassen und das Parlament nicht
gegen die konkreten Erfordernisse der staatlichen
Gewaltausübung Gesetze erlassen zu lassen. Je nach den Modi
der Abhängigkeit oder Einflußnahme von Parlament und
Regierung hat die wechselseitige Korrektur den Charakter
friedlicher Zusammenarbeit von Parlamentsmehrheit und
Regierung gegen die Opposition oder dauernder Konfrontation
der verschiedenen Staatsorgane. Dabei ist
verfassungsrechtlich oder praktisch dafür gesorgt, daß die
Regierung auf die Gesetzgebung genügend einwirken kann, um
die in der Verwaltung des Staates bemerkten Notwendigkeiten
gesetzlich fixieren zu lassen. Deswegen steht der Regierung
bzw. der Verwaltung auch das Recht zu, im Rahmen der
Gesetze die Ausführung selbst rechtsverbindlich zu
konkretisieren.
In allen Fällen dient der demokratische
Gewalten"teilungs"zirkus, zu dem auch die "Überschneidung"
der Gewalten gehört, der Funktionalität der Staatsmaßnahmen
für die Kollisionen der Konkurrenzgesellschaft, der
Effektivität der von seinen Repräsentanten durchgesetzten
Entscheidungen für den Erhalt von Staat und Ökonomie, also
der Bewahrung der Zustimmung der von ihnen Betroffenen, die
Bedingung und Kriterium des politischen Erfolgs ist.
Deswegen ist das demokratische Staatsinstrumentarium
einerseits durch das Verbot der Änderung von
Verfassungsgrundsätzen und durch die Erschwerung von
Verfassungsänderungen geschützt. Andererseits ist für den
Fall des "Staatsnotstands", unter den gleichermaßen
Naturkatastrophen, äußere Bedrohung und innerer Aufruhr
gegen die Staatsgewalt fallen, für den Fall also, wo die
demokratischen Prozeduren und Rücksichtnahmen die
Staatsfunktionen gefährden, ihre Fortführung ohne den Umweg
der repräsentativen Zustimmung des Volkes und die offene
Rücksichtslosigkeit gegen Willen, Person und Leben der
Bürger gesetzlich fixiert: Notstandsgesetze. Zur Erhaltung
der Demokratie bedarf es im Notfall ihrer
verfassungsrechtlich sanktionierten Aufhebung.
e)
Wenn die parlamentarische Demokratie die Ausübung der
Staatsgewalt mit Hilfe der Zustimmung ihrer Bürger
organisiert, dann ist sie Produkt des gesellschaftlichen
Bedürfnisses nach einer souveränen Gewalt u n d nach
Funktionalität dieser Gewalt für, d.h. Unterwerfung ihrer
Entscheidungen unter die Interessen, welche ohne diese
Gewalt keinen Bestand haben. Der demokratische Staat
konstituierte sich also durch die Korrektur einer
Staatsgewalt durch gesellschaftliche Interessen, die sich
gegen einen Souverän durchsetzten, der von ihnen abhängig
geworden war, ohne ihnen zu dienen. Denn eine Gewalt beugt
sich denen, die sie unterwirft, nur dann, wenn sie sich
anders nicht mehr erhalten kann; umgekehrt stimmt eine
gesellschaftliche Klasse einer ihr übergeordneten Gewalt
nur dann zu (statt sie zu beseitigen), wenn sie ihrer
bedarf. Das Verdienst. eine demokratische Entwicklung
eingeleitet zu haben, kommt also der Bourgeoisie zu; Ihre
Vollendung ist das Werk der Arbeiterklasse.
Seine wachsende ökonomische Macht benutzte das Bürgertum
dazu, den Souverän am ökonomischen Mißbrauch seiner
politischen Macht zu hindern und ihm den rechten Gebrauch
seiner Gewalt, die man anerkannte, vorzuschreiben:
Steuerbewilligungsrecht durch ein Ständeparlament, in dem
sich das Bürgertum mit dem Staat der Grundbesitzer
auseinandersetzte. Die ökonomische Kontrolle über die
Entscheidungen des Souveräns benützte das Bürgertum als
Mittel, dem absoluten Fürsten das Gesetzgebungsrecht aus
der Hand zu nehmen und ihn auf die Ausführung der von den
Parlamentsvertretern der herrschenden Klassen getroffenen
Entscheidungen zu beschränken oder durch eine gewählte
Regierung zu ersetzen: konstitutionelle Monarchie bzw.
Republik. Die Indienstnahme der Staatsgewalt durch die
besitzenden Klassen erlaubte diesen mit der rücksichtslosen
Durchsetzung der großen Industrie eine immer größere Zahl
von Lohnarbeitern zu schaffen, die von ihrer Lohnarbeit
nicht leben konnten und mit jeder Anstrengung, ihre
Existenz zu sichern, in Gegensatz zur Staatsgewalt
gerieten. So machten die staatsgefährdenden Bemühungen der
Proleten um ihre Existenz als Lohnarbeiter dem Staat klar
daß er ohne die Berücksichtigung dieses sich ständig
vergrößernden Standes, also ohne die Aufhebung der
Rechtlosigkeit der Arbeiterklasse, keinen dauerhaften
Bestand haben konnte. Umgekehrt bemerkten die Arbeiter an
den Reaktionen des Staates, daß sie ihn als Mittel im Kampf
gegen ihre Ausbeuter gebrauchen mußten: die Durchsetzung
ihrer materiellen Interessen war gleichbedeutend mit ihrer
Durchsetzung im Staat, erforderte die Veränderung der
öffentlichen Gewalt, die sich als Instrument der
Kapitalisten ohne Rücksicht auf die Erhaltung ihres
Ausbeutungsmaterials betätigte. Der Kampf um das allgemeine
Wahlrecht, die Durchsetzung der Demokratie w a r also
Klassenkampf, freilich nicht in der ersten Demokratie, in
Amerika.
f)
l. Die demokratische Organisation der Staatsgewalt verdankt
sich der Abhängigkeit ihres Erfolgs von der Zustimmung
ihrer Bürger und institutionalisiert sie als Grundlage der
politischen Maßnahmen gegen sie. Der darin enthaltene
Widerspruch, der sich in der beständigen Gefährdung des
staatsbürgerlichen Vertrauens in den Nutzen seines Staates
niederschlägt, ist dem Staat ein Problem – nicht
hinsichtlich seiner E x i s t e n z , die er auch ohne
Zustimmung zu erhalten gewillt ist, wohl aber hinsichtlich
seines d e m o k r a t i s c h e n Fortbestandes. Die
unvermeidliche Kritik an seinem Tun stellt für den Staat
die Drohung dar, d e r Grundlage verlustig zu gehen, die
beständig offene Gewaltausübung überflüssig macht und daher
seine Durchsetzung am effektivsten sichert. Die
Wissenschaft der Politologie widmet sich daher der
bürgerlichen Unzufriedenheit, um ihre demokratische
Praktizierung durch das entsprechende Demokratielob zu
befördern. Als solche ist sie die d e m o k r a t i s c h e
W i s s e n s c h a f t par excellence und daher auch a n t
i k r i t i s c h : Sie bespricht alle Momente des
institutionalisierten Gegensatzes von Staat und Bürger als
Willensverhältnis, d.h. unter dem Aspekt, inwieweit sie die
Staatsgewalt durch die Zustimmung der ihr Unterworfenen
festigen, und bekämpft durch die propagandistische
Darstellung staatlicher Institutionen und Ideale jede
Unmutsäußerung gegenüber dem Staat unabhängig von ihrem
konkreten Inhalt.
In der demokratischen I n s t i t u t i o n e n l e h r e
werden die Wahlsysteme nach den Kriterien Wahlgerechtigkeit
contra Regierungsfähigkeit verglichen, die Parteien als
vermittelnde Instanz zwischen Bürgerinteresse und
Staatsgewalt begrüßt, Zwei- und Mehrparteiensysteme, Volks-
und Weltanschauungsparteien nach den Gesichtspunkten
Einheitlichkeit der Staatsführung, Wahlalternativen,
Interessenartikulation = innerparteiliche Demokratie
abgewogen, die repräsentative Demokratie gegen
Vorstellungen direkter Einflußnahme des Volkes auf die
Staatsentscheidungen verteidigt und die Funktionalität der
Gewaltenteilungsmodi und ihrer notwendigen Grenzen für den
Machtgebrauch im Sinne der Bürger gepriesen.
Das Eingeständnis der Gewalt der Staatsverhältnisse und des
Unterwerfungscharakters der bürgerlichen Willenskundgabe
wird mit dem Hinweis auf den rechtsstaatlichen, nicht
willkürlichen Charakter dieser Gewalt verlängert und im Lob
der demokratischen Grundsätze von Freiheit, die durch ihre
staatliche Beschränkung verwirklicht wird, und politischer
und rechtlicher Gleichheit, die keine soziale sein darf,
zum reinen Staatsidealismus verklärt, dessen Grundlage in
der Konkurrenz in den legitimatorischen Sprüchen über die
Notwendigkeit des Staates zur Bändigung und Erfüllung der
Menschennatur aufscheint. Der Blick in die Vergangenheit
der Staaten- und ' p o l i t i s c h I d e e n welt' dient
mit den entsprechenden Vergewaltigungen früherer,
keineswegs politologischer Denker als Beleg, daß die
heutige Demokratie alle Menschen – sprich
Staatsbürgersehnsüchte verwirklicht hat, und enthebt mit
seinen Tautologien den Politologen der Antwort auf die
Frage nach dem Nutzen von Freiheit und Gleichheit. (Die i n
t e r n a t i o n a l e
P o l i t i k ergänzt die Verwandlung der Staatsgewalt in
eine gemütliche Bürgersache durch die Proklamation der
nützlichen Gewalt nach außen und benutzt den
Staatsidealismus der Bürger zur Relativierung seiner
demokratischen Ideale, bzw. als Grundlage des Lobs, wieweit
wir es gebracht haben).
Das regelmäßige Resultat dieser wissenschaftlichen
Anstrengungen, daß die Labilität der Demokratie die Stärke
der besten aller schlechten Staatsformen ist, der Staat
also als Gewalt am besten funktioniert, wenn er nicht
beständig den Bürgern seinen Willen erst aufzwingen muß,
beweist die Politologie durch die vierte Abteilung ihres
wissenschaftlichen Treibens: den – in der
Totalitarismusforschung zum selbständigen Zweig ausgebauten
– Pseudovergleich zwischen Demokratie und Diktatur, deren
Notwendigkeit im Falle einer e r n s t h a f t e n ,Krise
der Demokratie damit eingestanden und bedauert wird. In der
Abwägung der diversen Vor- und Nachteile von Diktatur und
Demokratie, der stets zugunsten letzterer ausfällt, wird
die Demokratie als Mittel der Verhinderung der Diktatur
besprochen, ihr damit das unvermeidliche Armutszeugnis
ausgestellt (das sich hierzulande in das Lob kleidet, daß
die BRD es bisher im Unterschied zu Weimar geschafft hat,
die Demokratie ohne Faschismus zu retten, und die DDR
beständig beschämt). Das gibt den Übergang zur Beschwörung
der notwendigen Grenzen der Demokratie und zum direkten
Angriff auf die bürgerliche "Staatsverdrossenheit" ab.
Schuld an der Gefährdung der Demokratie sind ihre Kritiker,
die den Bürger immer noch freier und gleicher, die
Demokratie immer direkter und zum Prinzip des gesamten
gesellschaftlichen Lebens machen wollen (ein Vorwurf, dem
die Kritiker normalerweise recht geben):
D e m o k r a t i s i e r u n g s d e b a t t e . Das
eigentliche Problem der Demokratie aber ist der Bürger als
solcher, der sich zu wenig, zu viel, zu unsachverständig an
ihr beteiligt, zu wenig demokratische Bildung besitzt und
seinen Egoismus nicht staatstreu relativieren will, weil
ihm die Mündigkeit fehlt.
Mit dem Eingeständnis, daß sie nur ein Problem quält, die
willentliche Unterstützung der Staatsgewalt, löst sich die
Politologie in die offene Propaganda der Staatsgewalt
g e g e n die Bürger auf und kann als solche ihre
Nützlichkeit für die staatsbürgerliche Zurichtung im
Deutsch-, Geschichts-, Heimatkunde- und
Sozialkundeunterricht beweisen. Da sie sich aber die
bleibende Kritik am Staat als ihren eigenen Mißerfolg
ankreidet, hat sie sich inzwischen um die e m p i r i s c h
e Abteilung erweitert, die durch Wahlanalysen usw. dem
Staat praktische Hilfestellung bei der Beurteilung bzw.
Verbesserung seiner Bestandsaussichten geben will, ferner
eine k r i t i s c h e Politologie hervorgebracht, die –
wie immer in schöpferischer Abwandlung amerikanischer
Vorschläge, den Bürger mehr für den Staat zu interessieren
– mit der Soziologisierung aller politologischen Probleme
dem Staat empfiehlt, durch mehr Zufriedenheit unter seinen
Bürgern seine Legitimität zu erhalten; schließlich fehlen
auch nicht die in allen Wissenschaften üblichen
m e t h o d o l o g i s c h e n Verrenkungen, die das
Scheitern in Form wissenschaftlicher Vorschriften für eine
nützliche Politologie besprechen und auch Marx zu einem
Gehilfen für diese degradieren.
2. Da es das parlamentarische Hin und Her nur gibt, wenn
die Bürger ihr Interesse am Staat soweit entwickelt haben,
daß sie wählen gehen, also auch der Dialektik von Erwartung
und Enttäuschung regelmäßig Pflege angedeihen lassen,
stellen sie mit ihrer Enttäuschung auch nicht ihre
Erwartungen infrage, sondern widmen sich der intensiven
Suche nach den Mängeln in den demokratischen P r o z e d u
r e n , denen sie die Nichterfüllung ihrer Erwartungen zur
Last legen können. Am procedere der Demokratie bewähren
sich die kritischen Staatsbürger in ihrer armseligen
Unterwürfigkeit – ihr vernachlässigtes Interesse bemäkeln
sie als politologische Amateure, die ihre nicht vorhandene
Aufmüpfigkeit durch die Anerkennung der professionellen
Agitatoren die sie in die Schranken weisen, nur allzu
bereitwillig eingestehen. Die Politiker sind ihnen
Gegenstand persönlicher Sym- oder Antipathie, ihre
Propaganda z u unsachlich, zu wenig auf ihre Interessen
bezogen, zu elitär, eine Stilfrage. Die Tätigkeit der
Parteien im Parlament ist ihnen nicht verständlich genug,
zu wenig transparent, läßt zu wenig Alternativen erkennen
und erschüttert ihr Vertrauen in die Würde des hohen
Hauses. Auf der einen Seite vermissen sie die echte
Konkurrenz zwischen den Volksvertretungsvereinen, auf der
andern fürchten sie sie. Im Wahlkampf fühlt sich der
Demokrat wohl, weil er das, was von seiner Stimme abhängt,
überschätzt; Unwohlsein bereitet ihm die Agitation, die ihn
in den von der großen Politik getrennten privaten
Geschäften stört und ihn, statt seinen individuellen
Interessen und Ansprüchen an den Staat konkrete
Entscheidungshilfen zu liefern, mit Grundwertedebatten
bombardiert. Manche bedauern die Entgleisungen des
Wahlkampfs, die eigentlich dem ernsten Geschäft der Politik
fremd sind, und sind deshalb froh, wenn endlich wieder
normal regiert wird. Die Kritik an der Agitation
einschließlich ihrer Fortsetzung in der Gewaltausübung
nimmt bei den konsequent enttäuschten Demokraten die Form
resignativ-schlauer Verharmlosung des ,Schwindels' an, bei
dem sie nicht mitspielen, so daß die Enttäuschung als
Täuschung sinnfällig wird. Der aufrechte Demokrat bemäkelt
dagegen immer erst nach der Wahl, daß sich die Regierung
nun aber endgültig unglaubwürdig macht, was ihn bisweilen
zur Teilnahme an den Debatten bewegt, wie das Verhältnis
des Volkes zu seinen Repräsentanten enger gestaltet werden
könne.
Es ist also nicht überflüssig, den demokratischen Zirkus
ausführlich zu kritisieren, obwohl noch jeder Bürger ihn
in- und auswendig kennt, so gut wie kein gutes Haar an ihm
läßt und von den Medien ganz und gar nicht manipuliert,
sondern laufend mit den brutalen Berechnungen und Techniken
seiner Repräsentanten bezüglich der Stimmenfängerei
konfrontiert wird. Zwar handelt es sich bei den
vielgepriesenen demokratischen Prozeduren um alles andere
als den Betrug an den fortschrittlichen Hoffnungen des
Volkes; aber die Kenntnis des demokratischen Getriebes und
des Charakters seiner politischen Agenten, die
Unzufriedenheit über die periodischen Bemühungen um sein
politisches Bekenntnis hindern den Bürger nicht daran, es
periodisch abzulegen. Die Moral seines allmächtigen
Staatsbürgerverstandes besteht nämlich nicht darin, sich
Illusionen über die Rücksichtslosigkeit des politischen
Geschäfts zu machen, sondern an sie Erwartungen zu knüpfen,
also mit ihr zu r e c h n e n . Zu dieser Rechnung gehört
das Bewußtsein, daß es beim Kampf um die Macht zugeht wie
im Leben, mit dem kleinen Unterschied, daß hier die Inhaber
der Macht am Werk sind und er ihr Hilfsmittel ist. Deswegen
paart sich auf diesem Feld die staatsbürgerliche Kritik
ohne Umschweife mit dem umstandslosen Verständnis für die
Notwendigkeiten und Zwänge des politischen Geschäfts, und
die kritischen Stimmen zur Wahl sind weder mehr als eine
Pflichtübung in Sachen idealer Demokratie, noch wollen sie
mehr sein.
Auch die revisionistische bzw. faschistische Kritik bildet
keine Ausnahme von dieser allgemein bekannten
demokratischen Heuchelei – nur ist sie weniger anerkannt.
Für die
R e v i s i o n i s t e n ist die Volksvertretung keine
wahre, weil nicht unabhängig von den Interessen und
Einflüssen der mächtigen Monopole und ihrer Verbände
(Stamokap), dafür aber zu wenig abhängig von den Interessen
der Mehrheit des Volkes, der sie schaden, was das
imperative Mandat als Alternative einer wirklichen
Demokratie wünschenswert erscheinen läßt nebst Wahl aller
Beamten durch das Volk. Wahlen sind wegen ihres
zweifelhaften Nutzens für die Wählermehrheit ein Betrug, es
sei denn man wählt die wahre Alternative, die
revisionistische Partei, die sich schon durch die
Klassenherkunft ihrer Kandidaten gegenüber den abgenutzten
Lakaien der Herrschenden auszeichnet. Einmal an die Macht
gekommen, schaffen sie deshalb auch die Demokratie im Namen
der Demokratie ab. Für die verstaatlichte Ausbeutung sind
Wahlen zwar nicht mehr Mittel der Zustimmung und
Repräsentation, aber dennoch nicht ganz unbrauchbar:
demokratische Prozeduren als erzwungene Akklamation.
Als einzige Alternative zu den verbrauchten bürgerlichen
Parteien preisen sich auch die
F a s c h i s t e n an. Sie haben jedoch die Schwächung des
Staates im Auge, die sie im Konkurrenzkampf der Parteien,
im Opportunismus der Repräsentanten und in der Orientierung
der Politiker an den Launen der Bürger, die mehr an sich
als an den Staat denken, entdecken. Die demokratischen
Parteien und ihre Führer sowie die parlamentarischen
Prozeduren halten sie für eine einzige Gefährdung des
Staats, der Einheit des Volkes, des Bestands der Nation.
Die Notwendigkeit des Staats spielen sie konsequent gegen
ihren Grund, die Konkurrenzinteressen und ihre Äußerungen
im politischen Getriebe, aus; alle Verlautbarungen des
Bürgerwillens, welche die Bedingungen zum Vorschein kommen
lassen, unter denen er ein Wille zum Staat ist, gelten dem
Faschisten als Element des Kommunismus. Seine Ideale sind
Saubermann und Opfermut, ihre Praktizierung rettet das
Volk; Demokraten sind Staatsfeinde. Wenn es Faschisten
gelingt, mit Hilfe der Mehrheit der enttäuschten
Staatsbürger die Macht zu ergreifen, präsentieren sie dem
Volk die Inkarnation seines einheitlichen, weil von seinen
Interessen absehenden Willens. Der Führer läßt sich
ebenfalls akklamieren, allerdings nicht als Vollstrecker
von Interessen – er ist das personifizierte Ideal, die
Nation. Das unterstellt freilich, daß der Materialismus aus
der Politik verschwunden ist, weswegen nicht nur Juden in
den KZs verschwanden.
Editorische Anmerkungen
Der Text erschien am 25.5. 2011 bei Indymedia.
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