Zu den
unbestrittenen allgemeinen Zielen des Sozialismus/Kommunismus
gehörte und gehört es, dass die Mehrheit der Menschen - die heute
in entwickelten kapitalistischen Ländern üblicher Weise von
fremdbestimmter Lohnarbeit leben - darüber entscheiden, was
produziert wird und wie es produziert wird. Um dieses Ziel sicher
zu stellen, müssten die kapitalistischen Produktionsverhältnisse
überwunden werden und die gesellschaftlich arbeitsteilige
Produktion dem Willen der nunmehr frei assoziierten Menschen
unterworfen werden. Solange kapitalistischen
Produktionsverhältnisse herrschen entscheiden in erster Instanz
voneinander unabhängige Privatproduzenten was produziert wird und
wie es produziert wird. Die lohnabhängige Masse kann allenfalls
als Konsument, durch Kaufentscheidungen, auf
Produktionsentscheidungen Einfluss nehmen.
Die
Anti-AKW-Bewegung beschränkt sich nicht auf diese mögliche,
begrenzt marktvermittelte Einflussnahme von KonsumentInnen auf
die Produktionsentscheidung für diese oder jene Form der Energie.
Von Anfang an ging ihr Bestreben dahin, durch politische Aktion
direkten Einfluss auf die Produktionsentscheidung zu nehmen. Die
Forderung nach Abschaltung aller AKWs wendete sich sowohl an die
Kraftwerksunternehmen, wie an den bürgerlichen Staat.
Die
Anti-AKW-Bewegung hat von Anfang an nicht nur von Kapital und
Staat die Abschaltung der AKWs verlangt sondern gleichzeitig die
Produktion von Energie aus erneuerbaren Energiequellen
angeschoben.
Ob sich
diejenigen, die die Anti-AKW-Bewegung tragen und voranbringen
dieser Tatsache bewusst sind oder nicht, es bleibt festzuhalten,
dass die Bewegung in einem sehr wichtigen Bereich der
gesellschaftlichen Produktion nach direktem demokratischen
Einfluss auf die Produktionsentscheidung strebt. Das ist aus
meiner Sicht eine unverkennbar sozialistische Tendenz!
Die Produktion,
Bereitstellung und Nutzung von nicht menschlicher Energie gehört
zu den entscheidenden Bereichen der gesellschaftlichen
Produktion, die großen Einfluss haben auf die Entwicklung von
Arbeitsproduktivität und Entwicklung der natürlichen Umwelt. (Für
die Entwicklung der Arbeitsproduktivität ist die Nutzung nicht
menschlicher Energie entscheidend.) Der Versuch einer wachsenden
Zahl von Menschen, auf diesen Bereich der gesellschaftlichen
Produktion direkt Einfluss zu nehmen, ist auch aus diesem Grunde
von besonderer Bedeutung.
Solange das
kapitalistische Privateigentum unangetastet bleibt, kann die
Masse der von lohnabhängiger Arbeit lebenden Menschen nur durch
politische Bewegung und politischen Druck auf Kapital und Staat
einen entscheidenden Einfluss auf Produktionsentscheidungen
nehmen. Das solche Bestrebungen nicht illusorisch sind, beweist
die Anti-AKW-Bewegung. Ihr Erfolg und die Dauerhaftigkeit der
durchgesetzten Entscheidung hängt jedoch immer vom Ausmaß der
Mobilisierung und somit der Stärke der Bewegung ab. Es gibt keine
gesellschaftlich Einrichtung, keine Organisation der Produktion
selbst, die den Menschen ihr Einflussnahme und Entscheidungsmacht
garantiert. Sowie der Druck auf Kapital und Staat nachlässt,
beherrscht das Privateigentum das Feld und werden die
marktwirtschaftlichen Kriterien der Gewinnmaximierung
uneingeschränkt dominierend. Sollen sich die in der
Anti-AKW-Bewegung ausdrückenden sozialistischen Tendenzen nach
Einflussnahme auf die Produktion also dauerhaft durchsetzen, dann
verlangt das eine Überwindung des kapitalistischen
Privateigentums.
Die
Anti-AKW-Bewegung ist aus 2 Gründen ganz traditionell
sozialistisch:
1.
weil
sie in einem konkreten Einzelfall nach direkter Einflussnahme auf
was und wie der Produktion strebt
2.
weil
sie – wie es wider alle linksradikalen Unkenrufe unter
kapitalistischen Produktionsverhältnissen gar nicht anders sein
kann – zu diesem Zweck Forderungen sowohl an das Kapital (in
diesem Fall auf Unterlassung) als auch an den Staat (in diesem
Fall Durchsetzung eines Verbots) stellt.
An beiden
„Traditionen“ ist nichts auszusetzen. Eine sozialistische
Massenbewegung wird sich auch auf dem Boden der heutigen
Gesellschaft nicht entwickeln, ohne zunächst Forderungen an
Kapital und Staat zu richten.
Die
Anti-AKW-Bewegung ist aus 2 Gründen nicht traditionell
sozialistisch:
1.
weil
sie die Eigentumsfrage nicht stellt
2.
weil
sie nicht blind ist für die Risiken von Technik und
Produktivkraftentwicklung
Während der
erste Punkt aus meiner Sicht eine Schwäche der Bewegung
ausdrückt, bedeutet der 2. Punkt eine entscheidende Stärke der
Bewegung, ohne den sie sich überhaupt nicht – jenseits des
traditionellen Sozialismus - in der Breite hätte entwickeln
können. Die Infragestellung von Produkten und
Produktionstechniken wurde in der Anti-AKW-Bewegung zum
entscheidenden Ausgangspunkt für die oben benannte sozialistische
Tendenz.
Die
„Risikobeurteilung“ (mögliche Gefährdungen erkennen, Risiken für
Mensch und Umwelt analysieren und bewerten)
-
von Produkten, die für den Verkauf erzeugt
werden
-
von Produktionstechniken, die vor allem darauf
abzielen Umsatz und Gewinn zu steigern
-
von Arbeit und Arbeitsorganisation, die darauf
ausgerichtet ist, menschliche Arbeitskraft zu möglichst
niedrigen Kosten marktkonform zuzurichten und zu benutzen
wird unter
heutigen Bedingungen zu einem entscheidenden Ausgangspunkt für
grundlegende Gesellschaftskritik und darauf aufbauenden populären
sozialistischen oder kommunistischen Bestrebungen. Man kann und
muss von der Anti-AKW-Bewegung eine Menge lernen, wenn man
beitragen will zur Entwicklung einer gesellschaftlichen
Massenbewegung in der zunehmend mehr Menschen mit entscheiden
wollen was produziert wird und wie es produziert wird.
Editorische Anmerkungen
Peter Trotzig schreibt ab der Nr. 1-05 in unregelmäßigen
Abständen seine Kommentare zum Zeitgeschehen.
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