Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Risse im Atomstaat?
Infolge der dreifachen AKW-Katastrophe im japanischen Fukushima wird erstmals auch in Frankreich einiger Zweifel an der Zukunft der Atomenergie laut. Höchste Zeit wäre es...

06/11

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Nicht alle sind unglücklich über die Katastrophe. Nicolas Sarkozy zum Beispiel fand, dass die miteinander verkoppelten, mehrfachen Atomunfälle im japanischen Fukushima dem nationalen Interesse Frankreichs eher zuträglich seien. Am 13. März 11, keine zwei Tage nach Beginn der Reaktorhavarie am Pazifikufer, posaunte sein Berater und Redenschreiber Henri Guaino es im RTL-Interview hinaus: „Das dürfte unsere Atomindustrie eher begünstigen, gegenüber den Industrien anderer Länder, in denen die Sicherheit eher als ein bisschen zweitrangig behandelt wurde.“

Guainos oberster Chef, Nicolas Sarkozy, erkor dessen Devise zu seiner eigenen. Als erstes ausländisches Staatsoberhaut überhaupt reiste der (früher für seine, inzwischen langweilig gewordene, Hyperaktivität bekannte) französische Präsident nach der Erdbeben-, Tsunami- und Nuklearkatastrophe im März dieses Jahres nach Japan. Am 31. März 11 hielt er sich, ein Seminar der G20-Struktur zum Anlass nehmend, für einige Stunden in Tokyo auf. Während andere ausländische Politiker das in seinem genauen Ausmab noch unbekannte Strahlungsrisiko in Japan vorsichtig mieden, blieb Sarkozy einen halben Tag und hampelte ein wenig in Tokyo herum. Dabei nutzte er die Gelegenheit nicht nur, um Frankreichs Politiker der „Atom-Option“ offensiv zu verteidigen – nur diese erlaube es angeblich, die Zielsetzung bezüglich der Verringerung von CO2-Emissionen zu erfüllen -, sondern er brachte auch Führungsleute des französischen Nuklearkonzerns AREVA in seinem Tross mit. (Vgl. http://www.leparisien.fr/  und http://www.marianne2.fr  oder http://www.marianne2.fr/sarkofrance/

In der Folgezeit erhielt AREVA mehrere Aufträge für das nukleare Katastrophenmanagement in Japan, die allem Anschein nach überteuert sind - während technische Vorschläge von japanischen Hochschullehrern (etwa zum Umgang mit radioaktivem Wasser) beiseite geschoben wurden, wenn sie der AREVA-Technologie Konkurrenz zu bereiten drohte.  

Der französische Staatskonzern AREVA ist derzeit international aktiver denn je. In Indien plant die Nuklearfirma derzeit den Bau eines Atomkraftwerks mit sechs Reaktorblöcken, in Jaitapur im Bundesstaat Maharashtra, das bei Fertigstellung das gröbte AKW weltweit sein wird (/würde). Und passenderweise, einmal mehr – vergleiche das leuchtende japanische Beispiel – auf einer Erdbebenspalte errichtet wird. Der Bau hat bislang noch nicht begonnen. In jüngster Zeit, vor allem infolge der AKW-Katastrophe in Fukushima, fanden dort jedoch heftige Proteste statt. Am 18. April 11 kam es zum Schusswaffeneinsatz der „Sicherheits“kräfte inklusive Tod eines Demonstranten. Aber auch 54 Polizisten sollen an jenem Tag verletzt worden sein. - Vgl. http://tempsreel.nouvelobs.com  und http://www.lepoint.fr (sowie, natürlich, http://www.arretsurimages.net/). An dieser Stelle wurde die Vereinbarung zum Bau des AKW vor zwei Jahren verkündet: http://www.areva.com/ 

Laufzeit-Verlängerung für AKWs auch in Frankreich (Ähnlich wie in der BRD oder Japan..) 

Frankreich hat unterdessen sicherlich keinerlei Grund, sich stärker als andere Ländern mit seinem Atomschrott zu brüsten. Am o7. Oktober 2010  hatte der französische Stromversorger EDF (Electricité de France) formell beschlossen, die Laufzeit seiner Atomanlagen über die bisherige Grenze von 40 Jahren hinaus zu verlängern. Also denselben Beschluss gefällt wie zuvor der japanische Betreiber Tepco - der erste Reaktorblock von Fukushima, den man 1970 ans Stromnetz angeschlossen hatte, hatte just im letzten Jahr diese Altersgrenze überschritten - oder die schwarz-gelbe deutsche Bundesregierung. Doch während in Deutschland diese Weichenstellung längst wieder in Frage gestellt wurde, auch durch die unter Druck der öffentlichen Meinung geratene Regierung Angela Merkels selbst, steht sie in Frankreich derzeit keineswegs auf der Kippe. 

An die Ostgrenze gelegt: Cattenom...  

Nach dem schweren Reaktorunglück von Tschernobyl, vor 25 Jahren, waren mehrere der französischen Atomkraftwerke in den Nachbarländern unter verstärkte Kritik geraten.  Unangenehm fiel im europäischen Ausland auf, dass der französische Zentralstaat die Tendenz hatte, manche seiner Atomanlagen ganz besonders nahe an die Aubengrenzen zu stellen - damit im Problemfall die Nachbarn die Folgen abbekommen, wie Kritiker monierten.

Besonders umstritten war damals das AKW von Cattenom, das vier Reaktorblöcke aufweist und unmittelbar an der luxemburgischen Grenze liegt. In Luxemburg und Süddeutschland wurde damals lauthals gegen die Sicherheitsmängel des Reaktors protestiert. Seitdem rissen die Widerstände gegen die Anlage in der Region Lothringen nicht ab. Im September 2010 fand eine grenzübergreifende deutsch-französische-luxemburgische Demonstration in Perl gegen das AKW stand. Doch nach wie vor sind die vier Blöcke von Cattenom in Betrieb, für den ältesten von ihnen wird just ab 2016 die Laufzeitverlängerung über die 40 Jahre hinaus anvisiert.  Demnächst wird das AKW nunmehr einem der in der Europäischen Union vorgesehenen „Stresstests“ (vgl. dazu unsere Ausführungen am Schluss dieses Artikels) unterzogen werden, wozu auch deutsche Experten hinzugezogen werden sollen. Vgl. http://www.wort.lu/ 

...oder Fessenheim  

In jüngster Zeit haben sich unterdessen grenzübergreifende Proteste an einem weiteren französischen Atomkraftwerk entzündet, das ebenfalls im äubersten Osten des Landes liegt. Die elsässische Anlage von Fessenheim mit zwei Reaktorblöcken, die beide 1977 in Betrieb genommen wurden, ist derzeit das älteste laufende Atomkraftwerk in Frankreich. Sie liegt 25 Kilometer von der elsässischen Industriestadt Mulhouse entfernt, aber nur anderthalb Kilometer von der Rheingrenze, ungefähr 30 Kilometer vom deutschen Freiburg und keine fünfzig Kilometer vom schweizerischen Basel. Ihr Sicherheitsprotokoll stammt aus dem Jahr 1971. 

Der Stadtrat der elsässischen Regionalhauptstadt Strasbourg nahm am 11. April 11 eine einstimmige Entschliebung - abzüglich einer Enthaltung - an, welche die sofortige Abschaltung des Atomkraftwerks Fessenheim fordert. Dieses ist die einzige Nuklearanlage der Region Elsass. Die Stadtratsmehrheit aus Sozialisten und Grünen und die konservative Opposition stimmten der Forderung gemeinsam zu, was eine Premiere darstellt. Ende März 11 hatte auch das Regionalparlament des benachbarten französischen Jura sich mehrheitlich für dieses Verlangen ausgesprochen. Auch die Stadt Basel, der eidgenössische Kanton Basel-Land und das deutsche Bundesland Baden-Württemberg fordern, die Anlage dichtzumachen.  

Zwischen dem 20. März und dem 25. April 11 fanden drei grôbere Demonstrationen mit massiver deutscher und schweizerischer Beteiligung im Elsass gegen das Atomkraftwerk statt. Die erste versammelte über 10.000 Personen, die zeitlich letzte - mit fast so vielen Teilnehmern - fand auf sechs Rheinbrücken gleichzeitig statt. Dies waren die mit Abstand gröbten antinuklearen Manifestationen in Frankreich nach dem Fukushima-Unfall. Eine Kundgebung des „Netzwerks Atomausstieg“, das seinen Hauptsitz in Lyon hat, Ende März in Paris zog hingegen nur rund 1.000 Teilnehmer/innen an. 

Leichte Bewegung in der Polit-Landschaft zur Atomfrage  

Dennoch ist die öffentliche Debatte über die Atomkraft in Frankreich heute nicht länger festgefroren, sondern in Bewegung gekommen. Dies war in den Jahren rund um Tschernobyl noch anders. Die Welle der Proteste gegen den Bau von Atomanlagen, die in den späten siebziger Jahren - unter Beteiligung der radikalen Linken - zeitweilig heftig ausfielen, war zu Anfang der achtziger Jahre nach der Wahl des Sozialdemokraten François Mitterrands zum Präsidenten (10. Mai 1981) abgeebbt. Unter seiner Präsidentschaft wurden allgemein alle Linkskräfte und sozialen Bewegungen über Jahre hinaus geschwächt.  Bis zum Aufschwung der französischen Grünen würde es hingegen noch bis in die neunziger Jahre dauern, und auch danach blieben deren Wahlergebnisse (bis vor nunmehr zwei Jahren) noch lange Zeit hinter denen der deutschen Ökologiepartei zurück. Erst die Europaparlamentswahl von 2009 brachte diesbezüglich einen Umschwung.

Linke & Gewerkschaften  

Zum Ausbleiben stärkerer Proteste trug aber auch die langjährige Position der französischen KP und der ihr früher nahe stehenden Gewerkschaft CGT in der Atomenergiefrage bei. Beim Aufbau des Staatsunternehmens EDF in den späten vierziger Jahren, während noch eine antifaschistische Nachkriegskoalition - unter Einschluss der Parteikommunisten, bis zum o5. o5. 1947 (Tag ihres Austritts aus dem Kabinett) - Frankreich regierte, waren viele Kader der CGT in dessen Strukturen integriert worden.  

Der Gewerkschaftsverband CGT wurde auf Dauer erfolgreich in den - in Deutschland so bezeichneten - „Atomfilz“ integriert und nahm lange Zeit beinharte Pro-Atomkraft-Positionen ein. Erst in jüngerer Zeit werden diese etwas leiser vorgetragen. So betonte die CGT des Energiesektors (CGT Energie) auch nach dem Fukushima-Unfall noch in der Presse, ein Abschied von der Atomkraft in Frankreich sei utopisch. Allerdings verkünden der Dachverband CGT ebenso wie die französische KP heute, wo die früheren Gewissheiten aus der pro-sowjetischen Ära verloren gegangen sind, in dieser Frage wie anderen vor allem, dass sie für „eine breite gesellschaftliche Debatte“ einträten.  

Und dennoch ist auch an dieser Front inzwischen Bewegung in die Landschaft gekommen. So unterzeichnete Xavier Mathieu, jener aktive und umtriebige CGT-Gewerkschafter, der bei der Dichtmachung des Continental-Standorts in Clairoix im Jahr 2009 (Labournet berichtete ausführlich) eine führende Rolle bei dem militanten Protest spielte, im April dieses Jahres eine Petition für die Abschaltung des AKW Fessenheim. Öffentlich kritisiert dafür wurde er ausgerechnet, nicht aus den Reihen der CGT, sondern von der linken Basisgewerkschaft SUD Energie: Letztere warf ihm vor, eine Demonstration „vor dem Kraftwerk zu unterstützen, was die abhängig Beschäftigten (drinnen) nur gegen das Anliegen aufbringen kann“. (Vgl. http://www.lemonde.fr/web/recherche_breve/1,13-0,37-1154415,0.html) Im Ansatz ist es ja nicht grundfalsch, die Lohnabhängigen innen drinnen selbst an konkreten Punkten in Widerspruch zur Atompolitik ihrer „Arbeitgeber“ bringen zu wollen, während eine allgemeine Anti-AKW-Position bei diesen Lohnabhängigen wohl nicht so gut ankommt. Diesen durchaus richtigen Ansatz für eine Politik „drinnen“ aber gegen die Position des CGT’lers Xavier Mathieu – welche für einen bekannten Vertreter der CGT ungewöhnlich genug ist – anzuführen, ist unklug.

Innenpolitische Debatte

Dass die Probleme der Atomkraft just am Rhein haltmachen, wie französische Behörden es im Frühjahr 1986 ihrer Öffentlichkeit bezüglich der radioaktiven Wolke aus Tschernobyl weismachen wollten - um eine kritische Debatte über die Nuklearenergie im eigenen Land zu verhindern -, glaubt heute niemand mehr. Das damals behauptete Aufhalten der Strahlenwolken von Tschernobyl an der Ostgrenze Frankreichs ist heute eher Gegenstand von Witzen und Ironie.

Die französische Öffentlichkeit hat begonnen, kritisch über die Atomkraft zu diskutieren, und über deren Anteil an der französischen Energieproduktion von über 75 Prozent - bei insgesamt 58 im Betrieb befindlichen Reaktorblöcken. Kein Land, das auf Atomenergie setzte, hat sich derart tief in Abhängigkeit von dieser Energieform begeben wie Frankreich seit den siebziger Jahren, damals im Namen der „nationalen Unabhängigkeit“: Da das im Land eingesetzte Uran mehrheitlich aus französischen Ex-Kolonien wie Niger und Gabun kommt, erschienen diese Lieferanten als politisch „zuverlässiger“ im Vergleich zu den Erdöl produzierenden Ländern. („Wir haben kein Öl, aber wir haben Ideen“ lautete dazu in den 1970er Jahren die staatsoffizielle Devise.)

Selbst die französischen Grünen fordern vor diesem Hintergrund keinen Sofort-Ausstieg, da der Anteil an der Energieerzeugung des Landes zu gigantisch ist, sondern denken eher über einen Ausstiegszeitraum von 20 bis 30 Jahren nach. Allerdings forderte ihr Parteiprominenter Stéphane Lhomme – der die „Beobachtungsstelle für Atomenergie“ leitet – seinerseits jüngst einen zehnjährigen Ausstiegsplan für Frankreich. (Vgl. dazu http://www.lemonde.fr

Gleichzeitig entfalten sie in dieser Frage doch einigen politischen Druck, zumal sie aufgrund ihrer Ergebnisse bei Europaparlaments- und Regionalparlamentswahlen im jüngsten Zeitraum nunmehr erstmals auch selbstbewusst Forderungen an die Sozialdemokratie als möglichen Koalitions- und Bündnispartner stellen können. So erklärte Noël Mamère, früherer Präsidentschaftskandidat der französischen Grünen, schon im März dieses Jahres, ohne Bewegung bei der Atomfrage werde es kein neues Regierungsbündnis zwischen seiner Partei und den Sozialisten - wie es zwischen 1997 und 2002 existierte - geben. Innerhalb der Sozialdemokratie nimmt zumindest die aktuelle Parteivorsitzende Martine Aubry, die neben ihrem Vorgänger im Amt (von 1997 bis 2008) François Hollande z. Zt. als eine der beiden aussichtsreichsten Anwärter/inne/n auf die „sozialistische“ Präsidentschaftskandidatur gilt, kritische Positionen gegenüber einer Atomkraft-„Zukunft“ ein. Jedenfalls ist sie, derzeit als Oppositionspolitikerin, zu einer Diskussion (u.a. mit den Grünen) über längerfristigen Atom-Ausstiegsszenarien bereit.

Zuwachs hat das Lager der Atomkraftkritiker nun durch die jüngste Konversion des bürgerlichen Umweltschützers Nicolas Hulot zum Ausstiegsbefürworter erfahren. Hulot, der eine relativ populäre Umweltsendung beim Fernsehsender TF1 leitet, hatte bis dahin Atomenergie als „saubere, weil C02-freie“ Form der Stromerzeugung befürwortet. Doch im April dieses Jahres nahm er nun an Anti-AKW-Demonstrationen teil. Er selbst beruft sich darauf, durch Fukushima „zum Umdenken gebracht“ worden zu sein. Kritiker meinen eher, seine starken Ambitionen auf eine Präsidentschaftskandidatur bei der Wahl 2012 hätten ihn dazu verleitet. Tatsache ist jedenfalls, dass die AKW-Gegner in Frankreich dadurch einen neuen, prominenten, obwohl vielfach als Opportunisten kritisierten Fürsprecher gefunden haben.

Am Freitag, den 13. Mai 11 unterzeichneten Nicolas Hulot und mehrere Prominenten vom bürgerlichen Flügel der Grünen - der Neoliberale Daniel Cohn-Bendit oder die frühere Untersuchungsrichterin und Anwärterin auf eine gemischte grün-linksliberale Präsidentschaftskandidatur, Eva Joly - zusammen einen Gastbeitrag in Le Monde. Darin fordern sie die Abhaltung eines Referendums darüber, ob man einen Ausstieg aus der Atomenergie einleiten solle. Nicht um ihre Unterschrift angefragt worden war die grüne Parteichefin Cécile Duflot, die in den Augen Cohn-Bendits als „zu links“ gilt. Der deutsch-französische Grünenpolitikerin erklärte auf Radio France Inter, es gebe einen Unterschied in der Herangehensweise: Duflot wolle einen Atomausstieg durch ein Abkommen mit der Sozialistischen Partei besiegelt wissen, die Unterzeichner des Beitrags hingegen durch eine Volksabstimmung.

Reaktor „der dritten Generation“: Als Exportschlager konzipiert – sofern ihn irgendwo jemand haben möchte

Als „saubere und sichere Energie“ versucht der konservative Präsident Nicolas Sarkozy unterdessen den neuen europäischen Druckwasserreaktor EPR - das Atomkraftwerk „der dritten Generation“ zu verkaufen. Dieser Reaktortyp soll künftig den Exportschlager Frankreichs bilden, wenn irgendwo in der Welt neue Atomkraftwerke gebaut werden, wobei solche Pläne allerdings „nach Fukushima“ jetzt auf internationaler Ebene stärker im Zweifel stehen als zuvor. Eisern hält die Regierung deswegen daran fest, dass der EPR die Schlüsseltechnologie sei, durch welche die bisherigen Sicherheitsprobleme der Atomindustrie gelöst würden. Greenpeace sieht dies anders und besetzte die EPR-Baustelle im normannischen Flamanville - ein zweiter Reaktor dieses Typs befindet sich, mit französischem Kapital, in Finnland im Bau - am o2. Mai 11. Rund 50 Teilnehmer/innen an der Aktion wurden verhaftet, doch im Anschluss wurde die Umweltorganisation bei Sarkozy empfangen. Er sei für jegliche Argumente  über eventuelle Sicherheitsprobleme beim EPR „völlig unempfänglich“ gewesen, berichtete ihre Aktivisten im Nachhinein.

Ganz sicher scheint die französische Regierung sich ihrer Sache dabei aber nicht zu sein. Jedenfalls verzichtete sie soeben, Anfang Mai 11, vorläufig auf Pläne zur Errichtung eines weiteren EPR-Reaktors, des weltweit dritten, auf französischem Boden. Zumindest die Baustelle einer solchen Anlage in Finnland erwies sich bislang als Pannenserie, es kam zu zahllosen Verzögerungen. Die an der Errichtung des EPR beteiligten französischen Firmen beklagen sich, nicht über das entsprechende Know-How beim Anlagenbau zu verfügen: Dieses sei verloren gegangen, da man in Frankreich zuvor seit langem - seit den achtziger Jahren - keine Neubauten von AKWs mehr hochgezogen habe. Die Ingenieure, die das Wissen hätten, seien inzwischen in Rente.

„Sicherheitschecks“ und „Stresstests“: Ohjemineh...

Nicht sonderlich Vertrauen erweckend wirken unterdessen die Sicherheitstests, die in Frankreich wie auf EU-Ebene unternommen werden soll, um das Publikum nach dem Unfall von Fukushima zu beruhigen. In Frankreich hat Sarkozy einen solchen Check für alle Atomkraftwerke angekündigt und dabei martialisch hinzugefügt, alle Anlagen, die durch den Test fielen, würden unverzüglich abgeschaltet.

Mit der Durchführung der Sicherheitstests betraut werden sollen jedoch die Betreiber selbst, also vor allem EDF. Dieser Stromversorger (historisch ein Staatsunternehmen, dessen Kapital jedoch seit 2004 für Privat-Anleger, also Investitionen mit Profitinteresse, „geöffnet“ wurde) hat erst jüngst wieder erklärt, sich auf keinen Fall von der Atomkraft verabschieden zu wollen: „Fukushima stellt die Atomenergie nicht in Frage“, verkündet sein Vorstandsvorsitzender Henri Proglio in einem Interview mit der Pariser Abendzeitung Le Monde, das am 24. Mai 11 publiziert wurde. Vgl. http://www.lemonde.fr/

Auf europäischer Ebene gelang, nach mehrfachen gescheiterten Anläufen, am selben Tag (Dienstag, 24. 05. Dieses Jahres) die Herstellung eines Konsens’, um die Atomanlagen in der EU einem unionsweiten „Stresstest“ zu unterziehen. Zuvor waren mehreren Treffen beim EU-Energiekommissar – und frühen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Öttinger - ergebnislos ausgegangen. Dieses Mal ist es jedoch gelungen, einen Minimalkonsens einzufädeln. (-Vgl. http://www.lemonde.fr) Diese Tests an insgesamt 143 Reaktoren sollen nunmehr am 1. Juni dieses Jahres beginnen und ihre Ergebnisse bis zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der EU vom 09. Dezember 11 liefern.

Besonders Frankreich, aber auch Grobbritannien hatten sich bis dahin den Plänen von Kommissionsmitarbeitern offen widersetzt, die Resistenz der Atomkraftwerken gegenüber Ereignissen wie Flugzeugabstürzen  oder auch Terroranschlägen zu prüfen. Die Pariser Regierung etwa wollte nur ihre Reaktion auf Naturkatastrophen, besonders Erdbeben, getestet wissen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte seinerseits versucht, einen Verbalkompromiss einzufädeln, der zwar die umstrittenen Flugzeugabstürze nicht erwähnt, die AKWs aber doch - neben Naturereignissen - auch auf ihre Reaktion „auf menschliche Einwirkung“ hin überprüfen wollte. Vorläufig platze der Versuch, auch nur formal einen Konsens herzustellen.

Doch dieser kam inzwischen zustande; als Formelkompromiss. Letzterer sieht vor, die Resistenz der Anlagen auf Naturkatastrophen wie Erdbeben und „menschlich verursachte Unglücke“, unter ihnen auch Flugzeugabstürze, jedoch ausdrücklich nicht gegenüber eventuellen „Terroranschlägen“ (und Sabotage-Akten) zu untersuchen. Ausdrücklich sollen die Tests aber auf freiwilliger Basis erfolgen; und die Prüfer/innen sollen auf keinen Fall den Betrieb eines AKW gegen den Willen des Betreibers herunterfahren können, obwohl deutsche und österreichische Abgeordnete etwas Anderes wünschten. (Deutsche Atomanlagen sollen die Tests übrigens nicht mehr durchlaufen, da sie bereits vergleichbaren Prüfungen unterzogen worden seien.)

Doch eine luxemburgische Zeitung schrieb mittlerweile offen, diese so genannten Stresstests seien „unnütz“ und – so ,La Voix du Luxembourg’ -  dienten „zu nichts“. (Vgl. http://les27.blog.lemonde.fr ; siehe aber auch http://www.wort.lu/  zuzüglich http://www.wort.lu/wort/web/fr/ )

Nachdem ihr Untersuchungsobjekt von vornherein bewusst eingeschränkt wurde (ganz nach dem Motto „Wir wollen es gar nicht wissen“), können sie wohl eben auch keine vernünftigen Ergebnisse liefern.

Reaktionen auf den Regierungsbeschluss in Berlin

Infolge des jüngsten deutschen „Ausstiegs“beschlusses – bis im Jahr 2022 kommt es nun auch in Frankreich wieder zu verstärkten Diskussionen. Er beinhaltet zwar immer noch einen ungerechtfertigten langen Zeitrahmen von elf Jahren, aber „immerhin“ wurde er auch & sogar unter einer schwarz-gelben Bundesregierung gefasst – muss also insofern auch im Falle künftiger Regierungswechsel als politisch halbwegs „wasserdicht“ gelten. Infolge dessen bricht sich nun bei manchen französischen Politgröben ein gewisses Unbehagen Bahn. Bei manchen scheint es sich sogar bereits um einen Anflug von Panik zu handeln. Die Chefin des staatlichen französischen Nuklearkonzerns AREVA, Anne Lauvargeon, sprach etwa von einer „rein politischen Entscheidung“ (und meinte dies negativ). Premierminister François Fillon beeilte sich seinerseits zu erklären, er „respektiere die Entscheidung Deutschlands“; doch mache man sie sich in Paris nicht zu eigen, sondern betrachte dort nach wie vor die Nuklearenergie als „Lösung für die Zukunft“.

Die Chefin des gröbten Arbeitgeberverbands MEDEF, Laurence Parisot, wiederum sprach von einer „folgenschweren Entscheidung für Deutschland und (ganz) Europa“. Sie sah schon „die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union“ gefährlich beeinträchtigt; vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco

In Wirklichkeit stecken hinter dem, noch relativ höflich ausgetragenen, politischen Schlagabtausch auch jeweils unterschiedliche Kapitalstrategien. In Deutschland haben in den letzten circa 15 Jahren einflussreiche Kapitalfraktionen einen Kurs verfolgt, der daraufhin hinauslief, in energiepolitische „Zukunftstechnologien“ für die Zeit nach dem Atomstrom zu investieren. Dadurch wurde Deutschland zum internationalen Marktführer auf diesen Feldern aufgebaut – und sein Kapital kann eben künftig im Prinzip auch mit einer grünen Regierungsbeteiligung umso besser leben, als hier ein profitträchtiger neuer Schlüsselsektor (mitsamt hohen Exportchancen) aufgebaut wurde. Nichts dergleichen zeichnet sich bisher in Frankreich ab, wo man den Anschluss an diesen Zug wohl vorerst wirklich verpasst hat.

Umso trotzig-aggressiver tritt nun Frankreichs Energieminister (und früherer Minister „für nationale Identität“ in den Jahren 2007-10), Eric Besson, auf den Plan. Er behauptet umso lautstärker, als auch im herrschenden Block inzwischen leise Zweifel aufkommen mögen, dass „Frankreich nicht isoliert“ ist. Und dies trotz unbeirrbaren Atomkurses. In einem Interview, das am 31. Mai 11 in der Pariser Tageszeitung Libération publiziert wurde, betont der französische Minister: „Deutschland ist souverän. Aber was werden die Auswirkungen des deutschen Ausstiegsbeschlusses sein? Es wird einen verstärkten Rückgriff auf Kohle und Erdgas, und dadurch erhöhte CO2-Emissionen geben. Sodann werden auch die Importe von Atomstrom zunehmen. Schlielbich wird der Strompreis für deutsche Unternehmen und Haushalte ansteigen.“ Regenerative Energien erwähnt der Minister daneben nicht. Als Beispiele für Länder, die den französischen Atomkurs mit trügen, erwähnt er Britannien, die Tschechische Republik und Bulgarien. Die sich in gegenläufige Richtung orientierenden Staaten wie Belgien, Italien, die Schweiz und Österreich erwähnt er ebenfalls nicht. Als Generalorientierung stellt Eric Besson die Behauptung auf: „Unsere Welt kann im 21. Jahrhundert nicht auf Atomenergie verzichten.“ Vgl. auch http://www.lemonde.fr  zuzüglich http://www.lemonde.fr/politique

Editorische Anmerkungen

Den Text
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.