Mit einer Straßenkunstaktion und einem offenen Brief an die
Bundesjustizministerin begann am 23. Mai die Kampagne
DNA-Sammelwut stoppen. Susanne Schultz ist Mitarbeiterin des
Gen-ethischen Netzwerkes Berlin, das die Kampagne koordiniert.
1.) Welche Gefahren sehen Sie in der Ausweitung der
DNA-Daten?
A.: Die besteht vor allem der enormen Expansion, die die
DNA-Speicherung erfahren hat. 1998 wurde die zentrale
DNA-Datenbank beim Bundeskriminalamt eingerichtet. Mittlerweile
sind über 700.000 Personendatensätze und 180.000 Spurenprofile
gespeichert. Wir sehen hier die Tendenz der Etablierung eines
präventiven Überwachungsstaates, in dem jeder, gegen den
ermittelt wurde mittels biologischer Spuren überwacht werden
soll. Zudem können mittlerweile mittels DNA-Analyse auch
Verwandte überprüfter Personen gesucht werden.
2.) Dient diese Methode nicht der Verbrechensaufklärung?
A.: Unter 4 % der Delikte, die über DNA-Datenbanktreffer beim
BKA ermittelt wurden, waren Kapitalverbrechen. Diese Fälle
werden aber medial gerne zur Verteidigung der DNA-Analyse in den
Mittelpunkt gestellt. Unseres Erachtens wiegen selbst einige
spektakuläre Erfolge die Gefahren der Totalüberwachung durch
DNA-Datenbanken nicht auf. Noch in den 90er Jahren haben
feministische Antigewalt-Gruppen die Einrichtung der
DNA-Datenbank beim BKA als Mittel zur Aufklärung von
Sexualdelikten abgelehnt und als trojanisches Pferd für den
Überwachungsstaat bezeichnet. Sie haben darauf verwiesen, dass
sexuelle Gewalt zum überwiegenden Teil nicht von Fremden,
sondern von Personen aus dem familiären Umfeld oder Bekannten
ausgeübt wird. Zudem zeigt zum Beispiel der Fall des Phantoms
von Heilbronn, dass die DNA-Analyse längst nicht so fehlerfrei
ist, wie immer behauptet.
3.) Basiert die DNA-Analyse nicht auf Freiwilligkeit?
A.: Über 90 Prozent der DNA-Profile in der BKA Datenbank werden
von den Betroffenen ohne richterliche Anordnung abgegeben. Das
macht den Druck deutlich, unter den diese Personen etwa in
Verhörsituationen stehen und relativiert die vorgebliche
Freiwilligkeit. Auch bei formal freiwilligen Massengentests ist
der soziale Druck so hoch, dass nur wenige die Teilnahme
verweigern.
4.) Was sind Ihre zentralen Forderungen?
A.: Zusammen mit dem Chaos Computer Club, der Humanistischen
Union und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern
wir eine unabhängige, regelmäßige Kontrolle der Datenbanken.
Nach einer Stichprobe des Datenschutzbeauftragten von
Baden-Württemberg gab dieser im Jahre 2007 bekannt, dass 42
Prozent der überprüften Datensätze gelöscht werden mussten, weil
sie unrechtmäßig gespeichert worden waren. Zudem fordern wir
eine Revision des umstrittenen Gesetzes von 2005, das zu einer
drastischen Expansion der DNA-Datenbank beim BKA geführt hat.
Ein Verbot mittels DNA-Tests Verwandtschaftsbeziehungen und
persönliche Eigenschaften zu ermitteln gehört ebenso dazu. Zudem
setzen wir uns für einen Ausstieg aus dem globalen
Datenaustausch ein.
5.) Welchen Vorteil sehen Sie darin?
A.: Der sogenannte Prozess von Prüm zur Vernetzung aller
europäischen DNA-Datenbanken ist bereits in einem Beschluss der
Europäischen Union (EU) verankert und soll bis zum 26. August
diesen Jahres abgeschlossen sein. In einigen Ländern sind die
rechtlichen Bedingungen noch schlechter als in Deutschland. So
stellte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EuGH) fest,
dass die britische Polizei mit ihrer DNA-Datenbank das
Grundrecht auf Datenschutz sehr weitgehend verletzt hat. Dort
wurden sogar bei einer Festnahme ohne Ermittlungsverfahren und
bei jedem Bagatelldelikt auch die Daten von Kindern auf Dauer
gespeichert.
6.) Ist Datenschutz bei der DNA-Analyse überhaupt möglich?
A.: Ein selbstorganisierter Datenschutz der DNA ist im Gegensatz
zu den Kommunikationstechnologien nahezu unmöglich. Man kann
seine DNA nicht einfach zu Hause lassen wie das Handy – und das
DNA-Profil auch nicht verschlüsseln. Antirepressionsgruppen
sollten darauf hinweisen, dass die Polizei keine DNA ohne
richterliche Anordnung abnehmen darf. Außerdem gibt es die
Möglichkeit mittels Klagen unrechtmäßig gesammelte DNA löschen
zulassen. Allerdings gilt die Devise, die beste DNA ist die, die
nicht abgegeben wurde.
Editorische Anmerkungen
Wir erhielten das Interview vom Autor für
diese Ausgabe.