Betrieb & Gewerkschaft
„Das Bündnis für Arbeit hat uns kaputt gemacht“
Die UZ sprach mit Genossen der DKP-Sammelbetriebsgruppe Metall in Hanau über Erfahrungen und Probleme in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

06/11

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Jürgen Brandies: Früher in der DKP, war das Ziel immer, jeder Betrieb eine Betriebsgruppe. Wir hier in Hanau, haben das nicht mitgemacht, weil man sich dann nur auf die Probleme eines einzelnen Betriebes bezieht. Das widerspricht dem Gedanken, dass es notwendig ist sich auszutauschen und außerdem waren wir zur damaligen Zeit nicht so stark in den Betrieben.

Heute würde ich unsere Betriebsgruppe, in Anführungszeichen, als eine Gewerkschaftsgruppe in der DKP bezeichnen. Bei uns sind Genossen, die sich über Jahrzehnte kennen. Das ist was Besonderes, vielleicht auch einer der Gründe, warum es uns noch gibt. Wir sind seit der politischen und der gewerkschaftlichen Jugendarbeit zusammen. Wir wollten, nicht wie manche Linke, die die These vertreten, wir gehen nicht in gewerkschaftliche Funktionen, immer Funktionen besetzen, um die dann mit inhaltlichen Positionen zu füllen, um fortschrittliche, interessenorientierte Gewerkschaftsarbeit zu machen. Und dadurch waren wir schon früh Opposition innerhalb des Ortsvorstandes. Wir sind alle verwurzelt in der Gewerkschaftsarbeit der IG Metall. Dadurch läuft sich so eine Betriebsgruppe nicht so schnell tot. Was du diskutierst, erlebst du auch in der realen Welt. Du kannst dich eben beteiligen in der Tarifkommission, in der Bezirkskonferenz, im Ortsvorstand, und nicht nur darüber diskutieren, wie schlecht alle anderen sind in der Gewerkschaft, die nichts machen. Das sind für mich so zwei Gründe, warum es die Betriebsgruppe überhaupt heute noch gibt. Kritisch muss man aber sagen, in der Betriebsgruppe sind nicht mehr viele aus den Betrieben.

UZ: Vor welchen Problemen steht ihr in den Betrieben? Was sind die unterschiedlichen oder die gemeinsamen Konfliktfelder, über die ihr in der Gruppe diskutiert?

Jürgen Brandies: Wir diskutieren mehr, wie wir uns unterstützen, wie wir in den Betrieben agieren. Es ist weniger, dass wir jetzt einzelne Betriebsratsprobleme der ABB oder der anderen Betriebe diskutieren. Wir sind alles Leute, die lange Erfahrungen haben, und eigentlich in den Betrieben relativ gut klar kommen mit den klassischen Problemen, die du als Betriebsrat hast. Aber wir können uns austauschen. Es hat auch was mit emotionaler Bindung zu tun. Also politisch, emotionaler Bindung, so möchte ich das mal formulieren. Nicht nur, weil wir Kumpels sind, sondern weil wir auch politische Kumpels sind. Ich brauch mit ihm nicht zu diskutieren, um gegen Kurzarbeit, um gegen Entlassungen zu sein, oder gegen Lohnverzicht. Das sind Grundinhalte in der Parteigruppe. Wir haben uns nie als eine Parteigruppe verstanden, die dogmatisch in die Gewerkschaft hinein arbeitet, sondern umgedreht. Also ich war immer in erster Linie Gewerkschafter und dann erst Partei.

Richard Pfaff: Ein Problem der Sammelbetriebsgruppe ist, dass sich linke Vertrauensleute und linke Betriebsratsmitglieder nicht vermehrt haben, sondern eher die sozialpartnerschaftlich orientierten Betriebsratsmitglieder. Wir gewinnen nur neue Mitglieder, wenn wir sie auch persönlich werben. Da sind wir in den letzten Jahren nicht gerade erfolgreich gewesen. Es ist tatsächlich so, dass wir im linken Spektrum der Gewerkschaften Leute haben, die wir durchaus in die Parteiarbeit mit einbeziehen könnten, die aber aus unterschiedlichsten Gründen sagen, wir wollen nicht in eine Partei eintreten. Wir müssen uns da wohl etwas mehr Zeit lassen und immer aufmerksam sein, ob da Personen sind, die wir dann auf eine Parteimitgliedschaft ansprechen können. Wir haben die Situation, dass wir als Genossen in einem ideologischen Widerspruch unsere Arbeit machen. Wir sind alle in Wahlfunktionen und werden gewählt, trotzdem wir Kommunisten sind. Und das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Wohl, weil wir immer der vorwärtstreibende Teil sind und auch Antworten haben, wo andere Betriebsräte oder Gewerkschafter resignieren oder keine Lösung haben. Auf der einen Seite überlegen wir als Kommunisten, wie können wir den Klassengegensatz deutlich machen, den Klassenkampf führen. Andererseits bist du in der Funktion als Betriebsrat gezwungen, nach dem Gesetz die Klassenharmonie zu gestalten. Als Kommunist muss man das lernen, und das haben wir in Hanau, glaube ich, ganz gut gemacht. Wir dürfen uns einerseits nicht außerhalb des Gesetzes stellen, sonst sind wir nämlich weg und andererseits sind wir dennoch immer auch der vorwärtstreibende Teil im Betrieb, in den Betriebsräten und den Gewerkschaften.

UZ: Welche Rolle spielen die Genossen der Betriebsgruppe in den Betrieben und wie entwickelt sich in den betrieblichen Auseinandersetzungen nach euren Erfahrungen kämpferisches Bewusstsein?

Richard Pfaff: Aktuell haben wir Konflikte in der ABB, die die Gewerkschafter vor Ort und unsere Betriebsgruppe bewegen. Die ABB will in Großauheim Outsourcing - Maßnahmen betreiben. Eine Maschinenabteilung mit über 60 Beschäftigten ist davon betroffen. Da organisieren wir Widerstand, damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben und diese Maschinenabteilung nicht fremdvergeben wird. Denn das würde für die Kollegen wahrscheinlich heißen, ohne Tarifvertrag zu arbeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen zu haben. Das gilt es zu verhindern und das organisieren wir ganz praktisch, indem wir darüber diskutieren und auch Orientierungen für die Belegschaft geben.

Die Belegschaft kämpft um den Erhalt der Arbeitsplätze. Doch die wesentlichen Entscheidungen werden nicht hier in Hanau getroffen, sondern dort, wo die Eigentümer ihren Sitz haben. Was sich bei ABB in Hanau bewegt, wird letztendlich in Zürich entschieden. So gibt es auch Absprachen, die wir bis über den Bürgermeister und mit dem Landrat abgesprochen haben, dass wir notfalls, wenn die ABB nicht von bestimmten Strategien abweicht, auch mit Bussen nach Zürich fahren, um dort zu protestieren. Bei solchen Themen sind wir als Genossen immer auch mit auf dem neuesten Stand und versuchen, uns gegenseitig zu informieren und in den verschiedenen Phasen des Kampfes mit dabei zu sein. Damit erwerben wir uns die Anerkennung, die wir hin und wieder als Partei nutzen können.

Klaus Seibert: Unser Ziel ist, die Belegschaften zusammenzuführen. Wir kommen meistens aus Betrieben, die sehr gut gewerkschaftlich organisiert sind, aus kampferfahrenen Betrieben. Wir haben 1984 im Streik gestanden. Diese Erfahrungen gilt es natürlich auszuwerten und weiterzutragen. Aber es spielt auch eine Rolle wie hoch der Organisationsgrad im Betrieb ist. Also, wir sind ein Betrieb, der bis zu 85 Prozent gewerkschaftlich organisiert ist. Damit muss natürlich auch eine Geschäftsleitung rechnen. Wobei es auch bei uns die Problematik gibt, wie beim Richard, die Entscheidungen für den Betrieb, werden ganz woanders getroffen. Die haben noch Zürich, die können da mit dem Bus hinfahren. Bei uns werden die Konzernentscheidungen in Morristown in den USA getroffen.

Die Konzerne haben mittlerweile Strukturen, die uns vor vollkommen neue Aufgaben stellen. Beispielsweise wo ein Finanzchef in der Welt sitzt, der Entwicklungschef ist wieder ganz woanders und jeder versucht da in den Betrieb reinzuregieren. Jede Woche wird eine neue Sau durchs Dorf gejagt und du stehst vor neuen Problemen. Du weißt auch teilweise gar nicht mehr, wen du als Betriebsrat als Ansprechpartner in dem Betrieb hast, weil Entscheidungen gar nicht mehr vom örtlichen Management getroffen werden. Ich sage immer, das sind überteuerte Hausmeister. Bei uns hat jetzt gerade ein Geschäftsführer aufgehört, weil er gesagt hat, das macht er nicht mehr mit. Aber das zeigt auch die Schwierigkeit, eine Belegschaft zu mobilisieren, weil in der Phase, wie unser Betrieb herunter geschafft worden ist von 1 400 auf 160 Leute, eine gewisse Resignation eintrat. Die Leute immer wieder zum Kämpfen zu bringen, das heißt, du musst erläutern, du musst Zusammenhänge erklären, du musst ihnen erklären, warum das Kapital das so macht und wie eine Gegenstrategie eventuell aussehen könnte.

Jürgen Brandies: Der letzte große Streik war 1984, also 27 Jahre her. Wenn du dir anschaust, wie viele neue Leute nach dem Streik in den Betrieb gekommen sind, die diese Erfahrungen nicht gemacht haben, das sind ja Massen. Aber das Entscheidende ist, das Bewusstsein der Arbeiter und Angestellten hat sich seit den 80er Jahren riesig gewandelt. Irgendwie haben sich die Belegschaften durchgewurschtelt, Entlassungen verkraftet. Bei VW z. B. hat man viele befristete Leiharbeiter eingestellt und sich damit arrangiert. Es sind niedrige Lohnerhöhungen akzeptiert worden. Doch ich bin mir nicht sicher, ob die veränderte Denkweise der Arbeiterklasse wirklich an diesen Veränderungen liegt, dass z. B. mehr Angestellte in den Betrieben sind, dass der Individualismus zugenommen hat. Das spielt sicher eine große Rolle. Ich glaube eher, die Medien spielen eine entscheide Rolle. Auch unsere Medien, die Gewerkschaftsmedien. Die offizielle Ideologie der Gewerkschaften, die Sozialpartnerschaft, ist viel ausgeprägter als früher. Nullrunden, das war ein Tabu in der IG Metall. Heute gehört das zum Standard jeder Tarifrunde, sowie Nullrunden, um eine Firma aus der Krise zu holen. Insofern ist das Bewusstsein – das erst unsere Interessen kommen und dann die des Konzerns – total zertrümmert. Auch durch unseren Gewerkschaftsapparat. Ich bin überzeugt, das Bündnis für Arbeit, hat uns kaputt gemacht, die Denkweise der Gewerkschaften, dass durch Verzicht die Betriebe aufrecht erhalten werden können. Unser verstorbener Genosse Rolf Knecht sagte immer: der ideologische Tiefpunkt der Gewerkschaften ist noch lange nicht erreicht.

Über was wir uns in der Betriebsgruppe unterhalten müssten, ist beispielsweise der Kampf bei der Vacuumschmelze. Hier hat ein Betriebsrat, zwar unter extremem Druck Lohnabbau zugestimmt, hat aber vereinbart, dass man nach einer gewissen Zeit wieder auf den alten Stand zurück geht. Das hat funktioniert. Das ist für mich ein Phänomen. Was hat sich denn da an Bewusstseinsentwicklung getan? Aber insgesamt ist das Bewusstsein der Leute geprägt durch die herrschende Meinung. Und leider ist die Meinung der Gewerkschaften oft identisch mit der allgemeinen herrschenden Meinung, in Wirtschaftsfragen, in Verteilungsfragen, in Krisenbeurteilungsfragen.

Richard Pfaff: Was wir auch diskutieren müssen ist: Wir hatten 2008 eine große Krise und unsere Gewerkschaften haben den Belegschaften darauf bestimmte Antworten gegeben. Sie haben gesagt: Wir haben eine Strategie, die heißt, der Staat muss mit einer Abwrackprämie zur Krisenabfederung beitragen. Wir haben damit die Absätze der Betriebe gesponsert. Es gab die Kurzarbeit, also Arbeitszeitverkürzung mit Lohnverlust, und es gab massiven Lohnverzicht. Seit 2008 haben wir in keiner Tarifrunde der Metall und Elektroindustrie mehr Warnstreiks durchgeführt und 2010 haben wir das erste Mal ein ganzes Jahr keine Tariferhöhung gehabt. Was wir jetzt feststellen können ist, dass die Menschen weniger Geld und wir insgesamt mehr Schulden haben. Die Entwicklung brachte eine Verarmung eines Teils der Arbeiterklasse. Diese Verzichtsideologie zu Gunsten von Arbeitsplätzen hat natürlich in den Köpfen ihre Wirkung hinterlassen. Hinzu kommt, die Arbeitslosigkeit hat sich nicht wie bei früheren Krisen erhöht. Wie gehen wir eigentlich damit um? Solch eine Krise haben wir historisch im Kapitalismus noch nicht gehabt. Bisher ging sie immer mit der dramatischen Vernichtung von Produktionsmitteln einher.

Klaus Seibert: Du hast die Tarifrunde erwähnt. Ich sehe noch einen anderen Aspekt, der uns sehr zu schaffen macht. Das ist die Verbetrieblichung der gewerkschaftlichen Tarifpolitik. Weil immer mehr Aufgaben in die Betriebe verlagert werden, die ursprünglich gewerkschaftliche Aufgabe wäre. Und dann spielt noch eine Rolle die laufenden Umstrukturierungen innerhalb der Betriebe. Es findet sich kaum noch eine Belegschaft, die ein halbes Jahr Ruhe hat. Irgendeine Sauerei wird immer neu ausgedacht, es wird umstrukturiert, umorganisiert, wo du laufend drauf reagieren musst, was das Einzelkämpfertum der Betriebe immer mehr fördert. Und da spielt die IG Metall eine immer negativere Rolle, weil der Zusammenhalt überhaupt nicht mehr gefördert wird.

Wir haben seit zwei Jahren keine Tarifrunde mehr. Das war immer die große Klammer, die uns noch geeint hat, wo man zusammen was gemacht hat. Wir versuchen natürlich hier in Hanau, dagegen zu wirken, gemeinsam auf Vertreterversammlungen und den Gewerkschaftstagen Anträge zu stellen, um diesen Zusammenhalt zu fördern. In Hanau klappt das noch einigermaßen. Woanders werden solche Diskussionen kaum noch innerhalb der IG Metall geführt.

UZ: Vor welchen Problemen steht ihr konkret in der Gewerkschaftsarbeit?

Jürgen Brandies: Was ist für den einzelnen Betrieb ökonomisch machbar? Hat er kein Geld, müssen wir halt verzichten. Das ist das, was die IG Metall mittlerweile macht. Diese Unterwerfung unter die betriebswirtschaftliche Logik, dass ist der große Fehler, der große Irrweg der Gewerkschaften. Es ist notwendig, wieder zurück zu einer interessenorientierten Gewerkschaftspolitik zu kommen, unabhängig von den einzelnen betriebswirtschaftlichen Faktoren. Diese betriebswirtschaftliche Orientierung hat sich extrem gefestigt. Das fängt an mit der Tagesschau, in der über die Börse berichtet wird. Ja, wie das mit den Telekom-Aktien losging, haben auch bei uns Kollegen geklagt, weil ihr Aktienkurs nicht hoch genug ging. Die haben nicht verstanden, was eine Aktie ist. Dass wir als Gewerkschaften das mitgemacht haben, in der Hoffnung Arbeitsplätze zu erhalten, hat ja seine Wirkung in den Köpfen.

Richard Pfaff: Verschärft hat sich unsere Situation mit der Agenda 2010. Da wurden Verabredungen getroffen, „dass die Betriebe atmen können“, wie sie das genannt haben, dass man auf Lohnerhöhungen verzichtete, den Kündigungsschutz aufweichte, einen Niedriglohnsektor einführte usw. Die Ausweitung der Leiharbeit, das ist mit Duldung der IG Metall entstanden. Auch bei der Rentenfrage und mit der Riesterrente wurden wir beschissen. Die Rentenfrage ist nie eine Generationenfrage gewesen, sondern sie ist eine ökonomische Frage. Oder nehmen wir das Leiharbeitergesetz von diesem Clement aus 2003. Das kannst du dann nicht im Betrieb zurückdrehen, sondern die Leiharbeit musst du verbieten oder gesetzlich begrenzen. Dieses Beugen gegenüber der SPD-Grünen Politik war fatal für unseren betrieblichen Alltag.

In Deutschland breitet sich nun der Niedriglohnsektor aus. Andererseits gibt es auch Bereiche wo die Gehälter massig gestiegen sind. Wenn ich mir das Rhein- Main-Gebiet ansehe, dann hat auch der Speckgürtel zugenommen. Aber das Schlimme ist, dass die Menschen heute einfach nicht mehr über diese Entwicklung empört sind. Und sie gewöhnen sich an die hohen Gewinne. Diese Diskussion um die Frage der Gerechtigkeit, um die Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums müssen wir immer wieder neu führen, müssen dafür Orientierungen geben und insbesondere für den Niedriglohnsektor Konsequenzen verlangen.

Klaus Seibert: Ich nehme mal das Beispiel der Rente mit 67. Als damals die Aktionen anliefen, waren Millionen auf der Straße, auch in Warnstreiks. Und wir hätten das Ding damals kippen können, wenn es nicht von der eigenen Gewerkschaftsführung verhindert worden wäre. Jetzt hecheln wir hinter diesem Problem her und kriegen es nicht mehr in den Griff. Ich bin mir sicher, wenn die Gewerkschaften heute sagen würden, wir stellen ordentliche Lohnforderungen, weil die hohe Gewinne machen, würde man die Beschäftigten auf die Straße kriegen. Aber das ist nicht mehr Politik der Gewerkschaften. Dieses Gerechtigkeitsempfinden ist nach wie vor unter den Beschäftigten da. Das siehst du bei jeder Betriebsversammlung oder bei jeder Diskussion, die du im Betrieb hast.

UZ: Welche Erwartungen habt ihr an den IG-Metall-Gewerkschaftstag im Oktober?

Jürgen Brandies: Unser Schwerpunkt wird die Tarifpolitik sein. Wir haben in Hanau einen Antrag gestellt, dass Tarifverträge nur über ein Jahr laufen sollen. Tarifverträge haben den Effekt, dass man immer wieder mit Kolleginnen und Kollegen im Betrieb drüber diskutieren muss, weshalb und wie hoch die Forderungen sind und wie wir sie umsetzen. Damit hast du eine politische Diskussion in den Betrieben, und je länger die Laufzeiten sind, desto mehr verschwimmen diese Erkenntnisse. Dazu wollen wir eine Diskussion auf dem Gewerkschaftstag auslösen. Wir wollen wieder die drei Faktoren in der Tarifpolitik durchsetzen, Umverteilung, Produktivitätssteigerung und Preissteigerungsrate.

Weitere Erwartungen an den Gewerkschaftstag? Wenn ich ehrlich bin, erwarte ich sehr wenig. Ich erwarte, dass es auf dem Gewerkschaftstag noch einen Schritt weiter zu einer IG Chemiesierung der IG Metall kommen wird. Ich hoffe, dass Wetzel und Co. überzogen haben, auch mit der Reduzierung der hauptamtlichen Vorstandsmitglieder und mit den ganzen Ausbildungsmethoden für die hauptamtlichen Funktionäre.

Klaus Seibert: Zu der Reduzierung der Vorstandsmitglieder gehört die ganze Frage der Organisationsreform der IG Metall. Da ist beispielsweise vorgesehen, die Tarifpolitik der Betriebspolitik zuzuschlagen. Was für die IG Metall, gelinde gesagt, eine Katastrophe wäre. Wenn du die Tarifpolitik der Betriebspolitik unterordnest, dann fehlt die gemeinsame Klammer und es wird noch wesentlich schwieriger für gemeinsame Aktionen zu mobilisieren. Um das deutlich zu machen, haben wir, das in einen Antrag zusammen gefasst. Da spielt natürlich die Frage eine Rolle: Wie stellt sich die IG Metall in Zukunft auf? Wie will sie in Kämpfe reingehen? Oder will sie überhaupt noch kämpfen?

Richard Pfaff: Um den Gewerkschaftsapparat zu erhalten werden ständig neue Mitgliederkampagnen kreiert. Da stehen Finanzfragen im Vordergrund, und das ist das Problem. Wenn die Menschen allerdings überzeugt sind, mit ihrer Gewerkschaft ein Ziel zu erreichen, werden sie sich organisieren. Wenn sie erkennen, dass sie durch Tarifverträge gemeinsam eine Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen erreichen können, dann werden sie in die Gewerkschaft eintreten. Diese Überzeugungsarbeit müsste eigentlich im Mittelpunkt unserer Gewerkschaftsarbeit stehen. Ein Problem ist auch die gewerkschaftliche Jugendarbeit, die nur punktuell vorhanden ist, weil die Jugendlichen in der betrieblichen Ausbildung kaum etwas von der IG Metall wahr nehmen. Früher musste sich jedes Lehrjahr einmal im Jahr entscheiden, ob sie in der Tarifrunde bei einem Warnstreik mit rausgehen. Jetzt wurde eine ganze Ausbildungsgeneration, in den Betrieben nicht mehr mit der Tarifpolitik konfrontiert. Das ist ja das A und O, weshalb jemand Mitglied wird. Hinzu kommt, dass die Gewerkschaft ihre gesellschaftspolitische Rolle total vernachlässigt. Zum Beispiel beim Rüstungswahn und der Kriegspolitik der Regierung schaut sie ständig nur zu.

Klaus Seibert: Die Frage ist, versteht sich die IG Metall als Gewerkschaft oder als Dienstleistungsbetrieb? Nach dem Motto, hier kannst du billig Uhren kaufen, in der Metallzeitung sind ja immer so schöne Anzeigen drin. Wir haben die Situation auch im Betrieb, dass die Ausbildung abgebaut worden war und nun nach zwei Jahren, auch aufgrund des Drucks der Kollegen man wieder ausbildet. Wenn man bedenkt, dass mittlerweile 40 Prozent der Jugendlichen unter 25, in unsicheren Arbeitsverhältnissen arbeiten, welche Zukunftsperspektiven hat da auch unser eigener Nachwuchs in der IG Metall? Diese Aufgaben müsste sich die Gewerkschaft stellen und gemeinsam dagegen angehen, aber das passiert nicht. Die Forderung, wer nicht ausbildet, muss zahlen, mit der Gerhard Schröder noch auf dem IG-Metall-Gewerkschaftstag konfrontiert wurde, wird nicht mehr gestellt. Dass es in dieser Richtung von Wetzel und Huber einen Anstoß geben würde, sehe ich nicht.

UZ: Wir haben in der UZ einen Artikel veröffentlicht „Wie lernt die Klasse wieder kämpfen?“, worüber es einige Diskussionen gab. Wie beantwortet ihr die Frage aus eurer betrieblichen und gewerkschaftlichen Arbeit?

Jürgen Brandies: Die Ideologie des Bündnisses für Arbeit, war eine der schädlichsten ideologischen Gedanken der deutschen Arbeiterbewegung. Weg von der interessenorientierten Gewerkschaftsarbeit, weg vom Interessengegensatz, in der Bildungspolitik, in der Tarifpolitik. Wenn die IG Metall, oder die Arbeiterklasse insgesamt, das nicht hinbekommt, den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital zu erkennen, dann wird es kritisch. Entscheidend ist den Widerspruch zu erkennen, dass ein Euro nur einmal zu verteilen ist, und nicht immer dieses Getue, wir ein bisschen, die ein bisschen. Erst wenn das wieder in den Vordergrund gestellt wird, wird es Bereitschaft geben wieder zu kämpfen.

Richard Pfaff: Der Zusammenbruch des Sozialismus, hat auch die Rolle der Gewerkschaften verändert. Das Modell des Sozialstaates ist ebenso zusammen gebrochen. Wir waren damit nur das Schaufenster zum Osten. Daraus müssen wir nun Konsequenzen ziehen:Wir Kommunisten und die Arbeiterbewegung überhaupt muss sich wieder an ihre Wurzeln erinnern. Wir müssen das Kommunistische Manifest mal wieder aufmerksam lesen.Wir sind eigentlich immer noch dabei, diese Entwicklung zu verarbeiten. Zum Beispiel, was heißt es, dass wir keine Zweite Welt mehr haben, nämlich den Sozialismus, und es gibt auch keine Dritte Welt mehr, sondern es gibt nur eine Welt, in der es Reich und Arm gibt, und das ist in Moskau mittlerweile genau so wie in New York. Überall sind Machtzentren mit viel Kapital, und auf der anderen Seite wird die Arbeit global verglichen. Heute wird der deutsche Arbeitsplatz verglichen mit einem in Korea, wer macht es billiger? Und dann fällt die Entscheidung irgendwo in einer Konzernzentrale. Diese Globalisierung zeichnet sich dadurch aus, dazu kann man schon was im Kommunistischen Manifest lesen, dass es eine Tendenz zur Anpassung der Löhne nach unten gibt. Tarifverträge und nationale Gesetze werden durch das internationale Kapital mehr und mehr aufgehoben. Es werden Traditionen gebrochen. Schauen wir in das „Haus Siemens“ oder zum Daimler, wie viele alte Zöpfe da abgeschnitten wurden. Die Frage ist: Wie reagieren wir darauf?

Wir müssen die Politisierung in den Betrieben voran treiben. Belegschaften und Betriebsräte sollten erkennen, dass wir das nicht alleine lösen können. Das wir uns regional, dann national und letztendlich europaweit organisieren müssen, um was zu ändern. Erst ein solches Vorwärtsschreiten kann wieder eine Wende bei den Arbeits- und Lebensbedingungen bewirken. Solche Veränderungen kann man nicht durch Wahlen erhoffen oder an Prozentsätzen von Linken Parteien festmachen, sondern nur am Engagement der Gewerkschaften. Die suchen sich dann schon ihren politischen Arm.

Unsere Gewerkschaften haben ihren politischen Flügel verloren. Die SPD ist ja momentan gar nicht gewillt, der Flügel der Gewerkschaft zu sein. Trotzdem hängen die Gewerkschaften immer noch am Zopf der SPD und haben viel mehr Probleme mit den Linken.

Wie lernt die Klasse wieder kämpfen? In dem sie den Kampf im Betrieb wieder aufnimmt und über den Betrieb hinaus zusammenführt. Wir müssen dabei unsere derzeitige Situation neu diskutieren.

Klaus Seibert: Wenn man sich die Frage stellt: Wie lernt die Klasse kämpfen, hängt dies auch immer damit zusammen, wie richtet sich eine Gewerkschaftsorganisation aus? Da haben wir in Hanau relativ gute Erfahrungen. Das beste Beispiel haben wir doch bei der Vacuumschmelze, die haben gekämpft. Eure Belegschaft bei ABB ist im Kampf. Wir haben die Erfahrung auch in anderen Betrieben gemacht, wie bei Norma. Aber es sind auch Betriebsratskollegen, die das bewusst angehen. Das versuchen wir gemeinsam in Hanau immer wieder herauszuarbeiten, dass es eben auch solche Erfahrungen gibt, dass Belegschaften in den Kampf geführt werden können.

UZ: Die Betriebsgruppenarbeit der DKP bedarf einer Reaktivierung. Es gibt Genossen die sind der Meinung, bei ihnen gibt es kaum noch Betriebe, die Gewerkschaften seien viel zu rechts, da können sie nicht mitarbeiten. Was ist zu tun, um in der Betriebsarbeit wieder in die Offensive zu kommen?

Jürgen Brandies: Kleinere Brötchen backen. Die Zwischenschritte ernst nehmen. Ich muss mich als Kommunist nicht erst engagieren, wenn eine Belegschaft den Betrieb sozialisieren will, sondern es ist vorher richtig und notwendig, Stück für Stück zu arbeiten. Egal wie wenig wir manchmal mit dem einen oder anderen Gewerkschaftsbeschluss einverstanden waren, das haben wir benannt, und nicht gesagt, deswegen machen wir nicht mit.

Also den Grundsatz, du kannst nur was verändern, wenn du drin bist. Und da gibt es für mich eine Krankheit in der DKP. Es ist ein Widerspruch, auf der einen Seite zu formulieren, Betriebsarbeit ist wahnsinnig wichtig, aber dann, wie die Geier auf die Wahlen zu schauen, zu feiern – wie hier im Bezirksvorstand – wenn man von 0,02 auf 0,025 Prozent gekommen ist. Bei dem Thema Wahlen haben die Genossen sich sofort in den Haaren, weil da geht es ja um die ganz große Sache, das Profil, um dies und das und um das Komma und um die revolutionäre Aura, die man dann hat. Bist du in Betriebsräten, in Gewerkschaften, in Massenorganisationen, dann kommst du mit deiner Aura nicht weit. Wir müssen vermitteln, dass die betriebliche und gewerkschaftliche Kleinarbeit auch Spaß macht. Man muss nicht gleich Betriebsratsvorsitzender werden, es kann auch Spaß machen, einen guten Antrag zu stellen, den du im Ortsvorstand durchkriegst.

Richard Pfaff: So ganz erfolglos sind wir ja nicht. Wir versuchen in unserem Kreis die Genossen alle zusammenzufassen, die in den Betrieben aktiv sind und organisieren gemeinsame Veranstaltungen. Und dann haben wir eine zweite Ebene eröffnet. Seit ein paar Jahren ist das recht erfolgreich.Wir treffen uns in unserer Region, das heißt mit den Genossen aus Darmstadt, Offenbach, Frankfurt, Fulda usw. So haben wir z. B. eine tolle Veranstaltung mit Frank Deppe zu gewerkschaftlichen Grundsatzfragen mit einer guten Beteiligung hier in Hanau gemacht. Sowas wollen wir fortsetzen. Das ist eine Möglichkeit, die unsere Partei fördern müsste. In verschiedenen Regionen sollten einzelne Genossen oder Gruppen zu Gewerkschaftsfragen zusammengefasst werden. Der Parteivorstand könnte die Aufgabe übernehmen, die Berichte davon auszuwerten.Wir haben jetzt z. B. verabredet, im September und November wieder eine regionale Veranstaltung zu machen. Im November wollen wir den Gewerkschaftstag der IG Metall diskutieren.

Klaus Seibert: Du hast gesagt, dass mancherorts diskutiert wird, es gibt keine Betriebe mehr. Dann sag ich, dann gibt es auch keine Arbeiterklasse mehr. Mit wem machen wir denn Gesellschaftspolitik, wenn wir als Kommunisten agieren wollen? Also Arbeiter und Angestellte gibt es nach wie vor und abhängig Beschäftigte gibt es überall. Die Frage ist, wie orientiere ich darauf. Natürlich, wenn du jetzt keinen Großbetrieb mehr hast oder kaum einen Fuß in der Tür, ist es schwieriger, aber ich muss mir doch Gedanken machen: Wo sind die Kollegen? Wie kann ich sie ansprechen? Und in der Richtung muss ich dann versuchen zu gehen.

Auch das Problem der so genannten „rechten“ Gewerkschaften. Ich kann mir im Augenblick keine besseren backen. Da muss ich als Linker auftreten, um dieses rechte Bewusstsein in den Gewerkschaften zu verändern. Ich glaube nicht daran, dass die Masse der Gewerkschaftskollegen irgendwie rechts eingestellt ist. Da ist viel Wirrnis im Kopf. Aber insgesamt muss man doch Ansatzpunkte finden, und das heißt kleine Brötchen backen und zu fragen, was ist der erste Schritt, um Kollegen für ihre eigenen Interessen zu mobilisieren? Das rauszufinden, darüber muss man sich natürlich Gedanken machen, das ist nicht immer leicht, da kann man auch mal in die Irre gehen. Aber man muss es immer wieder versuchen. Darin sehe ich unsere Aufgabe, herauszufinden in gemeinsamen Diskussionen, wie wir einen Schritt weiter kommen? Weil, ohne dass Kollegen, dass Gewerkschafter sich engagieren, ändert sich überhaupt nichts, weder lokalpolitisch noch bundesweit. Und deshalb müssen wir uns fragen, wie denken die Kollegen? Darüber machen wir uns noch zu wenig Gedanken. Wir machen manchmal schöne Flugblätter, weil sie uns gut gefallen, aber die Flugblätter müssen nicht uns gefallen, die müssen den Kollegen gefallen. Damit sie daraus Schlussfolgerungen ziehen können.

Im Wohngebiet haben wir die Kollegen auch zusammen, weil der Betrieb früher das Erstbelegungsrecht für die Wohnungen hatte. Und bei uns in Maintal stehen wir im Augenblick vor der Situation, dass 10 Prozent Haushaltskürzungen vorgenommen werden sollen. Wenn die Kindergartenbeiträge erhöht werden, wenn sie Erzieherinnen abbauen, wenn sie Friedhofsgebühren und wer weiß was alles erhöhen, trifft das natürlich die Kollegen direkt im Geldbeutel. Auch das ist Interessenvertretungspolitik. Und diese Probleme müssen wir auch mit den Kollegen in den Betrieben diskutieren. Das zusammen zu verzahnen, muss meiner Ansicht nach auch eine wichtige Rolle in unserer Arbeit spielen.

Editorische Anmerkungen

Die Fragen für die UZ stellte Wolfgang Teuber.
Erstveröffentlicht
: UZ vom 27.05.2011, gespiegelt von der Website "kommunisten.de"

Jürgen Brandies: Betriebsratsvorsitzender seit 1982. FrüherMitglied der Tarifkommission, durch Arbeitgeberverbandaustritt aus der Tarifkommission ausgeschieden. FrüherMitglied im Konzernbetriebsrat, durch Verkauf aus dem Konzern ausgeschieden, ein großer deutscher Baukonzern, bei dem Roland Koch demnächst Vorsitzender ist. Seit Jahrzehnten Mitglied im IG-Metall- Ortsvorstand und IG-Metall- Bezirkskonferenz und Delegierter zum IG-Metall-Gewerkschaftstag.

Richard Pfaff: Seit 1980 im Betriebsrat und seit 1997 bin ich Betriebsratsvorsitzender bei ABB, 500 Beschäftigte. Mitglied im Konzernbetriebsrat. In der Gewerkschaft bin ich ehrenamtlicher 2. Bevollmächtigter der IG Metall- Verwaltungsstelle Hanau, Mitglied in der Tarifkommission Metall- und Elektroindustrie Hessen.

Klaus Seibert: Stellvertretender Betriebsratsvorsitzender in einem amerikanischen Konzern, arbeitet in einem Betrieb, der in den letzten zehn Jahren von 1 400 auf 160 Leute runtergedonnert worden ist. Ist Mitglied im Konzernbetriebsrat und hat noch eine Funktion im DGB-Ortsvorstand in Maintal und ist in Maintal auch Stadtverordneter