Burkina Farso
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eftige Zusammenstöße in Bobo Dioulasso

von Bernard Schmid

06/11

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Selten ist eine autoritäre Regierung zufrieden, wenn in ihrem Herrschaftsbereich gestreikt oder lautstark protestiert wird. Erheblich größer aber fällt das Problem aus, wenn diese Regierung sich überwiegend auf Polizei und Militär stützt - es aber Polizisten und Militärs sind, die, gelinde ausgedrückt, auffälligen Protest üben. Dass diese dabei wild durch die Gegend ballern, Geschäfte plündern und Zivilisten durch Querschläger getroffen werden, verschärft das Problem dann noch am Rande.

Am letzten Freitag (o3. Juni) sprach der Generalstab des westafrikanischen Staates Burkina Faso - des „Lands der Aufrichtigen“, wie sein Amtsvorgänger Thomas Sankara es in den achtziger Jahren taufte - deswegen ein Machtwort. Jede neue Meuterei von Soldaten werde mit Gewalt beendet werden, verkündet sein Kommuniqué. Am selben Tag schlugen Einheiten der Präsidentengarde die Meuterer in den Kasernen von Bobo Dioulasso, der im Südwesten des Staatsgebiets gelegenen zweitgrößten Stadt des Landes, nieder. Bei den Operationen soll es sieben Tote, unter ihnen sechs Soldaten und einen getöteten Zivilisten, gegeben haben.

Die Ereignisse in Bobo Dioulasso hatten in der Nacht vom 31. Mai zum 1. Juni ihren Ausgang genommen, als Soldaten zunächst aus den Kasernen ausrückten und nächtliche Schüsse abgaben. Am folgenden Abend plünderten Soldaten dann auch Läden in der Stadt. Zum Verdruss der Geschäftsleute, die daraufhin ihrerseits antworteten, indem sie das Rathaus anzündeten, das daneben gelegene Militärcamp plünderten und Nahrungsmittel aus dessen Vorräten an die Nachbarn verkauften.

Die heftigen Zusammenstöße in Bobo Dioulasso sind nur das letzte Glied in einer Kette von Ereignissen, die seit dem 22. Februar andauert. Dabei mischen sich Phänomene von sozialem Protest, soziale und finanzielle Interessen von Militärs - vor dem Hintergrund bedeutender Klassenunterschiede innerhalb der Armee -, teilweise unkontrollierter Gewalt seitens der Soldaten, und eine generelle Situation der Diskreditierung des Regimes von Präsident Blaise Compaoré.
Was ist der wichtigste Unterschied zwischen Blaise Compaoré und dem gestürzten tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali? Die Antwort könnte lauten: gut drei Wochen. Denn Compaoré war seit 22 Tagen an der Macht, als der damalige Innenminister Tunesiens, Ben Ali, den bisherigen Präsidenten Habib Bourguiba im November 1987 durch dessen Ärzte für amtsunfähig erklären ließ, weshalb Beobachter auch von einem „medizinischen Staatsstreich“ sprachen. Unelegant war dagegen die Methode von Compaoré. Denn er brachte seinen Amtsvorgänger, den revolutionär orientierten Präsidenten Thomas Sankara, zusammen mit anderen Offizieren eigenhändig um.

Das Datum dieses Putschs, er fand am 15. Oktober 1987, markiert das Ende der revolutionären Orientierung, die Burkina Faso unter Sankara verfolgt hatte. Unter dessen vierjähriger Amtszeit waren zahlreiche Maßnahmen zur Emanzipation der Frauen, zur Mobilisierung der Armen, zur Überwindung von Korruption, Unbildung und Aberglauben sowie zur Verringerung der Abhängigkeit der früheren französischen Kolonie von den reichen Ländern eingeleitet worden. Als erster Präsident schrieb Sankara den Kampf gegen die Genitalienverstümmelung bei Frauen auf seine Fahnen und verdonnerte die Männer zum Einkauf. Er legte sich mit den internationalen Finanzinstitutionen an, förderte die einheimische Textilproduktion zu Lasten von Importen, fuhr einen betont blockfreien Kurs und verärgerte die Repräsentanten der westlichen Großmächte durch seine Ansprachen in der UN-Generalversammlung. Frankreichs Präsident François Mitterrand warnte seinen Amtskollegen bei einem französisch-afrikanischen Gipfel 1986, er werde „nicht weit kommen“. Die ehemalige Kolonialmacht war konsequenterweise vielfach in den Rechtsputsch, der das Ende des unabhängigen Kurses Burkina Fasos einläutete, verwickelt.

Seit der Machtübernahme durch Compaoré diente Burkina Faso oft als Drehscheibe für französische Waffenlieferungen auf dem afrikanischen Kontinent. Blaise Compaoré wird durch die UN verdächtigt, auch den früheren Staatschef Liberias, Charles Taylor, der als Warlord und Schlächter in die Geschichte einging, bewaffnet zu haben. Zuletzt hat der Präsident Burkina Fasos den Herausforderer des gestürzten Staatschefs der benachbarten Côte d’Ivoire - Laurent Gbagbo -, den siegreichen und durch Frankreich sowie die USA unterstützten Alassane Ouattara, aufgerüstet. Dennoch genießt Blaise Compaoré im französischsprachigen Afrika gleichzeitig zum Teil einen positiven Ruf als „Vermittler“ und eine Art ehrlicher Makler. Denn da Frankreich sich seiner Loyalität gewiss ist, wird er oft für Vermittlungsdienste bei Konflikten auf dem Kontinent eingeschaltet. So etwa beim Streit zwischen der von 2008 bis 2010 amtierenden Militärjunta in Guinea und der damaligen zivilen Opposition, welcher durch die Abhaltung von Wahlen im vergangenen November und die Amtsübernahme des neuen Präsidenten Alpha Condé aufgelöst werden konnte.

Zu Hause ist der Ruf Blaises Compaorés nicht ganz so gut, vor allem nach 23 Jahren an der Macht, unter denen sich auch sein Regime „abgenutzt“ hat. Korruption, Privilegien, Misshandlung durch die so genannten Sicherheitskräfte sind an der Tagesordnung. Zwar übt das Regime keinen offenen blutigen Terror gegen breite Bevölkerungskreise aus, und eine politische Opposition wird umso leichter geduldet, als sie zersplittert und weitgehend ohnmächtig ist. Dennoch kommt es zu einzelnen Morden an Kritikern des Regimes, den auch international bekanntesten Fall bildete die Ermordung des Journalisten Norbert Zongo im Jahr 1998. Im Oktober vergangenen Jahres wurde Compaoré laut offiziellen Manipulationen mit über 80 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Jenseits der Frage, ob diese Zahlen manipuliert wurden oder zutreffen - weil der Großteil der Wahlberechtigten ohnehin keinerlei Chancen auf einen Wechsel sah und deswegen allenfalls deswegen abstimmen ging, weil eine materielle Belohnung dafür in Aussicht gestellt wurde - entspricht dies aber selbst nach offizieller Darstellung nur 1,5 Millionen Wähler/inne/n. Das Land hat 16 Millionen Einwohner/innen.

Am 20. Februar dieses Jahres wurde der Tod des Oberschülers Justine Zongo in der Bezirkshauptstadt Koudougou, im Westen des Landes, bekannt. Seine Mitschüler behaupteten, er sei infolge der Misshandlung durch Polizeibeamte, deren Opfer er bereits wiederholte Male geworden sei, gestorben. Voraus ging ein Streit zwischen ihm und einer Mitschülerin, Aminata Zongo - der Familienname ist in der Stadt, aus der auch der ermordete Journalist Norbert Zongo stammte, ausgeprochen häufig -, wobei sein Pech darin lag, dass Letztere ein Verhältnis mit einem Polizisten unterhielt. Schulkollegen bezeugten später in der Presse, der Jugendliche sei mehrfach ins Polizeikommissariat vorgeladen worden und sei mit Spuren von Schlägen zurückgekommen.

Polizei und Verwaltung stellten es anders dar: Sie behaupteten, der Schüler sei an den Folgen einer Meningitis (Hirnhautentzündung) verstorben. Doch wollte ihnen offenkundig niemand Glauben schenken: Die Atmosphäre in der Stadt entflammte sich. Vor allem Schüler und Studierende gingen auf die Straße, dabei rufend: „Tunesien in Koudougou“ und „Burkina Faso wird sein Ägypten haben!“.

Und bald standen auch, im buchstäblichen Sinne, eine Reihe von Gebäuden in Flammen. Zuerst in Koudougou, wo sechs Leuten - vier Jugendliche, ein Polizist und ein unbeteiligter Zivilist - bei den Auseinandersetzungen ums Lebens kamen, dann auch in mehreren anderen Städten Burkina-Fasos: Gaoua, Fada N’Gourma, Tenkodogo, Pô, Léo… Besonders heftig ging es dann Anfang März in Ouhigouya zu: Polizeistation, Gouverneurssitz, Regionalverwaltung, der Sitz der Staatspartei CDP („Kongress für Demokratie und Fortschritt)“, ein Teil des Gerichtsgebäudes und andere öffentliche Einrichtungen wurden abgefackelt. Im brennenden Polizeikommissariat löste die dort gelagerte Munition, nachdem sie einmal Feuer gefangen hatte, 17 Minuten dauernde kleine Explosionen aus. Aus dem Zollgebäude wurden beschlagnahmte Waren herausgeholt und unter den Teilnehmern verteilt. Vielerorts wurden die Gefangenen aus Polizeistationen, die dabei niedergebrannt wurden, durch jugendliche Demonstranten befreit - was die Bevölkerung jedoch oft gespalten betrachtete.

In der Hauptstadt Ouagadougou und anderen größeren Städten kanalisierte vor allem die Studierendengewerkschaft ANDB, die Anfang März Tausende von Menschen zu Demonstrationen mobilisieren konnte, die Proteste. Dagegen schwiegen die Oppositionsparteien mehrheitlich. Auffällig war, dass parallel dazu unternommene Versuche, mittels einer Facebookseite unter dem Titel „Blaise Compaoré muss gehen“ zu Demonstrationen aufzurufen, vollkommen fehlschlugen: Bei einer solchen Demonstration fanden sich insgesamt zehn Personen, unter ihnen zwei Abgeordnete, ein. Die Animateure dieser Facebookseite sind überwiegend im Ausland lebende Burkinabè, denen offenkundig der Kontakt zur sozialen Realität fehlt. Die anlässlich der tunesischen Revolution in manchen Kreisen aufgekommene Vorstellung, Facebook ersetze oder schaffe heute das soziale Subjekt der Revolution, scheiterte an der Realität.

Die Bewegung erreichte ihren Höhepunkt in der zweiten Märzwoche mit Massendemonstrationen. Seitdem wurde sie vor allem durch eine Kette von Streiks fortgesetzt, zuletzt etwa unter den Lehrkräften, bei der Telefongesellschaft ONATEL oder in der Goldmine von Kalsaka.

Mitte April meuterte dann die Präsidentengarde, die Elitetruppe der Armee Burkinas. Dies hatten einen konkreten Auslöser: Einige ihrer Vorgesetzten hatten größere Summen kassiert, die dem Sold für einen Einsatz von Truppen Burkina Fasos unter UN-Flagge in Darfur entsprechen. Doch die Truppen beschwerten sich darüber, dass das Geld bei ihnen nicht angekommen sei. Am 15. April schlug die Revolte der Soldaten sogar Präsident Compaoré in die Flucht, der sich zunächst in sein Heimatdorf Ziniaré zurückzog. Vier Tage später wurde der Ausnahmezustand verhängt, während Compaoré gleichzeitig seine bisherige Regierung entließ. Premierminister Tertius Zongo (ANM.: noch ein Zongo…) wurde entlassen und durch Luc Adolphe Tiao als neuen Regierungschef ersetzt. An der Staatsspitze herrschte helle Panik, und die militärischen Patrouillen in der Hauptstadt wurden vorliegenden Zeugenberichten zufolge zum Teil durch die französische Armee übernommen. Doch nach einigen Tagen ebbte der Ausstand ab, nachdem die finanziellen Streitigkeiten offenbar bereinigt worden waren.

Ab dem 28. April, in Ouagadougou, und im Laufe des Mai in anderen Städten folgten vielerorts die Polizisten ihrem Beispiel. Anfang Juni dann auch Teile der regulären Truppen, die forderten, in dieselbe Besoldungsklasse wie die Präsidentengarde aufzusteigen. Dieses Mal scheint es jedoch kein Entgegenkommen gegeben zu haben, die Regierung scheint eher auf Durchgreifen zu setzen. Unterdessen erklärte der französische Botschafter in Ouagadougu, Emmanuel Beth, am Montag (o6. Juni), er „bedauere“ und „beklage“ die jüngsten Meutereien, rufe zum „Dialog“ auf und biete die Unterstützung Frankreichs dazu an. Die frühere Kolonialmacht erhob offensichtlich mahnend den Zeigefinger...

Ob die tiefe Krise des Compaoré-Regimes dadurch abgewendet werden kann, bleibt abzuwarten.

Editorische Anmerkungen

Den Text
erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.