Selten ist eine autoritäre
Regierung zufrieden, wenn in ihrem Herrschaftsbereich
gestreikt oder lautstark protestiert wird. Erheblich
größer aber fällt das Problem aus, wenn diese Regierung
sich überwiegend auf Polizei und Militär stützt - es aber
Polizisten und Militärs sind, die, gelinde ausgedrückt,
auffälligen Protest üben. Dass diese dabei wild durch die
Gegend ballern, Geschäfte plündern und Zivilisten durch
Querschläger getroffen werden, verschärft das Problem
dann noch am Rande.
Am letzten Freitag (o3. Juni) sprach der Generalstab des
westafrikanischen Staates Burkina Faso - des „Lands der
Aufrichtigen“, wie sein Amtsvorgänger Thomas Sankara es in den
achtziger Jahren taufte - deswegen ein Machtwort. Jede neue
Meuterei von Soldaten werde mit Gewalt beendet werden, verkündet
sein Kommuniqué. Am selben Tag schlugen Einheiten der
Präsidentengarde die Meuterer in den Kasernen von Bobo Dioulasso,
der im Südwesten des Staatsgebiets gelegenen zweitgrößten Stadt
des Landes, nieder. Bei den Operationen soll es sieben Tote,
unter ihnen sechs Soldaten und einen getöteten Zivilisten,
gegeben haben.
Die Ereignisse in Bobo Dioulasso hatten in der Nacht vom 31. Mai
zum 1. Juni ihren Ausgang genommen, als Soldaten zunächst aus
den Kasernen ausrückten und nächtliche Schüsse abgaben. Am
folgenden Abend plünderten Soldaten dann auch Läden in der
Stadt. Zum Verdruss der Geschäftsleute, die daraufhin ihrerseits
antworteten, indem sie das Rathaus anzündeten, das daneben
gelegene Militärcamp plünderten und Nahrungsmittel aus dessen
Vorräten an die Nachbarn verkauften.
Die heftigen Zusammenstöße in Bobo Dioulasso sind nur das letzte
Glied in einer Kette von Ereignissen, die seit dem 22. Februar
andauert. Dabei mischen sich Phänomene von sozialem Protest,
soziale und finanzielle Interessen von Militärs - vor dem
Hintergrund bedeutender Klassenunterschiede innerhalb der Armee
-, teilweise unkontrollierter Gewalt seitens der Soldaten, und
eine generelle Situation der Diskreditierung des Regimes von
Präsident Blaise Compaoré.
Was ist der wichtigste Unterschied zwischen Blaise Compaoré und
dem gestürzten tunesischen Diktator Zine el-Abidine Ben Ali? Die
Antwort könnte lauten: gut drei Wochen. Denn Compaoré war seit
22 Tagen an der Macht, als der damalige Innenminister Tunesiens,
Ben Ali, den bisherigen Präsidenten Habib Bourguiba im November
1987 durch dessen Ärzte für amtsunfähig erklären ließ, weshalb
Beobachter auch von einem „medizinischen Staatsstreich“
sprachen. Unelegant war dagegen die Methode von Compaoré. Denn
er brachte seinen Amtsvorgänger, den revolutionär orientierten
Präsidenten Thomas Sankara, zusammen mit anderen Offizieren
eigenhändig um.
Das Datum dieses Putschs, er fand am 15. Oktober 1987, markiert
das Ende der revolutionären Orientierung, die Burkina Faso unter
Sankara verfolgt hatte. Unter dessen vierjähriger Amtszeit waren
zahlreiche Maßnahmen zur Emanzipation der Frauen, zur
Mobilisierung der Armen, zur Überwindung von Korruption,
Unbildung und Aberglauben sowie zur Verringerung der
Abhängigkeit der früheren französischen Kolonie von den reichen
Ländern eingeleitet worden. Als erster Präsident schrieb Sankara
den Kampf gegen die Genitalienverstümmelung bei Frauen auf seine
Fahnen und verdonnerte die Männer zum Einkauf. Er legte sich mit
den internationalen Finanzinstitutionen an, förderte die
einheimische Textilproduktion zu Lasten von Importen, fuhr einen
betont blockfreien Kurs und verärgerte die Repräsentanten der
westlichen Großmächte durch seine Ansprachen in der
UN-Generalversammlung. Frankreichs Präsident François Mitterrand
warnte seinen Amtskollegen bei einem französisch-afrikanischen
Gipfel 1986, er werde „nicht weit kommen“. Die ehemalige
Kolonialmacht war konsequenterweise vielfach in den
Rechtsputsch, der das Ende des unabhängigen Kurses Burkina Fasos
einläutete, verwickelt.
Seit der Machtübernahme durch Compaoré diente Burkina Faso oft
als Drehscheibe für französische Waffenlieferungen auf dem
afrikanischen Kontinent. Blaise Compaoré wird durch die UN
verdächtigt, auch den früheren Staatschef Liberias, Charles
Taylor, der als Warlord und Schlächter in die Geschichte
einging, bewaffnet zu haben. Zuletzt hat der Präsident Burkina
Fasos den Herausforderer des gestürzten Staatschefs der
benachbarten Côte d’Ivoire - Laurent Gbagbo -, den siegreichen
und durch Frankreich sowie die USA unterstützten Alassane
Ouattara, aufgerüstet. Dennoch genießt Blaise Compaoré im
französischsprachigen Afrika gleichzeitig zum Teil einen
positiven Ruf als „Vermittler“ und eine Art ehrlicher Makler.
Denn da Frankreich sich seiner Loyalität gewiss ist, wird er oft
für Vermittlungsdienste bei Konflikten auf dem Kontinent
eingeschaltet. So etwa beim Streit zwischen der von 2008 bis
2010 amtierenden Militärjunta in Guinea und der damaligen
zivilen Opposition, welcher durch die Abhaltung von Wahlen im
vergangenen November und die Amtsübernahme des neuen Präsidenten
Alpha Condé aufgelöst werden konnte.
Zu Hause ist der Ruf Blaises Compaorés nicht ganz so gut, vor
allem nach 23 Jahren an der Macht, unter denen sich auch sein
Regime „abgenutzt“ hat. Korruption, Privilegien, Misshandlung
durch die so genannten Sicherheitskräfte sind an der
Tagesordnung. Zwar übt das Regime keinen offenen blutigen Terror
gegen breite Bevölkerungskreise aus, und eine politische
Opposition wird umso leichter geduldet, als sie zersplittert und
weitgehend ohnmächtig ist. Dennoch kommt es zu einzelnen Morden
an Kritikern des Regimes, den auch international bekanntesten
Fall bildete die Ermordung des Journalisten Norbert Zongo im
Jahr 1998. Im Oktober vergangenen Jahres wurde Compaoré laut
offiziellen Manipulationen mit über 80 Prozent der Stimmen
wiedergewählt. Jenseits der Frage, ob diese Zahlen manipuliert
wurden oder zutreffen - weil der Großteil der Wahlberechtigten
ohnehin keinerlei Chancen auf einen Wechsel sah und deswegen
allenfalls deswegen abstimmen ging, weil eine materielle
Belohnung dafür in Aussicht gestellt wurde - entspricht dies
aber selbst nach offizieller Darstellung nur 1,5 Millionen
Wähler/inne/n. Das Land hat 16 Millionen Einwohner/innen.
Am 20. Februar dieses Jahres wurde der Tod des Oberschülers
Justine Zongo in der Bezirkshauptstadt Koudougou, im Westen des
Landes, bekannt. Seine Mitschüler behaupteten, er sei infolge
der Misshandlung durch Polizeibeamte, deren Opfer er bereits
wiederholte Male geworden sei, gestorben. Voraus ging ein Streit
zwischen ihm und einer Mitschülerin, Aminata Zongo - der
Familienname ist in der Stadt, aus der auch der ermordete
Journalist Norbert Zongo stammte, ausgeprochen häufig -, wobei
sein Pech darin lag, dass Letztere ein Verhältnis mit einem
Polizisten unterhielt. Schulkollegen bezeugten später in der
Presse, der Jugendliche sei mehrfach ins Polizeikommissariat
vorgeladen worden und sei mit Spuren von Schlägen
zurückgekommen.
Polizei und Verwaltung stellten es anders dar: Sie behaupteten,
der Schüler sei an den Folgen einer Meningitis
(Hirnhautentzündung) verstorben. Doch wollte ihnen offenkundig
niemand Glauben schenken: Die Atmosphäre in der Stadt entflammte
sich. Vor allem Schüler und Studierende gingen auf die Straße,
dabei rufend: „Tunesien in Koudougou“ und „Burkina Faso wird
sein Ägypten haben!“.
Und bald standen auch, im buchstäblichen Sinne, eine Reihe von
Gebäuden in Flammen. Zuerst in Koudougou, wo sechs Leuten - vier
Jugendliche, ein Polizist und ein unbeteiligter Zivilist - bei
den Auseinandersetzungen ums Lebens kamen, dann auch in mehreren
anderen Städten Burkina-Fasos: Gaoua, Fada N’Gourma, Tenkodogo,
Pô, Léo… Besonders heftig ging es dann Anfang März in Ouhigouya
zu: Polizeistation, Gouverneurssitz, Regionalverwaltung, der
Sitz der Staatspartei CDP („Kongress für Demokratie und
Fortschritt)“, ein Teil des Gerichtsgebäudes und andere
öffentliche Einrichtungen wurden abgefackelt. Im brennenden
Polizeikommissariat löste die dort gelagerte Munition, nachdem
sie einmal Feuer gefangen hatte, 17 Minuten dauernde kleine
Explosionen aus. Aus dem Zollgebäude wurden beschlagnahmte Waren
herausgeholt und unter den Teilnehmern verteilt. Vielerorts
wurden die Gefangenen aus Polizeistationen, die dabei
niedergebrannt wurden, durch jugendliche Demonstranten befreit -
was die Bevölkerung jedoch oft gespalten betrachtete.
In der Hauptstadt Ouagadougou und anderen größeren Städten
kanalisierte vor allem die Studierendengewerkschaft ANDB, die
Anfang März Tausende von Menschen zu Demonstrationen
mobilisieren konnte, die Proteste. Dagegen schwiegen die
Oppositionsparteien mehrheitlich. Auffällig war, dass parallel
dazu unternommene Versuche, mittels einer Facebookseite unter
dem Titel „Blaise Compaoré muss gehen“ zu Demonstrationen
aufzurufen, vollkommen fehlschlugen: Bei einer solchen
Demonstration fanden sich insgesamt zehn Personen, unter ihnen
zwei Abgeordnete, ein. Die Animateure dieser Facebookseite sind
überwiegend im Ausland lebende Burkinabè, denen offenkundig der
Kontakt zur sozialen Realität fehlt. Die anlässlich der
tunesischen Revolution in manchen Kreisen aufgekommene
Vorstellung, Facebook ersetze oder schaffe heute das soziale
Subjekt der Revolution, scheiterte an der Realität.
Die Bewegung erreichte ihren Höhepunkt in der zweiten Märzwoche
mit Massendemonstrationen. Seitdem wurde sie vor allem durch
eine Kette von Streiks fortgesetzt, zuletzt etwa unter den
Lehrkräften, bei der Telefongesellschaft ONATEL oder in der
Goldmine von Kalsaka.
Mitte April meuterte dann die Präsidentengarde, die Elitetruppe
der Armee Burkinas. Dies hatten einen konkreten Auslöser: Einige
ihrer Vorgesetzten hatten größere Summen kassiert, die dem Sold
für einen Einsatz von Truppen Burkina Fasos unter UN-Flagge in
Darfur entsprechen. Doch die Truppen beschwerten sich darüber,
dass das Geld bei ihnen nicht angekommen sei. Am 15. April
schlug die Revolte der Soldaten sogar Präsident Compaoré in die
Flucht, der sich zunächst in sein Heimatdorf Ziniaré zurückzog.
Vier Tage später wurde der Ausnahmezustand verhängt, während
Compaoré gleichzeitig seine bisherige Regierung entließ.
Premierminister Tertius Zongo (ANM.: noch ein Zongo…) wurde
entlassen und durch Luc Adolphe Tiao als neuen Regierungschef
ersetzt. An der Staatsspitze herrschte helle Panik, und die
militärischen Patrouillen in der Hauptstadt wurden vorliegenden
Zeugenberichten zufolge zum Teil durch die französische Armee
übernommen. Doch nach einigen Tagen ebbte der Ausstand ab,
nachdem die finanziellen Streitigkeiten offenbar bereinigt
worden waren.
Ab dem 28. April, in Ouagadougou, und im Laufe des Mai in
anderen Städten folgten vielerorts die Polizisten ihrem
Beispiel. Anfang Juni dann auch Teile der regulären Truppen, die
forderten, in dieselbe Besoldungsklasse wie die Präsidentengarde
aufzusteigen. Dieses Mal scheint es jedoch kein Entgegenkommen
gegeben zu haben, die Regierung scheint eher auf Durchgreifen zu
setzen. Unterdessen erklärte der französische Botschafter in
Ouagadougu, Emmanuel Beth, am Montag (o6. Juni), er „bedauere“
und „beklage“ die jüngsten Meutereien, rufe zum „Dialog“ auf und
biete die Unterstützung Frankreichs dazu an. Die frühere
Kolonialmacht erhob offensichtlich mahnend den Zeigefinger...
Ob die tiefe Krise des Compaoré-Regimes dadurch abgewendet
werden kann, bleibt abzuwarten.
Editorische Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor
für diese Ausgabe.