Der Tod Günter Routhiers
Mehr als nur ein Unfall?
Ein Flugblatt aus Duisburg

06/11

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Vorbemerkung der Redaktion: Günter Routhiers Tod war ein deutliches Zeichen der militanten Verschärfung der staatlichen politischen Unterdrückung  in der BRD der 70 Jahre. Eine einführende Dokumentation des Falls Routhier bietet des "mao-projekt".

 


Günter Routhier

Wir begrüßen es ausdrücklich, dass sich in Duisburg GenossInnen gefunden haben, die an den kämpferischen Kollegen und Genossen Günter Routhier erinnern. Dazu gaben sie folgende Pressemitteilung heraus

Pressemitteilung vom 6.6.2011

Am gestrigen Sonntag, den 05. Juni 2011, gedachten Antifaschist_Innen dem Duisburger Gewerkschafter Günter Routhier, dem am 05. Juni 1974 im Arbeitsgericht Duisburg durch die Polizei so schwere Verletzungen zugefügt wurden, dass er diesen am 18. Juni 1974 erlag. Den Verantwortlichen gelang es bisher, dies zu vertuschen und die Öffentlichkeit über den eigentlichen Tathergang uninformiert zu lassen.

Aus diesem Grund brachten antifaschistische Aktivist_Innen in den früher Abendstunden am Tatort, dem Arbeitsgericht Duisburg eine Gedenktafel an, die an den Verstorbenen erinnern soll. Kurze Zeit später wurde das Wasser des Brunnens ("Der Retter") in der Duisburger Innenstadt symbolisch blutrot gefärbt und mit diesen ca. 14.000 Litern "Blut" ein Mahnmal gegen Polizeigewalt und Repression gesetzt. Außerdem wurde die im Anhang sich befindende Rede verlesen und einige Flyer verteilt, wovon sich der Text ebenfalls im Anhang befindet.

Mit unserer Aktion wollen wir dem verstorbenen Gü¼nter Routhier am Jahrestag seiner tödlichen Verletzungen gedenken und den eigentlichen Hergang des Geschehens an die Öffentlichkeit tragen. Es ist nicht tragbar, dass solch ein Vorfall ohne gründliche Untersuchung abgetan und vor der breiten Öffentlichkeit geheim gehalten wird.

Der Gedenkstein, welchen wir selbst herstellten und etwa 20 Stunden Arbeit darauf verwendeten, wurde bereits am Morgen des nächsten Tages beseitigt. Dies und die Auswechselung des gesamten Wassers des Brunnens Zeugen davon das ein öffentlich machen des Themas auch 38 Jahre nach der Tötung Günter Routhies noch unbequem ist sowie eine kreative Gedenkkultur von Seiten der Stadt und Repressionsorgane unerwünscht ist.

Wir verbleiben mit freundlichen Grüßen und der Bitte um Veröffentlichung.

  • Sie schickten uns das folgende Flugblatt in Abschrift, das sie in Duisburg vor dem Arbeitsamt verteilten, sowie die Gedenkrede und zwei Fotos.

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Der Tod Günter Routhiers – Mehr als nur ein Unfall?

Am 18.06.1974 verstarb der Duisburger Gewerkschafter Günter Routhier, nachdem er am 05.06. Hirnblutungen, verursacht durch Gewaltanwendung der Polizei, erlitt.

Was ist passiert? Nachdem die Klage des KPD/ML-Mitglieds Hanfried Brenner gegen seine Entlassung bei Mannesmann vor dem Duisburger Arbeitsgericht abgewiesen wurde, kam es zu empörten Protesten der sich mit Brenner solidarisch zeigenden Genoss_Innen, darunter auch Günter Routhier.

Daraufhin wurde der Gerichtssaal unter massiver Gewaltanwendung von der bereits anwesenden Bereitschaftspolizei geräumt. Auf Anweisung des Einsatzleiters „kräftig zuzupacken“ wird gegen die Protestierenden aggressiv vorgegangen, ebenfalls gegen Routhier, obwohl Umstehende die Polizist_Innen mehrfach auf Routhiers Bluter-Erkrankung hinweisen mit der Aufforderung, ihn in Ruhe zu lassen.

Dem wird jedoch nicht nachgekommen, Routhier wird gewaltsam vor den Augen seines Sohnes von den Polizisten Wolfgang Werner und Peter Kluten aus dem Gerichtssaal geschleppt und fällt nach einer Rangelei mit den Beamten infolge derer Werner ihm einen Stoß in den Rücken versetzt eine Treppe hinunter und zieht sich die schweren Hirnblutungen zu, an denen er letztendlich am 18.06. in der Universitätsklinik Essen verstirbt.

Obwohl unabhängige gerichtsmedizinische Gutachten zweifelsfrei bestätigen, dass die Hirnblutungen auf stumpfe Gewaltanwendung zurückzuführen sind, leugnet die Polizei diesen Sachverhalt konsequent und ist bemüht, die Angelegenheit vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Am 24.10.1978 wurde der Münsteraner Professor Christian Sigrist wegen Verunglimpfung des Staates vom Schöffengericht Münster verurteilt, da er öffentlich behauptete, Routhier sei einem Mord zum Opfer gefallen. Im gesamten Bundesgebiet sind mittlerweile mehr als 1000 Strafverfahren wegen ähnlichen Behauptungen eingeleitet worden.

Offensichtlich versuchen die Verantwortlichen mit allen Mitteln die offiziellen Ergebnisse zu verteidigen: Am 06.03.1981 wurde eine Herausgabe der polizeilichen Akten zum Fall Routhier vom NRW-Innenminister unter Berufung auf §96 der Strafprozessordnung mit Hinweis auf das Wohl des Landes untersagt.

Wir gedenken Günter Routhier – einem von vielen Opfern unverhältnismäßiger Polizeigewalt!

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Rede am 05. Juni 2011 in Duisburg zum Gedenken an den Tod G. Routhiers

Wir haben uns heute hier versammelt, um dem Gewerkschafter Günter Routhier zu gedenken, dem durch die Duisburger Polizei am 5. Juni 1974 so schwere Kopfverletzungen zugefügt wurden, dass er letztendlich am 18. Juni 1974 daran verstarb.

Am 5. Juni 1974 verhandelt das Arbeitsgericht Duisburg die Klage des KPD/ML-Mitglieds Hanfried Brenner gegen seine Entlassung bei Mannesmann. Dort wurden nur IG Metall-Mitglieder eingestellt wer kein Mitglied war, wurde entlassen. Da es ebenfalls einen Unvereinbarkeitsbeschluss der IG Metall gab, dass dort keine KPD/ML-Mitglieder aufgenommen werden, wurde Brenner gekündigt. Als konkreten Anlass nahm man einen seiner zahlreichen Streikaufrufe.

Der Verhandlungsbeginn ist auf den Morgen des 5. Juni 1974 um 10.30 Uhr angesetzt, im Gerichtssaal befinden sich neben Brenner noch 6 weitere Menschen, die sich solidarisch zeigen wollen, allesamt Mitglieder oder Sympathisant-Innen der KPD/ML, darunter auch Günter Routhier. Ebenfalls anwesend waren 9 Polizist-Innen in zivil und 20 weitere in Bereitschaft. Man ging von Protestaktionen aus, da die KPD/ML-Betriebszeitung „Der Röhrenkieker“ im Vorfeld dazu aufrief, „den Protest [zu] benutzen, um ihn zu einer Tribüne des Klassenkampfes zu machen“. Als die Klage abgewiesen wird, kommt tatsächlich Unruhe auf: Die Anwesenden rufen Parolen und fangen an, die „Internationale“ zu singen, Brenner geht zum Fenster und beginnt eine Rede zu halten.

Was nun folgt, nennt die Rechtsanwältin Mechthild Düsing einen „unrechtmäßigen Polizeieinsatz", da das Hausrecht im Verhandlungssaal nur dem zuständigen Richter obliegt. Außerdem liegen die Personalien aller anwesenden KPD/ML-Mitglieder längst vor.

Einsatzleiter Josef Sauerwald und drei junge Beamte stürmen vor und entreißen Brenner das Megaphon. KPD/ML-Mitglied Bernhard Kolmke wird noch getreten und geschlagen, als er schon am Boden liegt. Kriminalhauptmeister Walter Schabronat schlug Günter Routhier vor den Augen seines entsetzten Sohnes Klaus-Peter, dass er rückwärts durch die Stuhlreihen flog. Er blieb in der dritten Reihe hängen und stürzte auf einen Stuhl. Mannesmann-Anwalt Joachim Lemppenau, heute Vorstandsmitglied des Unternehmens, hört ihn rufen: „Lasst mich in Ruhe. Ich bin Bluter“.

Inzwischen sind sechs Polizeibeamte in Uniform als Verstärkung für die neun Kollegen in Zivil eingetroffen. Der Einsatzleiter vom Schutzbereich 3, Hauptkommissar Peter Steglich, hat ihnen gesagt: „Es werden keine Glaceehandschuhe getragen. Packt kräftig zu!"

Wie die Übrigen Genoss_Innen soll Routhier nun zum Polizeiwagen und danach auf die Wache gebracht werden. Die Polizeibeamten Wolfgang Werner und Peter Kluten wollen Routhier die Treppe hinunter zum Ausgang Sonnenwall bringen, dabei drehen sie ihm brutal die Arme auf den Rücken, was für den an einer chronischen Gelenkerkrankung leidenden Routhier sehr schmerzhaft gewesen sein muss, er schrie: „Lasst mich los, ihr tut mir weh!“ und „Ich bin Bluter!“. Mit den Worten „Wer Bluter ist, bestimmen wir!“ versetzte ihm der linksgehende Polizist Wolfgang Werner, damals 24 Jahre alt, einen Stoß in den Rücken, woraufhin Günter Routhier die Treppe hinunterfiel und mit dem Kopf aufschlug. Der kleine Klaus-Peter Routhier weint „Holt einen Arzt! Bringt meinen Vater ins Krankenhaus!“, jedoch wird der inzwischen bewusstlose Routhier ohne ärztliche Versorgung von den Beamten zwischen die Sitzreihen des wartenden Mannschaftswagens gelegt und in eine Zelle gesperrt, aus der er erst nach 3 Stunden wieder entlassen wird.

Am 14. Juni 1974 sucht Günter Routhier dann die Universitätsklinik Essen auf, in der er am 18. Juni verstirbt – in seinem Gehirn werden 2 Blutungen festgestellt, über die der renommierte Gerichtsmediziner Professor Walter Krauland, in einem anderen Strafverfahren bereits mit der Feststellung der Todesursache beauftragt, später urteilt: „Beide Blutungsquellen weisen auf eine oder mehrere stumpfe Gewaltanwendungen hin, die den Kopf getroffen haben. Am bedeutendsten dürfte dabei der Sturz über die Treppe zu bewerten sein.“

Da die wirklichen Todesumstände Günter Routhiers die Duisburger Polizei anscheinend in argen Legitimationsdruck geraten lassen würden, setzt selbige Alles daran, den eigentlichen Tathergang zu vertuschen und sämtliche Kritik am polizeilichen Vorgehen sowie Bestrebungen, den wahren Hergang offenzulegen bzw. Vermutungen zu diesem zu äußern, strafrechtlich zu verfolgen und setzt Menschen, die sich mit der offiziellen Linie der Polizei nicht zufrieden geben massiver Repression aus.

Inzwischen sind im gesamten Bundesgebiet wohl mehr als tausend Strafverfahren gegen diejenigen durchgeführt worden, die sich mit den offiziellen Erklärungen der Polizei zum Tod Routhiers nicht zufriedengegeben und behauptet haben, er sei einem Mord zum Opfer gefallen. Das hat auch Professor Christian Sigrist, geschäftsführender Direktor des Instituts für Soziologie an der Universität Münster, auf einer am 5. Mai 1976 vom Goethe Institut und der Universität in Stockholm durchgeführten Podiumsdiskussion getan, die vom WDR ausgestrahlt worden ist.

Professor Sigrist ist dafür am 24, Oktober 1978 vom Schöffengericht Münster wegen Verunglimpfung des Staates in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 120 Mark verurteilt worden.

Dem sogenannten „Extremismus-Berichte des Innenministeriums NRW an den Landtag oder Landesbehörden“ von 1974 ist folgendes Zitat zu entnehmen: „Die Obduktion der Leiche erbrachte keinerlei Hinweise auf äußere Gewalteinwirkung“. Hier wird offensichtlich versucht, die beiden Verantwortlichen Polizeibeamten Wolfgang Werner und Peter Kluten aus der Affäre zu ziehen, die zu den Vorgängen am 5. Juni 4 verschiedene Aussagen zu Protokoll gegeben haben, teilweise auch unter Eid, welche stark widersprüchlich sind. Es liegt auf der Hand, dass hier von offizieller Seite versucht wird, einen völlig anderen Tathergang zu konstruieren, welcher die Verletzungen, denen Routhier erlag, anderen Umständen als dem Handeln von Werner und Kluten zuschreibt.

Das Gutachten, welches das oben angeführte Zitat des Gerichtsmediziners Professor Walter Krauland enthält, der Routhiers Hirnblutungen auf den durch Wolfgang Werner verursachten Treppensturz zurückführt, wird erst im Zuge des Prozesses gegen Professor Sigrist vor dem Schöffengericht Münster öffentlich, der ebenfalls den offiziellen Tathergang in Frage stellte. Erstmalig bat sich jetzt überhaupt die Gelegenheit gerichtlich aufzuklären, was eigentlich Gegenstand von Professor Sigrists Behauptung war – das der Tod Günter Routhiers auf ein Fehlverhalten der Polizei zurückzuführen sei.

Doch scheinbar hat die Wahrheit wenn es um das Image der Polizei, unseres „Freund und Helfers“, geht keinen allzu hohen Stellenwert: Die 8. Große Strafkammer in Münster hat die Herausgabe der Akten über den Polizeieinsatz vom 5. Juni 1974 durch das 14. Kommissariat der Polizei in Duisburg zwar beantragt und tatsächlich einen richterlichen Beschluss herbeigeführt. Durch einen Schnellbrief des Nordrhein-Westfälischen SPD-Innenministers Herbert Schnorr vom 6. März 1981 ist eine solche Herausgabe unter Berufung auf den §96 der Strafprozessordnung mit Hinweis auf das Wohl des Landes jedoch verweigert worden.

Eine Anklage gegen die an dem Einsatz beteiligten Beamt_Innen ist nie erhoben worden.

Günter Routhier steht exemplarisch für alle Opfer von Polizeigewalt, denen wir heute ebenfalls gedenken möchten. Gewalt durch Polizeibeamt_Innen geschieht entgegen der bürgerlichen Medien in den meisten Fällen nicht um das eigene Leben gegen „böse Extremist_Innen“ zu verteidigen. Im Gegenteil, polizeiliche Repression ist ein bewusst eingesetztes Instrument um oppositionelle und emanzipatorische Bewegungen zu schwächen, indem man den kleinsten Bestandteil dieser Bewegungen angreift: das Individuum. Dies geschieht in der Regel äußerst brutal und vollkommen unverhältnismäßig. Im Großteil der Fälle werden Anzeigen der Betroffenen gegen die verantwortlichen Polizeibeamt_Innen von den Gerichten abgewiesen.

Wir fordern die Herausgabe der polizeilichen Akten über den Fall Günter Routhier und eine lückenlose Aufklärung des Tathergangs. Dazu gehört auch, die Verantwortung der beiden Polizeibeamten Wolfgang Werner und Peter Kluten zu klären und gegebenenfalls strafrechtliche Schritte einzuleiten.

Des Weiteren fordern wir die Aufklärung und Strafverfolgung sämtlicher Fälle von Polizeigewalt. Polizeigewalt ist kein Kavaliersdelikt sondern ein schwerwiegender Angriff auf das Wohl des Individuums!

Auch wenn wir uns in politischer Hinsicht klar von der KPD/ML distanzieren möchten, gedenken wir der Familie Günter Routhiers sowie sämtlichen Opfern von Polizeigewalt weltweit, unsere Solidarität ist stärker als ihre Repression!