Betrieb & Gewerkschaft
Tarifkampf im Handel
Kleine Erfolge, große Probleme

von Frederik Haber

06/11

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Momentan werden in Deutschland wieder fette Profite gemacht, aber das Kapital zieht die Schrauben weiter an. Für die Beschäftigten sollen die Reallöhne weiter sinken. Kein Wunder, dass es wieder vermehrt zu Streiks kommt. Neben LokführerInnen, DruckerInnen und JournalistInnen ist auch der Handel in Bewegung geraten.

Der ver.di-Fachbereich 12 wollte es diesmal besser machen: Groß- und Einzelhandel sollten gemeinsam in die Tarifrunde gehen, denn der Großhandel liefert oft an den Einzelhandel und es macht Sinn, die gesamte Kette mit Streikaktionen zu treffen. Die verschiedenen ver.di-Bezirke hatten sich auch gegenseitig versichert, die Aktionen zu koordinieren und eine schnelle und aktive Tarifrunde zu führen.

Den hehren Verpflichtungen folgten jedoch kaum Taten. Baden-Württemberg stellte eine reine Prozentforderung auf, andere Bezirke wollten die unteren Gruppen relativ besser stellen. So forderte Rheinland-Pfalz 65 Euro für alle und dazu noch Prozente. Manche Bezirke wollten auch die Leiharbeit einschränken oder das Entgelt gleichstellen. Die scheinbare Demokratie und Autonomie bei der Forderungsaufstellung ist aber rein fiktiv. Denn da Baden-Würtemberg schon von der Laufzeit der Tarifverträge zuerst dran war und jetzt auch als erstes Land abgeschlossen hat, wurden und werden die Forderungen aus den anderen Bezirken noch nicht einmal diskutiert. Eine inhaltliche Koordination, eine Abstimmung der Forderungen auf bundesweiter Ebene sähe anders aus.

In Baden-Württemberg gibt es für den Großhandel 3% in diesem Jahr, bei einem Nullmonat und 2,4% im nächsten. Im Einzelhandel sind es im nächsten Jahr nur 2%, da dort auch die jüngeren Jahrgänge zukünftig 6 Wochen Urlaub erhalten, was bisher nicht der Fall war. Baden-Würtemberg war zugleich der kampffähigste Bezirk. Es wurden mehr Betriebe als je zuvor in den Streik gerufen. Auch Schleckerfilialen u.a. Betriebe, die in den letzten Jahren sich erstmals organisiert hatten und oft unter heftigsten Angriffen Betriebsräte gewählt hatten, zeigten sich kämpferisch. Streiks gehen oft mehrere Tage, nicht wie früher nur in der Frühschicht. Streikbrecher als Belieferer werden zusätzlich bestraft, indem UnterstützerInnen kurzfristig „merken“, dass sie die großen Warenmengen doch nicht bezahlen können oder kaufen wollen, was leider die Kassen blockiert. Besonders gut organisierte Betriebe starten den Streik nicht morgens, was die Anfuhr von Streikbrechern erlaubt, sondern starten den Streik aus dem laufenden Betrieb, ein Kampfmittel, das in Stuttgart entwickelt wurde.

Bei ver.di hatte man offensichtlich erwartet, dass die Handelsunternehmen den Abschluss in Baden-Würtemberg als Pilotabschluss anerkennen und überall umsetzen. Denkste! In Sachsen z.B. fordern sie, das Mindestentgelt um 15% zu senken. Bei netto in Bayern wird mit Dumpinglöhnen durch konzerneigene LeiharbeiterInnen gearbeitet. Andere Ketten drohen mit Austritt aus dem Tarif. All das vor dem Hintergrund, dass angesichts der steigenden Inflation man heute schon sagen kann, dass das Ergebnis aus Baden-Würtemberg, obwohl erstreikt, noch nicht einmal die jetzigen Realeinkommen sichern wird.

Können die Beschäftigten in den schwächer organisierten Ländern jetzt wenigstens das Ergebnis übernehmen? Möglicherweise helfen die Provokationen der Kapitalisten, auch dort die Kampfbereitschaft zu steigern. Zugleich zeigt sich aber, wie wichtig es ist, 10 Jahre nach der Gründung von ver.di endlich einige grundlegende Probleme anzugehen:

  • Es gibt keine wirkliche Solidarität zwischen den Fachbereichen

  • Streiks in verschiedenen Branchen werden nicht koordiniert.

  • Für viele Hauptamtliche sind Arbeitskämpfe eine „zusätzliche Belastung“. Deshalb neigen sie zu zweijährigen Laufzeiten. Diese erlauben es auch, im ersten Jahr eine etwas höhere Zahl „herauszuholen“, um den Abschluss besser zu vertreten. Für die Organisierung der Beschäftigten sind aber gerade im Handel Arbeitskämpfe das entscheidende Mittel.

  • In der Vergangenheit wurden für minimalste Erhöhungen unterschiedliche Laufzeiten in den einzelnen Ländern akzeptiert, die jetzt mit zu den oben beschriebenen Problemen geführt haben. „Schachern statt Kämpfen“ war da die Devise.

  • Nicht einmal soweit geht die beschworene Kooperation, dass ein Pilotabschluss an eine lange Erklärungsfrist gekoppelt wird, damit alle anderen nachziehen können.

Hinter diesen organisatorischen Mängeln steht letztlich auch die politische Entscheidung, die „Arbeitgeber“ nicht zu sehr zu belasten – vielleicht nicht bei allen betrieblichen und lokalen FunktionärInnen, mit Sicherheit aber bei der Führung von ver.di, welche die Agenda 2010, den TVÖD und den Rückgang der Reallöhne akzeptiert hat.

Weil Branchen wie Metall und Öffentlicher Dienst Kampfkraft verlieren, ist es für die Arbeiterbewegung in Deutschland wichtig, dass Branchen wie der Handel Kampfkraft gewinnen. Der Niedergang insgesamt kann nur bekämpft werden, wenn eine radikal neue Orientierung und Führung erkämpft werden. Dafür ist eine klassenkämpferische Basisbewegung über alle Branchen hinweg nötig!

Editorische Anmerkungen

Wir erhielten den Artikel durch

ARBEITERMACHT-INFOMAIL
Nummer 564
24. Juni 2011

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