Vereinigen statt Spalten!
Stellungnahme des RSB zum Text „Neue antikapitalistische Organisation? - Na endlich“ der SIBS

06/11

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Wir – revolutionäre AntikapitalistInnen in der BRD – haben Grund zur Hoffnung:

  • der französische Generalstreik im Herbst 2010, die kämpferischen Streiks von Wisconsin im Winter 2010/11,  
  • das Aufleben der sozialen und Studierenden-Bewegung in Großbritannien    
  • die Bewegung für „wahre Demokratie“ im spanischen Staat im Mai 2011    
  • die eskalierenden offenen Klassenkämpfe im bankrotten Griechenland    
  • und nicht zuletzt die revolutionär-demokratische Welle in der arabischen Welt 

führen uns vor Augen, dass mit dem Ausbruch der letzten großen Krise (2008) die bürgerliche Weltordnung instabil geworden ist. Dies sind die konkreten Bedingungen für die Möglichkeit revolutionärer Politik heute. Wenn ein Anstieg sozialer Kämpfe auch in der BRD mittelfristig nicht ausbleiben kann, dann muss sich die revolutionäre Linke schon heute zusammenraufen, um nicht im entscheidenden Moment desorganisiert dazustehen.  

Wir sprechen im folgenden von „Organisation“ und legen uns damit bewusst nicht fest auf ein „Bündnis“, eine „Dachorganisation“ oder gar eine „Partei“. Für Definitionen ist es viel zu früh. Wie in einer Liebesbeziehung schlagen wir vor, auf einer Ebene zu beginnen, die allen die meiste Freiheit lässt. Wir können dann sehen, in welcher Form der Vereinigung wir unser Glück finden.

Ende März 2011 hat die Sozialistische Initiative Berlin-Schöneberg (SIBS) mit ihrem Text „Neue Antikapitalistische Organisation? Na endlich! Worüber müssen wir uns verständigen und worüber nicht“ einen unsres Erachtens wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Herausbildung einer revolutionären Organisation in der BRD veröffentlicht. Uns fällt die konstruktive Herangehensweise der SIBS besonders auf. Wir freuen uns auch über die erfrischende Sprache des Textes. Im Folgenden wollen wir das zusammenfassen, was sich in den Diskussionen in unserer Organisation als Positionierung herausgeschält hat.  

1.      Die Bezugspunkte

Zunächst wollen wir betonen, dass wir die Ausgangspunkte für die von der SIBS entwickelten Überlegungen voll teilen:

·        Mit reformistischer Politik ist keine Systemänderung zu erreichen. Das Übel der kapitalistischen Herrschaft ist nur auf revolutionärem Weg zu beseitigen. Wir fügen an dieser Stelle schon mal hinzu: Im Grunde drängt die Zeit, denn wenn der Klimawandel voranschreitet und die Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur (weltweit!) nicht durch eine sozialistische (und d.h. auch: klima- und ressourcenneutrale) ersetzt wird, dann wird sich in zwei bis drei Generationen die Frage des Sozialismus kaum noch stellen, weil dann die Barbarei des Klimawandels so brutal zugeschlagen haben wird, dass die Menschen kaum noch Luft zum Atmen, geschweige denn zu revolutionärer Politik haben werden. Damit wollen wir nicht der Torschlusspanik das Wort reden, sondern lediglich darauf hinweisen, dass Rosas Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ heute eine neue, drängende Zuspitzung erfährt. Dies sollte u. E. in jedem Fall zum Sturm- und Dranggepäck einer neuen revolutionären Organisation gehören.

·        Die Partei Die Linke ist eine reformistische Partei. Mit ihr ist der nötige Systemwandel nicht durchsetzbar, denn sie hat sich im Kapitalismus eingerichtet (und wir fügen hinzu: vor allem im Parlamentarismus, ihrem wesentlichen Lebenselixier). Und wir stimmen auch der Feststellung zu, dass es dennoch in dieser Partei nicht wenige Menschen gibt, die für eine andere Politik gewinnbar sind. Wahrscheinlich haben wir unterschiedliche Einschätzungen, wie viele Menschen in der Partei Die Linke heute für eine andere Praxis gewinnbar sind (oder bei Existenz einer revolutionären Organisation gewinnbar wären). Auch gehen unsere Einschätzungen wohl etwas auseinander, wann der Zeitpunkt für eine Differenzierung (innerhalb der Partei und weg vom reformistischen Kurs) am besten zu fördern wäre. Aber das sind eher zweitrangige Fragen, denn über nur graduell unterschiedliche Einschätzungen lässt sich schlecht streiten.

·        Und wir teilen den Wunsch nach einem Zusammengehen der revolutionären Kräfte, denn ein lineares Wachstum ausgehend von einer der existierenden linksradikalen Kräfte hin zu einer bedeutsamen revolutionären Organisation ist einfach nicht vorstellbar. 

2.      Welche Rolle hat die Wahlebene und wie schätzen wir konkret die Partei Die Linke ein?

Dies ist nur eine vorsichtige Vermutung, aber sie stützt sich auf das, was in dem Text ein wenig durchschimmert: Wir fürchten, dass die SIBS noch etwas zu sehr auf die Wahlebene schaut und in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Partei Die Linke überschätzt. So heißt es auf Seite 12 oben (am Ende des Punktes 1.):

„Bis dahin gibt’s z. B. noch mehrere Landtagswahlen. Warten wir mal ab, was innerhalb und außerhalb der LINKEN passiert, wenn sich der erste West-Landesverband von der SPD hat über den Tisch ziehen lassen.“

Warum sollen wir denn überhaupt von den noch ausstehenden Landtagswahlen positive Differenzierungsprozesse innerhalb der Partei erwarten? Sind nicht durch den Verlauf der letzten Jahre für die allermeisten Kräfte, die heute und in nächster Zeit für klassenkämpferische Politik in Frage kommen und ansprechbar sind, die Dinge ausreichend klar geworden?

Nehmen wir nur mal solche Themen wie Tarifpolitik, Mindestlohn, Privatisierung von Wohnraum (Berlin, Dresden), Wasserwirtschaft, Anbiederung an die SPD usw. Sind denn für eine fortschrittliche Veränderung von Positionen der KollegInnen nicht andere Ebenen als die Wahlebene viel wichtiger, nämlich vor allem die Frage: Wie entwickeln sich reale Kämpfe (in den Betrieben, innerhalb der Gewerkschaften beim Kampf gegen die Bürokratie und gegen die verheerende Standortpolitik, außerhalb der Betriebe, in der Ökologiebewegung usw.)? Nach unsrem Verständnis sind doch diese Entwicklungen – also die Ebene der realen sozialen Auseinandersetzung und vor allem die Steigerung der Selbstaktivität der Klasse – viel wichtiger als der Ausgang der nächsten drei, vier Landtagswahlen.

Ganz sicher haben wir hier keinen grundlegenden Dissens.

Genauso wichtig erscheint uns die Einschätzung der West-Landesverbände der Partei Die Linke. In eurem Text schreibt ihr diesen eine linke Position zu, die eine andere Charakterisierung als die im Osten rechtfertigen könnte. Aber sind das denn nicht nur graduelle Unterschiede, die an der totalen parlamentaristischen Ausrichtung und Anbiederung an die SPD rein gar nichts ändern? Selbst der linkeste unter den Landesverbänden im Westen (nämlich in NRW), der als stark von der Antikapitalistischen Linken beeinflusst gilt, betreibt doch eine immer peinlicher werdende Anbiederung an die SPD und tut alles, um Neuwahlen zu verhindern. Die Landtagsfraktion (und damit die faktische Führung der Partei) stimmt mit ihrer Enthaltung zum Haushalt der Regierungspolitik einer bürgerlichen Regierung zu. Hat sich also nicht längst selbst der „linkeste“ Landesverband der Partei „von der SPD über den Tisch ziehen lassen“?

Hat dies in der Folge zu großen Abwanderungen klassenkämpferischer Kräfte aus der Partei geführt? Wir meinen nein und dafür gibt es nur zwei mögliche Erklärungen: a.) Dort gibt es nicht viele klassenkämpferische Kräfte, oder: b.) Eine solche Abwanderung hängt nach Lage der Dinge heute in der BRD nicht so sehr von der Anpassung der Partei an die Erfordernisse parlamentaristischer Politik ab, sondern mehr von einem Anstieg der außerparlamentarischen Kämpfe. 

Wenn vor dem Hintergrund ansteigender Klassentätigkeit sich eine revolutionäre (oder sagen wir vorläufig mal: konsequente antikapitalistische) Organisation herausbildet, dann besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich eine nennenswerte (oder größere) Zahl von Menschen von der Partei Die Linke abwendet und sich einer kämpferischen Organisation mit einer radikaleren politischen Perspektive anschließt.

Mit anderen Worten: Die überwältigende Zahl von Mitgliedern einer neuen revolutionären Organisation wird zunächst (auf absehbare Zeit) aus dem Spektrum der vorhandenen links­radikalen Kräfte (Organisationen und Einzelpersonen) kommen. Und auch diese sind mindestens mittelfristig darauf angewiesen, dass die allgemeine Klassenaktivität wieder an­steigt.

Wir sehen dies ganz deutlich in den Ländern, die die SIBS als Beispiele für positive Vereinigungsprozesse anführt: In Griechenland erfährt Antarsya vor dem Hintergrund einer wachsenden Widerstandsbewegung gegen die Sparpolitik einen gewissen Aufschwung und in Frankreich erleben wir seit zwei Jahren, wie es der NPA jedes mal dann besser geht, wenn die Kämpfe zunehmen und wie es ihr jedes mal nach einer Niederlage der Klasse (zuletzt bei der Rentenreform) wieder schlechter geht.

Die NPA ist heute – gerade im Vorfeld der nächsten Präsidentschaftswahlen – in einer Krise. Warum? Der allgemeine Politikbetrieb in Frankreich ist noch mehr als bei uns ungeheuer stark auf den Ausgang von Wahlen ausgerichtet (zumindest bei den Präsidentschaftswahlen, denn der Präsident hat eine gewaltige Macht). Dies wirkt sich traditionell extrem stark auf die Politik auch der radikalen Linken aus, so dass sie immer unter dem Druck steht, nicht nur selbst zu kandidieren (damit sie von den KollegInnen politisch ernst genommen wird), sondern möglichst auch gute Wahlergebnisse zu erzielen. Von daher der große Druck – auch innerhalb der NPA – nicht als Sektierer dazustehen und sich mit anderen in einem Wahlbündnis zusammenzutun (also ein Druck, auch ein Wahlbündnis mit gemäßigten Kräften einzugehen).

Im Text auf Seite 11 heißt es, dass es der WASG Berlin nur gelungen sei, weniger als 10% der Stimmverluste der Partei Die Linke aufzufangen. „Es ist der WASG nicht gelungen, sich als ernsthafte und glaubwürdige linke Alternative zur LINKEN in Berlin zu präsentieren und gleichzeitig deutlich zu machen: Wir wollen die bundesweite Linke.“ Wir meinen, das liegt weniger am politischen oder organisatorischen Unvermögen der WASG, sondern zunächst einmal an den politischen Einstellungen des allergrößten Teils der Linke-WählerInnenbasis. Aus Frust nicht mehr die Linke zu wählen, macht aus diesen Nicht-WählerInnen noch lange keine KlassenkämpferInnen, jedenfalls so lange nicht, wie es nicht zu der oben angeführten verstärkten Selbstaktivität der Klasse gekommen ist.

Wir vermuten erstmal, dass wir in diesen Fragen im Grunde keine größeren Differenzen haben, aber der Text weist an diesen Stellen, die uns wichtig sind, eine Lücke auf. Er lässt mit seiner Beschreibung (wohl eher ungewollt) den Eindruck entstehen, dass doch noch ganz stark auf die Wahlebene geschielt wird. Dies drängt sich schon deswegen auf, weil im Zusammenhang mit der WASG lediglich eine Erklärung für das Scheitern an der 5%-Hürde“ gegeben wird, eine Bewertung ihrer Arbeit außerhalb des bürgerlichen Politikzirkus aber völlig unerwähnt bleibt.

Das soll nicht heißen, dass wir eine Wahlbeteiligung ausschließen. Aber wir müssen uns immer der schiefen Ebene bewusst sein, auf die mensch sich mit einer Wahlbeteiligung begibt: Es gibt immer die Tendenz, sich dem Bestreben des „nützlich Wählens“ (oder der „nützlichen Kandidatur“) anzupassen, und in der Folge der Wahlebene eine immer größere Bedeutung beizumessen.

Lassen wir keine Zweifel aufkommen: Die SPD ist in den vergangenen Jahrzehnten so weit nach rechts gerückt, dass der traditionelle Platz einer sozialdemokratischen (reformistischen) Partei freigeworden ist. Diesen freien Platz (einer reformistischen Partei) hat Die Linke besetzt. Sie ist nach unsrem Verständnis keine linksreformistische Partei, denn sie ist nicht auf soziale Kämpfe, sondern auf den bürgerlichen parlamentarischen Politikbetrieb ausgerichtet. Hierzu gehört übrigens auch der instrumentelle und bürokratische Umgang mit den Positionen linker Israel-Kritiker_innen, denen mensch jetzt „Antisemitismus“ vorwirft. Dazu arbeitet z.B. Gysi mit den Mitteln der Erpressung, Ramelow mit Verleumdungen usw. Der Anpassungs- und Anbiederungsprozess der Partei geht weiter und sie wird auch in nächster Zeit weiter „gesäubert“ werden, denn Regierungsbeteiligung ist die Maxime der Partei.

Und deswegen stellt sich auch die Frage, bei welchen Themen heute eine Einheitsfront mit der Spitze der Partei möglich ist. Wie bekommen wir in Berlin eine Einheitsfront mit der Parteiführung hin, wenn es um Mobilisierungen gegen die Tarifpolitik der Landesregierung geht oder um den Widerstand gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft oder des Wohnungsbaus, oder gegen die Polizeigewalt bei Demoeinsätzen? Ohne Zweifel können wir mit der gesamten Partei (also auch mit ihrer Spitze) eine Einheitsfront eingehen im Kampf gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung oder bei Anti-Nazi-Mobilisierungen oder bei antirassistischen Aktivitäten. Aber die Einheitsfront mit dieser Partei ist kein Selbstzweck, sondern abhängig von den konkreten Zielen und Möglichkeiten. 

3.      Antisexismus ist zentral

Ob es in diesem Abschnitt ebenfalls nur um fehlende Klarstellungen im Text der SIBS (Ex­kurs 1, ab s. 17) geht oder um wirkliche, nennenswerte Differenzen, wissen wir noch nicht so recht. Wir wollen aber betonen: Für uns ist eine bestimmte Unterdrückung nicht erst dann relevant, „wenn sie die gesamte Gesellschaft durchzieht“. Und die Frage wäre auch, wer definiert, was für die „gesamte Gesellschaft“ Unterdrückung ist. Die Formulierung: „Es kann ja vernünftigerweise nur um Unterdrückung gehen, die erstens die gesamte Gesellschaft durchzieht und die zweitens mehr oder weniger konstitutiv ist für die Herrschaft des Kapitals“ (S. 17) ist interpretationsfähig. Spätestens da, wo es im SIBS-Text heißt, dass es „bei z. B. ‚abweichenden‘ sexuellen Orientierungen nicht“ um eine Unterdrückung gehe, um die sich eine revolutionäre Organisation „vernünftigerweise“ kümmern sollte, wollen wir klarstellen, dass für uns die Übel außerhalb des „Hauptwiderspruchs“ weder unbedeutend noch unwichtig für die Politik einer revolutionären Organisation sind. Dem Eintreten gegen männliche Unterdrückung, Sexismus und Homophobie sowohl auf politischer als auch auf privater Ebene als auch im Rahmen linker Organisationen und Politik messen wir eine zentrale Bedeutung bei.

Wir können uns auch keinen Kapitalismus vorstellen, der ohne (post-)koloniale Verhältnisse, ohne Reproduktion und Erhalt von Territorien und Staatsvölkern und ohne Rassismus auskommt, und zwar sowohl ideologisch als auch mittels Waffengewalt.

Und schließlich: Wie schon eingangs angedeutet muss nach Ansicht des RSB der Kampf gegen die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen der Menschheit heute ein konstitutiver Bestandteil revolutionärer Politik sein. Je mehr die Atomkraft weltweit ausgebaut wird und bei uns nicht endgültig abgeschaltet ist, je mehr der Klimawandel fortschreitet und die sonstige Umweltzerstörung weitergeht, desto mehr rücken diese Fragen nicht nur objektiv sondern auch subjektiv in den Mittelpunkt des politischen Interesses und der Bewusstseinsentwicklung. Spätestens die Lebensmittelpreise sind spürbarer Ausdruck der ökologischen Krise. Aufgabe revolutionärer Politik muss es sein, zu erklären, dass der Kapitalismus diese Probleme nicht lösen kann, weil das Profitsystem dem diametral widerspricht. Markt und Staat können aber damit umgehen:  „Green New Deal“ und „grüner Kapitalismus“ sollen die für alle notwendigen natürlichen Güter zu exklusiven Waren machen. Als Alternative dazu wollen wir die Vision sowohl einer ausbeutungsfreien als auch ökologischen Gesellschaftsordnung entwickeln; diese zu vermitteln wird zu einer immer drängenderen Aufgabe klassenkämpferischer, revolutionärer Politik. 

4.      Welche Perspektive ist realistisch?

Der Text der SIBS verwahrt sich glücklicherweise gegen zu schnelle Parallelen, wenn es um Erfahrungen anderer Länder geht. Dennoch finden wir folgende Aussage etwas zu gewagt:

„Die NPA organisiert momentan ca. 6000 Leute, es gibt keinen vernünftigen, objektiven Grund, warum wir das mittelfristig nicht auch schaffen können. (S. 32, unter Punkt 4)“ Ganz abgesehen von den enormen Schwierigkeiten, die die NPA zurzeit hat (s. o.), müssen wir ganz klar und unmissverständlich festhalten: Die Herausbildung der NPA in Frankreich (mit einer gewissen Verankerung in Betrieb und Gewerkschaft und einem noch begrenzten aber doch gewissen politischen Gewicht im Klassenkampf) war nur vor dem Hintergrund der seit Jahrzehnten völlig anderen Klassenkampfentwicklung in Frankreich vorstellbar.

Zwar war das Pfund, das die LCR mit ihrer politischen Erfahrung und ihrem aktiven Kader zum Aufbau einer neuen antikapitalistischen Partei in die Waagschale geworfen hat, der subjektive Faktor, der die NPA ermöglicht hat. Und diese Willensanstrengung können wir auch aufbringen. Aber mit dem geringen Selbstbewusstsein der KollegInnen in Deutschland und der sehr sehr dünnen Schicht an Menschen, die heute bereit sind, die wenigen Kampferfahrungen politisch zu bündeln, sollten wir (das heißt die radikale Linke) nicht davon träumen, auf die Schnelle in der BRD eine Organisation in derselben Größenordnung (und Bedeutung) aufbauen zu können, selbst dann nicht, wenn sich alle dafür in Frage kommenden linken Organisationen wirklich daran beteiligen.

Ohne Zuspitzung der Situation in einer politischen Krise, ohne größere Unruhe im Land, ohne nennenswerte Kämpfe und ohne wachsende Selbstaktivität der Ausgebeuteten und Unterdrückten wird sich heute schwerlich eine Organisation mit mehreren Tausend Aktiven herausbilden, die Bestand hat und aktiv in das Geschehen eingreift.

Natürlich können wir aber heute schon eine revolutionäre Organisation bilden. Wir müssen das sogar, wenn wir auf Veränderungen in der Zukunft vorbereitet sein wollen. Wir stimmen der SIBS auch ausdrücklich zu, dass eine solche Organisation nur zur Mitarbeit motivieren kann, wenn sie eine gewisse Mindestgröße überschreitet und tatsächlich eine neue Qualität (verglichen mit dem heutigen Zustand kleiner Gruppen oder Grüppchen) hat. Wir müssen jetzt nicht darüber spekulieren, ob diese Mindestgrenze bei 800 oder bei 1000 Mitgliedern liegt, aber nennenswert darunter kann es wirklich nicht sein. 

Wir wollen aber auch anmerken, dass nach unsrer Überzeugung der Prozess der Heraus­bildung einer neuen bundesweiten revolutionären Organisation nicht ohne eine gemeinsame Praxis laufen kann oder zumindest einem gemeinsamen Verständnis von Praxis. Wir sind uns bewusst, dass aufgrund der sehr unterschiedlichen Bedingungen von Ort zu Ort und aufgrund der geringen bundesweit wirkenden betrieblichen, tariflichen und politischen Auseinandersetzungen die Praxis der vorhandenen Kräfte sehr unterschiedlich ist. Deswegen wird es nicht möglich sein, eine gleiche Praxis an allen Orten umzusetzen. Das heißt: Thematisch wird sich dies nur zu einem bestimmten Teil decken, aber ohne gemeinsame Bezugspunkte und ohne gemeinsame bzw. vergleichbare Ansätze zur praktischen Umsetzung des revolutionären Programms wird es schwer werden, bestimmte Geschehnisse und Aktivitäten gemeinsam zu bilanzieren und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein wirklicher Austausch von Ort zu Ort und ein wirkliches Zu­sammenwachsen der neuen Organisation wird nur möglich, wenn sie auf geteilten Erfahrungen aufbauen kann.

Deswegen sollten wir gemeinsam überlegen, zu welchen Themen sich eine solche gemeinsame Praxis – die jeweils einen Teil der Aktivitäten der jeweiligen Gruppen am Ort bestimmt – möglich ist. Dies könnte (muss aber überhaupt nicht) eine bestimmte „Kampagne“ über einen  bestimmten Zeitraum (z. B. jeweils ein, zwei Jahre) sein, oder aber es könnten andere Aktivitäten auf Dauer sein, die jeweils einen wirklichen Austausch, Verständigung und Bereicherung ermöglichen. Ein solches Herangehen hätte „nebenbei“ auch den Effekt, dass die Organisation dann mit gewissen Synergieeffekten rechnen könnte und letztlich auch leichter bundesweit erkennbar, wahrnehmbar und wirksam würde. 

Aus diesen ernsten Überlegungen wird hoffentlich sichtbar, dass der RSB den begonnenen Prozess der Herausbildung einer neuen Organisation begrüßt und sich daran aktiv beteiligen will. Wir sind es einfach leid, dass die revolutionäre Linke zersplittert und wenig wirkungsmächtig ist.

Zwar will die SIBS nicht „Moderatorin“ dieses Prozesses sein und wartet erst mal ab, wie sich andere zu ihrem Vorschlag und ihren Ausführungen positionieren, aber eine gewisse Verantwortung kommt ihr doch zu. Da sie bisher den am meisten strömungsübergreifenden Beitrag geleistet hat, ist sie auch in der besten Position, zumindest in dieser ersten Phase den Prozess weiter zu fördern, indem sie aktiv Stellungnahmen einfordert (eventuell auch auf einzelne Beiträge antwortet) und bestimmte Vorschläge für das weitere Verfahren macht. Wir hoffen, dass sich möglichst viele Kräfte der radikalen, revolutionären Linken tatsächlich einklinken. 

Im Auftrag des Politischen Komitees des RSB:

Jakob Schäfer, Jan Weiser, Tom Bogen

Editorische Anmerkungen

Den Text erhielten wir für diese Ausgabe nach dem TEACH IN.