Wir – revolutionäre
AntikapitalistInnen in der BRD – haben Grund zur Hoffnung:
- der französische Generalstreik im
Herbst 2010, die
kämpferischen Streiks von Wisconsin im Winter 2010/11,
- das Aufleben der sozialen und
Studierenden-Bewegung in Großbritannien
- die Bewegung für „wahre
Demokratie“ im spanischen Staat im Mai 2011
- die eskalierenden offenen
Klassenkämpfe im bankrotten Griechenland
- und nicht zuletzt die
revolutionär-demokratische Welle in der arabischen Welt
führen uns vor Augen, dass mit dem
Ausbruch der letzten großen Krise (2008) die bürgerliche
Weltordnung instabil geworden ist. Dies sind die konkreten
Bedingungen für die Möglichkeit revolutionärer Politik heute.
Wenn ein Anstieg sozialer Kämpfe auch in der BRD mittelfristig
nicht ausbleiben kann, dann muss sich die revolutionäre Linke
schon heute zusammenraufen, um nicht im entscheidenden Moment
desorganisiert dazustehen.
Wir sprechen im folgenden von
„Organisation“ und legen uns damit bewusst nicht fest auf ein
„Bündnis“, eine „Dachorganisation“ oder gar eine „Partei“. Für
Definitionen ist es viel zu früh. Wie in einer Liebesbeziehung
schlagen wir vor, auf einer Ebene zu beginnen, die allen die
meiste Freiheit lässt. Wir können dann sehen, in welcher Form
der Vereinigung wir unser Glück finden.
Ende März 2011 hat die Sozialistische
Initiative Berlin-Schöneberg (SIBS) mit ihrem Text
„Neue Antikapitalistische
Organisation? Na endlich! Worüber müssen wir uns verständigen
und worüber nicht“ einen unsres Erachtens
wichtigen Beitrag zur Diskussion um die Herausbildung einer
revolutionären Organisation in der BRD veröffentlicht. Uns fällt
die konstruktive Herangehensweise der SIBS besonders auf. Wir
freuen uns auch über die erfrischende Sprache des Textes. Im
Folgenden wollen wir das zusammenfassen, was sich in den
Diskussionen in unserer Organisation als Positionierung
herausgeschält hat.
1.
Die Bezugspunkte
Zunächst wollen wir betonen, dass wir die Ausgangspunkte für die
von der SIBS entwickelten Überlegungen voll teilen:
·
Mit reformistischer Politik ist
keine Systemänderung zu erreichen. Das Übel der kapitalistischen
Herrschaft ist nur auf revolutionärem Weg zu beseitigen. Wir
fügen an dieser Stelle schon mal hinzu: Im Grunde drängt die
Zeit, denn wenn der Klimawandel voranschreitet und die
Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur (weltweit!) nicht durch
eine sozialistische (und d.h. auch: klima- und
ressourcenneutrale) ersetzt wird, dann wird sich in zwei bis
drei Generationen die Frage des Sozialismus kaum noch stellen,
weil dann die Barbarei des Klimawandels so brutal zugeschlagen
haben wird, dass die Menschen kaum noch Luft zum Atmen,
geschweige denn zu revolutionärer Politik haben werden. Damit
wollen wir nicht der Torschlusspanik das Wort reden, sondern
lediglich darauf hinweisen, dass Rosas Alternative „Sozialismus
oder Barbarei“ heute eine neue, drängende Zuspitzung erfährt.
Dies sollte u. E. in jedem Fall zum Sturm- und Dranggepäck einer
neuen revolutionären Organisation gehören.
·
Die Partei Die Linke ist
eine reformistische Partei. Mit ihr ist der nötige Systemwandel
nicht durchsetzbar, denn sie hat sich im Kapitalismus
eingerichtet (und wir fügen hinzu: vor allem im
Parlamentarismus, ihrem wesentlichen Lebenselixier). Und wir
stimmen auch der Feststellung zu, dass es dennoch in dieser
Partei nicht wenige Menschen gibt, die für eine andere Politik
gewinnbar sind. Wahrscheinlich haben wir unterschiedliche
Einschätzungen, wie viele Menschen in der Partei Die
Linke heute für eine andere Praxis gewinnbar sind (oder bei
Existenz einer revolutionären Organisation gewinnbar wären).
Auch gehen unsere Einschätzungen wohl etwas auseinander, wann
der Zeitpunkt für eine Differenzierung (innerhalb der Partei und
weg vom reformistischen Kurs) am besten zu fördern wäre. Aber
das sind eher zweitrangige Fragen, denn über nur graduell
unterschiedliche Einschätzungen lässt sich schlecht streiten.
·
Und wir teilen den Wunsch nach
einem Zusammengehen der revolutionären Kräfte, denn ein lineares
Wachstum ausgehend von einer der existierenden linksradikalen
Kräfte hin zu einer bedeutsamen revolutionären Organisation ist
einfach nicht vorstellbar.
2.
Welche Rolle hat die Wahlebene und
wie schätzen wir konkret die Partei Die Linke ein?
Dies ist nur eine vorsichtige Vermutung,
aber sie stützt sich auf das, was in dem Text ein wenig
durchschimmert: Wir fürchten, dass die SIBS noch etwas zu sehr
auf die Wahlebene schaut und in diesem Zusammenhang die
Bedeutung der Partei Die Linke überschätzt. So heißt es
auf Seite 12 oben (am Ende des Punktes 1.):
„Bis dahin gibt’s z. B. noch mehrere
Landtagswahlen. Warten wir mal ab, was innerhalb und außerhalb
der LINKEN passiert, wenn sich der erste West-Landesverband von
der SPD hat über den Tisch ziehen lassen.“
Warum sollen wir denn überhaupt von den noch ausstehenden
Landtagswahlen positive Differenzierungsprozesse innerhalb der
Partei erwarten? Sind nicht durch den Verlauf der letzten Jahre
für die allermeisten Kräfte, die heute und in nächster Zeit
für klassenkämpferische Politik in Frage kommen und ansprechbar
sind, die Dinge ausreichend klar geworden?
Nehmen wir nur mal solche Themen wie Tarifpolitik, Mindestlohn,
Privatisierung von Wohnraum (Berlin, Dresden), Wasserwirtschaft,
Anbiederung an die SPD usw. Sind denn für eine fortschrittliche
Veränderung von Positionen der KollegInnen nicht andere Ebenen
als die Wahlebene viel wichtiger, nämlich vor allem die Frage:
Wie entwickeln sich reale Kämpfe (in den Betrieben, innerhalb
der Gewerkschaften beim Kampf gegen die Bürokratie und gegen die
verheerende Standortpolitik, außerhalb der Betriebe, in der
Ökologiebewegung usw.)? Nach unsrem Verständnis sind doch diese
Entwicklungen – also die Ebene der realen sozialen
Auseinandersetzung und vor allem die Steigerung der
Selbstaktivität der Klasse – viel wichtiger als der Ausgang
der nächsten drei, vier Landtagswahlen.
Ganz sicher haben wir hier keinen grundlegenden Dissens.
Genauso wichtig erscheint uns die Einschätzung der
West-Landesverbände der Partei Die Linke. In eurem Text
schreibt ihr diesen eine linke Position zu, die eine andere
Charakterisierung als die im Osten rechtfertigen könnte. Aber
sind das denn nicht nur graduelle Unterschiede, die an der
totalen parlamentaristischen Ausrichtung und Anbiederung an die
SPD rein gar nichts ändern? Selbst der linkeste unter den
Landesverbänden im Westen (nämlich in NRW), der als stark von
der Antikapitalistischen Linken beeinflusst gilt,
betreibt doch eine immer peinlicher werdende Anbiederung an die
SPD und tut alles, um Neuwahlen zu verhindern. Die
Landtagsfraktion (und damit die faktische Führung der Partei)
stimmt mit ihrer Enthaltung zum Haushalt der Regierungspolitik
einer bürgerlichen Regierung zu. Hat sich also nicht längst
selbst der „linkeste“ Landesverband der Partei „von der SPD über
den Tisch ziehen lassen“?
Hat dies in der Folge zu großen Abwanderungen
klassenkämpferischer Kräfte aus der Partei geführt? Wir meinen
nein und dafür gibt es nur zwei mögliche Erklärungen: a.) Dort
gibt es nicht viele klassenkämpferische Kräfte, oder: b.) Eine
solche Abwanderung hängt nach Lage der Dinge heute in der BRD
nicht so sehr von der Anpassung der Partei an die Erfordernisse
parlamentaristischer Politik ab, sondern mehr von einem Anstieg
der außerparlamentarischen Kämpfe.
Wenn vor dem Hintergrund ansteigender Klassentätigkeit
sich eine revolutionäre (oder sagen wir vorläufig mal:
konsequente antikapitalistische) Organisation herausbildet, dann
besteht auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich eine
nennenswerte (oder größere) Zahl von Menschen von der Partei
Die Linke abwendet und sich einer kämpferischen Organisation
mit einer radikaleren politischen Perspektive anschließt.
Mit anderen Worten: Die überwältigende Zahl von Mitgliedern
einer neuen revolutionären Organisation wird zunächst
(auf absehbare Zeit) aus dem Spektrum der vorhandenen
linksradikalen Kräfte (Organisationen und Einzelpersonen)
kommen. Und auch diese sind mindestens mittelfristig darauf
angewiesen, dass die allgemeine Klassenaktivität wieder
ansteigt.
Wir sehen dies ganz deutlich in den Ländern, die die SIBS als
Beispiele für positive Vereinigungsprozesse anführt: In
Griechenland erfährt Antarsya vor dem Hintergrund einer
wachsenden Widerstandsbewegung gegen die Sparpolitik einen
gewissen Aufschwung und in Frankreich erleben wir seit zwei
Jahren, wie es der NPA jedes mal dann besser geht, wenn die
Kämpfe zunehmen und wie es ihr jedes mal nach einer Niederlage
der Klasse (zuletzt bei der Rentenreform) wieder schlechter
geht.
Die NPA ist heute – gerade im Vorfeld der nächsten
Präsidentschaftswahlen – in einer Krise. Warum? Der allgemeine
Politikbetrieb in Frankreich ist noch mehr als bei uns ungeheuer
stark auf den Ausgang von Wahlen ausgerichtet (zumindest bei den
Präsidentschaftswahlen, denn der Präsident hat eine gewaltige
Macht). Dies wirkt sich traditionell extrem stark auf die
Politik auch der radikalen Linken aus, so dass sie immer unter
dem Druck steht, nicht nur selbst zu kandidieren (damit sie von
den KollegInnen politisch ernst genommen wird), sondern
möglichst auch gute Wahlergebnisse zu erzielen. Von daher der
große Druck – auch innerhalb der NPA – nicht als Sektierer
dazustehen und sich mit anderen in einem Wahlbündnis
zusammenzutun (also ein Druck, auch ein Wahlbündnis mit
gemäßigten Kräften einzugehen).
Im Text auf Seite 11 heißt es, dass es der WASG Berlin nur
gelungen sei, weniger als 10% der Stimmverluste der Partei
Die Linke aufzufangen. „Es ist der WASG nicht gelungen, sich
als ernsthafte und glaubwürdige linke Alternative zur
LINKEN in Berlin zu präsentieren und gleichzeitig
deutlich zu machen: Wir wollen die bundesweite Linke.“
Wir meinen, das liegt weniger am politischen oder
organisatorischen Unvermögen der WASG, sondern zunächst einmal
an den politischen Einstellungen des allergrößten Teils der
Linke-WählerInnenbasis. Aus Frust nicht mehr die Linke
zu wählen, macht aus diesen Nicht-WählerInnen noch lange keine
KlassenkämpferInnen, jedenfalls so lange nicht, wie es nicht zu
der oben angeführten verstärkten Selbstaktivität der Klasse
gekommen ist.
Wir vermuten erstmal, dass wir in diesen Fragen im Grunde keine
größeren Differenzen haben, aber der Text weist an diesen
Stellen, die uns wichtig sind, eine Lücke auf. Er lässt mit
seiner Beschreibung (wohl eher ungewollt) den Eindruck
entstehen, dass doch noch ganz stark auf die Wahlebene geschielt
wird. Dies drängt sich schon deswegen auf, weil im Zusammenhang
mit der WASG lediglich eine Erklärung für das Scheitern an der
5%-Hürde“ gegeben wird, eine Bewertung ihrer Arbeit außerhalb
des bürgerlichen Politikzirkus aber völlig unerwähnt bleibt.
Das soll nicht heißen, dass wir eine Wahlbeteiligung
ausschließen. Aber wir müssen uns immer der schiefen Ebene
bewusst sein, auf die mensch sich mit einer Wahlbeteiligung
begibt: Es gibt immer die Tendenz, sich dem Bestreben des
„nützlich Wählens“ (oder der „nützlichen Kandidatur“)
anzupassen, und in der Folge der Wahlebene eine immer größere
Bedeutung beizumessen.
Lassen wir keine Zweifel aufkommen: Die SPD ist in den
vergangenen Jahrzehnten so weit nach rechts gerückt, dass der
traditionelle Platz einer sozialdemokratischen (reformistischen)
Partei freigeworden ist. Diesen freien Platz (einer
reformistischen Partei) hat Die Linke besetzt. Sie ist
nach unsrem Verständnis keine linksreformistische Partei,
denn sie ist nicht auf soziale Kämpfe, sondern auf den
bürgerlichen parlamentarischen Politikbetrieb ausgerichtet.
Hierzu gehört übrigens auch der instrumentelle und bürokratische
Umgang mit den Positionen linker Israel-Kritiker_innen, denen
mensch jetzt „Antisemitismus“ vorwirft. Dazu arbeitet z.B. Gysi
mit den Mitteln der Erpressung, Ramelow mit Verleumdungen usw.
Der Anpassungs- und Anbiederungsprozess der Partei geht weiter
und sie wird auch in nächster Zeit weiter „gesäubert“ werden,
denn Regierungsbeteiligung ist die Maxime der Partei.
Und deswegen stellt sich auch die Frage, bei welchen Themen
heute eine Einheitsfront mit der Spitze der Partei möglich ist.
Wie bekommen wir in Berlin eine Einheitsfront mit der
Parteiführung hin, wenn es um Mobilisierungen gegen die
Tarifpolitik der Landesregierung geht oder um den Widerstand
gegen die Privatisierung der Wasserwirtschaft oder des
Wohnungsbaus, oder gegen die Polizeigewalt bei Demoeinsätzen?
Ohne Zweifel können wir mit der gesamten Partei (also auch mit
ihrer Spitze) eine Einheitsfront eingehen im Kampf gegen die
Kriegspolitik der Bundesregierung oder bei
Anti-Nazi-Mobilisierungen oder bei antirassistischen
Aktivitäten. Aber die Einheitsfront mit dieser Partei ist kein
Selbstzweck, sondern abhängig von den konkreten Zielen und
Möglichkeiten.
3.
Antisexismus ist zentral
Ob es in diesem Abschnitt ebenfalls nur um fehlende
Klarstellungen im Text der SIBS (Exkurs 1, ab s. 17) geht oder
um wirkliche, nennenswerte Differenzen, wissen wir noch nicht so
recht. Wir wollen aber betonen: Für uns ist eine bestimmte
Unterdrückung nicht erst dann relevant, „wenn sie die gesamte
Gesellschaft durchzieht“. Und die Frage wäre auch, wer
definiert, was für die „gesamte Gesellschaft“ Unterdrückung ist.
Die Formulierung: „Es kann ja vernünftigerweise nur um
Unterdrückung gehen, die erstens die gesamte Gesellschaft
durchzieht und die zweitens mehr oder weniger konstitutiv ist
für die Herrschaft des Kapitals“ (S. 17) ist
interpretationsfähig. Spätestens da, wo es im SIBS-Text heißt,
dass es „bei z. B. ‚abweichenden‘ sexuellen Orientierungen
nicht“ um eine Unterdrückung gehe, um die sich eine
revolutionäre Organisation „vernünftigerweise“ kümmern sollte,
wollen wir klarstellen, dass für uns die Übel außerhalb des
„Hauptwiderspruchs“ weder unbedeutend noch unwichtig für die
Politik einer revolutionären Organisation sind. Dem Eintreten
gegen männliche Unterdrückung, Sexismus und Homophobie sowohl
auf politischer als auch auf privater Ebene als auch im Rahmen
linker Organisationen und Politik messen wir eine zentrale
Bedeutung bei.
Wir können uns auch keinen Kapitalismus vorstellen, der ohne (post-)koloniale
Verhältnisse, ohne Reproduktion und Erhalt von Territorien und
Staatsvölkern und ohne Rassismus auskommt, und zwar sowohl
ideologisch als auch mittels Waffengewalt.
Und schließlich: Wie schon eingangs angedeutet muss nach Ansicht
des RSB der Kampf gegen die Zerstörung der ökologischen
Lebensgrundlagen der Menschheit heute ein konstitutiver
Bestandteil revolutionärer Politik sein. Je mehr die Atomkraft
weltweit ausgebaut wird und bei uns nicht endgültig abgeschaltet
ist, je mehr der Klimawandel fortschreitet und die sonstige
Umweltzerstörung weitergeht, desto mehr rücken diese Fragen
nicht nur objektiv sondern auch subjektiv in den Mittelpunkt des
politischen Interesses und der Bewusstseinsentwicklung.
Spätestens die Lebensmittelpreise sind spürbarer Ausdruck der
ökologischen Krise. Aufgabe revolutionärer Politik muss es sein,
zu erklären, dass der Kapitalismus diese Probleme nicht lösen
kann, weil das Profitsystem dem diametral widerspricht. Markt
und Staat können aber damit umgehen: „Green New Deal“ und
„grüner Kapitalismus“ sollen die für alle notwendigen
natürlichen Güter zu exklusiven Waren machen. Als Alternative
dazu wollen wir die Vision sowohl einer ausbeutungsfreien als
auch ökologischen Gesellschaftsordnung entwickeln; diese zu
vermitteln wird zu einer immer drängenderen Aufgabe
klassenkämpferischer, revolutionärer Politik.
4.
Welche Perspektive ist
realistisch?
Der Text der SIBS verwahrt sich glücklicherweise gegen zu
schnelle Parallelen, wenn es um Erfahrungen anderer Länder geht.
Dennoch finden wir folgende Aussage etwas zu gewagt:
„Die NPA organisiert momentan ca. 6000
Leute, es gibt keinen vernünftigen, objektiven Grund, warum wir
das mittelfristig nicht auch schaffen können. (S. 32, unter
Punkt 4)“ Ganz abgesehen von den enormen Schwierigkeiten, die
die NPA zurzeit hat (s. o.), müssen wir ganz klar und
unmissverständlich festhalten: Die Herausbildung der NPA in
Frankreich (mit einer gewissen Verankerung in Betrieb und
Gewerkschaft und einem noch begrenzten aber doch gewissen
politischen Gewicht im Klassenkampf) war nur vor dem Hintergrund
der seit Jahrzehnten völlig anderen Klassenkampfentwicklung in
Frankreich vorstellbar.
Zwar war das Pfund, das die LCR mit ihrer
politischen Erfahrung und ihrem aktiven Kader zum Aufbau einer
neuen antikapitalistischen Partei in die Waagschale geworfen
hat, der subjektive Faktor, der die NPA ermöglicht hat. Und
diese Willensanstrengung können wir auch aufbringen. Aber mit
dem geringen Selbstbewusstsein der KollegInnen in Deutschland
und der sehr sehr dünnen Schicht an Menschen, die heute bereit
sind, die wenigen Kampferfahrungen politisch zu bündeln, sollten
wir (das heißt die radikale Linke) nicht davon träumen, auf die
Schnelle in der BRD eine Organisation in derselben Größenordnung
(und Bedeutung) aufbauen zu können, selbst dann nicht, wenn sich
alle dafür in Frage kommenden linken Organisationen wirklich
daran beteiligen.
Ohne Zuspitzung der Situation in einer
politischen Krise, ohne größere Unruhe im Land, ohne
nennenswerte Kämpfe und ohne wachsende Selbstaktivität der
Ausgebeuteten und Unterdrückten wird sich heute schwerlich eine
Organisation mit mehreren Tausend Aktiven herausbilden, die
Bestand hat und aktiv in das Geschehen eingreift.
Natürlich können wir aber heute schon eine
revolutionäre Organisation bilden. Wir müssen das sogar, wenn
wir auf Veränderungen in der Zukunft vorbereitet sein wollen.
Wir stimmen der SIBS auch ausdrücklich zu, dass eine solche
Organisation nur zur Mitarbeit motivieren kann, wenn sie eine
gewisse Mindestgröße überschreitet und tatsächlich eine neue
Qualität (verglichen mit dem heutigen Zustand kleiner Gruppen
oder Grüppchen) hat. Wir müssen jetzt nicht darüber spekulieren,
ob diese Mindestgrenze bei 800 oder bei 1000 Mitgliedern liegt,
aber nennenswert darunter kann es wirklich nicht sein.
Wir wollen aber auch anmerken, dass nach
unsrer Überzeugung der Prozess der Herausbildung einer neuen
bundesweiten revolutionären Organisation nicht ohne eine
gemeinsame Praxis laufen kann oder zumindest einem gemeinsamen
Verständnis von Praxis. Wir sind uns bewusst, dass aufgrund der
sehr unterschiedlichen Bedingungen von Ort zu Ort und aufgrund
der geringen bundesweit wirkenden betrieblichen, tariflichen und
politischen Auseinandersetzungen die Praxis der vorhandenen
Kräfte sehr unterschiedlich ist. Deswegen wird es nicht möglich
sein, eine gleiche Praxis an allen Orten umzusetzen. Das heißt:
Thematisch wird sich dies nur zu einem bestimmten Teil decken,
aber ohne gemeinsame Bezugspunkte und ohne gemeinsame bzw.
vergleichbare Ansätze zur praktischen Umsetzung des
revolutionären Programms wird es schwer werden, bestimmte
Geschehnisse und Aktivitäten gemeinsam zu bilanzieren und
entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein wirklicher
Austausch von Ort zu Ort und ein wirkliches Zusammenwachsen der
neuen Organisation wird nur möglich, wenn sie auf geteilten
Erfahrungen aufbauen kann.
Deswegen sollten wir gemeinsam überlegen,
zu welchen Themen sich eine solche gemeinsame Praxis – die
jeweils einen Teil der Aktivitäten der jeweiligen Gruppen am Ort
bestimmt – möglich ist. Dies könnte (muss aber überhaupt nicht)
eine bestimmte „Kampagne“ über einen bestimmten Zeitraum (z. B.
jeweils ein, zwei Jahre) sein, oder aber es könnten andere
Aktivitäten auf Dauer sein, die jeweils einen wirklichen
Austausch, Verständigung und Bereicherung ermöglichen. Ein
solches Herangehen hätte „nebenbei“ auch den Effekt, dass die
Organisation dann mit gewissen Synergieeffekten rechnen könnte
und letztlich auch leichter bundesweit erkennbar, wahrnehmbar
und wirksam würde.
Aus diesen ernsten Überlegungen wird
hoffentlich sichtbar, dass der RSB den begonnenen Prozess der
Herausbildung einer neuen Organisation begrüßt und sich daran
aktiv beteiligen will. Wir sind es einfach leid, dass die
revolutionäre Linke zersplittert und wenig wirkungsmächtig ist.
Zwar will die SIBS nicht „Moderatorin“
dieses Prozesses sein und wartet erst mal ab, wie sich andere zu
ihrem Vorschlag und ihren Ausführungen positionieren, aber eine
gewisse Verantwortung kommt ihr doch zu. Da sie bisher den am
meisten strömungsübergreifenden Beitrag geleistet hat, ist sie
auch in der besten Position, zumindest in dieser ersten Phase
den Prozess weiter zu fördern, indem sie aktiv Stellungnahmen
einfordert (eventuell auch auf einzelne Beiträge antwortet) und
bestimmte Vorschläge für das weitere Verfahren macht. Wir
hoffen, dass sich möglichst viele Kräfte der radikalen,
revolutionären Linken tatsächlich einklinken.
Im Auftrag des Politischen Komitees
des RSB:
Jakob Schäfer, Jan Weiser, Tom Bogen
Editorische Anmerkungen
Den Text erhielten wir für diese Ausgabe
nach dem TEACH IN.