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iz3w Nr. 325 (Juli / August 2011)
Schwerpunkt:
Vorsicht Baustelle! Chinas roter Kapitalismus

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06/11

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Editorial
Vorsicht Baustelle! Chinas roter Kapitalismus

»China wird zu einem mächtigen sozialistischen Industrieland geworden sein. So muss es kommen«. Mit diesen Worten blickte Mao Tse-Tung1956 in das Jahr 2001. Und er behielt Recht: Es kam so.

2011 ist China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen noch immer eine Volksrepublik, eine »demokratische Diktatur des Volkes«, wie Mao diese Konstruktion nannte. Was er nicht wissen konnte: Computer, Notebooks und Handys werden heute von Markenherstellern im kapitalistischen Norden vertrieben, aber die Produktion findet zu einem guten Teil in China statt. Das Land wurde ein bedeutender Zulieferer der transnationalen IT-Industrie. Das bedeutet entgarantierte Arbeitsbedingungen und Billiglöhne, die kaum zum Leben reichen. Inzwischen steigen die Löhne an – nicht zuletzt aufgrund von Fabrikkämpfen (siehe die Beiträge von F. Wemheuer und Ch. Wichterich).

China ist heute nicht nur der bedeutendste Standort der IT-Kontraktfertigung mit etwa 30 Prozent Anteil am Weltmarkt. Das Zentrum des »Red Capitalism«, das südchinesische Pearl River Delta mit etwa 25 Millionen ArbeiterInnen, ist heute vermutlich die größte Industrieregion der Welt. Hinzu kommen in wachsendem Ausmaß hochtechnologische Bereiche wie Chipfertigung, Design-Dienstleistungen oder Produktentwicklung. Die damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen sind auch aus binnenchinesischer Perspektive enorm.

Dank eines durchschnittlichen Wirtschaftswachstums von neun Prozent wurden in den letzten zwanzig Jahren rund eine halbe Milliarde Menschen aus der Armut geholt. Wenn auf globaler Ebene das Entwicklungsziel der UN erreicht wird, bis 2015 die Armut zu halbieren, so ist das vor allem China zu verdanken. Die Einführung einer flächendeckenden Krankenversorgung ist das nächste hochgesteckte Ziel.  

Stopp, Stopp, Stopp, hier endet der Werbespot für die Volksrepublik. »Gegenüber offenen Konterrevolutionären und denjenigen, die den Sozialismus sabotieren, ist die Sache einfach, man entzieht ihnen die Redefreiheit und damit gut«, sagte Mao. Leider hält man sich daran. Alle, die als unpatriotisch gelten, werden verprügelt, inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Die Schriftstellerin Zhang Yihe, die zehn Jahre politische Haft hinter sich hat, sagt zur Verschleppung des Künstlers Ai Weiwei durch chinesische Behörden: »Niemand ist sicher, das ist das Schockierende.« Die Regierung sei wegen der Umbrüche in den arabischen Ländern derzeit besonders nervös. Aber auch in der Bevölkerung gibt es Ressentiments gegen Oppositionelle. Ai Weiwei gilt als »unpatriotisch«: »Die Kinder lernen von klein auf, dass sie ihr Land lieben müssen«, sagt Zhang Yihe (siehe D. Claussen und K. Kupfer).

Ist das die ganz normale Repression der Herrschenden? Nein, sie ist spezifisch chinesisch. China wird anders als Mubaraks Ägypten nicht von einer kleptokratischen Elite regiert, sondern von ideologisch überaus sattelfesten PolitikerInnen. Die Führung reagiert empfindlich auf jede vermeintliche Gefährdung der Stabilität. Mao wusste: »Aus einem Funken kann ein Steppenbrand entstehen«. Was wäre, wenn das Riesenreich zusammenbricht? Das hätte eine ganz andere Dimension als der Fall des tunesischen Regimes. Rein hypothetisch: Wenn das Regime in China zerfällt, weil regionale und religiöse Separatismen den Zusammenhalt auflösen, dann wäre ein potenzierter Jugoslawienkrieg mit katastrophalen Auswirkungen zu erwarten.

Aber was wäre, wenn freiheitsliebende ChinesInnen zu Gunsten der Menschenrechte mehr Menschen mobilisierten, als die Schläger der Partei abschrecken können? Wenn das Ausbeutungsregime zerbricht, weil die ArbeiterInnen aus den Betrieben heraus die Gründung freier Gewerkschaften durchsetzen und sie die Produktion endlich vergesellschaften? Dem »Flügelschlag des tunesischen Schmetterlings« entspräche im Falle Chinas das Aufstampfen eines Elefanten. Es kommt also darauf an, von welcher Destabilisierung die Rede ist.

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