Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt
Der 17. Juni
1953 aus der Sicht einer Kommunistin
von Waltraud Aust
„Schreib' uns Deine Erlebnisse vom 17. Juni und wie
es dazu kam, Du warst doch damals dabei", bat mich der
Redakteur der 'Kommunistischen Hefte'. - Ja, wie war die
Lage damals konkret? Am 17. Juni und davor? In Jena,
Ostberlin, in Magdeburg, Leuna oder Bitterfeld? Was
waren die Ursachen dafür, dass sich in diesen Städten
und in vielen anderen Orten der DDR zwar nicht die
Masse, doch immerhin über 300 000 von fünf Millionen
Arbeitern und Angestellten an den Streiks, Aktionen und
Protestdemonstrationen beteiligten?
- Ich lebte damals in Ostberlin, war 18 Jahre alt und
politisch in der DDR erzogen worden, in den Jungen
Pionieren, der FDJ, der Volkspolizei, der SED. Ohne
Anspruch auf Vollständigkeit, möchte ich versuchen,
anhand eigener Erlebnisse in Ostberlin die Situation von
damals, vor und während des 17. Juni zu schildern.
Die äußere Situation
Wie sah es damals aus in der DDR, als sie noch ein
sozialistischer Staat war, auf den sich die Hoffnungen
und Blicke nicht nur der Werktätigen in Westdeutschland,
sondern ganz Europas richteten? Das Eigentum der
Kriegsverbrecher war beschlagnahmt worden, die Monopole
restlos beseitigt. Die Verkehrsmittel, die Banken, 70
Prozent der Industrie waren vergesellschaftet. Die
Bodenreform begann schon im Herbst 1946. An die 7. 000
Güter und 3 000 Besitzungen wurden enteignet. 2
Millionen Hektar Land wurden an über 500, 000 landlose
und landarme Bauern verteilt und l. 000 volkseigene
Güter geschaffen. - Das alles waren Maßnahmen, die noch
im Potsdamer Abkommen beschlossen waren und ein guter
Start für den Aufbau des Sozialismus. Die spalterische
Politik der amerikanischen und britischen
Besatzungsmächte, die im September 1949 die Bonner
Republik ausriefen, führte im Oktober 1949 zur Gründung
der DDR. Dieser Schritt wurde von vielen Menschen
begrüßt. Es war ein neuer Anfang in der Geschichte der
deutschen Arbeiterbewegung, dass erstmals die Arbeiter
die Macht hatten.
Die Jahre nach dem Krieg waren harte Jahre für die
DDR. Die vor der Roten Armee zurückweichenden Faschisten
hatten Industrieanlagen, Verkehrswege und Werke
zerstört. Die Amerikaner warfen angesichts des
Vormarsches der Roten Armee auf Leuna und andere
Betriebe ihre Bomben. Die Imperialisten hatten
Industrieanlagen, Unterlagen und selbst Personal aus der
DDR nach Westen verlagert. Ein schwerer Schlag für die
DDR, die keine eigene Schwerindustrie besaß, war es,
dass die Imperialisten das Ruhrgebiet und das Saarland
von der DDR abschnitten. Aus den Trümmern, aus dem Stand
Null musste die DDR die Betriebe aufbauen. Und nicht nur
die Betriebe. Viele kommunale Probleme mussten gelöst
werden, die Schulen, die Behörden und Verwaltungen,
alles musste wieder in die Gänge kommen. Doch wer konnte
leiten, lehren, planen, organisieren? Eigene, in
sozialistischer Planwirtschaft ausgebildete Fachkräfte
gab es noch nicht. Die DDR musste sich in erster Linie
auf die vorhandene bürgerliche technische Intelligenz
stützen. Politisch war die Führung ebenso schwierig. Nur
wenige Kommunisten und revolutionäre Sozialdemokraten
waren der faschistischen Verfolgung entkommen. Die
meisten Kader der KPD und SPD hatten die Nazis in
Konzentrationslagern und Gefängnissen ermordet. So
mussten viele andere fortschrittliche Menschen Aufgaben
übernehmen, auch wenn sie nicht ideologisch geschult
oder noch sehr jung waren. In vielen Positionen wurden
auch sogenannte Antifaschüler eingesetzt. Das waren
ehemalige deutsche Soldaten, die in der sowjetischen
Kriegsgefangenschaft antifaschistische Schulen besucht
hatten. Die meisten allerdings hatten sich nicht aus
Überzeugung zu dieser antifaschistischen Schulung
gemeldet, sondern aus opportunistischen
Gründen, einfach, um durch die Teilnahme nicht
arbeiten zu müssen, um mehr Essen zu erhalten, um früher
entlassen zu werden. Nicht wenige dieser Antifaschüler
wurden später in ihren Funktionen schnell zu
Karrieristen und Bonzen.
Sofort, nach der Teilung Deutschlands durch die
Westmächte wurde in der Nähe von Frankfurt/Oder das
Hüttenwerk J.W. Stalin errichtet. Der erste Hochofen
wurde 1951 angeblasen. Im gleichen Jahr entstand das
Eisenhüttenwerk West an der Saale. In Stralsund, Wismar
und Wamemünde wurden große Werften erbaut. Neue
Walzstraßen in Riesa, Hennigsdorf, der Max-Hütte. Die
Textil- und Leichtindustrie wurde wieder aufgebaut, der
Braunkohlenabbau wieder aufgenommen. Trotz der vielen
Engpässe, die es überall gab, trotz der schlechten
Emährungslage - die Rationen auf den Lebensmittelkarten
waren so knapp bemessen, dass für l 1/2 Millionen
Betriebsarbeiter täglich ein zusätzliches Mittagessen
ausgegeben werden musste -, ging es aufwärts. Und große
Teile der Bevölkerung nahmen mit Schwung am Aufbau teil,
und auch am politischen Leben. Der erste deutsche
Volkskongress Ende 1947, der unter der Losung „Für
Einheit und gerechten Frieden" stattfand und die
anschließende Volkskongressbewegung erfassten fast die
gesamte Bevölkerung. In den Betneben, Städten und
Dörfern der sowjetischen Besatzungszone wurden ständige
Komitees der Volkskongressbewegung gebildet. Die
Mitarbeit in diesen Komitees, die Diskussionen in den
Versammlungen und die Teilnahmen waren rege und
lebendig. Ich erinnere mich an Gespräche im Elternhaus
und in der Nachbarschaft, wo man positiv über die neue
Entwicklung diskutierte, obwohl man kurz nach Kriegsende
noch sehr skeptisch war. Kampagnen und Ereignisse wurden
von der Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen.
Eine gewaltige Leistung anlässlich der Weltfestspiele
der Jugend und Studenten 1951 war zum Beispiel die
Unterbringung und Versorgung der rund 2 Millionen Gäste
in Ostberlin. Hier zeigte sich besonders anschaulich die
damals noch vorhandene breite Solidarisierung der
Ostberliner Bevölkerung mit ihrem sozialistischen Staat
Hunderttausende nahmen trotz zumeist eigener beengter
Wohnverhältnisse die jungen Gäste auf. Auch an
politischen Kampagnen beteiligte sich die Bevölkerung
aktiv, so am Kampf um den Abschluss eines Friedens
vertrage s mit Deutschland. Das war äußerst günstig für
die junge DDR, denn immerhin hatte das Volk ja keine
Revolution gemacht, sondern war befreit worden. Wie
konnte es also kommen, dass zwei Jahre später, am 17.
Juni 1953, wenigstens ein Teil derer, die damals noch
für den Aufbau des Sozialismus waren, sich von der
Konterrevolution missbrauchen ließen?
Berlin
Den 17. Juni muss man im Zusammenhang mit der
besonderen Situation in Berlin sehen Berlin, eine Stadt,
aufgeteilt von den Besatzungsmächten in vier Sektoren,
den englischen, den französischen, den amerikanischen
und den sowjetischen. Besetzt von den jeweiligen
Truppen. Eine Stadt also, in der in den drei
Westsektoren, in Westberlin, die kapitalistischen
Interessenvertreter - eng verbunden mit den
Konzernherren, Großgrundbesitzern und Monopolisten, die
sich kurz vor Kriegsende nach Westdeutschland abgesetzt
hatten - herrschten. Und auf der anderen Seite, in
Ostberlin unter sowjetischer Verwaltung, die
Arbeiterklasse, die Werktätigen, selbständig und unter
den schwierigsten Bedingungen, großen Entbehrungen und
Opfer den Sozialismus aufbauend. Vom ersten Tag nach der
Niederlage des Faschismus an arbeiteten die
Interessenvertreter der Großgrundbesitzer und
Konzernherren - wie beispielsweise in Westdeutschland
Adenauer, Kaiser und Blank - darauf hin, die
volkseigenen Betriebe und den enteigneten Boden der
Großgrundbesitzer in der DDR wieder in ihren Besitz zu
bekommen. Dazu schien ihnen Ostberlin als Hebel geeignet
zu sein. Denn man konnte leicht, ungehindert und zu
jeder Zeit aus dem amerikanischen, französischen oder
englischen Sektor in den sowjetischen Sektor, also nach
Ostberlin fahren oder gehen Es gab keine „Mauer",
Passierscheine brauchte man nicht. Eine Ausweiskontrolle
fand nur ab und zu statt. Der kontinuierliche
Wiederaufbau der Betriebe, der Landwirtschaft, die
Erfolge im Aufbau einer eigenen Schwerindustrie und
andere positive Entwicklungen waren den Imperialisten im
Westen ein Dom im Auge Den Zweijahresplan hatte die
DDR-Bevölkerung vorfristig erfüllt Nun ging es an den
ersten Fünfjahrplan, der von 1951 bis 1955 eine enorme
Weiterentwicklung auf allen Ebenen bringen sollte. So
wie der zweite Fünfjahrplan der Sowjetunion 1929 den
Imperialismus zum Zittern und die Börse in New York
sogar mit zum Krachen brachte, so führ nun der erste
Fünfjahrplan der DDR den Imperialisten im Westen in die
Knochen. Von nun an hieß es, verstärkt den Aufbau der
DDR zu stören. Ein sozialistisches Land durften sie
nicht dulden. Dazu benutzten sie Westberlin.
Durch angeworbene Agenten und Provokateure, „Rias"
-Hetze und -Lügen, Bestechung und Korruption, versuchte
man von Westberlin aus Stimmung unter der Ostberliner
Bevölkerung zu machen und Einfluss zu gewinnen. Hatten
die diversen von Bonn ausgehaltenen Geheimdienste und
Agentenorganisationen Ostberlmer Bürger für ihre Zwecke
gewonnen, so schickten sie diese, die ja ohne besondere
Genehmigung von Ostberlin aus in die DDR einreisen
konnten, nach Mecklenburg, Sachsen, usw., um hier
Wühlarbeit gegen die DDR und den Aufbau des Sozialismus
zu betreiben. Aber es gab auch noch andere
Schwierigkeiten Da war einmal das große Problem des
sogenannten Schwindelkurses, Westgeld wurde l zu 5, l zu
6, l zu 7, ja zeitweise l zu 8 gegen Ostgeld
umgetauscht. Nicht wenige Ostberliner arbeiteten damals
legal in Westberlin, erhielten einen Teil ihres Lohnes
in Ostmark und einen Teil in Westmark. Das Westgeld
wurde zum jeweiligen Kurs umgetauscht, und man lebte in
Ostberlin gut davon Lehrstellen waren in Ostberlin
damals noch rar, auch in Westberlin. Aber Ostberliner
Jungen und Mädchen wurden in Westberlin bevorzugt als
Lehrlinge eingestellt. Andere Ostberliner arbeiteten am
Wochenende schwarz in Westberlin. Dies waren in erster
Linie Facharbeiter, die dort benötigt wurden. Auch viele
Westberliner tauschten ihr Geld in Ostgeld um, fuhren
nach Ostberlin und kauften dort, was sie ohne
Lebensmittelkarten erhielten. Viele Familien in
Ostberlin,
besonders in den Randgebieten, hatten Hühner und
Kleinvieh. Eier und auch nicht selten Kaninchen wurden
auf Westberliner Märkten für Westgeld verkauft, dieses
dann umgetauscht, und zurück ging's nach Ostberlin Und
nicht nur dies. Im Herbst 1952 wurden zum Beispiel im
Bezirk Köpenick zentnerweise Fleisch- und Wurstwaren bei
einer Ostberlmer Familie beschlagnahmt, die aus
Mecklenburger Bauernhöfen stammten und in Westberlin
verscheuert werden sollten. Und das war nur ein Fall von
vielen. Westberlin galt als das Schaufenster des
Westens. Viele Waren waren wesentlich billiger als in
Westdeutschland. Der Preisunterschied wurde durch die
Steuern der westdeutschen Werktätigen getragen. Um an
Westgeld ranzukommen, gingen einige verbrecherische
Elemente sogar soweit, von öffentlichen Einrichtungen in
Ostberlin Kupfer und andere brauchbare Metalle zu
stehlen und ebenfalls nach Westberlin zu verscheuern.
Sabotageakte und Diebstähle in den volkseigenen
Betrieben nahmen ab 1951 im erheblichen Maße zu
Agenten und Provokateure
Parallel zu solchen und ähnlichen Schiebereien, die
die Ostberliner und darüber hinaus die gesamte
DDR-Wirtschaft erheblich schwächten, kam die
organisierte Hetze durch den Rias (Rundfunk im
amerikanischen Sektor) und die durch den amerikanischen
CIA und andere Agentenorganisationen massenhaft
verbreiteten Hetzbroschüren und Flugblätter, die zur
Sabotage gegen die DDR Wirtschaft, zum Sturz der
Regierung aufriefen und antikommunistische Hetze
verbreiteten. Axel Springer war schon damals, wenn auch
noch in den Anfängen, kein Verleger im üblichen Sinne.
Sein fester Platz im Zeitungs- und Zeitschriftenwesen
war ihm durch die Bourgeoisie zugewiesen: Hetze, Lüge,
Verleumdung des Kommunismus, brutal, primitiv, zügellos.
Die persönliche und direkte Anwerbung von Agenten und
Provokateuren spielte ebenfalls eine große Rolle. Solche
Anwerbungen wurden besonders unter den Jugendlichen
versucht. In den Ostberliner Tanzlokalen und Restaurants
hielten sich haufenweise Westberliner Agenten auf. Es
wurden hier kostenlos Karten für Kinoveranstaltungen in
Westberlin verschenkt oder Einladungen für andere
Vergnügen in Westberlin, die zu besuchen Jugendliche,
waren sie noch Lehrlinge und verfügten sie über wenig
Geld, nicht abgeneigt waren, natürlich wurde nicht jeder
Agent oder Spion, aber es war ein Weg, leichter an
empfängliche Personen heranzukommen und andere unsicher
zu machen. Eine andere wesentliche Methode der Anwerbung
von Agenten war die der amerikanischen
„Lebensmittelhilfe". Das waren die sogenannten
Care-Pakete. Hier erhielten Ostberliner per Post oder
auch persönlich in den Briefkasten gesteckt, die
Mitteilung, sich dort und dort in Westberlin ein
Lebensmittelpaket abzuholen. Die meisten taten dies,
schon wegen der Luxus-Artikel wie Kaffee, Schokolade,
die damals in der DDR neben der allgemeinen
Lebensmittelknappheit gar nicht zu kaufen waren. Und man
brauchte ja keine Weltreise zu machen. Für 20 Pfennig
Fahrgeld ein paar U-Bahn-Stationen bis nach Westberlin,
dafür dann umsonst ein Paket mit Lebensmitteln, Kaffee
und Schokolade und sicher Zigaretten. Das lohnte sich.
Nur wenige sehen, dass hiermit eine Agentenwerbung
verbunden war. Und auch hier pickte man sich natürlich
nur einige, nutzbare Elemente heraus.
Es kam dem amerikanischen CIA auch darauf an, mit
diesen Paket-Aktionen Stimmung gegen die DDR-Regierung
zu machen. So sollte zum Beispiel die Jugend mit
Care-Paketen von ihrem Pfingsttreffen 1950 abgehalten
werden. Am 27. Mai 1950 veröffentlichte das offizielle
Blatt der amerikanischen Militärverwaltung in
Westberlin, „Neue Zeitung", folgende Meldung: „New York
(DPA). Alle Amerikaner werden aufgefordert, noch heute
insgesamt 100 000 Dollar zu spenden, damit die
Hilfsorganisation (gemeint ist die Care-Organisation)
dem Berliner Oberbürgermeister Prof. Ernst Reuter noch
vor dem FDJ-Pfmgstaufmarsch über den Erfolg berichten
kann."
Um den Aufbau der DDR zu stören und die volkseigenen
Betriebe an der Planerfüllung zu hindern, erhielten die
angeworbenen Agenten alle nur denkbaren Aufträge:
Zerstörung von Maschinen und Transformatoren, Adressen
leitender Funktionäre zu sammeln, Berichte von
Konferenzen anzufertigen, Werksspionage zu betreiben,
Stärke und Bewaffnung der sowjetischen Truppen und der
Kasernierten Volkspolizei auszuspionieren, Viehbestände
durch Pestbazillen auszurotten, Drohbriefe und Warnungen
an Bürger zu verschicken, Hetzschriften und Flugblätter
zu verteilen, gefälschte Lebensmittelkarten,
Kohlenkarten in Umlauf zu bringen, Verkehrsnetze zu
zerstören, Brücken zu sprengen. Eisenbahnstrecken
unbrauchbar zu machen, Produktionsabläufe zu stören,
Wirtschaftspläne zu desorganisieren, mit gefälschten
Briefbögen, besonders der Ministerien und Organisationen
zu arbeiten und immer wieder und in erster Linie
Menschen abzuwerben nach Westdeutschland, natürlich
hauptsächlich Facharbeiter und Angehörige der
technischen Intelligenz. Neben hohen Honoraren für ihre
Arbeit überhaupt erhielten die angeworbenen Agenten noch
für jeden, den sie abwerben konnten, ein Kopfgeld Für
einen Wissenschaftler, Ingenieur oder Facharbeiter zum
Beispiel je 100,- DM.
Alle diese Agenten bekamen ihre Aufträge von
Westberliner Organisationen. Solcher Art Organisationen
soll es damals über 80 in Westberlin gegeben haben. Ich
erinnere mich hier an die aktivste, brutalste und
wahrscheinlich auch größte, an die „Kampfgruppe gegen
Unmenschlichkeit" (KgU), vom USA-Geheimdienst ins Leben
gerufen. Aus der Reihe der zahlreichen Verbrechen der
„KgU", die damals in Prozessen behandelt wurden, seien
hier kurz erwähnt: Mehrere Eisenbahnattentate auf der
Strecke Magdeburg-Dessau Zahlreiche Personen wurden
hierbei verletzt.
Die größte Hydraulikpresse der DDR im
Ernst-Thälmann-Werk in Magdeburg sollte gesprengt
werden. Die Hauptturbine sowie der größte Schornstein
der Filmfabrik Wölfen sollten durch Sprengung vernichtet
werden Durch Säure wurden im VEB-Kombinat „Otto
Grotewohl" in Bohlen zahlreiche Motoren von
Lastkraftwagen zerstört. Die Autobahnbrücke bei
Finowfurt, die über den Großschiffahrtskanal führt,
wurde mittels Phosphorampullen in Brand gesteckt und die
Paretzer Schleuse im Nauener Kanal zur Sprengung
vorbereitet. Die Schiffswerft Angermünde und ein
Hochspannungsmast der Stromleitung nach Güstrow sollten
durch Sprengung vernichtet werden. Ein
Ausstellungspavillon in Dresden wurde durch
Sprengbüchsen mit Verzögerungsuhr zerstört. Die
Diversionsgruppe „Admirai" hatte den Auftrag,
Waldbestände im Erzgebirge durch Brandstiftung mit
Benzin Phosphor und Nitroflüssigkeit zu vernichten. Mit
vier Flaschen Säure sollten die Transmissionsnemen und
Maschinen im VEB-Feintuch, Finsterwalde, zerstört
werden. Man könnte Bände füllen, mit all dem, was damals
alles von Westberlin aus gegen die DDR unternommen
wurde. Wie groß allein die amerikanischen
„Investitionen" in dieses blutige Geschäft waren,
schreibt die Zeitung „Rheinische Post" am 1. September
1961; „In der Auslandshilfe (der USA) ist ein sorgfältig
verschleierter Posten in Höhe von Millionen Dollar
enthalten, der für antikommunistische Aktionen in Europa
vorgesehen ist. Einzelheiten werden streng geheim
gehalten."
Angesichts dieser Tatsachen könnte man die allerdings
hypothetische Frage stellen: wäre es nicht richtiger
gewesen, 1950 eine Mauer zu bauen, um sie 1960 wieder
abreißen zu können? Auf der anderen Seite hätte eine
Mauer 1950 die damals noch vorhandenen Bestrebungen (der
DDR) der Wiedervereinigung erheblich behindert.
Unzufriedenheit bei den Arbeitern
Die Vorbereitung auf den Tag X
durch den Westen mit allen erdenklichen Mitteln, das war
die eine Seite der Medaille. Die andere Seite war, dass
die Arbeiter mit Zuständen in den eigenen Betrieben, mit
Zuständen in den Gewerkschaften, mit Zuständen in Staat
und Wirtschaft, mit dem Verhalten der Staats- und
Parteifunktionäre, mit vielen anderen negativen
Erscheinungen, die mit Beginn des Fünfjahresplanes
verstärkt auftraten, nicht zufrieden waren. Mit dem
Fünfjahresplan, der 1950 in die Wege geleitet und 1951
von der Volkskammer als Gesetz verabschiedet wurde,
begannen, so sehe ich es heute, einschneidende
Maßnahmen, die von vielen Arbeitern nicht verstanden
wurden, und die zur erhöhten Republikflucht führten. Ich
selbst war natürlich begeistert, aber was hatte ich
schon für Lebenserfahrungen? Ich war Jahrgang 1935. Mit
16, 17, 18 Jahren da fand ich alles richtig und schick.
Der Fünf jahresplan sah vor: Bis Ende 1955 muss die
Industrieproduktion im Verhältnis zum Jahr 1950 ein
Ausmaß von 190 Prozent erreichen. Das war eine enorme
Sache Das bedeutete für die Betriebe eine ungeheure
Erhöhung der Arbeitsproduktiv ität.
Dazu wurden viele Methoden beschlossen: Veränderung
der Arbeitsnormen. Das hieß: Weg von den bisherigen
erfahrungsstatistischen Normen und hin zu technisch
begründeten Arbeitsnormen; Einführung neuer
Arbeitsmethoden, verstärkte Aktivistenbewegung;
Massenwettbewerbe; Prämiensystem; Kampagne zur
Einsparung aller Arten von Material; Senkung der
Selbstkosten.
Viele Arbeiter standen diesen Maßnahmen skeptisch
gegenüber Und als FDJ'ler und Parteimitglied hatte man
Schwierigkeiten, diese Beschlüsse und Entscheidungen zu
erläutern. Um Kampagnen oder wichtige Beschlüsse zu
erläutern, wurden FDJ' ler und Parteileute oft zeitweise
vom normalen Arbeitsplatz freigestellt. Eine solche
Freistellung sahen die Kollegen am Arbeitsplatz
verständlicherweise nicht gerne, denn sie mussten ja
meine Arbeit mitmachen. Ich war damals im TRO
(Transformatorenwerk Karl Liebknecht) tätig und musste
zum Agitieren in die Lehrwerkstatt, aber auch in andere
Abteilungen. Einige Auseinandersetzungen, die die
Unzufriedenheit der Arbeiter, auch mehrerer
Parteigenossen hervorriefen, habe ich noch genau im
Gedächtnis: Die Hälfte der Kantine im TRO war für die
Angestellten reserviert gewesen, die andere Hälfte für
die Arbeiter aus der Produktion. Die Tische der
Angestellten hatten weiße Tischdecken, die der Arbeiter
waren wegen der oft beschmutzten Hände und Kleidung
kahl. Arbeiter hatten sich darüber beschwert. Die
Beschwerde hatte Erfolg. Alle Tische erhielten weiße
Decken mit einer Glasplatte darüber. So war das
Schmutzproblem gelöst und es gab auch keine Unterschiede
mehr, jeder konnte sich hinsetzen, wo er wollte. Im Zuge
des Fünfjahresplanes forderte Walter Ulbricht plötzlich
die „Schaffung besonderer Speiseräume" für die
Intelligenz. Viele FDGB-Mitglieder und auch SED-Leute
verstanden nun gar nichts mehr, denn da sollten nicht
nur die besonderen Kantinen für die Intelligenz
geschaffen werden, sondern ein ganzer Katalog von
Privilegien für die Intelligenz wurde bekanntgegeben.
Gegen die Zurverfügungstellung von kostenloser
wissenschaftlicher Literatur, Entwicklungs- und
Forschungs statten, Laboratorien usw. war sicherlich
nichts zu sagen, aber sehr wohl gegen die materiellen
Privilegien, die nun die Intelligenz erhalten sollte:
gesonderte Gehaltsverträge; bessere, gesonderte
Wohnungen, Prämienfonds, Ferienorte, Konsumläden wurden
benannt, wo die Intelligenz mit Sonderausweisen
Lebensmittel kaufen konnte und vieles mehr. Es war nur
allzu verständlich, dass Parteigenossen und
Gewerkschafter das nicht verstanden. Gegen diesen
„Unverstand" kam die Weisung: „In allen
Betriebsabteilungen unserer volkseigenen und ihnen
gleichgestellten Betriebe, in allen Staats-,
Wirtschafts- und Verwaltungsorganen müssen offen
die Fragen des Verhältnisses der Arbeiterklasse zur
Intelligenz besprochen und ein offener Kampf gegen das
falsche Verhalten von Genossen oder
Gewerkschaftsmitgliedern geführt werden." Was war
wirklich falsch?
Falsch war, dass in einem VEB-Betrieb das gesamte
Konstruktionsbüro von der Prämienzahlung, die der
Betrieb erhalten hatte, ausgeschlossen wurde mit der
Begründung, das Konstruktionsbüro ist keine
Produktionsstätte. Falsch war, dass Ingenieure und
Wissenschaftler wegen ihrer meist bürgerlichen
Vergangenheit als „Reaktionäre" abgestempelt wurden. Und
ganz daneben ging es, als im TRO zwei Ingenieure auf die
Straße gesetzt wurden, weil sie zwar 'tüchtige
Fachleute', aber ideologisch zurückgeblieben waren".
Diese sektiererischen Fehler, die sicherlich nicht
vereinzelt auftraten, berechtigten aber nicht, der
Intelligenz besondere Privilegien einzuräumen und nicht
die Argumente, man müsse die Intelligenz für den
Fünfjahresplan anfeuern und sie mit diesen Privilegien
halten. Ehrliche Kritik und Selbstkritik,
kameradschaftliche Zusammenarbeit, Bezahlung der
Leistung entsprechend, das wäre die Lösung gewesen. Dann
hätte auch die Mobilisierung der Arbeiter größere
Erfolge gehabt. Die Privilegien waren nicht nur für die
Technische Intelligenz gedacht. Auch höhere
Parteifunktionäre, Gelehrte und Wissenschaftler, und vor
allem Schriftsteller, Künstler und andere
Kulturschaffende erhielten ebenfalls diese Privilegien.
Ein Redakteur beispielsweise erhielt damals vor dem 17.
Juni durchschnittlich 800,- Mark monatlich, während ein
Arbeiter ohne Prämie und Akkord mit 150,- Mark monatlich
nach Hause ging. Selbst mit Prämien und hoher
Normenerfüllung kam er nur auf höchstens 180,- Mark bis
200,- Mark monatlich. Die Schriftsteller wurden
besonders gefördert. Ein Student der Literatur erhielt
damals monatlich 800,- Mark Unterstützung, neben hohen
Grundgehältern erhielten die Kulturschaffenden auch noch
Vorlesungshonorare, selbst für den billigsten Schund wie
Kriminalromane die sich die Arbeiter auf Leseabenden
anhören mussten.
Wen wunderte es da, dass immer mehr Arbeiter der DDR
den Rücken kehrten? Auseinandersetzungen innerhalb der
Partei und Gewerkschaft gab es auch im Sommer 1952, als
es um Aufgaben der Gewerkschaft ging, und wo man
hinterher nicht mehr wusste, was nun eigentlich Trumpf
war.
Auf einer zentralen Gewerkschaftstagung wurde den
Betriebsgewerkschaftsleitungen vorgeworfen, sie würden
sich zuviel in die Angelegenheiten der Werksdirektoren
einmischen. Die Direktoren seien in all ihren Handlungen
von den Unterschriften der Betriebsgewerkschaften
abhängig.
Dieses ständige Dreinreden müsse aufhören. Die Rolle
der Betriebsleitungen habe sich gewandelt. In der neuen
Periode dürfe man die Aufgaben der Betriebsleitung und
der Gewerkschaft nicht mehr miteinander vermischen.
Welche neue Periode gemeint war, wurde nicht gesagt. Die
Betriebsgewerkschaftsleitung wurde aufgefordert, sich
künftig nicht mehr so oft bei der Direktion
„einzumischen".
Die Gewerkschaftsfunktionäre im TRO empfanden das als
mal hü, mal hott. Was war nun richtig? Früher gab es das
Betriebsräte System. Die Betriebsräte hatte man 1948/50
aufgelöst, weil es neben diesen Räten die BGL (Betriebs
Gewerkschafts- Leitung) gab und gerade sie im
sozialistischen Staat mehr mit einbezogen werden sollte
in Entscheidungen und Maßnahmen der Werksleitungen, in
Pläne für die Betriebe, für die Arbeiter, die
Arbeitswelt.
Keiner kam mit dem mehr klar, was nun wieder gesagt
wurde. Es ist sicherlich interessant, wenn diese
Entscheidungen und Maßnahmen, die damals in Bezug auf
die Kompetenzen der Werksdirektoren und der
Gewerkschaften getroffen wurden, heute einmal analysiert
werden würden.
Auch mit der verstärkten Aktivistenbewegung war das
so eine Sache. Als Hauptaufgabe der Gewerkschaften wurde
ausgegeben, die Hennecke-Bewegung zielbewusster
durchzuführen und zu fördern, um dadurch die
Arbeitsproduktivität erheblich zu erhöhen. Dazu wurde
extra eine Hennecke-Aktivistenkonferenz durchgeführt.
Auf Hennecke waren aber viele Arbeiter nicht gut zu
sprechen, und die Gewerkschaft hatte es schwer, über
Hennecke-Tage zu diskutieren, geschweige denn, sie
vorzuschlagen oder durchzufuhren. Adolf Hennecke war ein
Aktivist, ein Hauer im Steinkohlenrevier, der am 13.
Oktober 1948 eine Tagesnorm von 387 Prozent erreicht
hatte, ein Pensum von 30 Tonnen Steinkohle. Adolf
Hennecke wurde 1949 dafür mit dem Nationalpreis (der mit
Geld verbunden ist) ausgezeichnet, er wurde Mitglied des
ZK der SED und Mitglied der Volkskammer der DDR, Held
der Arbeit und Verdienter Bergmann.
Adolf Hennecke wurde oft mit Stachanow, einem Hauer
im Donezbecken, der 1935 in der UdSSR an einem Tag 102
Tonnen Steinkohle förderte, verglichen. Doch gab es
einen großen Unterschied zwischen Hennecke und
Stachanow, über den damals nicht gern gesprochen wurde:
Alexej Stachanow förderte die 102 Tonnen während einer
Schicht aufgrund verbesserter Arbeitsorganisation und
Technisierung. Adolf Hennecke schaffte seine Leistung,
die fraglos anzuerkennen ist, allein mit seiner
körperlichen Kraft. Diese Spitzenleistung diente als
Anlass zur Auslösung der Hennecke-Aktivistenbewegung.
Das ununterbrochene Trommeln jedoch, ständig
Hennecke-Tage durchzuführen, ging den Arbeitern auf die
Nerven. Zumal man von Adolf Hennecke künftig nur noch
hörte, wenn er wieder einmal ins befreundete Ausland
abgereist war, denn inzwischen war er nämlich längst
Abteilungsleiter im Ministerium für Kohle und Energie
geworden. Im TRO erlebte ich auch erste Erscheinungen
von Schiebung und Korruption. In der DDR gab es damals
noch wenig Textilien und Lederwaren zu kaufen. Eines
Tages kam aus der Tschechoslowakei eine größere
Sendung von Schuhen für die Werktätigen. Als die
Schuhe da waren, ging alles recht geheimnisvoll zu.
Zuerst kamen die Frauen der Direktoren dran, obwohl sie
gar kein Recht auf diese Schuhe hatten, denn sie waren
keine Betriebsangehörigen. Dann bekamen die
Sekretärinnen ihre Schuhe. Ein Teil ging an den
Parteisekretär, ein anderer Teil an das BGL-Büro. Der
Rest wurde an die Betriebsarbeiter verteilt. Die Art
dieser Verteilung löste Missstimmung aus, aber niemand
äußerte sie sehr laut.
Im Spätsommer 1952 wurde eine Kampagne durchgeführt,
um die Volkspolizei, die noch sehr jung war, zu stärken.
Es war für viele Parteimitglieder selbstverständlich,
sich zu melden. So ging auch ich zur Volkspolizei. Ich
wurde in Berlin-Oberschöneweide eingesetzt Und hier
erlebte ich wieder merkwürdige Praktiken Die Menschen,
die 1952 in den Westen gingen, waren im Gegensatz zu
späteren Fluchtbewegungen meistens Menschen aus
überwiegend kleinbürgerlichen Verhältnissen: Ärzte,
Handwerker, Großbauern, Technokraten. Wer das Verlassen
ihrer Wohnungen, Werkstätten, Praxen usw. zuerst
bemerkte, war die Volkspolizei. Oft wurde die Polizei
durch die Bevölkerung benachrichtigt, manchmal kamen von
den Besitzern auch selbst Briefe, nachdem sie die
Wohnung usw. verlassen hatten. In den meisten Wohnungen
war Inventar hinterlassen worden, manche schlugen es
vorher kaputt oder machten es auf andere Weise
unbrauchbar. Diese Wohnungen und Häuser wurden dann, bis
die Sache behördlich geregelt war, von der Volkspolizei
versiegelt. Es ist in dieser Zeit häufiger vorgekommen,
dass die Abschnittbevollmächtigten, die ABV, (das waren
die Polizisten, die in den Straßen Streife liefen und
einen bestimmten Abschnitt zu betreuen hatten), im guten
Einvernehmen mit ihrem Revierleiter sich einen Teil der
Möbel aneigneten. Sie hatten auch häufiger die Finger
darauf, wer m diese Häuser - oft waren es Villen -
einziehen durfte Natürlich solche, die sich erkenntlich
zeigten. Auch wenn ab und zu solche Fälle bestraft
wurden und die Presse darüber berichtete, so wurde doch
keine Kampagne gegen solche Erscheinungen geführt,
geschweige denn, dass man die Bevölkerung, vor allem die
Arbeiterklasse zum Kampf gegen Korruption und
Vetternwirtschaft mobilisierte.
Und es gab Hunderte anderer Erscheinungen: Arroganz
und Überheblichkeit der Parteifunktionäre, Streber- und
Kriechertum, Kopfnicker und Ja-Sager, Befehlsempfänger,
Aufgeblasenheit und Verschleierung von Fehlem. Es wurde
beschönigt und gelobhudelt.
Waren schwerwiegende Fehler von Parteifunktionären
wirklich nicht mehr zu verdecken, so wurden sie
weggelobt, auf Parteischulen abgeschoben oder erhielten
andere Posten Sie fielen immer nach oben. All das
brachte der Wirtschaft viel Schaden. Nur selten kamen
Bürokratie und Misswirtschaft ans Tageslicht, wie diese:
In der LOWA-GörHtz herrschte großer Unwille unter den
Arbeitern, weil dort achtzehnmal die Planauflage
geändert wurde. Oder: Die Landesregierung Brandenburg
versandte in 14 Monaten insgesamt 2959 Rundschreiben an
die Landräte und Bürgermeister, das heißt pro Tag 8 1/2
Rundschreiben. Wer sollte das lesen und weiter
verarbeiten? Das alles blieb den Arbeitern nicht
verborgen. Aber sie wussten keinen Ausweg, es zu ändern.
Viele glaubten noch an Anfangs Schwierigkeiten in der
Aufbauphase. Dass es keine Anfangsschwierigkeiten waren,
sondern dass es um prinzipielle Dinge ging, merkten die
meisten Arbeiter kurz vor dem 17. Juni, als die
DDR-Regierung auf administrativem Weg, ohne die Arbeiter
in einer Kampagne vorher darüber zu befragen, die
Betriebe zwingen wollte, die Arbeitsnormen um 10 Prozent
zu erhöhen. Dieser Fehler wurde von den
Agentenorganisationen sofort ausgenutzt, um ihre
Provokation, den Tag X, den sie
schon lange vorbereitet hatten, zu starten.
Der Tag „X"
Ich arbeitete zu diesem Zeitpunkt im Betrieb
Kabelwerk Oberspree, auch KWO genannt, ebenfalls in
Berlin-Oberschöneweide gelegen. Bei der Volkspolizei
musste ich aufhören, weil mein Vater die DDR, wie viele
andere, verlassen hatte und bei der Volkspolizei keiner
beschäftigt werden durften, deren Angehörige
„republikflüchtig" waren. Mein Vater, Arbeiter im TRO,
war nie Antikommunist, aber auch kein Anhänger der DDR
gewesen. Er hatte aber auch nichts dagegen, dass ich
mich aktiv und begeistert für den Aufbau des Sozialismus
einsetzte. Doch Missstände und Dinge, die ihm nicht
gefielen, kritisierte er offen Er wurde verhaftet und
wegen seiner schweren Kriegsverletzung wieder frei
gelassen. Woche für Woche wurde er jedoch aufgefordert,
zum Verhör zu erscheinen. Er zog die Konsequenz und ging
nach Westberlin.
Im KWO war ich in der Thälmann-Brigade. Wir
arbeiteten an Spritzmaschinen, die um Draht eine
Isoliermasse legten, der dann auf Kabeltrommeln
aufgerollt wurde. In der Brigade arbeiteten fünf
Kollegen, drei an Maschinen, ein Materialzubringer, der
Brigadier, der das Endprodukt kontrollierte. Wir
arbeiteten in zwei Schichten. Unsere Brigade fuhr immer
20 bis 30 Prozent über die Norm, an manchen Tagen, wenn
das Material gut war und es keinen Ausschuss gab, sogar
70 bis 80 Prozent. Um auf eine gute Prämie zu kommen,
einigten wir uns manchmal und arbeiteten in der
Nachmittagsschicht 1/2 Stunde länger.
Unsere Brigade schien eine fortschrittliche Brigade
zu sein, denn von den fünf Kollegen waren zwei in der
SED und einer in der FDJ. Trotzdem gab es, als die
Meister mit den Brigadiers über die neue Normerhöhung
sprachen, bei uns helle Aufregung. Immerhin hatten wir
zum 1. Mai freiwillig die Normen erheblich übererfüllt.
Diese spontane Erregung legte sich jedoch schnell
wieder, denn bei genauer Überlegung war es für unsere
Brigade keine sehr große Anstrengung. Was zurückblieb,
war der Ärger über die Art und Weise, wie der Beschluss
über die Normenerhöhung zustande kam, das passte uns
nicht. Der Beschluss war schon Ende Mai für die gesamten
Industriebetriebe im Zuge des
„Neuen Kurses" gefasst worden. Der „Neue Kurs" sah
die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der
Bevölkerung vor. Wir im KWO, in unserer Brigade, hörten
von dem Beschluss erst einige Tage vor dem 17. Juni.
Vorher war zwar Gemurmel da, aber nichts Offizielles.
Das empfanden wir als Hintergehen, als Heimlichkeit und
Unehrlichkeit. Und so war es ja auch. Bei dieser
Normenerhöhung war nichts von der Diktatur der
Arbeiterklasse zu spüren. Sie wurde nicht befragt und um
ihre Vorschläge gebeten. Das war es, was einen Teil der
Arbeiter so in Empörung versetzte. Waren zudem noch
Meister, Brigadiere oder Parteigenossen, mit denen über
die Normerhöhung diskutiert wurde oder die sie sogar mit
durchsetzen sollten, noch unbeliebt, so kam es schon
hier und da zu Protestaktionen.
Und es war nicht nur die geplante Normenerhöhung, die
die Unzufriedenheit der Arbeiter wachsen ließ, besonders
empörte es sie, dass, während man ihnen zumutete, für
das gleiche Geld mehr zu arbeiten, die Gehälter der
Bürokraten, der Technischen Intelligenz, der
Funktionäre, Direktoren und bürgerlichen Experten nicht
gesenkt, sondern sogar noch erhöht wurden. All das
zusammen machte es dem CIA leicht, jetzt den Tag
X auszurufen, auf den er solange
gewartet hatte. Die Rücknahme der geplanten
Normenerhöhung am 16. Juni kam da zu spät.
Unsere Brigade hatte beschlossen, die Normenerhöhung
durchzuführen. Außer dem Materialzubringer waren wir
anderen vier damit einverstanden Die Parteigenossen
sollten jedoch auf der nächsten Zusammenkunft mit der
Parteileitung gegen die Art und Weise, wie dieser
Beschluss zustandegekommen war, protestieren Doch dazu
kam es nicht mehr.
16. Juni - Demonstrationen in der Stalinallee
Am 16. Juni wurde in unserer Brigade und darüber
hinaus in der gesamten Abteilung darüber gesprochen,
dass Bauarbeiter auf der Stalinallee gegen die
Normenerhöhung in Form einer Demonstration protestiert
hätten. Das schien uns noch keine weltbewegende Sache zu
sein, denn es war nicht von anderen Betrieben die Rede.
Die Bauarbeiter auf der Stalinallee waren nicht
unbedarft. Hier sammelten sich des öfteren Gruppen und
diskutierten und nicht selten wurden sie provoziert,
denn es war ja einfach, auch für Westberliner
undurchsichtige Elemente, auf offenen Baustellen, die
jeder betreten konnte, Arbeiter anzusprechen. Wir nahmen
die Sache nicht so ganz emst. Nach der Pause der
Nachmittagsschicht - das muss so zwischen 18 und 19 Uhr
gewesen sein - wurde die Sache schon brenzliger. Als wir
aus dem kleinen Kantinenraum der Abteilung an unseren
Arbeitsplatz zurückkamen, fand der Brigadier auf seinem
kleinen Schreibpult einen Handzettel mit der Parole
„Nieder mit den Mormen! Streikt!"
Später wurde vermutet, dass er selbst diesen
Handzettel dort hingelegt hätte, um einen Anlass zur
Diskussion zu haben. Der Brigadier versuchte, mit uns
darüber zu diskutieren, aber es kam keine Diskussion
zustande, da wir als Parteigenossen und auch die
FDJ'lerin nichts wussten und erst Kontakte zur
Parteileitung aufnehmen wollten.
Das war am späten Abend in der zweiten Schicht
schlecht möglich. Der Brigadier gab diesen Handzettel
dann dem diensttuenden Meister in der Abteilung. Am
späten Abend, kurz vor Schichtende, kamen Parteigenossen
durch den Betrieb und gaben die Anweisung, dass sich die
Parteigenossen alle am nächsten Morgen im Parteibüro zu
melden hätten. Aber in der Nacht noch wurden
Parteigenossen und fortschrittliche Arbeiter
mobilisiert, um eine sogenannte Arbeiterwehr zu bilden.
Dies geschah, wie ich später hörte, in einer ganzen
Reihe von Betrieben. Am 17. Juni meldeten wir uns im
Parteibüro. Die Partei informierte uns, dass gegen die
Normenerhöhung in der Innenstadt Demonstrationen
stattgefunden hätten und am frühen Morgen des 17. Juni
auch andere Provokationen wie Plünderungen von
Lebensmittelläden (HO-Läden), Zerstörungen von Partei-
und Gewerkschaftsbüros u. ä. vorgekommen waren. Im KWO,
unserem Betrieb, waren m mehreren Abteilungen die
bereits genannten Handzettel aufgefunden worden, auf
Arbeitsplätzen, an schwarzen Brettern. Einzelne
Provokateure waren durch den Betrieb gezogen und hatten
die Arbeiter zum Streik aufgefordert. Ein Teil der
Kollegen hatte daraufhin den Betrieb verlassen und sich
so der Arbeitsniederlegung angeschlossen Einige waren
gar nicht zur Arbeit gekommen, denn der Rias hatte
pausenlos Aufrufe und Appelle gegen die DDR-Regierung
verbreitet, zum Streik aufgefordert und wilde Gerüchte
in die Welt gesetzt. Dadurch waren einige Arbeiter
verängstigt und blieben bei ihren Familien zu Hause. In
einer ganzen Reihe von Abteilungen wurde jedoch voll
gearbeitet.
Auch unser Brigadier und der Matenalzubringer waren
nicht zur Arbeit erschienen. Wie sich später durch
Untersuchungen herausstellte, hatte der
Materialzubringer enge Verbindungen zum CIA, der
Brigadier hatte jahrelang in Westberlin Schwarzarbeit
verrichtet und war nun endgültig mit seiner Familie in
den „goldenen Westen" getürmt. Die Parteigenossen, die
sich im Parteibüro zu melden hatten, erhielten
verschiedene Aufgaben. Es wurden Rundgänge durch den
Betrieb organisiert, Posten für die Betriebstore
gebraucht, Posten rund um das Betriebsgelände
aufgestellt, Kuriere, die zu den Posten Kontakt hielten
und anderes mehr. Die Betriebstore waren geschlossen
worden. Eine kleine, schmale Pforte war geöffnet. Hier
konnten Kollegen, sofern sie zum Betrieb gehörten, rein-
und rausgehen. Die, die reingingen, wurden bis zu ihrem
Arbeitsplatz begleitet, die, die rausgingen, konnten
ungehindert das Tor passieren. Es war Anweisung gegeben
worden, sich nicht provozieren zu lassen und auch nicht
mit den Demonstrierenden zu diskutieren.
Provokateure werden festgenommen
Während wir am 17. Juni vormittags noch beim
Verteilen der Aufgaben waren, erhielt die Partei im KWO
einen Anruf, dass Arbeiter aus Köpenicker Betrieben die
Arbeit niedergelegt und sich in einem Demonstrationszug
zusammengeschlossen hätten, der aus Köpenick über
Oberschöneweide in Richtung Innenstadt demonstrieren
würde. In Oberschöneweide lagen mehrere Großbetriebe, wo
sie vorbeimarschieren mussten Die Partei im KWO war so
vorgewarnt Es erfolgte nun die Anweisung, dass sich
einzelne Genossen und FDJler, nach Möglichkeit in
Blauhemden und mit Parteiabzeichen, an den Straßenrand
vor die Werkstore zu stellen hatten, um so
Geschlossenheit zu demonstrieren So standen wir, als der
Zug am Betrieb KWO vorbeikam, drei junge Genossen im
Blauhemd, ältere Parteigenossen in Windjacken und mit
Parteiabzeichen, direkt an der Bordsteinkante. Vor dem
Betriebstor hatten sich noch andere Parteigenossen
aufgestellt. Es war ein Block von mehreren hundert
Arbeitern, der uns entgegenkam. Die vorderen Reihen
riefen Parolen wie „Nieder mit der Regierung", „Nieder
mit den Normen", „Wir wollen freie Wahlen" und ähnliche.
In den ersten Reihen wie auch an den Seiten
marschierten eindeutig Provokateure und Drahtzieher. Sie
stürzten sich auf uns und versuchten, uns die Blauhemden
und die Abzeichen runterzureißen. Doch in dem Moment
stürzten aus der Pförtnerloge und aus den Reihen der
Genossen, die vor dem Betriebstor standen, viele
Genossen, ergriffen die Provokateure und zerrten sie in
den Betrieb. Sie wurden in; Gewahrsam genommen und
später abtransportiert. Die Demonstranten kümmerten sich
jedoch nicht weiter um die, die in den Betrieb gezerrt
wurden, sondern marschierten in Richtung Innenstadt
weiter.
Ab mittags wurde dann durch den sowjetischen
Militärkommandanten über Ostberlin der Ausnahmezustand
verhängt.
Der Befehl lautete:
Befehl des Militärkommandanten des sowjetischen
Sektors von Berlin
Für die Herbeiführung einer festen öffentlichen
Ordnung im sowjetischen Sektor von Berlin wird
befohlen:
1. Ab 13.00 Uhr des 17. Juni 1953 wird im
sowjetischen Sektor von Berlin der Ausnahmezustand
verhängt.
2. Alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen
und sonstigen Menschenansammlungen über drei Personen
werden auf Straßen und Plätzen wie auch in
öffentlichen Gebäuden verboten.
3. Jeglicher Verkehr von Fußgängern und der Verkehr
von Kraftfahrzeugen wird von 9 Uhr abends bis 5 Uhr
morgens verboten.
4. Diejenigen, die gegen diesen Befehl verstoßen,
werden nach den Kriegsgesetzen bestraft.
Berlin, d. 17. Juni 1953 Militärkommandant des
sowjetischen Sektors von Berlin Generalmajor Dibrowa
Nachdem die Rote Armee eingegriffen hatte, beruhigte
sich die Lage ziemlich schnell. Nach und nach kamen die
Kollegen wieder in den Betrieb. War es am nächsten Tag
noch ein erheblicher Teil, der zu Hause geblieben war
und die Lage noch erst abwarten wollte, so erschienen
sie in den Tagen danach wieder vollzählig, bis auf die,
die sich nach Westberlin abgesetzt hatten. Die
Kontrollen durch die Partei, durch die Arbeiterwehr,
durch die Volkspolizisten, die Rundgänge im Betrieb
wurden noch für eine gewisse Zeit aufrechterhalten.
Ähnlich wie hier dargestellt, hat sich der 17. Juni
in mehreren Berliner Betrieben abgespielt. Am Potsdamer
Platz, in der Stalinallee und am Alexanderplatz waren
die Ausschreitungen erheblicher. Neben Plünderungen,
Brandstiftungen, dem Herunterreißen von roten Fahnen,
den Zerstörungen von Parteibüros, von
Verkehrseinrichtungen etc, hat es an der Grenze zu
Westberlin leider Tote gegeben.
Aber wessen Schuld war das ?
Die Hintermänner der faschistischen Provokation waren
die imperialistischen Kräfte in Westdeutschland, die die
sozialistischen Errungenschaften wieder rückgängig
machen, die den Krupp, Flick und anderen Konzernherren
ihr „Eigentum" wieder zurückgeben wollten. Es war kein
Zufall, dass kurz vor dem 17. Juni an den Börsen die
Aktien der sogenannten „Ostwerte" um eine ganze Reihe
von Punkten emporkletterten. Die Konzernherren wussten,
dass der „Tag X" bevorstand. Es
war auch kein Zufall, dass unmittelbar nach dem
Scheitern der Provokation Adenauer und Konsorten große
Trauerfeiem veranstalteten und Unternehmerverbände
Hunderttausende von Mark für die sogenannten Opfer des
Putsches zur Verfügung stellten.
Eine Kluft zwischen dar Partei und den Massen
Es kann aber ebenso kein Zweifel darüber bestehen,
dass in der DDR am 17. Juni eine Kluft zwischen Partei
und Regierung einerseits und den werktätigen Massen
andererseits vorhanden war, die nach dem 17. Juni noch
vergrößert wurde.
Die große Mehrheit der Arbeiter der DDR hatte sich
nicht provozieren lassen, hatte die Arbeit nicht
niedergelegt. Insgesamt waren es sechs Prozent der fünf
Millionen Arbeiter und Angestellten. Viele haben sich
auch nur stundenweise beteiligt. Die große Mehrheit
stand trotz der enormen Hetze, der Agentenarbeit und
faschistischen Provokationen, trotz ihrer schweren Lage
hinter ihrem sozialistischen Staat. Und auch von den
300.000, die da demonstrierten und streikten, war nur
ein verschwindend geringer Teil reaktionär und gegen den
Sozialismus eingestellt. Sie waren ganz einfach zu Recht
empört.
Um so unverschämter und heuchlerischer war es, als
sich Herbert Warnke, ZK-Mitglied der SED, Vorsitzender
des FDGB, im August 1953 auf dem FDGB-Kongress
hinstellte und zum 17. Juni folgendermaßen Stellung
bezog: „Auch Hitler gelang es bekanntlich, gewisse
rückständige Schichten der Arbeiterklasse für sich zu
gewinnen".
Oder „Die Werktätigen, die am 17. Juni demonstrierten
und sich an Arbeitsniederlegungen beteiligten, sind auch
der internationalen Arbeiterklasse in den Rücken
gefallen". Voller Zynismus schlug auch Kurt Barthel,
genannt Kuba, Paradepferd unter den DDR-Schriftstellem
und damals Sekretär des Schriftstellerverbandes, die
gleichen Töne wie die Gewerkschaft gegen die Arbeiter
an. In einem Artikel an die Bauarbeiter der Stalinallee
schrieb er: „Ihr zogt in schlechter Gesellschaft durch
die Stadt. Ihr zogt mit dem Gesindel, das, von den
großen Weltbrandstiftern gedungen, schon die
Benzinflasche in der Tasche trug, mittels denen sie
morgen eure Baugerüste anzünden wurden. Das wolltet ihr
nicht. Aber als es geschah, ließt ihr es zu..."
„Als wenn man mit der flachen Hand ein wenig Staub
vom Jackett putzt, fegte die Sowjetarmee die Stadt rein.
Ihr aber dürft wie gute Kinder um neun Uhr abends
schlafen gehen Für euch und den Frieden der Welt wachen
die Sowjetarmee und die Kameraden der Deutschen
Volkspolizei. Schämt ihr euch auch so, wie ich mich
schäme? Da werdet ihr sehr viel und sehr gut mauern und
künftig auch sehr klug handeln müssen, ehe euch diese
Schmach vergessen wird. Zerstörte Häuser reparieren, das
ist leicht. Zerstörtes Vertrauen wieder aufrichten ist
sehr, sehr schwer."
Was heißt das? Wieder einmal hat die Arbeiterklasse
schuld, nicht die Fehler der Regierung, nicht die Fehler
der Partei haben zu den Protesten beigetragen, nicht
Bürokratismus, nicht Schlendrian, nicht Korruption und
Bestechung riefen schlechte Versorgung und Empörung
hervor, sondern die Arbeiterklasse hat sich diese Misere
selbst in die Schuhe zu schieben. Kein Wort der
Selbstkritik, kein Wort zu den eigenen Fehlern, keine
Taten.
Denn Taten, das hätte Säuberung der Partei bedeutet,
die Säuberung von Karrieristen und Bürokraten, hätte die
Anhörung der Kritiken bedeutet, der Kritiken der
Arbeiterklasse, hätte die selbstkritische Stellungnahme
zu den eigenen Fehlern erfordert. Nichts in dieser
Richtung wurde verbessert. Stattdessen wurden die
Kritiken der Basis mehr denn je unterdrückt, wurden
Arbeiter, die es nur wagten, Bürokratismus und
Korruption aufzudecken, als Agenten und Provokateure,
als „Anhänger des faschistischen Putsches vorn 17. Juni"
verschrien.
Agent - da wurde nach dem 17. Juni so ungefähr jeder
verdächtigt. Das Misstrauen wuchs, untereinander, in der
Partei und außerhalb. Und viele Parteileute benahmen
sich nach dem 17. Juni gegenüber den Arbeitern wie Kuba:
arrogant und zynisch. Und es war wirklich so: trug man
das Blauhemd oder das Parteiabzeichen, hatte man Macht.
Das Verhältnis zwischen der Partei und den Arbeitern
wurde nicht besser. Im Gegenteil Tauchte man irgendwo
mit dem Blauhemd oder dem Parteiabzeichen zwecks
Agitation im Betrieb auf, machten viele Arbeiter einen
Bogen oder verhielten sich im Gespräch äußerst
zurückhaltend. In der Brigade bekamen wir zwei
Parteigenossen auch oft Schwierigkeiten und wurden
scheel angesehen, denn immer mehr riss es ein, dass wir
von der Arbeit freigestellt wurden, um für die Partei
oder für die FDJ Arbeiten zu verrichten oder an
Konferenzen teilzunehmen oder anderes.
Bei all diesen Zuständen war es kein Wunder, dass in
der Folge, besonders in der zweiten Hälfte der fünfziger
Jahre, immer mehr Arbeiter die DDR verließen.
Das, was den Konzernherren und Großgrundbesitzern
1953 durch die Inszenierung ihres faschistischen
Putsches nicht gelang, die DDR in einen kapitalistischen
Ausbeuterstaat zurückzuverwandeln, wurde Jahre später
durch die revisionistische Politik der
Ulbricht-Regierung selber erreicht: die erste Diktatur
des Proletariats, der erste Arbeiterund Bauemstaat auf
deutschem Boden gehört der Vergangenheit an.
Bertolt Brecht, der bekannte kommunistische
Schriftsteller, schrieb zum 17 Juni 1953 ein kleines
Gedicht:
Nach dem Aufstand des 17. Juni
Ließ der Sekretär
des Schriftstellerverbandes
In der Stalinallee
Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war,
dass das Volk
Das Vertrauen der Regierung
verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte
Arbeit
Zurückerobern könne.
Wäre es da nicht einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und Wählte ein anderes ?
Editorische Hinweise
Der Text wurde erstveröffentlicht 1983 in
„Kommunistische Hefte", Theoretisches Organ der KPD
(vormals KPD/ML)
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