Er meinte es so
Das Dickicht, die Last und der Anwalt: Eine Podiumsdiskussion zum NSU in Berlin

von Antonin Dick

06-2013

trend
onlinezeitung

In der Berliner Gedenkstätte Topographie des Terrors wurde am Montag »Der Skandal um den NSU-Terror« diskutiert. Zwei Politikerinnen aus Untersuchungsausschüssen sprachen mit der Ombudsfrau, die die Bundesregierung für die Hinterbliebenen abgestellt hat, und einem Anwalt, der diese Angehörigen im Münchner NSU-Prozeß vertritt. Der Saal war voll. Fast 200 Zuhörer waren gekommen. Die Mehrheit im Alter 50 plus, kaum junge Leute. Alles Engagierte, debattenerprobt, auf dem Podium wie unten. Brauchbare Einschätzungen, bekannte Konzepte, besonnene Appelle zur Verteidigung demokratischer Werte im Alltag. Streit kam nicht auf. Unbehelligt von der vielzitierten Mitte der Gesellschaft, war man – trügerische Sicherheit – unter sich. Und klatschte sich zu. Das hinterließ Unbehagen.

Ein bewegender Moment war eingangs die Verlesung der Namen der Ermordeten durch die Ombudsfrau Barbara John (CDU). Man blieb sitzen. Dann warf der Moderator und Politikwissenschaftler Hajo Funke zur Erleuchtung das Wort vom Staat im Staate in die Runde. Nähere Ausführungen ließen nicht auf sich warten. John sprach im Zusammenhang mit der behördlichen Verdunkelung der NSU-Verbrechen von einer Staatskrise. Mulmige Gefühle oben wie unten. Dickicht. Man kam nicht weiter mit der Sprache. Immerhin zeigte die Wortwahl der Thüringer Linksparteiabgeordneten Martina Renner Nichtkorrumpierbarkeit an. Unbeirrt sprach sie von »Neonazismus«, entgegen der offiziösen Sprachregelung »Rechtsextremismus bzw -terrorismus«. Ist diese Sprachverwirrung nicht schon Ausdruck der Staatskrise?

Peinlich die zur Schau gestellte Vorwärtsstrategie von Eva Högl, die für die SPD im Bundestag sitzt: »Was lernen wir aus den NSU-Morden?« Ja, waren wir denn nur Zeugen eines soziologisches Experiments? Dann die jähe Wende. Mucksmäuschenstill wurde es im Saal, als der Münchner Nebenkläger Mehmet Daimagüler fragte: »Wie kommt es zu diesem Haß in unserer Gesellschaft? Meine Mandanten wollen keine Rache, sie glauben nicht einmal daran, daß die Täter wegen Mordes verurteilt werden können nach so vielen Jahren. Aber eines wollen sie auf jeden Fall mit ihrem ganzen Herzen: verstehen. Ich will Ihnen mal was sagen: Ich habe nicht nur Mitleid mit den Hinterbliebenen, sondern auch mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Ich habe ein Video gesehen, wo sie 13 waren, wie sie ganz kindlich und sympathisch auf einem Sofa mit ihren Eltern gespielt haben. Wie kommt es, daß sie fünf Jahre später rassistisch verhetzte Menschen sind, die raubend und mordend durchs Land ziehen? Was ist da inzwischen geschehen? Was haben sie sich selber angetan?« Allgemeines Schweigen.

Später ergriff Daimagüler noch ein paar Mal das Wort, und was vor allem traf, war seine Beschreibung eines um sich greifenden Grundgefühls: Quer durch alle sozialen Schichten läßt sich ein neues deutsches Herrenmenschentum erahnen. Niemand im Saal würde so reden. Er schon. Er sprach dieses Wort nicht aus, doch er meinte es, als er von Beobachtungen erzählte, die er als Anwalt, als Mensch gemacht hat. Sein Fazit sprach Bände: »Wir brauchen keine Untertanen, sondern Bürger.« Beifall. Ich zuckte zusammen.

Bei der Verlesung der Namen der Ermordeten am Anfang hatte ich eigentlich aufstehen wollen, das war mein spontaner Impuls, als der erste Name fiel, doch eine unheimliche Last drückte mich plötzlich auf meinen Sitzplatz zurück.

Auch die Frau neben mir hatte die Veranstaltung mit Unbehagen verfolgt, wie sie im Anschluß sagte. »Haben Sie das bemerkt«, fragte sie frohlockend, »wie das Podium seine Ratlosigkeit am Schluß an uns weitergereicht hat? Wie Lösungen vom Publikum erwartet wurden, weil man selbst keine hat?« Und dann erzählte sie mir, der von ihr abonnierten Jüdischen Allgemeinen hätten eine Zeitlang Antragsformulare für die Aufnahme in die NPD beigelegen; Nachforschungen und Beschwerden bei der Post hätten zu keinem Ergebnis geführt. Dickicht.

Ist nicht schon alles zu spät, d.h. zu germanisiert? Auf dem Nachhauseweg packte mich die Scham darüber, am Anfang der Veranstaltung von dieser unheimlichen Last niedergedrückt worden zu sein. Ich erinnerte mich des eindringlichen Appells von Martina Renner, den Zusammenhang von Neonaziaktivitäten und kriminellen Strukturen aufzuklären – ökonomische Strukturen wären zu ergänzen. »Mut«, hatte der Anwalt gegen Ende gefordert, »wir brauchen Mut!«

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel zur Zweitveröffentlichung vom Autor. Er wurde erstveröffentlicht in der Jungen Welt vom 5. Juni 2013 http://www.jungewelt.de

Vom Autor erschien bei TREND:


TREND-Spezialedition
Rose des Exilgeborenen

Ein Essay von Antonín Dick