Über
wüste Fantasien rechter Zeitgenossen berichtet am 04.
Juni der auf Militär- und verteidigungspolitische Themen
spezialisierte Journalist Jean-Dominique Merchet in der
Zeitschrift L’Option. Unter dem Titel
„Diese extreme Rechte, die sich Fantasmen über einen
Militärputsch hingibt“ referiert Merchet, dass
eine rechtsnationalistische Gruppe unter dem Namen
Lys Noir (Schwarze Lilie) in einem Text zu
einem Staatsstreich katholischer und nationalgesinnter
hoher Offiziere aufrufe. Der Text, der „im
Internet weite Verbreitung fand“, erschien vor
kurzem in der ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift
Arsenal. Wenn die Putschgedanken auch ins Reich
des Irrealen gehörten, so zeige man sich im
Verteidigungsministerium doch besorgt und nehme die
Veröffentlichung „sehr ernst“, da die
Verfasser sich über innere Vorgänge in der Armee sehr
gut und ausführlich informiert zeigten.
Der
Artikel in Arsenal fantasiert von einer
„politischen Lösung“ aktueller Konflikte
durch einen Staatsstreich, den die Autoren mit „einer
französischen Ausgabe der Nelkenrevolution in Portugal“
vergleichen. Dabei werden jedoch falsche Fährten
gelegt. Die „Nelkenrevolution“ von 1974 war allerdings
nicht autoritär oder faschistisch inspiriert, sondern
setzte im Gegenteil dem rechtsautoritären Regime unter
Salazar bzw. seinem Nachfolger Caetano ein Ende und
leitete die Demokratisierung des Landes ein. Viel näher
dürften die Verfasser der französischen OAS
(„Organisation geheime Armee“) stehen, die 1961/62
entstand, um sich Gewalt dem Entkolonisierungsprozess
vor allem in Algerien zu widersetzen, und sich zum Teil
aus der Armee heraus entwickelte. In dem Text beziehen
die Autoren sich auch positiv auf die OAS, „eine
äußerst respektable Bewegung“.
Als
aktuellen Bezugspunkt wählten die Verfasser die lose
strukturierte Bewegung Le Printemps français
(„Französischer Frühling“) unter der 52jährigen Béatrice
Bourges, einer rechtskatholischen Unternehmerin aus dem
Raum Versailles, die dem deutschen Unterhalter Otto
Waalkes verblüffend ähnlich sieht. Der „Französische
Frühling“ entstand Ende März dieses Jahres auf dem
rechten Flügel der Protestbewegung gegen die
Homosexuellen-Ehe, die am 23. April vom französischen
Parlament beschlossen wurde. Das Gesetz ist inzwischen
in Kraft, es wurde am 17. Mai vom Verfassungsgericht als
verfassungskonform bestätigt und am folgenden Tag von
Staatspräsident François Hollande unterzeichnet. Die
erste Ehe zwischen zwei Homosexuellen wurde am 29. Mai
im Rathaus von Montpellier gefeiert, unter dem Schutz
von 250 bis 300 Polizei- und Gendarmeriebeamten. Einige
Tage später erhielt die Bürgermeisterin von Montpellier,
Hélène Mandroux, einen Umschlag voller Exkremente
zugestellt.
Doch damit ist die Bewegung
dagegen nicht zu Ende, sondern geht in unterschiedlichen
Formen weiter – von Aufrufen an Bürgermeister, unter dem
Bruch geltender Gesetze den Eheschluss homosexueller
Paare in ihren Rathäusern zu „boykottieren“ und faktisch
zu verhindern, bis zu politisch-religiös geprägten
Nachtwachten junger Leute in einigen Innenstädten.
Allerdings scheint die Phase der Massendemonstrationen
zum Thema, die seit dem 17. November 2012 mehrfach
stattfanden, in der bisherigen Form zu Ende. Eine letzte
Demonstration dazu, an der laut Beobachtungen des
Verfassers dieser Zeilen rund 300.000 Menschen
teilnahmen (die Veranstalter sprachen von „über einer
Million“ und das Innenministerium von 150.000), spielte
sich am 26. Mai dieses Jahres in Paris ab. In ihrem
Anschluss kam es zu massiven Ausschreitungen von
militanten rechten Gruppen. Am Abend wurden 36 Menschen
verletzt: 34 eingesetzte Polizisten, ein als „Vertreter
der Systempresse“ angegriffener Fotograph der
Nachrichtenagentur AFP und ein Mann, der aus ungeklärten
Gründen von Teilnehmern zusammengeschlagen wurde.
Der
„Französische Frühling“ entstand im Zuge der
Großdemonstrationen in den ersten Jahresmonaten und
sollte dazu dienen, die Bewegung zu radikalisieren. Ihre
Anführerin Béatrice Bourges hat einen Mitgliedsausweis
der stärksten Oppositionspartei, der
konservativ-wirtschaftsliberalen UMP. Doch mehrere
gewaltbereite außerparlamentarische Oppositionsgruppen
aus der extremen Rechten – vom Bloc identitaire
bis zum Renouveau français – erklärten dem
„Französischen Frühling“ ausdrücklich ihre Unterstützung
oder betätigen sich dort.
Offiziell
will der „Französische Frühling“ mit den Urhebern der
Putschfantasien nichts zu tun haben, und Béatrice
Bourges erklärt, es handele sich um eine unerbetene
Identifikation mit ihrer Bewegung. Allerdings ist so
viel sicher, dass die Bewegung gegen die
Homosexuellenehe – welch letztere in rechtskonservativen
bis rechtsextremen Kreisen in oft apokalyptischen
Begriffen als eine „Zerstörung der natürlichen Ordnung“
beschrieben wurde – neben der Kirche gerade auch in
Kreisen der Armee breite Kreise gezogen hat. Die auf
Investigationsjournalismus sowie Satire spezialisierte
Wochenzeitung Le Canard enchaîné
berichtete am 22. Mai 2013, aufgrund der heftigen
Agitation in Offizierskreisen habe Innenminister Manuel
Valls eine Untersuchung über Aktivisten in diesem Milieu
anordnen lassen. Drei Tage später widmete sich, am 25.
Mai, die dem Front National verbundene
Internetpublikation Nations Presse Info
ihrerseits ausführlich dem Thema. Die Stimmung in Teilen
der französischen Armee gilt als stark angespannt, da
neben dem aus konservativ-reaktionärer Sicht
„widernatürlichen“ Gesetz auch andere aktuelle Themen
für Konfliktstoff sorgen. Da sind die Sparpläne im
Staatshaushalt, denen 24.000 Mitarbeiterstellen bei der
Armee zum Opfer fallen könnten, oder der seit längerem
schwelende Streit um das neue Computerprogramm Louvois.
Dessen manifeste Funktionsstörungen sorgen seit rund
einem Jahr dafür, dass viele Berufssoldaten ihr Gehalt
oft mit mehrmonatigen Verzögerungen verspätet erhielten.
Am 24.
Mai erwog Innenminister Manuel Valls unterdessen
aufgrund einiger aktueller Vorkommnisse, ein
Organisationsverbot gegen Le Printemps français
zu verhängen. Der „Französische Frühling“ hatte kurz
zuvor angekündigt, nunmehr „die Regierung und all
ihre Anhängsel, die politischen Parteien der
Kollaboration“ – gemeint ist: mit der
angeblichen „sozialistischen Diktatur“ – „und die
Lobbys, in denen die herrschende Ideologie ausgearbeitet
und verbreitet wird“, ins Visier zu nehmen.
Innenminister Valls wertete dies als eine Ankündigung
von Einschüchterung und Gewalt.
Unter der
„herrschenden Ideologie“ versteht die Gruppierung die
Abkehr von der vorgeblichen natürlichen Moral, und
speziell „die Genderideologie“, da derzeit über die
Einführung der Gendertheorie in französische Schulbücher
derzeit diskutiert wird. Was man unter den vermeintlich
einflussreichen „Lobbys“ versteht, stellte die
Gruppierung am Abend desselben Tages (24. Mai) unter
Beweis, als sie vor der Freimaurerloge Le Grand
Orient in Paris demonstrierte. Um den Einfluss
der Freimaurer, die vor 1789 eine wichtige Rolle als
Geheimorganisation des aufgeklärten oder revolutionären
Bürgertums spielten und heute zum Teil als elitäre
Zirkel in einem Teil der Bourgeoisie fortbestehen,
ranken sich seit zweihundert Jahren wüste
Verschwörungstheorien. Bei reaktionären Katholiken sind
sie ebenso beliebt wie bei Antisemiten und
Neofaschisten.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten
den Aufsatz vom Autor für diese Ausgabe.
|