Bernard Schmid berichtet aus Frankreich
Nach der rechten Protestbewegungen gegen die Homo-Ehe
Putschfantasien und Nachdenken über Organisationsverbote

06-2013

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Über wüste Fantasien rechter Zeitgenossen berichtet am 04. Juni der auf Militär- und verteidigungspolitische Themen spezialisierte Journalist Jean-Dominique Merchet in der Zeitschrift L’Option. Unter dem Titel „Diese extreme Rechte, die sich Fantasmen über einen Militärputsch hingibt“ referiert Merchet, dass eine rechtsnationalistische Gruppe unter dem Namen Lys Noir (Schwarze Lilie) in einem Text zu einem Staatsstreich katholischer und nationalgesinnter hoher Offiziere aufrufe. Der Text, der „im Internet weite Verbreitung fand“, erschien vor kurzem in der ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift Arsenal. Wenn die Putschgedanken auch ins Reich des Irrealen gehörten, so zeige man sich im Verteidigungsministerium doch besorgt und nehme die Veröffentlichung „sehr ernst“, da die Verfasser sich über innere Vorgänge in der Armee sehr gut und ausführlich informiert zeigten.

Der Artikel in Arsenal fantasiert von einer „politischen Lösung“ aktueller Konflikte durch einen Staatsstreich, den die Autoren mit „einer französischen Ausgabe der Nelkenrevolution in Portugal“ vergleichen. Dabei werden jedoch falsche Fährten gelegt. Die „Nelkenrevolution“ von 1974 war allerdings nicht autoritär oder faschistisch inspiriert, sondern setzte im Gegenteil dem rechtsautoritären Regime unter Salazar bzw. seinem Nachfolger Caetano ein Ende und leitete die Demokratisierung des Landes ein. Viel näher dürften die Verfasser der französischen OAS („Organisation geheime Armee“) stehen, die 1961/62 entstand, um sich Gewalt dem Entkolonisierungsprozess vor allem in Algerien zu widersetzen, und sich zum Teil aus der Armee heraus entwickelte. In dem Text beziehen die Autoren sich auch positiv auf die OAS, „eine äußerst respektable Bewegung“.

Als aktuellen Bezugspunkt wählten die Verfasser die lose strukturierte Bewegung Le Printemps français („Französischer Frühling“) unter der 52jährigen Béatrice Bourges, einer rechtskatholischen Unternehmerin aus dem Raum Versailles, die dem deutschen Unterhalter Otto Waalkes verblüffend ähnlich sieht. Der „Französische Frühling“ entstand Ende März dieses Jahres auf dem rechten Flügel der Protestbewegung gegen die Homosexuellen-Ehe, die am 23. April vom französischen Parlament beschlossen wurde. Das Gesetz ist inzwischen in Kraft, es wurde am 17. Mai vom Verfassungsgericht als verfassungskonform bestätigt und am folgenden Tag von Staatspräsident François Hollande unterzeichnet. Die erste Ehe zwischen zwei Homosexuellen wurde am 29. Mai im Rathaus von Montpellier gefeiert, unter dem Schutz von 250 bis 300 Polizei- und Gendarmeriebeamten. Einige Tage später erhielt die Bürgermeisterin von Montpellier, Hélène Mandroux, einen Umschlag voller Exkremente zugestellt.

Doch damit ist die Bewegung dagegen nicht zu Ende, sondern geht in unterschiedlichen Formen weiter – von Aufrufen an Bürgermeister, unter dem Bruch geltender Gesetze den Eheschluss homosexueller Paare in ihren Rathäusern zu „boykottieren“ und faktisch zu verhindern, bis zu politisch-religiös geprägten Nachtwachten junger Leute in einigen Innenstädten. Allerdings scheint die Phase der Massendemonstrationen zum Thema, die seit dem 17. November 2012 mehrfach stattfanden, in der bisherigen Form zu Ende. Eine letzte Demonstration dazu, an der laut Beobachtungen des Verfassers dieser Zeilen rund 300.000 Menschen teilnahmen (die Veranstalter sprachen von „über einer Million“ und das Innenministerium von 150.000), spielte sich am 26. Mai dieses Jahres in Paris ab. In ihrem Anschluss kam es zu massiven Ausschreitungen von militanten rechten Gruppen. Am Abend wurden 36 Menschen verletzt: 34 eingesetzte Polizisten, ein als „Vertreter der Systempresse“ angegriffener Fotograph der Nachrichtenagentur AFP und ein Mann, der aus ungeklärten Gründen von Teilnehmern zusammengeschlagen wurde.

Der „Französische Frühling“ entstand im Zuge der Großdemonstrationen in den ersten Jahresmonaten und sollte dazu dienen, die Bewegung zu radikalisieren. Ihre Anführerin Béatrice Bourges hat einen Mitgliedsausweis der stärksten Oppositionspartei, der konservativ-wirtschaftsliberalen UMP. Doch mehrere gewaltbereite außerparlamentarische Oppositionsgruppen aus der extremen Rechten – vom Bloc identitaire bis zum Renouveau français – erklärten dem „Französischen Frühling“ ausdrücklich ihre Unterstützung oder betätigen sich dort.

Offiziell will der „Französische Frühling“ mit den Urhebern der Putschfantasien nichts zu tun haben, und Béatrice Bourges erklärt, es handele sich um eine unerbetene Identifikation mit ihrer Bewegung. Allerdings ist so viel sicher, dass die Bewegung gegen die Homosexuellenehe – welch letztere in rechtskonservativen bis rechtsextremen Kreisen in oft apokalyptischen Begriffen als eine „Zerstörung der natürlichen Ordnung“ beschrieben wurde – neben der Kirche gerade auch in Kreisen der Armee breite Kreise gezogen hat. Die auf Investigationsjournalismus sowie Satire spezialisierte Wochenzeitung Le Canard enchaîné berichtete am 22. Mai 2013, aufgrund der heftigen Agitation in Offizierskreisen habe Innenminister Manuel Valls eine Untersuchung über Aktivisten in diesem Milieu anordnen lassen. Drei Tage später widmete sich, am 25. Mai, die dem Front National verbundene Internetpublikation Nations Presse Info ihrerseits ausführlich dem Thema. Die Stimmung in Teilen der französischen Armee gilt als stark angespannt, da neben dem aus konservativ-reaktionärer Sicht „widernatürlichen“ Gesetz auch andere aktuelle Themen für Konfliktstoff sorgen. Da sind die Sparpläne im Staatshaushalt, denen 24.000 Mitarbeiterstellen bei der Armee zum Opfer fallen könnten, oder der seit längerem schwelende Streit um das neue Computerprogramm Louvois. Dessen manifeste Funktionsstörungen sorgen seit rund einem Jahr dafür, dass viele Berufssoldaten ihr Gehalt oft mit mehrmonatigen Verzögerungen verspätet erhielten.

Am 24. Mai erwog Innenminister Manuel Valls unterdessen aufgrund einiger aktueller Vorkommnisse, ein Organisationsverbot gegen Le Printemps français zu verhängen. Der „Französische Frühling“ hatte kurz zuvor angekündigt, nunmehr „die Regierung und all ihre Anhängsel, die politischen Parteien der Kollaboration“ – gemeint ist: mit der angeblichen „sozialistischen Diktatur“ – „und die Lobbys, in denen die herrschende Ideologie ausgearbeitet und verbreitet wird“, ins Visier zu nehmen. Innenminister Valls wertete dies als eine Ankündigung von Einschüchterung und Gewalt.

Unter der „herrschenden Ideologie“ versteht die Gruppierung die Abkehr von der vorgeblichen natürlichen Moral, und speziell „die Genderideologie“, da derzeit über die Einführung der Gendertheorie in französische Schulbücher derzeit diskutiert wird. Was man unter den vermeintlich einflussreichen „Lobbys“ versteht, stellte die Gruppierung am Abend desselben Tages (24. Mai) unter Beweis, als sie vor der Freimaurerloge Le Grand Orient in Paris demonstrierte. Um den Einfluss der Freimaurer, die vor 1789 eine wichtige Rolle als Geheimorganisation des aufgeklärten oder revolutionären Bürgertums spielten und heute zum Teil als elitäre Zirkel in einem Teil der Bourgeoisie fortbestehen, ranken sich seit zweihundert Jahren wüste Verschwörungstheorien. Bei reaktionären Katholiken sind sie ebenso beliebt wie bei Antisemiten und Neofaschisten.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Aufsatz vom Autor für diese Ausgabe.