Ein
18jähriger französischer Antifaschist starb vergangene
Woche im Pariser Krankenhaus La Pitié-Salpétrière unter
den Schlägen von Neonazis. Er war am Mittwoch, den 05.
Juni am Spätnachmittag in der Nähe des Saint
Lazare-Bahnhofs von rechtsextremen Skinheads angegriffen
und schwer verletzt worden. Am Mittwoch Abend wurde er
für hirntot erklärt, am Donnerstag Nachmittag wurden die
Apparate ausgeschaltet. Am darauffolgenden Tag ergab
eine Autopsie, dass er nicht – wie zunächst vermutet –
an seinem Sturz mit dem Hinterkopf gegen einen Pfosten
gestorben war, sondern direkt an den Folgen der
erlittenen Schläge. Die Schläge ins Gesicht hatten das
Nasenbein getroffen, eine Gehirnerschütterung und
Hirnbluten ausgelöst.
Bei dem
Opfer handelt es sich um den 18jährigen Clément Méric,
der vor kurzem aus Brest in die französische Hauptstadt
gezogen war und an der politikwissenschaftlichen
Hochschule Science-Po studierte. Nachdem er zuvor bei
der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft CNT
organisiert gewesen war, war er an der Hochschule als
Mitglied der linken bis linksradikalen
Studierendengewerkschaft SUD-Etudiants
aktiv. Er war ferner Mitglied der linksradikalen
,Action antifasciste Paris-banlieue‘.
Den
tödlichen Schlägen voraus ging ein Streit in einem
Klamottenladen zwischen einer Gruppe aus vier jungen
Antifas und einer zahlenmäßig ebenbürtigen Skinheads,
bei denen die Ersteren die Naziskins stichelten. Es
handelte sich um einen Sonderverkauf von englischer
Markenkleidung, die sowohl bei Skins als auch bei
manchen Antifas beliebt ist. Laut Aussagen von
Verkäufern und Aufsichtspersonal äußerten sich die
jungen Antifas abfällig über „die Nazis, die
einkaufen gehen“ und versprachen ihnen,
„am Ausgang auf sie zu warten“. Doch die
Naziskins – von denen einer erwidert haben soll:
„Er ist ein schmales Hemd, und provoziert uns!“
- riefen telefonisch Verstärkung herbei, die auch
alsbald eintraf. Aufgrund der Überzahl der Naziskins
ebenso wie aufgrund der soeben zitierten Äußerung ist
klar, dass die Rechtsradikalen eine überaus klare
körperliche Überlegenheit aufwiesen. Um kurz nach 18 Uhr
fielen die tödlichen Schläge, und wie die
Sonntagszeitung JDD berichtet, zogen die
Naziskins nach vollbrachter Tat „frohen Gesichts
von dannen, nachdem ihnen klar wurde, dass ihnen niemand
folgte“ und „klatschten sich gegenseitig
in die Hände, ungefähr als ob sie gerade gemeinsam ein
Diplom erhalten hätten oder Ähnliches“.
Zu den
Herbeigerufenen zählte der spätere Haupttäter, der
20jährige Angestellte im Security-Gewerbe Esteban
Morillo. Er wurde in Spanien geboren, wuchs in einem
Kaff in der Picardie namens Neuilly-Saint-Front (sic)
auf und machte dort als Dorfnazi auf sich aufmerksam.
Doch in den letzten zwei Jahren kam er nach Paris, wo er
vom Dunstkreis von Serge Ayoub – Inhaber des
rechtsextremen Veranstaltungsorts ,Le Local‘
im Pariser Süden, ehemaliger Skin-Anführer in den 1980er
Jahren und jetzt Kopf einer Minipartei unter dem Namen
,Troisième Voie‘ (Dritter Weg) – angezogen
wurde. Serge Ayoub nimmt auch des Öfteren an
fraktionsübergreifenden rechtsextremen Mobilisierungen
teil: von Veranstaltungen der Zeitschrift Synthèse
Nationale (die u.a. mehrere Abspaltungen vom
Front National wie ,Nouvelle Droite Populaire‘, ,Parti
de France‘ und MNR vereinigt) wie am 11.11.2010 in Paris
bis zur Jeanne d’Arc-Demonstration am 12. Mai dieses
Jahres in Paris. Bei Letzterer handelt es sich nicht um
den jährlichen Aufmarsch des Front National für Jeanne
d’Arc (welcher immer am 1. Mai stattfindet), sondern um
die alternativ dazu stattfindende
Hardliner-Demonstration, deren Veranstaltern die
Wahlpartei FN viel zu schlapp erscheint.
,Troisième Voie‘ verfügt über einen schlagenden
Arm von geschätzten dreißig Mitgliedern unter dem Namen
,Jeunesses Nationalistes Révolutionnaires‘
(JNR); es handelt sich um eine Truppe, die u.a. die
Ordnerdienste für die Kleinstpartei übernimmt. Der
Haupttäter, ebenso wie einige andere Teilnehmer an der
Schlägerei vom Spätnachmittag des 05. Juni, werden von
Behörden und Medien als „mutmaßliche Sympathisanten der
JNR“ dargestellt. Nicht unwahrscheinlich ist, dass sie
auch Mitglieder der Schlägervereinigung waren – nur ist
dies insofern schwer nachzuweisen, als die JNR über
keinerlei formelle Struktur verfügen, wie Serge Ayoub
selbst schadenfroh in mehreren Zeitungen erklärte. Der
Haupttäter tauchte bei Facebook als ,Freund‘
von ,Troisième Voie‘ auf. Unterdessen
hat Innenminister Manuel Valls – ebenso wie
Premierminister Jean-Marc Ayrault – angekündigt, die
Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die JNR (und
eventuell andere Nazigruppen) zu prüfen.
Unklar
ist zur Stunde, ob Morillo mit bloßen Händen zuschlug
(wie er selbst behauptet) oder mit einem Stahlhandschuh
als Schlägerwerkzeug, wie Zeugen angegeben haben. Bei
ihm zu Hause wurde in jedem Falle ein Stahlhandschuh
gefunden – dessen Besitz ist ihm also nachgewiesen,
fraglich ist nur noch, ob er ihn am 05. Juni auch
einsetzte. Bei einem anderen der Beteiligten, dem
25jährigen „Samuel“ (bislang ist nur sein Vorname über
die Presse bekannt geworden), wurden zwei
blutverschmierte Ringe gefunden, mit denen er zuschlug.
Er hat inzwischen eingeräumt, dem Toten selbst Schläge
zugefügt zu haben, und wurde in Untersuchungshaft
genommen, ebenso wie Esteban Morillo. Drei weitere
Teilnehmer, zwei männliche Naziskins und Morillos
32jährige Freundin „Katia“, wurden nach ihrer
polizeilichen Vernehmung auf freien Fuß gesetzt, müssen
jedoch mit einer Anklage rechnen. Estaban Morillo als
Verursacher der tödlichen Schläge sitzt seinerseits in
U-Haft. Der zuständige Untersuchungsrichter ermittelt
derzeit wegen „fahrlässigen Totschlags“
(d.h. Körperverletzung mit unbeabsichtigter Todesfolge);
seine Auffassung steht damit im Gegensatz zu jener der
Staatsanwaltschaft, die ursprünglich erklärte, von
„vorsätzlichem Totschlag“ auszugehen.
Üblicherweise wird wegen des stärkeren infrage kommenden
Delikts ermittelt, auf die Gefahr hin, dass die Straftat
dann vor Gericht heruntergestuft wird. Möglicherweise
geht der Untersuchungsrichter von Beweisproblemen
bezüglich des Vorsatzes aus – Morillo selbst hat die
Schläge zugegeben, aber verneint jegliche
Tötungsabsicht. Allerdings dürfte die Benutzung von
Stahlhandschuhen, sofern sie nachgewiesen werden kann,
zumindest für einen strafrechtlichen ,dolus
eventualis‘ (d.h. dafür, dass der Täter das
Tötungsergebnis wissentlich in kauf nahm) sprechen. Ein
solcher gilt im Strafrecht als Vorsatz.
Infolge
des Todes von Clément Méric fanden in kürzester Zeit
massive Protestdemonstrationen statt. Am Donnerstag
Abend (06.06.13) fanden sich zunächst rund 300 engere
politische Freundinnen und Freunde des Getöteten in der
Nähe des Saint Lazare-Bahnhofs – und des Tatorts – ein.
Anderthalb Stunden später fand eine breitere Kundgebung
mit rund 5.000 Menschen bei Saint-Michel, d.h. im
Pariser Stadtzentrum, statt. Die beiden Kandidatinnen
der großen Parteien – sog. ,Sozialistische‘ Partei und
UMP - für das Pariser Rathaus, Anne Hidalgo und Nathalie
Kosciusko-Morizet, wurden durch Linksradikale an einer
Teilnahme gehindert (worüber man wahrscheinlich
ernsthaft diskutieren muss, was die Sinnhaftigkeit
betrifft). In ganz Frankreich fanden zur selben Zeit
Demonstrationen in sechzig Städten mit, inklusive Paris,
insgesamt circa 15.000 Teilnehmer/inne/n statt. Zwei
Tage später demonstrierten am Samstag Nachmittag erneut
zwischen 4.000 (lt. Polizei) und 6.000 Menschen in
Paris, und weitere 2.000 bis 3.000 in Toulouse und
Nantes. Hinzu kamen kleinere Demos wie in Perpignan.
Am Abend
des Montag, den 10. Juni findet am Sitz des
Gewerkschaftsverbands Union syndicale Solidaires
(dem auch die Studierendengewerkschaft SUD-Etudiants
angehört, deren Mitglied Clément Méric war) ein
Bündnistreffen statt, bei dem über weitere Aktionen
beraten wird.
Editorische
Hinweise
Wir erhielten
den Aufsatz vom Autor für diese Ausgabe.
|