Am vergangenen Wochenende traf
sich die Linkspartei in Magdeburg, am Ort einer ihrer
deutlichsten wahlpolitischen Niederlagen, zu ihrem 5.
Bundesparteitag. Wenige Monate vor den Landtagswahlen
in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern standen die ca.
580 Delegierten vor der Aufgabe den Kurs neu
auszurichten und das Spitzenpersonal für die
kommenden drei Jahre zu wählen.
Anders als von manchem Linksparteipolitiker noch vor
einigen Monaten gedacht, gab es in der
Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt nicht eine
weitere Regierungsbeteiligung zu feiern. Das moderate
Programm und die staatstragende Attitüde des
Spitzenpersonals der Linkspartei in
Sachsen-Anhalt vermochten nicht ausreichend zur Wahl
der Partei zu motivieren, sie wurde von der AfD auf
den dritten Platz verdrängt. Sie verlor dabei 7,4%
und landete bei nur 16,3% der Wählerstimmen. Alle
Wunschträume einen weiteren linken
Ministerpräsidenten in einer rot-rot-grünen Koalition
zu stellen, erledigten sich, da SPD und GRÜNE auch
verloren und gemeinsam nur auf ca. 16% der Stimmen
kamen. Besonders bitter war dabei für DIE LINKE, dass
sie nur noch einen Wahlkreis direkt für sich
entscheiden konnte und 28.000 Stimmen an die AFD
verlor.
Damit wurde sichtbar, dass die pragmatischen
sogenannten RealpolitikerInnen vornehmlich des Forums
demokratischer Sozialismus (fds), die u.a. in
Sachsen-Anhalt bestimmend sind, auf die relevanten
politischen Entwicklungen keineswegs die adäquaten
Antworten entwickelt haben und, dass eine
Kurskorrektur für die gesamte Partei überfällig ist,
will sie nicht marginalisiert werden.
Einen Teil der dazu notwendigen Überlegungen hatten
die Vorsitzenden Kipping und Riexinger in dem Papier
?Revolution für soziale Gerechtigkeit und
Demokratie!? (1) ca. 5 Wochen vor dem Parteitag zur
Debatte gestellt. Die politischen Gründe für den
Vormarsch der AfD führen sie dabei auf die Verarmung
breiter Bevölkerungsteile, der Abbau von
Sozialleistungen und den Verlust demokratischer
Legitimation bei allen etablierten Parteien zurück.
Dem brutalen rechtspopulistischen Angriff auf die
schwächsten Glieder der Gesellschaft wollen sie den
solidarischen Kampf um ein besseres Leben für alle
Menschen entgegensetzen. Die Übernahme
rechtspopulistischer Muster und Sprachregelungen
lehnen sie für DIE LINKE. klar ab. Mit der
neuformulierten Strategie soll DIE LINKE. einen
Beitrag zur Eindämmung des Rechtspopulismus leisten,
sich aber auch als Organisatorin sozialer Proteste
neu profilieren.
Ihre Vorschläge sehen vor, dass sich DIE LINKE. mehr
in sozialen Brennpunkten, Gewerkschaften und
Betrieben verankern soll. Sie soll sich dabei einer
neuen Kultur des Zuhörens und Organisierens sozialer
Proteste befleißigen. Kipping und Riexinger führen
dazu aus: ?Der Erfahrung von Machtlosigkeit, in der
viele Menschen sich nur noch als Spielball "fremder
Mächte" erleben, wollen wir die Erfahrung
entgegensetzen, dass sich nicht durch Ausgrenzung der
Schwächsten, sondern nur durch Solidarität und
gemeinsamen Kampf die eigene Lage verbessert. Wir
wollen Modellprojekte in benachteiligten Wohnvierteln
entwickeln, die (Selbst-)Organisierung vor Ort und
die nachhaltige Verankerung der LINKEN fördern.?
Weiter heißt es: ?Angesichts der erschreckenden
Wahlergebnisse der AfD bei den
Gewerkschaftsmitgliedern wollen wir den Kampf um die
Köpfe auch verstärkt an der Gewerkschaftsbasis
führen. Als LINKE wenden wir uns an alle
Lohnabhängigen, nicht nur an diejenigen, die in
prekäre Arbeitsverhältnissen stecken. In den nächsten
Jahren wollen wir daran arbeiten, mit einer
Initiative für ein "neues Normalarbeitsverhältnis"
eine solidarische Perspektive in den Betrieben und
Gewerkschaften für ein Bündnis von Erwerbslosen,
prekär Beschäftigten und den Beschäftigten, die in
sozialversicherungspflichtiger Vollzeit arbeiten, zu
stärken. Wir wollen die Beschäftigten auch stärker
direkt ansprechen und zur Organisierung in der LINKEN
einladen. Da wir unsere Kräfte fokussieren müssen,
liegt ein Schwerpunkt dabei auf den sozialen
Dienstleistungen. Unterfinanzierung und
Wettbewerbsorientierung führen hier zu verstärkten
Protesten, Streiks und neuen Bündnismöglichkeiten.
Wir wollen die Kämpfe um eine Aufwertung der sozialen
Dienstleistungen und um mehr Personal in Bildung,
Pflege und Gesundheit unterstützen.?
Die Mehrheit auf dem
Parteitag, wie immer überwiegend aus Funktions- und
MandatsträgerInnen sowie Beschäftigten von Partei,
Fraktionen und MandatsträgerInnen, scheint dem
Vorschlag, der nicht zur Abstimmung stand, nicht
ablehnend gegenüber zu stehen , wie die Redebeiträge
und der Tenor beschlossener Anträge zeigen. Offenbar
überzeugt er in der aktuellen Problemlage mehr als
die ?Mitte-Integration? mit der die sogenannten
Reformer der Partei die Mitregierungsperspektive
trotz einbrechender Wahlergebnisse erhalten wollen.
Die Wahl des Parteivorstands bescherte diesmal
manchem Reformer eine Niederlage und beförderte
andererseits eine ganze Reihe profilierter
Parteilinker in den Vorstand.
Vor den Wahlen in Berlin und in
Mecklenburg-Vorpommern im September wird auch eine
neue Strategie allerdings nicht mehr viel bewirken
können und selbst ein bescheidener Einfluss auf das
Ergebnis der Bundestagswahl in Herbst 2017 ist
fraglich, da die Verankerung in sozialen
Brennpunkten, Gewerkschaften und Betrieben sowie die
Organisierung sozialen Protestes erst mittel- bis
langfristig gelingen kann.
Überhaupt verlangt die vorgeschlagene Neuausrichtung
von der Partei und ihren Mitgliedern einen Auf- und
Umbruch. Der seit 2007 betriebene Parteiaufbau im
Westen ist nämlich gründlich misslungen. Von ca.
57.000 Mitgliedern der Linkspartei leben nur rund
19.000 in den alten Bundesländern ? die Fluktuation
ist hier hoch. Überall im Bundesgebiet sind die
meisten Mitglieder der Partei aus unterschiedlichen
Gründen inaktiv. Aktive Mitglieder sind oft sehr
ausgelastet durch Vorstandsämter, kommunale Mandate
und ähnliches. Die Fokussierung der bestehenden
Mitgliedschaft auf den parlamentarischen Betrieb,
egal auf welcher Ebene, ist zudem hinderlich.
Folgerichtig fordern Kipping und Riexinger auch
zugleich eine Mitgliederoffensive. Dabei wollen sie
neue Wege beschreiten und
Neumitglieder vornehmlich ?in gezielter Verknüpfung
mit aktuellen gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen? gewinnen.
Die Verschränkung der beschriebenen Aufgaben, die
sich der Partei stellen, lässt sehr daran zweifeln ob
ohne ein radikales Umsteuern in der täglichen
politischen Praxis ? auch des Mitregierens - und die
Konzentration der meisten Ressourcen der Partei diese
Aufgaben bewältigt werden können. Diesbezügliche
Bemühungen verdienen aber jedenfalls Unterstützung.
30.05.16
- Den Kommentar
erhielten wir von der Autorin für diese Ausgabe.
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