Einige Studenten
und Studentinnen aus Freiburg wandten sich an an mich
und stellten einige Fragen zur Lage in Kosova. Die
Antworten sind grundsätzlicher Natur -bezüglich der
ethnischen Teilung, der organisierten Kriminalität
und des Massenelends in Kosova-. Es wird auch
versucht Lösungsmöglichkeiten
aufzuzeigen. /
Dokumentation
1. Wie würden Sie den Kosovo
in einem Satz beschreiben?
Ein wunderschönes Land in dem die Menschen in
sozialer Not und Elend dahinvegetieren.
2. Was geschieht momentan im Kosovo? Wie sieht
die aktuelle Situation aus?
Max Brym: Im August letzten Jahres schloss die
kosovarische Regierung ein Abkommen mit dem
serbischen Staat ab. Das Abkommen teilt Kosova
ethnisch. Der so genannte „Verband serbischer
Kommunen“ erhält einen eigenen Etat, eigene Beamte
ein eigenes Gesundheitssystem und darf ganz legal 500
Beamte aus Belgrad einstellen. Damit wird Kosova zum
zweiten Bosnien auf dem Balkan. Das Hoheitsgebiet
Belgrads wird auf mehr als 24% Kosovas installiert.
Dagegen gibt es natürlich Widerstand. Dieser
Widerstand existiert innerhalb und außerhalb des
Parlaments. Der Widerstand ist nicht nationalistisch,
sondern er versucht die Einheit der Menschen in
Kosova unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft zu
erreichen. Gleichzeitig demonstrieren immer mehr
Menschen gegen den neoliberalen
Privatisierungsprozess, welcher bis dato 77.000
Arbeitsplätze kostete. Bei den Massenprotesten wurden
massiv soziale Rechte, soziale
Grundsicherungsmechanismen und Arbeiterrechte
eingefordert. |
Max Brym lässt das Jahr 2015 mit seinen teils
dramatischen Geschehnissen Revue passieren.
Verarbeitet werden die politischen, ökonomischen
und kulturellen Ereignisse aus den vergangenen
zwölf Monaten. So entsteht ein alternatives
Tagebuch zu den aktuellen politischen und
ökonomischen Debatten. |
3. Nehmen Sie Stellung zu den gegenwärtigen
Aktionen (Proteste gegen die Regierung, Tränengas im
Parlament, Verhaftung von Politikern, etc.)
Max Brym: Die Regierung in Kosova nimmt immer mehr
faschistoid bonapartistische Züge an. Es wurden
Parlamentsabgeordnete wegen dem Einsatz von Tränengas
im Parlament verhaftet. Außerhalb des Parlaments
wendet die Polizei massiv Gewalt gegen friedliche
Demonstranten an. Am 28. November 2015 stürmten
„Antiterroreinheiten“ mit Gewehren und scharfer
Munition ausgerüstet, das Büro der „Bewegung für
Selbstbestimmung“ ( VV) in Prishtina. Dabei wurden
sogar Tote in Kauf genommen. Es gibt gegenwärtig in
Kosova viele politische Gefangene, die allein wegen
ihrer Teilnahme an Protesten inhaftiert wurden. Die
Regierung verweigert eine Abstimmung über das
Abkommen mit Serbien im Parlament. Dies deshalb weil
sie im Parlament keine Mehrheit für das Abkommen
bekommen würde. Das Urteil des Verfassungsgerichtes
bezeichnete das Abkommen „ Zajdnica“ in weiten Teilen
als verfassungswidrig.Das Urteil des „
Verfassungsgerichtes“ wird einfach ignoriert.
4. In welchen Bereichen sehen Sie im Kosovo
Schwächen und Probleme?
Max Brym Rund 17 % der Bevölkerung leben von weniger
als einem Euro pro Tag. Knapp 37 % der Bevölkerung
müssen mit weniger als zwei Euro am Tag auskommen.
Der Euro ist in Kosova Landeswährung und die Preise
lassen sich in weiten Teilen mit den Preisen in
Deutschland vergleichen. Es gibt keine
Krankenversicherung und keine
Arbeitslosenversicherung. Gleichzeitig ist Kosova das
Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit in ganz
Europa. Bis dato wurden 600 Firmen privatisiert. 500
Firmen erwarben örtliche Mafioso, die sich Politiker
nennen. In den privatisierten Betrieben wurden im
Schnitt 50 % der Beschäftigten entlassen. Eine
Abfindung welche den Entlassenen gesetzlich zusteht
wird ihnen meist vorenthalten. Der Lohn im
privatisierten Bereich der Wirtschaft liegt zwischen
150 und 250 € im Monat. Arbeitsverträge,
Kündigungsschutz usw. existieren nicht. Viele
Betriebsleiter versuchen die Gründung von
gewerkschaftlichen Organisationen in den
privatisierten Betrieben zu unterbinden. Im
staatlichen Sektor bekommen die Beschäftigten
zwischen 300 und 500 Euro im Monat. Der
Privatisierungsprozess hat Kosova massiv geschadet,
aber er geht permanent weiter. Gegenwärtig geht es im
Rahmen der Privatisierung um die Filetstücke der
kosovarischen Wirtschaft. Der Rohstoffgigant Trepca
in Mitrovica, genauso wie die komplette
Energieversorgung des Landes sind zur Privatisierung
ausgeschrieben. Dadurch wird Kosova die Möglichkeit
genommen Mittel zu generieren, um Sozialprogramme und
Grundsicherungsmechanismen zu finanzieren. Das
Problem ist, dass es in Kosova keine wirklich
organisierte und bewusste Arbeiterbewegung gibt. Die
Reaktivierung der Arbeiterbewegung ist eine
entscheidende Aufgabe.
5. In welchen Bereichen sehen Sie Chancen und
Möglichkeiten zur Verbesserung der Situation?
Max Brym Die gegenwärtige Regierung bestehend aus
PDK-LDK, sowie der Liste Serbska muss gestürzt
werden. Die Regierung verliert zunehmend jegliche
Verankerung in der Bevölkerung. Sie verweigert
allerdings Neuwahlen, weil die Bosse genau wissen,
dass dadurch ihre Pfründe gefährdet werden könnten.
6. Welche Rolle spielen Korruption und
organisierte Kriminalität im Kosovo?
Max Brym: Die Korruption sowie die damit verbundene
organisierte Kriminalität ist in den Kosova ein
Massenphänomen. Erst am 27. April wurde eine Gruppe
um Azem Syla, verhaftet. Azem Syla ist ein hoher PDK
Funktionär, sowie Parlamentsabgeordneter der
Regierungspartei PDK. Vorgeworfen wird der Gruppe- in
dieser Gruppe waren auch Funktionäre des serbischen
Geheimdienstes eingebunden- Betrug und Diebstahl in
Höhe von 30 Millionen €. Es wurden Grundbücher
gefälscht, Personen erpresst sowie illegale
Enteignungen durchgeführt. Diese Aktion der EULEX (
Rechtsstaatsmission der EU) gegen die Syla Gruppe
erweckt den Eindruck als ob die EU etwas gegen die
organisierte Kriminalität im Kosova hätte. Letzteres
ist aber nur bedingt der Fall. Grundsätzlich wünschen
sich die imperialen Staaten welche in Kosova aktiv
sind korrupte Politiker. Mit diesen Leuten ist es
leicht im internationalen Rahmen zu arbeiten. Ein
korrupter Politiker kann es sich nicht leisten
bestimmte Verträge, welche von der EU gewünscht
werden abzulehnen. Er läuft sonst Gefahr sofort ins
Gefängnis zu gehen. Dennoch gehen bestimmten
internationalen Investoren, die organisierte
kriminellen Banden in Kosova zu weit. Nicht jeder
Investor hat ein Interesse daran ,Banditen im Rahmen
des Ausschreibungsprozesses für wichtige Sektoren der
Wirtschaft mit hohen Schmiergeldzahlungen zu
bedienen.
7. Wie bewerten Sie die momentane
Regierung/Politik/Wahl des Präsidenten?
Max Brym: Dieser Regierung fehlt jegliche
Massenverankerung im Volk. Die Politiker Kosovas sind
eine Ansammlung von politisch maskierten Kriminellen.
Dennoch versucht sich diese Regierung demokratisch zu
maskieren. Die Wahl des Präsidenten Thaci fand in
Abwesenheit der Opposition im Parlament statt. Schon
allein dadurch ist die Wahl ein illegaler Akt
gewesen. Thaci wurde erst im dritten Wahlgang zum
Präsidenten gewählt. Es gelang der PDK Mafia
abweichende Abgeordnete in den Pausen unter Druck zu
setzen. Anderen wurden wurden lukrative Geschäfte
versprochen. Aus diesen und anderen Gründen ist die
Wahl von Thaci nichts anderes als ein illegaler Akt.
8. Kosovo nach dem
Krieg: stabil oder fragil?
Max Brym: Das Paradigma der „Internationalen“ ist der
Begriff Stabilität. Solange in Kosova nicht
geschossen wird solange es keine Massaker gibt wie in
Syrien, scheint für die „Internationalen“ und die EU
Bürokratie, die Lage in Ordnung zu sein. Es gibt eine
fragile grausame Lage in Kosova verbunden mit
Massenarmut und Verzweiflung. Kosova kann jederzeit
explodieren.
9. Würden Sie der
Annahme, dass der Kosovo ein sicherer Herkunftsstaat
ist, zustimmen? Bitte begründen Sie. (Eventuell:
Bezug zu der Tatsache, dass diese Einstufung
erfolgte, obwohl die Bundeswehr noch vor Ort ist.)
Max Brym Kosova ist kein sicheres Herkunftsland.
Hunger und Kälte stellen Formen massiver
Unterdrückung und Verfolgung dar. Neben der sozialen
Unterdrückung die eine politisch herbeigeführte
Unterdrückung ist gibt es die permanent steigende
offene politische Unterdrückung jeglicher sozialer
und demokratische Opposition in Kosova. Daneben
werden Roma zb. in Fushe Kosova zusätzlich
rassistisch von jeder Teilhabe ausgeschlossen. Die
Roma in dieser Region sind zu 99% ohne Arbeit.
Internationale Polizeibeamte erhalten in Kosova für
ihre Arbeit Risikozuschläge, aber der Öffentlichkeit
in Deutschland wird erzählt Kosova sei sicher. Das
ist ein Widerspruch in sich.
10. Gibt es Fälle von
politischer Verfolgung?
Max Brym: Immer wieder, wie schon oben ausgeführt
werden Parlamentsabgeordnete für 30 Tage ins
Gefängnis geworfen. Massiver noch werden meist
jugendliche Aktivisten der „Bewegung für
Selbstbestimmung“ verfolgt. Ich könnte ihnen eine
ellenlange Liste von politisch Verfolgten in Kosova
aufzählen. Betroffen sind Studenten, Arbeiter aber
auch Stadträte, wie der kürzlich verhaftete Stadtrat
aus Prizren, Aziz Abrashi von VV.
11. Wie bewerten Sie die
Justiz im Kosovo?
Max Brym: Die Justiz in Kosovo verfolgt die
Korruption im Lande nicht. In weiten Teilen ist die
Justiz eine politische Justiz, welche Anhänger und
Anhängerinnen der Opposition in die Gefängnisse des
Landes wirft. Eine unabhängige Justiz gibt es in
Kosova nicht. Auch die internationalen Staatsanwälte
und Richter verfolgen nur am Rande die kriminellen
Banden in Kosova. Es ist eine entscheidende Aufgabe
den Justizapparat Kosovas zu verändern und eine
unabhängige, den sozialen und demokratischen Rechten
des Volkes entsprechende Gerichtsbarkeit zu schaffen.
|