TREND Serie zum 200. Geburtstag

Friedrich Engels und die deutsche Arbeiterbewegung*

von Horst Bartel

06/2020

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Friedrich Engels, dessen Geburtstag sich am 28. November zum 145. Male jährte, wurde von seinen Freunden wegen seines militärischen Wissens ehrend „General" genannt. „General" im wahrsten Sinne des Wortes war Engels aber vor allem in der Strategie und Taktik des proletarischen Klassenkampfes. Sein Wissen, seine Übersicht, seine Erfahrungen und Ratschläge beeinflußten und bestimmten den Kampf der internationalen Arbeiterbewegung und ihrer einzelnen nationalen Abteilungen, deren Führer fast alle in direkter Verbindung mit dem Mitbegründer des wissenschaftlichen Kommunismus standen.

Besonders eng war Friedrich Engels mit dem marxistischen Führungskern der revolu­tionären deutschen Sozialdemokratie um August Bebel verbunden. Für den Führer der deutschen Sozialdemokratie war es von unschätzbarem Wert, in den Auseinandersetzun­gen um die prinzipiellen Grundlagen und die Strategie und Taktik der revolutionären Massenpartei der Arbeiterklasse den Hüter und Wahrer des Marxschen Erbes als kriti­schen Freund und Kampfgenossen an seiner Seite zu wissen. Die marxistischen Führer der deutschen Sozialdemokratie bemühten sich, den wissenschaftlichen Kommunismus zur Richtschnur des Kampfes der Arbeiterklasse zu machen. Aus der Verbindung wich­tiger Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus mit der unmittelbaren Praxis des Klassenkampfes ergab sich ständig von neuem die Bestätigung der Grundsätze des wis­senschaftlichen Kommunismus. Diese Verbindung befähigte auch die deutsche Sozial­demokratie, neue Probleme des proletarischen Klassenkampfes - so etwa die Ausarbei­tung der revolutionären Parlamentstaktik, die Verknüpfung des legalen mit dem illega­len Kampf unter dem Sozialistengesetz, die Entwicklung des konsequenten antimili­taristischen Kampfes, die Bildung neuer Organisationsformen des Proletariats - aufzu­greifen und mit ihrer Lösung das Arsenal der internationalen Arbeiterbewegung zu bereichern. Die praktischen Erfahrungen, die Probleme und die theoretischen Leistungen des Kampfes der deutschen Arbeiterbewegung wurden von Friedrich Engels stets auf­merksam beobachtet, kritisch analysiert und - mit den Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung - theoretisch verallgemeinert. In London, Regent's Park Road, wohnte, wie August Bebel später am Grabe des Mitbegründers des wissenschaftlichen Kommunismus sagte, „der internationale Vertrauensmann des klassenbewußten Prole­tariats aller Länder".(1) Hier standen der revolutionären Sozialdemokratie der theore­tische Reichtum des wissenschaftlichen Kommunismus und der praktische Erfahrungs­schatz der internationalen Arbeiterbewegung zur Verfügung; von hier aus erhielt sie auch ihre selbst gesammelten Erfahrungen, theoretisch verallgemeinert und unter dem Aspekt des internationalen Klassenkampfes geprüft und bereichert, wieder zurück. Wie für jede der im nationalen Rahmen wirkenden Arbeiterparteien war für die deutsche Sozialdemokratie die Verbindung mit Friedrich Engels Gewähr dafür, daß sie sich weder im Praktizismus des tagtäglichen Kleinkrieges verlor noch in engen Provinzialismus ver­fiel. Das Wechselverhältnis zwischen theoretischer Erkenntnis - praktischer Erfahrung -theoretischer Verallgemeinerung und ihrer Wiederanwendung in der Praxis, wie es Lenin in seiner berühmten Erkenntnisformel zusammenfaßte, war für die Partei August Bebels in doppelter Richtung wirksam: einmal innerhalb der deutschen Arbeiterbewe­gung im Zusammenspiel von revolutionärer Konzeption, strategischer und taktischer Führung des Klassenkampfes, im direkten Klassenkampf und in der organisatorischen, politi­schen und agitatorischen Kleinarbeit, und zum anderen im internationalen Maßstab durch die Verbindung der revolutionären deutschen Sozialdemokratie mit Friedrich Engels und dem wissenschaftlichen Kommunismus.

Wenn Friedrich Engels der Entwicklung und dem Kampf der deutschen Sozialdemo­kratie besondere Aufmerksamkeit widmete, so lag der Grund dafür nicht nur in seiner inneren Verbundenheit mit der deutschen revolutionären Bewegung, sondern auch in der von Engels immer wieder hervorgehobenen Rolle, die der Kampf der deutschen Partei in den Jahren vor und während der Zeit des Sozialistengesetzes im Rahmen der inter­nationalen Arbeiterbewegung objektiv einnahm. Wurde doch die Formierung des Prole­tariats vieler Länder und die Durchsetzung der Prinzipien des Marxismus in den nationa­len Formationen des Proletariats vom Erfolg des Kampfes der damals größten sozialisti­schen Partei gegen die Bismarck-Diktatur und den preußisch-deutschen Militarismus wesentlich beeinflußt.

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Rein äußerlich läßt sich die immense Arbeit von Friedrich Engels für die Unterstüt­zung der deutschen Sozialdemokratie schon an den vielen Arbeiten und Beiträgen ab­lesen, die er für die wichtigsten Organe der Partei - den zunächst in Zürich, seit 1888 in London redigierten und herausgegebenen „Sozialdemokrat" und die in Stuttgart erschei­nende „Neue Zeit" - schrieb, zusammenstellte oder bearbeitete.(2) Dabei sei vermerkt, daß Engels außerordentlichen Wert darauf legte, Arbeiten von Karl Marx neu zu publizieren. Abgesehen von der unermüdlichen Arbeit für die Drucklegung von bisher nichtveröffent-lichten großen Arbeiten von Marx - hier seien nur die Bände II und III des „Kapital" und „Das Elend der Philosophie" genannt -, zeigte sich hier, daß der „General" bewußt die Kontinuität in der Entwicklung des Marxismus deutlich machen und die aktuelle und allgemeingültige Bedeutung der Werke von Karl Marx für jede Etappe in der Ent­wicklung der sozialistischen Bewegung hervorheben wollte.

Für die deutsche Sozialdemokratie war die Unterstützung durch Friedrich Engels in den Jahren nach dem Tode von Karl Marx besonders wichtig. Zwischen 1883 und 1887 fanden im Zusammenhang mit den Köderungsversuchen Bismarcks innerhalb der Partei Auseinandersetzungen statt, die - veranlaßt durch verschiedene Vorstöße von opportu­nistischen Reichstagsabgeordneten - die Stellung der Arbeiterklasse zum Staat und dar­über hinaus alle Fragen der marxistischen Strategie und Taktik zum Gegenstand hatten.

Friedrich Engels griff schon 1883 mit der deutschen Ausgabe der aus drei Kapiteln des „AntkDühring" erarbeiteten Schrift „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft" in die Auseinandersetzungen ein. In dieser Schrift, die illegal in Deutschland verbreitet werden mußte und binnen kurzem drei Auflagen mit insgesamt 10 000 Exemplaren erreichte, legte Engels die marxistische Geschichtsauffassung dar und zeigte besonders im Abschnitt „Die kapitalistische Entwicklung" die historische Rolle und die Aufgabe des Proletariats. 1884 erschien Friedrich Engels* wichtigste Arbeit die­ser Zeit: „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats", in der er das opportunistische Gerede von der zwischen den Klassen ausgleichenden Funktion des Staates bzw. der Gesetzgebung, wie sich die Opportunisten ausdrückten, widerlegte und die Entstehung des Staates als Klasseninstrument nachzeichnete.

Diese grundlegende Arbeit über die marxistische Staatstheorie wurde durch die Neuauflage der Arbeit „Zur Wohnungsfrage" im Jahre 1887 ergänzt. Darin gab Engels eine klare Charakterisierung des preußisch-deutschen Bonapartismus, jener Form der Herr­schaft in Deutschland, mit der sich die Sozialdemokratie auch noch 1887 auseinanderzu­setzen hatte, und wozu sie sich die notwendigen spezifischen strategischen und taktischen Schritte erarbeiten mußte.

Gegen den in jener Zeit von verschiedenen bürgerlichen Wissenschaftlern und regie­rungstreuen Publizisten gepflegten „Staatssozialismus" richtete sich die dritte von Engels besorgte Auflage des ersten Bandes des „Kapital", die Herausgabe der Marxschen Arti­kel „Lohnarbeit und Kapital" aus dem Jahre 1849, das Votwort zu „Das Elend der Philosophie", das Anfang 1885 in der „Neuen Zeit" unter dem Titel „Marx und Rod-bertus" erschien, und nicht zuletzt der zweite Band des „Kapital", der - von Engels zum Druck vorbereitet - im Juli 1885 als Buch herauskam.

Diese großen Arbeiten von Friedrich Engels oder die von ihm neu herausgegebenen Werke von Marx zielten in erster Linie auf die Klärung grundsätzlicher Fragen des Klassenkampfes, der Rolle des Proletariats und der marxistischen Staats- und Revolu­tionstheorie ab. Mit diesen Arbeiten trug Friedrich Engels wesentlich dazu bei, den deutschen Sozialdemokraten das Bewußtsein ihrer historischen Mission und von der Rolle ihrer Partei zu geben. In seinem Aufsatz „Marx und die ,Neue Rheinische Zeitung' 1848-1849" aus dem Jahre 1884 zitierte er denn auch noch einmal den entscheidenden Passus des Kommunistischen Manifests: „,Die Kommunisten sind also praktisch der ent­schiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder, sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus."3)

Darüber hinaus war Engels stets bemüht, der deutschen Sozialdemokratie die marxi­stischen Prinzipien der Strategie und Taktik zu erläutern und zu helfen, sie entspre­chend den Kampfbedingungen unter dem Sozialistengesetz und der bonapartistischen Diktatur anzuwenden.

Dem dienten solche Arbeiten wie „Marx und die ,Neue Rheinische Zeitung* 1848 bis 1849", „Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten" und die Veröffentlichung von Auszügen aus dem Kommunistischen Manifest. Dabei zeigte er, daß die Grundprinzi­pien der Politik des Bundes, die strategischen und taktischen Erfahrungen der von Marx geleiteten Organisation und deren theoretische Grundlagen auch für die Sozialdemokratie der 80er Jahre „Richtschnur" - wie sich Engels ausdrückte - waren(4).

Diese Arbeiten erschienen im „Sozialdemokrat". Engels Mitarbeit an dieser Zeitung ist aber weit umfangreicher, als es die von ihm gezeichneten Beiträge sichtbar machen. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Engels und Eduard Bernstein, seit 1880 Redakteur des „Sozialdemokrat", und seine Briefe an Karl Kautsky, von 1880 bis 1885 eifriger Mitarbeiter des Blattes, zeigen, daß Engels zu fast allen wichtigen Fragen Ratschläge gab. Er regte grundsätzliche theoretische Artikel an und war in den innerparteilichen Auseinandersetzungen 1881/82 und 1884/85 wichtigster Ratgeber der Redaktion des Parteiorgans. Die Auseinandersetzung des „Sozialdemokrat" mit der Bismatckschen Sozialreformpolitik, die eindeutige Absage an die opportunistischen Praktiken und Theo­rien einer Reihe sozialdemokratischer Reichstagsäbgeordneter und die Uberwindung alter Lassallescher Thesen und Ansichten, d. h. die Durchsetzung marxistischer Prinzipien in Theorie und Praxis - das alles war die Frucht der Bemühungen von Friedrich Engels und der damit einhergehenden schöpferischen Tätigkeit der deutschen Sozialdemokraten.

Ein zentrales Problem in der Diskussion zwischen Engels und den Führern der deut­schen Sozialdemokratie in den 80er Jahren war das Verhältnis von Demokratie und Sozialismus, die Wechselbeziehung zwischen demokratischem und sozialistischem Kampf und die damit zusammenhängende grundsätzliche strategische Frage der Stellung zum Kampf um die demokratische Republik. Von der richtigen Antwort auf diese Frage hing die Zielsetzung des Kampfes gegen die bonapartistische Diktatur Bismarcks und gegen den preußisch-deutschen Militarismus ab. Engels ging es dabei vor allem um die Über­windung verschiedener mit der Lassalleschen Phrase von der „einen reaktionären Masse" und der damit zusammenhängenden Unklarheiten und Mißverständnisse über die Strate­gie und Taktik im Kampf um die Macht. Besonders seit 1883 legte Friedrich Engels in Briefen und Artikeln immer wieder dieses Problem dar. „Der große Fehler bei den Deutschen ist"; schrieb er im August 1883 an Bernstein; „sich die Revolution als ein über Nacht abzumachendes Ding vorzustellen. In der Tat ist sie ein mehrjähriger Ent­wicklungsprozeß der Massen unter beschleunigenden Umständen." „Bei uns kann und muß das erste, unmittelbare Resultat der Revolution; der Form nach, ebenfalls nichts andres sein als die bürgerliche Republik." Sie bilde zwar nur ein Durchgangsmoment, aber sie „dient uns zunächst zur Eroberung der großen Massen der Arbeiter für den revolutionären Sozialismus"(5) Den gleichen Gedanken legte Engels in seiner Schrift „Der Ursprung der Familie; des Privateigentums und des Staats" dar, als er schrieb, daß in der demokratischen Republik; der höchsten Staatsform der modernen Gesellschaft, „der letzte Entscheidungskampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie allein ausgekämpft wer­den kann".(6)

Wenn auch die führenden Sozialdemokraten nicht alle Konsequenzen aus diesen Arbeiten zogen(7), so erreichte Friedrich Engels mit seinen Darlegungen, daß im „Sozial­demokrat" eine im wesentlichen richtige, den Klassenverhältnissen in Deutschland ent­sprechende Politik verfolgt wurde. Die Konzeption dieser Politik war auf einen umfas­senden Volkskampf gegen die bonarpartistische Diktatur und den preußisch-deutschen Militarismus gerichtet, auf eine Ergänzung der Revolution von oben durch die Revo­lution von unten, wie Engels einmal formulierte. Sehr deutlich sichtbar wurde das im Wahlaufruf der Partei von 1887, einem der bedeutendsten programmatischen Dokumente der deutschen Sozialdemokratie gegen den preußisch-deutschen Militarismus. In diesem Aufruf, in dem die Rolle des preußisch-deutschen Militarismus klar gekennzeichnet wurde, hieß es, daß Militarismus und Demokratie unvereinbare Gegensätze seien. Gegen die innen- und außenpolitischen Machtansprüche Bismarcks - in einer wüsten chauvini­stischen Hetze hochgespielt - forderte die Partei „für die Volksvertretung die äußersten Machtbefugnisse".(8) Indem sich die Partei gleichzeitig vom damaligen Reichstag und seiner Rolle wie auch vom bürgerlichen Parlamentarismus abgrenzte, entsprach diese Losung den wirklichen Kampfbedingungen. Die Sicherung und Erweiterung demokra­tischer Rechte - und damit die Frage der Demokratie - wurde bewußt in den Mittel­punkt der politischen Auseinandersetzung gerückt und damit dem Kampf gegen das militaristische System in Preußen-Deutschland die richtige Stoßrichtung gegeben.

Die Problematik des Verhältnisses von Demokratie und Sozialismus im proletarischen Befreiungskampf trat mit besonderer Schärfe nach dem Sturz des Sozialistengesetzes 1890 in den Vordergrund.

Als die deutsche Sozialdemokratie daran ging, die Erfahrungen ihres siegreichen Kampfes gegen Bismarck und das Sozialistengesetz durch die Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms zu fixieren, stand ihr Friedrich Engels mit seinem ganzen Erfahrungs­schatz zur Seite. Friedrich Engels sorgte in der zweiten Januarhälfte 1891 für die Ver­öffentlichung der berühmten Marxschen „Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei" aus dem Jahre 1875, die bis dahin nur einem kleinen Kreis der deut­schen Parteiführer bekannt waren. Damit machte er die ganze Diskrepanz zwischen dem alten Gothaer Programm von 1875 und dem wissenschaftlichen Kommunismus sichtbar. Auf diese Weise gab er der Programmdiskussion die feste, sichere Grundlage des wissen­schaftlichen Kommunismus. Die Marxschen „Randglossen"; nach dem Kommunistischen Manifest und dem „Kapital" das wichtigste theoretische Dokument des wissenschaft­lichen Kommunismus(9), hatten entscheidenden Einfluß auf die Ausarbeitung des neuen Parteiprogramms. Mit vollem Recht erklärte Friedrich Engels: „Es macht jede Halbheit und Phrasenhaftigkeit im nächsten Programm unmöglich und liefert unwiderstehlich Argumente, die die meisten von ihnen vielleicht kaum den Mut gehabt hätten, aus eige­ner Initiative hervorzubringen."(10)

Zwei Monate später leistete Friedrich Engels mit der Neuauflage von Marx' „Der Bürgerkrieg in Frankreich", der meisterhaften Darlegung der Geschichte und der Lehren der Pariser Kommune, einen weiteren wichtigen Beitrag zur theoretischen Grundlegung des neuen Parteiprogramms. Diese Neuauflage, in deren Vorwort Engels nochmals auf die Bedeutung der Diktatur des Proletariats hinwies, erschien in einer Auflage von 10 000 Exemplaren.

Mitte Juni 1891 erhielt Friedrich Engels den vom Parteivorstand mehrfach beratenen und veränderten Programmentwurf.(11) Engels legte sofort alle anderen Arbeiten beiseite und analysierte gründlich den Programmentwurf. Engels erkannte an: „Der jetzige Ent­wurf unterscheidet sich sehr vorteilhaft vom bisherigen Programm. Die starken Über­reste von überlebter Tradition - spezifisch lassallischer wie vulgärsozialistischer - sind im wesentlichen beseitigt, der Entwurf steht nach seiner theoretischen Seite im ganzen auf dem Boden der heutigen Wissenschaft und läßt sich von diesem Boden aus disku­tieren." (12) In seiner Kritik des Programmentwurfs konzentrierte er sich auf das Problem des dialektischen Verhältnisses von demokratischem und sozialistischem Kampf, auf das Problem des Weges zur Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse. Das war genau der Problemkreis, der im Prozeß der Aneignung des Marxismus in der deut­schen Sozialdemokratie theoretisch nicht geklärt wurde.

Friedrich Engels machte die Parteiführung darauf aufmerksam, daß die konkreten Ein­zelforderungen des Programmentwurfs „einen großen Fehler" hätten: „Das, was eigent­lich gesagt werden sollte, steht nicht drin. Wenn alle diese 10 Forderungen bewilligt wären, so hätten wir zwar diverse Mittel mehr, um die politische Hauptsache durchzu­setzen, aber keineswegs die Hauptsache selbst."13) Was war diese „Hauptsache"?

Klarheit herrschte, wie der theoretische Teil des später angenommenen Erfurter Pro­gramms ausweist, über das Endziel des proletarischen Klassenkampfes, nämlich über die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse als Voraussetzung für die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Klarheit herrschte auch über die unmittelbaren Tagesforderungen der Arbeiterklasse. Keine Klarheit bestand über den Zusammenhang zwischen dem Kampf um Demokratie und Sozialismus. Die sozialdemokratische Führung erkannte nicht, daß das Ziel der nächsten Etappe des Klassenkampfes zunächst nur die Erkämpfung einer demokratischen Republik sein konnte und daß diese erst den Ausgangspunkt und die Voraussetzung für den Kampf um die politische Macht der Arbeiterklasse bilden könne. Sie meinte vielmehr, daß infolge der raschen industriellen Entwicklung in Deutschland und des Fehlens einer echten bürgerlich-demokratischen Bewegung die nächste Revolution nur eine proletarische Revolution sein könne.

Man schiebt allgemeine, abstrake politische Fragen in den Vordergrund", schrieb Friedrich Engels in seiner berühmten Erfurter Programmktitik, „und verdeckt dadurch die nächsten konkreten Fragen, die Fragen, die bei den ersten großen Ereignissen, bei der ersten politischen Krise sich selbst auf die Tagesordnung setzen. Was kann dabei herauskommen, als daß die Partei plötzlich, im entscheidenden Moment ratlos ist, daß über die einschneidendsten Punkte Unklarheit und Uneinigkeit herrscht, weil diese Punkte nie diskutiert worden sind."(14) Engels appellierte geradezu an die Parteiführung: „Bei der allgemeinen Unsicherheit können jene Fragen von heute auf morgen brennend werden, und was dann, wenn wir sie nicht diskutiert, uns nicht darüber verständigt haben?"(15).

Die Ansichten Friedrich Engels' über das dialektische Wechselverhältnis von Demo­kratie und Sozialismus und insonderheit über die Rolle des Kampfes um Demokratie im Klassenkampf des Proletariats haben auch heute vor allem in Westdeutschland nichts von ihrer aktuellen Bedeutung eingebüßt. Zwar haben sich die historischen Bedingun­gen seit Engels' Wirken grundlegend verändert, aber der Kampf um Demokratie und Frieden hat in der gegenwärtigen Zeit unter den heutigen Bedingungen des staats­monopolistischen Kapitalismus im anderen Teil Deutschlands noch an Bedeutung ge­wonnen. Schlagen solche rechtssozialistischen Führer wie Erler, Wehner und andere die Lehren der Geschichte der Arbeiterbewegung und des wissenschaftlichen Sozialismus übet die Notwendigkeit des demokratischen Kampfes in den Wind, obwohl es höchste Zeit ist, sich darauf erneut zu besinnen, so handeln viele sozialdemokratische Arbeiter und Gewerkschafter durchaus im Geiste von Friedrich Engels, wenn sie gegen die Not­standsgesetze und gegen alle Anschläge der Reaktion auf die Gewerkschaften kämpfen.

Der Weg zur sozialistischen Revolution wurde von Friedrich Engels als Kardinal­problem für den erfolgreichen Kampf der Arbeiterklasse immer wieder behandelt. Ein Ausgangspunkt für Engels war der „in einem großen Teil der sozialdemokratischen Presse einreißende Opportunismus".(16) „Dies Vergessen der großen Hauptgesichtspunkte über den augenblicklichen Interessen des Tages" schrieb Engels, „dies Ringen und Trachten nach dem Augenblickserfolg ohne Rücksicht auf die späteren Folgen, dies Preis­geben der Zukunft der Bewegung um der Gegenwart der Bewegung willen mag »ehrlich6 gemeint sein, aber Opportunismus ist und bleibt es."(17) Damit warnte Engels nicht nur vor opportunistischen Abweichungen, sondern entwickelte einen gerade für die inner­parteilichen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre, für den Kampf gegen den Oppor­tunismus entscheidenden Gesichtspunkt. So, wie ohne Klärung der Notwendigkeit des demokratischen Etappenziels für den sozialistischen Kampf nicht die Strategie und Tak­tik für den Kampf um die politische Herrschaft der Arbeiterklasse geklärt werden konnte, so konnte auch der Opportunismus nicht entscheidend geschlagen werden.

Wenn etwas feststeht, so ist es dies", erklärte Engels, „daß unsre Partei Und die Arbeiterklasse nur zur Herrschaft kommen kann unter der Form der demokratischen Republik . .. Aber das Faktum, daß man nicht einmal ein offen republikanisches Partei­programm in Deutschland aufstellen darf, beweist, wie kolossal die Illusion ist, als könne man dort auf gemütlich-friedlichem Weg die Republik einrichten, und nicht nur die Republik, sondern die kommunistische Gesellschaft."(18)

Wie sollte die demokratische Republik aussehen? Natürlich mußten die „kolossalen Reste von Feudalismus" beseitigt werden, „die unsrer ganzen politischen Sauerei in Deutschland ihr spezifisch reaktionäres Gepräge geben". (19) Im Verlauf des proletarischen Klassenkampfes und des Revolutionsprozesses mußte die Arbeiterklasse „alle Forderun­gen" verfechten, „welche sie diesem Ziel näherführen \ die Arbeiterklasse mußte zunächst „die versäumte Arbeit der Bourgeoisie nachholen".(20) Sie mußte die „Forderung der Konzentration aller politischen Macht in den Händen der Volksvertretung" verwirklichen. Dazu gehörte die „Rekonstitution Deutschlands". (21) Gegen föderalistische Tendenzen hob Engels nachdrücklich hervor: „Und wir haben nicht die 1866 und 1870 gemachte Revolution von oben wieder rückgängig zu machen, sondern ihr die nötige Ergänzung und Verbesserung zu geben durch eine Bewegung von unten." (22) Die Volksmassen muß­ten - unter Führung durch die Partei - darum kämpfen, daß „die Kleinstaaterei besei­tigt" wird.

Die konkreten Hinweise Engels' fanden zu einem großen Teil in den nochmals über­arbeiteten Programmentwurf Eingang, den der Parteivorstand am 4. Juli 1891 veröffent­lichte und „zur Kenntnis und Kritik der Genossen"(23) unterbreitete. In über 400 Ver­sammlungen berieten die Parteimitglieder den Programmentwurf; die breite Diskussion zeigte den Widerhall der Marxschen „Randglossen" in der deutschen Arbeiterbewegung und spiegelte den Grad der Durchsetzung des Marxismus in der deutschen Arbeiter­bewegung wider.

Die Auffassungen Friedrich Engels' über die dialektische Verflechtung des Kampfes der Arbeiterklasse um Demokratie und Sozialismus; über die Strategie und Taktik des Kampfes um die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse hatten nicht nur grundlegende Bedeutung für das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, sondern sie gehören zum unverlierbaren Gedankengut der marxistisch-leninistischen Revolutions­theorie. W. I. Lenin griff diese Ideen bei der Ausarbeitung seiner Revolutionstheorie auf und entwickelte sie unter den neuen Bedingungen des Klassenkampfes des Proletariats im 20. Jahrhundert schöpferisch weiter. Die Ideen und Gedanken von Engels über den Kampf um Demokratie und Sozialismus spielten ebenso wie auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale so auch auf der Brüsseler Parteikonferen&der Kom­munistischen Partei Deutschlands bei der Neuorientierung der Strategie und Taktik der kommunistischen Parteien eine wesentliche Rolle. Sie sind schöpferisch aufgenommen worden bei der Ausarbeitung und Verwirklichung der Politik unserer Partei. Die Durch­führung der antifaschistisch-demokratischen und sozialistischen Revolution in der Deut­schen Demokratischen Republik sind eine glänzende Bestätigung für die Richtigkeit der Grundgedanken von Friedrich Engels. Für die Politik der revolutionären Arbeiterbewe­gung in Westdeutschland haben sie heute noch programmatischen Charakter. So führt eine kontinuierliche Linie von der Entwicklung der sozialistischen Revolutionstheorie von Marx und Engels über die Revolutionsauffassungen Lenins und der Politik der in der Kommunistischen Internationale zusammengeschlossenen kommunistischen Parteien bis zur Strategie und Taktik unserer Partei.

Gerade diese Kontinuität, die sich anhand unbestreitbarer Tatsachen nachweisen läßt, wird von der bürgerlich-imperialistischen und auch rechtssozialdemokratischen Geschichtsschreibung heftig bestritten. Neben der seit Jahrzehnten vorherrschenden Auffassung bürgerlicher wie auch rechtssozialdemokratischer Historiker und Publizisten, Marx und Engels sowie der von ihnen begründete Marxismus hätte keinen Einfluß auf die deutsche Arbeiterbewegung ausgeübt, setzt sich in der jüngsten Zeit immer mehr eine neue Variante durch. Es wird der untaugliche Versuch unternommen, Karl Marx und vor allem Friedrich Engels aus proletarischen revolutionären Sozialisten in friedliche Reform­politiker umzuwandeln. Das Lebenswerk von Marx und Engels, ihre Revolutionsauffas­sungen, die sich vor allem in ihren Kritiken am Gothaer und Erfurter Programmentwurf niederschlagen, widerlegen schlagend diese Behauptungen.

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Der Kampf der deutschen Sozialdemokratie um Demokratie und Sozialismus stand in engstem Zusammenhang mit dem antimilitaristischen Kampf. Als in der Mitte der achtziger Jahre neue Aspekte des antimilitaristischen Kampfes sichtbar wurden, war es Friedrich Engels, der sich eingehend damit beschäftigte.

Der tägliche Klassenkrieg mit dem Bismarckstaat unter dem Sozialistengesetz hatte bei den revolutionären Arbeitern Deutschlands die Erkenntnis gefördert und gefestigt, daß der Kampf um Demokratie und Sozialismus untrennbar mit dem Kampf gegen den preußisch-deutschen Militarismus verbunden ist. Immer deutlicher zeichnete sich eine innen- und außenpolitische Krise der bonapartistischen Diktatur Bismarcks ab - ver­ursacht besonders durch die unaufhaltsame Aufwärtsentwicklung der sozialistischen Bewegung und die wachsende außenpolitische Isolierung des Bismarckreiches, gegen die Bismarck nur ein Mittel wußte: Sicherung der Macht nach innen und außen durch Stär­kung des Militarismus. Die beschleunigte Kriegsrüstung brachte den Werktätigen nicht nur eine Fülle neuer, zusätzlicher Belastungen, sie vergrößerte darüber hinaus die Gefahr eines Krieges zwischen den rivalisierenden europäischen Großmächten.

Friedrich Engels beobachtete aufmerksam und nicht ohne Sorge diese Entwicklung in Europa. In zahlreichen persönlichen Briefen an führende Sozialisten (an Bebel, Lieb­knecht, Lafargue u. a.) und in Artikeln zu aktuellen Tagesfragen erörterte Engels immer wieder eingehend die Entwicklungen und Verwicklungen der europäischen Diplomatie. Wiederholt erklärte er, die Außenpolitik der herrschenden Klassen könne der revolutio­nären Arbeiterbewegung nicht gleichgültig sein. Engels folgerte aus der Situation der achtziger Jahre in Europa, daß ein bewaffneter Konflikt, an dem irgendeine europäische Großmacht beteiligt wäre, eine Lokalisierung des Krieges unwahrscheinlich erscheinen lasse und in einen allgemeinen Krieg hinüberwachsen müsse.(24) Diesen Gedanken, in vielen Briefen ausgesprochen, formulierte er eindringlich in der Einleitung zu Sigismund Borkheims Schrift „Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten" mit den Worten: „Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Welt­krieg, und zwar ein Weltkrieg, von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftig­keit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen, wie noch nie ein Heuschreckenschwarm absolute Un­möglichkeit, vorherzusehn, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf her­vorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse."(25) Ein solcher Krieg liege niemals im Interesse der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Deshalb schrieb er den französischen Sozialisten: „Die Sozialisten beider Länder (Deutschlands und Frankreichs - H. B.) sind gleichermaßen an der Erhaltung des Friedens interessiert, weil sie es wären, die sämtliche Kriegskosten zu bezahlen hätten."(26)

Friedrich Engels war - wie auch Bebel und andere Führer der deutschen und inter­nationalen Arbeiterbewegung - davon überzeugt, daß ein Weltkrieg die Herrschaft der Bourgeoisie brechen und die revolutionäre Entwicklung der Völker beschleunigen mußte. Jedoch die millionenfachen Opfer rechtfertigten keinerlei Spekulation auf eine solche Lösung, denn die Geopferten wären in der Hauptsache die Ausgebeuteten und Unter­drückten. Anarchistische Spekulationen, mit Hilfe eines Weltstreiks, der durch einen Weltkrieg ausgelöst werden sollte, die politischen Machtverhältnisse schlagartig zu ändern, wurden von Engels und seinen Mitkämpfern entschieden zurückgewiesen und als haltlose gefährliche Illusionen enthüllt. Maßgeblich für die Haltung zum Krieg waren andererseits keine pazifistischen oder opportunistischen Auffassungen, sondern die Inter­essen der sozialistischen Bewegung, die grundsätzlich mit den nationalen Interessen der Völker völlig übereinstimmen. „Soviel ist sicher", schrieb Engels 1886 an Bebel, „der Krieg würde unsere Bewegung zunächst in ganz Europa zurückdrängen, in vielen Län­dern total sprengen, den Chauvinismus und Nationalhaß schüren und uns sicher unter den vielen unsicheren Möglichkeiten nur das bieten, daß nach dem Krieg wir wieder von vorn anzufangen hätten, aber auf einem unendlich günstigeren Boden als selbst heute."(27)

Im Aufsatz „Der Sozialismus in Deutschland" formulierte Engels 1891 sehr eindring­lich: Die deutschen Sozialisten müßten „toll sein, wünschten sie den Krieg, bei dem sie alles auf eine Karte setzen, statt den sicheren Triumph des Friedens abzuwarten. Noch mehr. Kein Sozialist, von welcher Nationalität auch immer, kann den kriegerischen Triumph" irgendeiner Regierung wünschen. „Und deshalb sind die Sozialisten in allen Ländern für den Frieden."(28)

Die deutschen Sozialdemokraten und ihre Führer August Bebel und Wilhelm Lieb­knecht billigten nicht nur diese Auffassung, sie propagierten sie in der Parteipresse, in Versammlungen, im Reichstag und kämpften um deren Anerkennung auf den internatio­nalen Kongressen der Arbeiterbewegung. Indem die sozialdemokratische Propaganda sehr gründlich und anschaulich die Wurzeln und die politischen Ursachen der militaristi­schen Unterdrückungs- und Kriegspolitik enthüllte und Wege zur Überwindung dieser Politik zeigte, grenlte sie sich klar von bürgerlich-pazifistischen Friedensschwärmereien ab und bezog auch demokratische Kräfte in ihren antimilitaristischen Kampf ein. Die Arbeiterpartei repräsentierte so die weit über die Klassengrenzen des Proletariats wir­kende Gemeinschaft der Antimilitaristen und Kriegsgegner der ganzen Nation.

Friedrich Engels' Erklärungen, Hinweise und Auseinandersetzungen trugen schließlich maßgeblich dazu bei, daß auf dem Gründungskongreß der II. Internationale in Paris 1889 die sozialistischen Delegierten einmütig einer Resolution über die Rolle des Mili­tarismus zustimmten, in der der programmatische Satz stand: Der Kongreß betrachtet „den Frieden als die erste und unerläßliche Bedingung jeder Arbeiter-Emanzipation".(29) An diesem Grundsatz hielt die II. Internationale in ihren Beschlüssen fest; und selbst zu einer Zeit, in der die Revisionisten in den Parteien der II. Internationale die Herrschaft erlangten, konnten sie es nicht wagen, daran zu rütteln. Dieser Grundsatz wurde zu einem fundamentalen Programmpunkt der revolutionären Arbeiterbewegung bis in unsere Gegenwart.

Friedrich Engels begnügte sich aber nicht allein damit, die deutschen Sozialisten auf die Notwendigkeit des Kampfes um den Frieden hinzuweisen. Gleichzeitig machte er konkrete Vorschläge, wie und mit welchen Forderungen dieser Kampf geführt werden müsse. Aus seiner Feder stammen eine Reihe von Arbeiten, in denen er als Alternative zu dem stehenden preußisch-deutschen Heer die Forderung nach einer Miliz, nach einer demokratischen Wehrorganisation formulierte und begründete. In seiner weit über die Bedeutung des Tages hinausreichenden Artikelserie „Kann Europa abrüsten?" entwickelte Engels - gerichtet gegen die Kriegspolitik der herrschenden Klassen - den ersten kon­kret formulierten Abrüstungsvorschlag der sozialistischen Bewegung. Natürlich verband Engels mit seinem Abrüstungsvorschlag keineswegs das unter den Bedingungen der Alleinherrschaft des Kapitalismus utopische Ziel, eine allgemeine und vollständige Ab­rüstung herbeizuführen. Aber er erkannte bestimmte Möglichkeiten, mit Hilfe einer konsequenten antimilitaristischen Politik, unterstützt durch Aktionen des Volkes, das Wettrüsten der achtziger und neunziger Jahre in Europa einzuschränken. Friedrich Engels schrieb selbst, die Regierungen Europas würden den Abrüstungsvorschlägen und der Milizforderung ohne Zwang nie zustimmen. Das geschehe nicht aus militärischen, viel­mehr aus politischen Gründen, denn das stehende Heer sollte „nicht so sehr gegen den äußern wie gegen den innern Feind" Verwendung finden.(30)

Es ist - wenn auch nur als geringfügiges Detail - aufschlußreich für die Wirkung die­ser Engelsschen Schrift, daß der Reichskanzler Caprivi davon öffentlich Kenntnis nahm und am 3. Mai 1893 im Reichstag aus der Broschüre zitierte und erklärte. Ziel dieser Forderungen von Engels nach einer Miliz sei eine Untergrabung der militärischen Diszi­plin. (31) Für die sozialdemokratische antimilitaristische Agitation hatte Engels mit seiner Schrift eine wertvolle Hilfe gegeben.

Die von Engels - immer im Zusammenwirken mit der sozialistischen Bewegung -entwickelten Prinzipien einer sozialistischen Friedenspolitik gehören auch heute noch zu den Prinzipien der kommunistischen und Arbeiterparteien. Sie fanden, bereichert durch die Erfahrungen der Leninschen Partei und die Schlußfolgerungen der kommunistischen und Arbeiterparteien unter den veränderten Bedingungen im internationalen Kräftever­hältnis nach dem zweiten Weltkrieg, Eingang in das Programm unserer Partei, in dem es heißt: „Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands betrachtet die Sicherung der Nation vor Krieg und Vernichtung und die Herbeiführung eines dauerhaften Friedens als die Hauptfrage unserer Zeit. Sie will den Krieg aus dem Leben des deutschen Volkes für immer verbannen... Der Kampf gegen den Militarismus und die Kriegspolitik der herrschenden Klassen gehörte von jeher zu den besten Seiten der revolutionären deut­schen Arbeiterbewegung."(32)

Friedrich Engels blieb bis zum letzten Tag seines inhaltsreichen und erfüllten Lebens ein proletarischer Revolutionär und Sozialist. W. I. Lenin hat Karl Marx und Friedrich Engels mit den folgenden Worten ein unvergängliches Denkmal gesetzt: „Das große weltgeschichtliche Verdienst von Marx und Engels besteht darin, daß sie durch ihre wissenschaftliche Analyse den Beweis erbracht haben für die Unvermeidlichkeit des Zu­sammenbruchs des Kapitalismus sowie seines Übergangs zum Kommunismus, in dem es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr geben wird. Das große welt­geschichtliche Verdienst von Marx und Engels besteht darin, daß sie den Proletariern aller Länder ihre Rolle, ihre Aufgabe, ihre Berufung aufgezeigt haben: sich als erste zum revolutionären Kampf gegen das Kapital zu erheben und in diesem Kampf alle Werktätigen und Ausgebeuteten um sich zu vereinigen."(33)

Heute hat der Sozialismus auf einem Drittel der Erde gesiegt. Auch in einem Teil Deutschlands, in der Deutschen Demokratischen Republik, ist das Wirklichkeit gewor­den, wofür Friedrich Engels sein ganzes Leben gekämpft hat.

Fußnoten

*) In diesem Beitrag werden nur einige Grundprobleme der Hilfe von Friedrich Engels für die deutsche Sozialdemokratie in den Jahren 1883 bis 1895 behandelt.
 

1) Rede August Bebels bei der Trauerfeier am Sarge von Friedrich Engels am 10. August 1895. In: Victor Adler, Briefwechsel mit August Bebel und Karl Kautsky. Gesammelt und erläutert von Friedrich Adler, Wien 1954, S. 184

2)Eine Zusammenstellung dieser Arbeiten von Friedrich Engels für den „Sozialdemokrat" ein­schließlich der von ihm neu zum Druck vorbereiteten Arbeiten von Karl Marx findet sich in Horst Bartel, „Marx und Engels im Kampf um ein revolutionäres deutsches Parteiorgan 1879—1890", Dietz Verlag, Berlin 1961, S. 175 bis 179

3) Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Dietz Verlag, Berlin 1962, S. 16/17. Die Hervor­hebungen stammen von Engels.

4) Vgl. ebenda, S. 17

5) Karl Marx/Friedrich Engels, Ausgew. Briefe, Dietz Verlag, Berlin 1953, S. 435

6) Karl Marx/Triedrich Engels, Werke, Bd. 21, S. 167

7) Zu diesem Problem, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann, vgl. „Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", Dietz Verlag, Berlin 1963, S. 66,67; „August Bebel. Eine Biographie", Dietz Verlag, Berlin 1963, S. 141

8) Aufruf der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion vom 14. Januar 1887. In: August Bebel, „Die Sozialdemokratie im Deutschen Reichstag", III, Berlin 1908, S. 250

9) Vgl. Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung", s. 61

10) Friedrich Engels, Briefwechsel mit Karl Kautsky, Wien 1955, S. 272

11)) Vgl. Horst Bartel, „Das Erfurter Programm", VEB Verlag der Wissenschaften,- Berlin 1965, S. 261 ff.

12)Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, Dietz Verlag, Berlin 1963, S. 227

13) Ebenda, S. 233

14) Ebenda, S. 234

15) Ebenda. S. 236

16) Ebenda. S. 234

17) Ebenda, S. 234/235

18) Ebenda, S. 235

19) Ebenda, S. 231

20) Ebenda, S. 233

21) Ebenda, S. 235

22) Ebenda, S. 236

23) „Vorwärts" vom 4. Juli 1891

24) vgl. Friedrich Engels, Briefe an Bebel, Dietz Verlag, Berlin 1958, S. 139

25) Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, S. 350

26) Ebenda, S. 318

27) Friedrich Engels, Briefe an Bebel, S. 140

28) Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, S. 256

29) Protokoll des Internationalen Arbeiter-Kongresses zu Paris, Nürnberg 1890, S. 120

30) Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 22, S. 371

31) Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages, VIII, LP., II. Session 1392/93, dritter Band, S. 2139

32) „Programm der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands"; „Einheit", Heft 1, 1963, S. 25

33) w. I. Lenin, Werke, Bd. 28, Dietz Verlag, Berlin 1959, S. 160

Quelle: Einheit, Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, hrg.v. ZK der SED, Berlin,  Heft 12, Dezember 1965, S.45-54  / OCR-Scan red. trend 2020