Die rechten Weltverschlechterer und die Corona-Krise
Versuch eines(transnationalen) Überblicks

von Bernard Schmid

06/2020

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Was kommt nach der aktuell fortdauernden Corona-Krise, auf die nach allgemeiner Erwartung wirtschaftliche Verwerfungen folgen werden – und welche politischen Gefahren drohen dabei? Ein Risiko wurde dabei bereits benannt, in Gestalt dieser Fragestellung: Werden wir also (…) in den Regionen, die am stärksten von der Pandemie hinsichtlich der Opferzahlen betroffen wurden, einen Gang ins ausländerfeindliche Rechtsextreme erleben? Oder insgesamt einen Drift zum Rechtsextremen oder Völkisch-Nationalem? Vgl. https://www.heise.de

Dieser Artikel versucht, im Rahmen mehrerer Länder die Reaktionen der (neo)faschistischen und sonstigen, militant rechten Kräfte auf die Corona-Krise zu analysieren. Er beruht unter anderem auch auf zwei Teilartikeln, die im vorigen Monat an dieser Stelle erschienen: ( Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige zur Coronakrise in Frankreich)  und Rechtsextreme und Verschwörungsgläubige zur Coronakrise USA, Deutschland, Österreich u.a. ), jedoch beide nur Teilsegmente abbildeten. Der neue Artikel erweitert die Datenbasis, ergänzt die bisher verfügbaren um eine Reihe von zusätzlichen Beispielen und Illustrationen, benennt Quellenhinweise – sofern im Internet zugänglich – und wurde um einen allgemein-analytischen Teil erweitert. Er schlägt ein Analyseraster vor, welcher selbstverständlich nur einen Diskussionsvorschlag bildet.

Teil I:  Diskussionsteil & Definitionsversuche

Vorbemerkung

In den folgenden Ausführungen soll dabei vor allem den Positionen und Strategien der zur extremen Rechten zählenden Kräfte selbst (mitunter im Bündnis mit den fiesesten Figuren aus dem wirtschaftsliberalen Lager) nachgegangen werden, und dies in mehreren Ländern zugleich. Keine, jedenfalls abschließende Antwort kann dadurch auf die Frage gegeben werden, wie andere gesellschaftliche Akteure nun ihrerseits darauf zu antworten haben – und vor allem, wie sich Linke und andere Kräfte zu Protesten verhalten sollen, an denen auch, aber nicht ausschließlich faschistische, verschwörungtheoretisch argumentierende und andere feindliche Kräfte teilnehmen.

Man denkt dabei sicherlich unwillkürlich an die so genannten „Corona-Demonstrationen“, die in der Form, wie sie derzeit in unterschiedlichen Städten in Deutschland stattfinden, tatsächlich ein sehr spezifisch deutsches Partikularphänomen darstellen – da liegt die bürgerliche Presse (// vgl. https://www.tagesspiegel.de) völlig richtig. (Vgl. https://www.badische-zeitung.de/ ) In Frankreich, Italien und lange Zeit in Spanien, oder auch im Vereinigten Königreich gab oder gibt es jedenfalls keinerlei Äquivalent dazu; vielleicht fällt es in Deutschland auch deswegen ungleich leichter, genau gegen diese Maßnahmen auf die Straße zu gehen, weil dieses Land im Unterschied zu den vorgenannten Staaten (mit ihren weitaus höheren Totenzahlen) bislang relativ glimpflich durch die sanitäre Krise kam. Auf einem anderen Blatt steht dabei, ob dies auch dann der Fall wäre, hätte man die Regierungsmaßnahmen gegen die Ausbreitung von Covid-19 unterlassen.

(KURZE ANMERKUNG NACHTRÄGLICH: Mittlerweile ist auch in Spanien ein, allerdings ausschließlich oder jedenfalls weitgehend rechtsextrem geprägter „Protest“ gegen Corona-Maßnahmen entbrannt; vgl. https://www.heise.de/ und https://jungle.world/ - Dieser „Protest“ beruht allerdings offenkundig hauptsächlich auf den Kräften der rechtsextremen Partei Vox und ist dadurch weniger breit und weniger heterogen als jener in Deutschland.)

Dieses Phänomen ruft, wie sich auch aus den vorausgegangenen wochenlangen Diskussionen bei telepolis ablesen lässt, auch innerhalb der – im weitesten Sinne gefasst – politischen Linken offensichtlich konträre Standpunkte hervor.

Der Autor dieser Zeilen hat eine, in den folgenden Absätzen begründete, Auffassung zu der Sache, jedoch sicherlich kein Patentrezept zur Auflösung des Problems aufzubieten. Denn gäbe es eine Wunderlösung dafür, dann würde diese wahrscheinlich bereits Anwendung finden. Ein Axiom (d.h. eine Eingangsunterstellung, eine als richtig vorausgesetzte Ausgangsbehauptung) soll dabei dennoch festgehalten werden: So einfach wie manche Autoren, die sich das Problem gerne klein- oder schönzureden versuchen, um etwa als langjähriger Bewegungsmanager mal wieder an eine – vermeintliche - soziale Bewegungsdynamik andocken zu dürfen, darf man es sich nicht machen. Wenn man etwa wie Wolf Wetzel die gemeinhin als Corona-Demonstrationen bezeichneten Versammlungen im öffentlichen Raum einfach mal zu „Grundrechtsprotesten“ und „Grundrechtsdemos“ (vgl. https://www.heise.de/tp/) deklariert und darüber eine ziemlich eindeutige und nahezu widerspruchsfreie Definitionsmacht für sich beansprucht, dann kann es nur schief gehen. Jedenfalls wird über eine solche begriffliche und definitorische Vereinheitlichung jeglicher analytische Anspruch von vornherein aufgegeben, zugunsten einer Bewegungshuberei, die nach Einfluss unter den vermeintlichen Massen auf den Versammlungen – um die sich die Rede dreht – strebt.

Was aber, wenn ein als solches bezeichneter „Grundrechtsprotest“ im Konkreten unter anderem beinhaltet, wenngleich ohne sich darin zu erschöpfen, dass buchstäblich bekennende Nationalsozialisten Grundgesetze verteilen wie hier (vgl. : https://twitter.com/)? Anscheinend geht es zumindest manchen Akteuren doch eher um ihr „GRUNZgesetz“… Nein, das hat es übrigens, anders als Wolf Wetzel behauptet, in der Anti-AKW-Bewegung der 1970er oder der Friedensbewegung der 1980er Jahre in solcher Form überhaupt nicht gegeben; da wären jedenfalls die bekennenden Nazis eher schnell gelaufen. Im zuvor zitierten Beispiel ging es um einen Stadtrat der offen neonazistischen Kleinpartei „Die Rechte“ in Dortmund. Dessen Partei zählt im niedersächsischen Braunschweig zu den Anmeldern von Demonstrationen zum Thema. (Vgl. https://www.braunschweiger-zeitung.de/) Wie erwähnt: Die Erscheinung dieses, heterogenen und diffus daherkommenden, Protests beschränkt sich nicht allein auf das Einwirken solcher Kräfte, auch wenn Rechtsextreme unter ihnen immer wieder manifest sichtbar werden. (Vgl. Photo Nummer 4 unter: https://www.nordbayern.de) Die Frage wird jedoch sein, wie es um das Anliegen solches Protests bestellt ist, wenn es genau solche Kräfte anzieht was das Licht die Motten.

Übrigens, dass Nazis sich als Hüter von Verfassungsrechten aufspielen – ohne in Wirklichkeit welche zu sein -, ist nicht neu. Sofern es ihren jeweils eigenen politischen Interessen dient, sind sie natürlich dazu in der Lage. Dies traf selbst auf Adolf Hitler zu: Als die Brüning-Regierung vor der Reichspräsidentenwahl 1932 die Direktwahl des Präsidenten durch das Stimmvolk abschaffen und das Staatsoberhaupt durch die Parlamentarier wählen lassen wollte, spielte sich der NSDAP-Chef kurzzeitig als Verfassungshüter auf. Hintergrund dafür war einfach, dass die NSDAP bei der letzten Reichstagswahl 1930 noch 18,3 Prozent der Stimmen erhielt, sich zwei Jahre später aber doppelt so viele Stimmen versprechen konnte. Wenn Nazis von Verfassungsrechten sprechen, meinen sie die eigenen, mitunter tun sie dies aber lautstark.

Darauf kann man nun, aus linker Sicht, wohl mit unterschiedlichen Strategien reagieren; etwa durch inhaltliches Denunzieren der solcherart gelagerten „Proteste“, oder auch, wenn die Situation im konkreten Falle es erlaubt, durch „Hingehen und Nazis Hinausdrängen“ (was dann aber schon die Frage nach der inhaltlichen Legitimität des Anliegens beim übrigen Protest – die manifesten Nazis abgezogen – aufwirft). In vielen Fällen gehen mutmaßlich antifaschistisch motivierte Menschen allem Anschein nach davon aus, dass man Gegendemonstrationen // vgl. https://www.braunschweiger-zeitung.de/ und – unter Datum 23.05.20 - https://www.hna.de ; oder https://www.hessenschau.de/ // organisieren sollte und/oder dass, sozusagen, „Antifaschismus praktisch werden muss“; und dass dies eine gezielte Handlung gegen die „Proteste“ solcherlei Natur beinhaltet. // Vgl. : https://www.bild.de/ // In anderen Fällen wird berichtet, dass – wenn das Berichtete denn stimmt, also mit dem wirklichen Geschehen überstimmt - eine gegen die Nazis erfolgreiche und insofern positive Einmischung gelungen sei; vgl. zu einem Beispiel aus Dortmund: https://www.heise.de/ Es gebührt dem Verfasser dieser Zeilen nicht, zu entscheiden, was in jedem Fall Einzelfall richtig sein kann.

Definitionsversuche: wann ist Kritik „verschwörungstheoretisch“, wann ist Protest „rechts“?

Wir werden uns an dieser Stelle nicht länger damit aufhalten, zu versuchen, die Begrifflichkeiten „Rechts“ (und „Links“) als solche zu definieren – es mag dahingestellt bleiben, ob es sich um die bestmöglichen Wörter zur Bezeichnung der betreffenden Inhalte handelt, sie weisen jedoch auf eine zweihundert Jahre alte Begriffsgeschichte zurück. Aus ihr und nicht aus abstrakten Überlegungen ergibt sich, in welchem Begründungszusammenhang welches Ideologieelement steht und wie eine ideologische Strömung einzuordnen ist.

Hingegen weisen Wörter wie „Verschwörungstheorie“ und „-theoretiker“ bereits einen höheren Definitionsbedarf aus, da sie nicht auf eine langjährige Verwendungsgeschichte zurückblicken und durch diese definiert wird; und auch, weil es die Gefahr zu bannen gilt, dass dieselben als schlichte Totschlagsbegriffe, gar willkürlich eingesetzt werden. Es sei also vorschlagen, als „Verschwörungstheorie“ ein Gedankengebäude bezeichnet, das auf der Vorstellung fußt, gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge basierten im Kern auf einer Form von Geheimwissen, das bei eingeweihten Individuen angesiedelt ist. Und in dem nicht Strukturen von Herrschaft oder Ungleichheit analysiert und benannt werden, sondern in einzelnen Personen verankerte, abgrundartig böse Absichten zur Urquelle aller gesellschaftlichen Übel hochstilisiert werden. Solche Vorstellungen tragen zur Zerstörung der Vernunft in der Auseinandersetzung mit einer, tatsächlich kritisiert- und veränderbaren Gesellschaftsordnung (wie dem bestehenden Wirtschaftssystem) bei und unterminieren dadurch auch die Möglichkeit, zu tatsächlicher Veränderung zu gelangen, da Letztere eine rationale Erkenntnis und Erklärung des Ist-Zustands voraussetzt.

Nein, Herrschaft, Ausbeutung und Ungleichheit basieren nicht auf dem irgendwie von Natur aus bösen Willen einzelner Individuen (nehmen wir rein zufällig: Bill Gates); erst recht nicht von Personengruppen, die man etwa über ihre gemeinsame Abstammung definieren könnte (wie in der antisemitischen Variante von Verschwörungsideologie, die zu ihren gefährlichsten Ausformungen zählt). Herrschaft, Ausbeutung, Ungleichheit und Umweltzerstörung basieren auf gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten - etwa dem Zwang zur Selbstreproduktion von Kapital und dem Konkurrenzprinzip - die bestimmte ihnen vorausgehende menschliche Verhaltensweisen aufgriffen, um ein komplexes Gesellschaftssystem herauszubilden. Dessen Funktionslogik kritisieren zu wollen, dafür gibt es gute Gründe. Dieses Gesellschaftssystem funktioniert jedoch nicht auf der Basis von Geheimwissen einzelner Individuen, dann hätte es nämlich längst zu funktionieren aufgehört. Materielle Fakten über die Verteilung und Wirkung von Macht in dieser Gesellschaft sind jedem und jeder zugänglich, viele davon kann man täglich beispielsweise im Wirtschaftsteil von Zeitungen nachlesen. Diese Fakten werden den Mitgliedern der Gesellschaft nicht etwa vorenthalten, die den herrschenden Verhältnissen verpflichteten Medien verschleiern lediglich manche Gesamtzusammenhänge oder legen falsche Schlüsse aus den einzelnen Informationen nahe.

Unterschied zum Solidaritätsprinzip

Rechter Protest“ ist im Unterschied etwa zu vom Solidaritätsprinzip getragenen Sozialprotesten ein solcher, der nicht möglichst universelle gesellschaftliche Interessen formuliert und mit möglichst vielen anderen menschlichen Interessen auszuhandeln versucht – sondern entweder brutal Partikularinteressen (auf dem Rücken anderer Menschen) durchzusetzen versucht, oder//und diesen Versuch durch das Einsetzen verschleiernder Ideologen vernebelt. Dabei kann eine soziale Basis für „rechte“ Bewegungen durch ein Verknüpfen von Wahnvorstellungen, politisch instrumentierten Vorurteilen und Ressentiments einerseits und dem Appell an Partikularinteressen andererseits mobilisieren werden. Dies gilt für unterschiedliche Formen „rechter“ Bewegungsdynamik und „rechten“ Protests, die selbstverständlich nicht alle miteinander gleichzusetzen sind, sei es für den „Poujadismus“ (eine vorwiegend mittelständische und gegen Steuern gerichtete, aber auch antisemitisch grundierte Protestformation in Frankreich), sei es für rassistische Proteste; sei es im Extremfall auch für eine Partei wie die NSDAP.

Letztere war eine Organisation, die eine klare ideologische Grundlage hatte – von der ein Gutteil in den Bereich der Wahnvorstellungen gehört -, die aber im Laufe ihrer Existenz unter anderem auch Anhänger und Anhängerinnen mit vorwiegend wirtschaftlich motivierten „Protestwahlmotiven“ anzog und dadurch erfolgreich wurde. Im Gegensatz zu den „Arbeiterparteien“ in der Weimarer Republik zog die NSDAP jedoch viel verzweifelte Kleinbürger an, denen nicht beispielsweise am Erreichen sozialer Grundrechte für Alle gelegen war, sondern an ihrer eigenen Rettung in Zeiten wirtschaftlich bedrohter Existenz – was immer es für Andere kosten möge. - Um einem leicht zu formulierenden Einwand gleich vorzubeugen: Nein, nicht jede „rechte“ Bewegung ist mit der NSDAP gleichzusetzen. Und auch die derzeit erfolgreichen rechtsextremen Wahlparteien in Europa weisen zwar manchmal historische Bezüge auch zur Letztgenannten auf (die FPÖ in Österreich hatte einen ersten Parteivorsitzenden nach ihrer Gründung, Anton Reinthaller, der von 1939 bis 1945 Staatssekretär unter Adolf Hitler und Abgeordneter im gleichgeschalteten Reichstag war), funktionieren jedoch in ihrem Alltag sicherlich nicht wie die NSDAP. Und dies aus einem einfachen Grund, weil die historische Periode nicht mit den 1930er Jahren gleichzusetzen ist und eine genau wie die damalige NSDAP auftretende Partei in historischen Kostümen heute notorisch erfolglos bliebe (wie die oben genannte Kleinpartei „Die Rechte“). Strukturelle Gemeinsamkeiten zu benennen, ist wichtig, bedeutet jedoch auf keinen Fall Gleichsetzung: Es gibt heutzutage nichts, was mit der NSDAP wesensgleich wäre. Aber es gibt neofaschistische Parteien und Kräfte, die unter den Bedingungen des Jahres 2020 (nicht denen von 1922 oder 1933) um den ihnen heute möglichen Einfluss ringen. Solche Kräfte mischen aus ebendiesem Grunde mitunter in „rechten“ Protesten mit.

Nicht jeglicher Protest gegen die Maßnahmen, die keineswegs nur in Deutschland, sondern in der Mehrzahl der Staaten der Welt in Konfrontation mit der Covid 19-Pandemie ergriffen wurden, ist in diesem Sinne „rechts“. Dies hängt auch damit zusammen, dass die vorgenannten Maßnahmen als solche ebenfalls nicht alle über einen Kamm zu scheren sind; unter anderem auch deswegen, weil sie eben nicht von einer gigantischen Verschwörerzentrale mit eindeutigen (abgrundtief bösen) Absichten gesteuert wurden, sondern weil in vielen Staaten die Exekutive wochenlang zwischen unterschiedlichen Optionen hin- und herschwankte. Etwa darum, weil bis Anfang März 2020 viele Regierungen in Europa noch an eine mögliche „Herdenimmunität“ glaubten, was auch den Wirtschaftsverbänden sehr gelegen kam. (Dies trifft bekanntlich für die schwedische Regierung zu, auf fragwürdigen wissenschaftlichen Grundlagen // vgl. https://www.heise.de/tp/// und um den Preis von vielen Toten – vgl. https://www.merkur.de -, und anfänglich auch für die französische und die deutsche bis zu ihrem Umschwenken in der ersten und vor allem zweiten Märzwoche 2020; die britische unter Boris Johnson brauchte dafür etwas länger). Dann aber fürchteten dieselben Regierungen akut einen nahenden Zusammenbruch der Krankenhausversorgung, während Donald Trump in Washington D.C. und Jair Messias Bolsonaro in Brasilia ohne Rücksicht auf Verluste den vorherigen Kurs weiterfuhren.

Aus ebendiesem Grund jedoch wird eine „Kritik“ ab dem Zeitpunkt verschwörungsgläubig oder zumindest verschwörungsaffin, wo sie das Widersprüchliche und Prozesshafte in der Regierungspolitik (jener der Exekutanten des Kapitals) verkennt und behauptet, einen von Anfang an gefassten, umfassenden und auch funktionierenden Plan hinter allen konkreten und unkonkreten Maßnahmen der jeweils Regierenden zu erkennen. Dort, wo manifest wird, dass ebendiese Regierende in vielen Fällen, zumindest zu Anfang, überhaupt keinen Plan hatten… Wer Widersprüchlichkeiten, teilweise vorhandenen Dilettantismus und die in manchen Fällen zu beobachtende „kapitalistische Anarchie“ hinter den Kulissen des Regierungshandelns verkennt, entfernt sich bereits von den Grundlagen vernünftiger Kritik.

Grundsätzlich: In der Mehrzahl der Fälle weisen die Corona-Maßnahmenpakete, möchte man vereinfachende Oberbegriffe auswählen, je einen „sozialen“ und einen „repressiven“ oder „polizeilichen“ Maßnahmenzug auf. Zum Erstgenannten zählen die Gewährleistung, dass Lohnabhängige sich in der Periode unmittelbarer Kontaminationsgefahr dem Arbeitszwang entziehen konnten und für die Dauer der akuten Krise eine Form von Erwerbsarbeit entkoppelten Einkommens (etwa durch Kurzarbeitergeld, das in Deutschland im Krisenverlauf von 60 auf 87 % des Vergleichslohns hochgesetzt wurde, in Frankreich beträgt es 84 %) ausbezahlt bekamen. Zum Letztgenannten zählen hingegen polizeilich überwachte Ausgehverbote wie u.a. in Frankreich – in keinem deutschen Bundesland herrschten dabei vergleichbare strenge Regelungen wie im Nachbarland – und die, leider zu erwartenden und dann auch eintreffenden, diskriminierenden oder rassistischen Begleiterscheinungen des Ganzen. Diese existierten etwa (jedoch nicht nur) in den Trabantenstädten // vgl. https://www.labournet.de/ ///, wie auch selbst die französische Regierungssprecherin einräumte. // Vgl. https://www.lefigaro.fr //

Diese „repressive“ Seite des Corona-Gesamtpakets der Exekutive war im Übrigen in der Bundesrepublik, wo individuelle Ausgänge im Unterschiede zu Frankreich nie verboten waren, wesentlich weniger ausgeprägt als in vielen vergleichbaren Ländern (auch außerhalb Europas wie etwa Indien). Und das ursprüngliche Maßnahmenbündel war im Übrigen seit Anfang Mai d.J. längst einem Wettbewerb unter Bundesländern (etwa Bayern und NRW, vgl. https://www.merkur.de/l, Stichwort „Öffnungsdiskussionsorgien“) über Öffnungsbeschlüsse gewichen, just zu einem Zeitpunkt, als die Protestdemonstrationen erst richtig in Fahrt kamen. Linke, die sich gar zu gerne an einen solchen Protest „anhängen“ würden in dem Glauben, gerade an dieser Front eine vermeintliche Tendenz zur Diktatur zu bekämpfen, sollten eine gute Erklärung dafür parat haben – vor allem sollten sie aufhören zu übersehen, dass zwar nicht der „repressive“, jedoch sehr wohl der „soziale“ Aspekt des Corona- Maßnahmenpakets gerade auch gegen massive Widerstände der mächtigsten gesellschaftlichen Kraft durchgesetzt werden musste, nämlich gegen die organisierten Kapitalinhaber. Von Letzteren ging ja auch ein Teil des Drucks auf eine schnellstmögliche „Öffnung“ aus. - Was ja nicht ausschloss und ausschließt, dass es Krisengewinner in den Reihen des Kapitals gibt (etwa alle Sektoren, die mit Informations- und Kommunikationstechnologien zu tun haben, Versandhändler wie Amazon, Pharmaunternehmen…), und dass zumindest ein Teil der Unternehmen durch Ausschüttung von Staatsgelder während der Dauer der Corona-Krise gut abgefedert wurde; es wird jedoch auch zweifelsohne zahlreiche Krisenverlierer in den Reihen des Kapitels geben.

Eine Diktatur, die derart kurzfristig ausgerichtet ist, im bundesdeutschen Falle an Länderinteressen scheitert und überdies noch konträr zu wesentlichen Interessen des Kapitals (dem ungehinderten Fortgang der Mehrwertproduktion!) steht – das ist eine merkwürdige Diktatur. Dies festzustellen, bedeutet nicht, dass nicht die massive Drohung im Raum stünde, in naher Zukunft Elemente der „polizeilichen“ Seiten der Corona-Maßnahmen in den „Normalzustand“ überführt zu sehen: Selbstverständlich trifft dies zu, und selbstverständlich werden die staatliche Exekutive und ihr Apparat dazu tendieren, manche nun in der Krise erprobten Instrumente auch für andere Zwecke in ihren Händen zu behalten (Überwachung, Versammlungsverbote…). Dies gilt es aktiv zu bekämpfen! Das bedeutet aber nicht, alle Formen von Sondermaßnahmen zur Bekämpfung der Seuchenausbreitung abzulehnen; vielmehr gilt es bei ihren sozialen Schutzaspekten, den Druck des Kapitals zu ihrer Abschaffung zu kontern.

Notwendiges Unterscheidungsvermögen

Auf dem Solidaritätsprinzip aufbauende Sozialproteste, oder Handlungen von Gewerkschaften im Namen der abhängig Beschäftigten oder auch von fortschrittlichen Juristinnen und Juristen, richteten sich in diesem Zusammenhang in vielen Ländern gegen den „repressiven“ Aspekt des jeweiligen Maßnahmenbündels – und gegen ihn allein. In Frankreich klagten bspw. zwei NGOs erfolgreich gegen die Drohnenüberwachung von Ausgangsbeschränkungen // vgl. https://www.20minutes.fr/ //, die Anwaltskammer klagte gegen andere repressive Bestandteil des Regierungspakets. Als mehr oder minder fortschrittlich einzustufender Sozialprotest richtete sich jedoch nie gegen die Idee einer sanitären Notsituation als solche, oder gegen jegliche Form von Sondermaßnahmen vor dem Hintergrund einer solchen Ausnahmesituation. Völlig im Gegenteil wurde bei solchen Protesten mit sozialer Basis und/oder gewerkschaftlichen Aktivitäten stets gefordert, das sanitäre Risiko ernst zu nehmen und deswegen noch mehr Menschen aus dem Arbeitszwang zeitweilig herauszuholen. (Vgl. zu Frankreich: https://www.labournet.de/ und zum dort gefällten Amazon-Urteil : https://www.labournet.de Und zu Italien: https://www.neues-deutschland.de/) Und die Regierung wurde etwa dafür kritisiert, dass sie sich wochen-, ja monatelang als völlig unfähig erwies, eine Versorgung der Bevölkerung mit einer ausreichenden Zahl von Mundschutz-Masken zu gewährleistet, was bis heute bleischwer auf Emmanuel Macrons Bilanz lastet und zum echten Legitimitätsdefizit wurde. (( Vgl. https://www.nouvelobs.com))

Ja, sanitäre Sondermaßnahmen hätte es i.Ü. mit einiger Wahrscheinlichkeit im fraglichen Zeitraum in, sagen wir, einer Räterepublik mit einer Wirtschaftsgrundlage des Selbstverwaltungssozialismus ebenfalls gegeben. (Andere als die real durch die bestehende Regierung, ergriffenen, einverstanden.) Denn auch radikale Linke hätten in einem solchen Fall, also in einem aus ihrer Sicht optimalen Gesellschaftssystem, mit dem objektiven äußeren Problem umgehen müssen. (Auch wenn es neben anderen Menschen ebenfalls manche Linke geben mag, die das sanitäre Risiko gern sträflich verharmlosten oder unterschätzten. Ein Linksradikaler in älteren Jahren in Frankreich war nicht schlecht erstaunt und dann empört, als er junge Leute, die sich als Anarchisten ausgaben, zu Anfang der Corona-Krise im Pariser Raum unter dem aus dem Spanischen entlehnten Motto Viva la muerte! durch die Straße streifen sah. Wohl in der Annahme, einen selbst werde es aufgrund jungen Lebensalters ja schon nicht treffen. Dies mag zweifellos mit Dummheit mehr zu tun haben als mit Anarchismus.)

Wie aber verhält es sich in diesem Zusammenhang mit den „Corona-Demonstrationen“ in Deutschland? Keineswegs wird, jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle, eine vergleichbare Unterscheidung etwa zwischen Maßnahmen zum echten Schutz der Bevölkerungsmehrheit und rein repressiven, oder aber bestehende Ungleichheiten - etwa für Obdachlose - verschärfenden Aspekten getroffen. Im Gegenteil wird vielfach Wert darauf gelegt, just solche Maßnahmen zu attackieren, die wirklich zum Gesundheitsschutz beitragen wie das Verteilen von Mundschutz-Masken und die Verpflichtung zu ihrem Tragen (von der selbstverständlich Menschen mit Hautallergien oder anderen medizinischen Gegenindikationen auszunehmen wären). Wenn das „Protestmotiv“ darauf basiert, dass man sich selbst zu fein ist zum Anlegen eines Mundschutzes, diesen als „Maulkorb“ (vgl. https://www.regensburg-digital.de) abtut, ja, wenn andere Menschen für sein Tragen aggressiv angemacht werden (vgl. https://www.tz.de/ ), dann ist die Sache definitiv sehr weit vom Solidaritätsprinzip entfernt. Auch in einer von Antiautoritären regierten Selbstverwaltungsrepublik würden hier, mit Verlaub, in manchen Fällen die Handschellen klicken. Und bei Drittgefährdung hört der Spaß wirklich auf.

Völlig zu schweigen von schlichtweg irren Äußerungen wie der öffentlich vorgetragenen Behauptung: „Das Virus existiert nicht!“ (vgl. https://www.welt.de/) oder wahnwitzigen historischen Vergleichen // vgl. https://www.hna.de// mitsamt NS-Relativierung, selbst dann, wenn Letztere nicht die Hauptintention gebildet haben mag. (Vgl. https://www.hna.de/kassel)

Die Thüringen-Connection

Vom Solidaritätsprinzip denkbar weit entfernt - und diese Aussage gilt nicht nur für die Irren unter den Demonstranten - bauten diese Versammlungen in ihrer Mehrheit, wenn auch nicht überall und nicht ausschließlich, auf der Basis von Teilen der FDP und Teilen der AfD auf. (In Teilen der FDP wurde bereits frühzeitig, also im Laufe des März 2020, am Lock-down respektive vor allem an seinen Auswirkungen auf die kapitalistische Ökonomie und ihren ach, gar so schönen Normalbetrieb herum gemosert; vgl. dafür zu einem Beispiel aus München – „ach, was ist das Leben wert, wenn wir uns die Freiheit nehmen lassen?“ - mitsamt Widerspruch seitens einer Ärztin : https://www.merkur.de/ )

Verbindendes Glied auf sozioökonomischer Ebene war hier vor allem der Wunsch bei Mittelständlern und wütenden Kleinbürgern, dass das Geschäft endlich wieder laufen möge. Auf politischer Ebene fand dies seinen Ausdruck in der Präsenz von Mandatsträgern – bis hin zu Abgeordneten im Bundestag – der AfD bei solchen „Corona-Demonstrationen“, zu dieser Partei später mehr, aber auch einzelner Vertreter der FDP zuzüglich des weitgehenden Ausbleibens von Problembewusstsein beim Rest ihrer Gesamtpartei dazu. // Vgl. https://www.faz.net/l // Vereinzelt wurden auch Vertreter der CDU gesichtet, vor allem in Thüringen – dort auf örtlicher Ebene sogar als Veranstalter (vgl. https://www.otz.del) -, wo sich die Landespartei der CDU dann jedoch von solchen Umtrieben distanzierte. (Vgl. https://www.otz.de/leben)

Dass gerade Thüringen einen Schwerpunkt für die Mitwirkung von Angehörigen der FDP – ihr kurzzeitiger Ministerpräsident Thomas Kemmerich lief bekanntlich bei den Protesten mit (vgl. https://www.welt.de) - darstellte, ist keinem Zufall geschuldet. Bildete dieses Bundesland doch, wie in guter bzw. schlechter Erinnerung sein dürfte, noch zu Anfang dieses Jahres das „Laboratorium“ für das Experiment seitens eines Teils der bürgerlichen Rechten - das dann durch ihre Apparate auf Bundesebene ausgebremst wurde -, erstmals die extreme Rechte in Gestalt der AfD in die politische Willensbildung einzubinden. Wenn auch auf verschämte und offiziell nicht ganz zugegebene Weise, also durch eine unerklärtes aber faktisch wirksames Stimmbündnis zwischen AfD, FDP und CDU im Thüringer Landtag zur Wahl des (dann nach kurzer Zeit verhinderten) Minderpräsidenten Kemmerich. Auch aufgrund der Tatsache, dass sich im Februar d.J. wenige Tage danach das rechtsextrem motivierte Attentat in Hanau ereignete, musste dieses Experiment jedoch abgebrochen werden.

Dadurch wurde i.Ü. auch nur nachvollzogen, was 1998/99 bereits in ziemlich ähnlicher Form in Frankreich ablief. Damals ließ sich nicht ein – wie jüngst in Thüringen -, sondern ließen sich im März 1998 gleich vier Regionalfürsten der konservativ-wirtschaftsliberalen Rechten in Frankreich mit den Stimmen des neofaschistischen Front National zu Regierungschefs in den Regionalhauptstädten Lyon, Dijon, Amiens und Montpellier wählen ( vgl. https://jungle.world/ ). Noch kurz zur Begründung des neofaschistischen Charakters ihrer Partei, den ihre Nachfolgeorganisation – der heutige Rassemblement National (RN, „Nationale Sammlung“) unte Marine Le Pen – mittlerweile etwas besser zu verstecken versucht als der damalige FN unter Jean-Marie Le Pen: Wer an den Bezügen dieser Partei zum historischen Faschismus zweifelt, möge sich nur einmal über die Herkunft ihres bis heute verwendeten Symbols (einer züngelnden Flamme, die aus Italien übernommen wurde) und deren Bezug zu Benito Mussolini informieren. ( Vgl. https://www.bpb.de/)

Auch dabei handelte es sich (ähnlich wie in Thüringen 2020) nicht um erklärte Koalitionen, sondern um unter dem Tisch geschlossene Stimmenbündnisse; auch dort intervenierten die Parteispitzen des bürgerlichen Lagers und blockierten die Fortsetzung des Tabubruchs, der für breite Empörung und zahlreiche Demonstrationen sorgte. Drei der vier Regionalpolitiker sahen danach von weiteren gemeinsamen Schritten zusammen mit dem Front National ab.

Doch der vierte, Charles Millon, Regionalpräsident in Lyon und vormaliger Verteidigungsminister unter Jacques Chirac, bis Mitte der 1990er eher als braver Christdemokrat bekannt, ging nachträglich in die Offensive. Dieser französische Thomas Kemmerich blieb seinereits im Amt und gründete zum Jahresende 1998 eine eigene Partei als Abspaltung vom bürgerlichen Lager, die offensichtlich am Scharnier zwischen Konservativen und Rechtsextremen angesiedelt war. ( Vgl. https://jungle.world/) Allerdings scherte ein Teil der konservativ-liberalen Regierungskoalition im Regionalparlament in Lyon im Januar 1999 aus, spaltete ihre Fraktion, ging ein sozial-liberales Bündnis ein und vertrieb Charles Millon vom Sessel des Regionalpräsidenten. Millon blieb in der Folgezeit politisch eher erfolglos. Er blieb jedoch danach im Fahrwasser dessen, was man früher in Deutschland als „Braunzone“ bezeichnete, also der zu Faschisten hin offenen Ränder der Konservativen. Im September 2019 nahm er in Paris an einem Kongress (vgl. http://www.leparisien.fr ) unter Federführung von Marion Maréchal-Le Pen – einer Enkelin von Jean-Marie Le Pen und politischen Rivalin ihrer Tante Marine Le Pen – teil, dessen Inhalte in der Öffentlichkeit breite Empörung hervorriefen, u.a. weil der rechte Starjournalist Eric Zemmour am Rednerpult behauptete hatte, der Nationalsozialismus sei im Vergleich zur islamischen Religion relativ harmlos gewesen. Charles Millon stand an jenem Wochenende dort ebenfalls auf der Bühne. (Vgl. https://patrie.info/ ) Dies belegt, falls es denn erforderlich gewesen wäre, dass es eben nicht banal und nicht harmlos ist, wenn bürgerliche Politiker sich auf Stimmbündnisse mit faschistischen Kräften einlassen und diese ins „normale“ politische Leben der parlamentarischen Demokratie zu integrieren versuchen, um Mehrheiten zu basteln – auch wenn ein linker Autor, der Genosse Peter Nowak, zu dessen Leitlinien leider mitunter die vorsätzliche Geringschätzung des Antifaschismus zu zählen scheint, mit formalen Argumenten „demokratietheoretisch“ Gegenteiliges suggeriert hat. ( Vgl. https://www.heise.de ) Nein, es ist eben kein normaler demokratischer Fortgang, sondern hinterlässt tiefe politische Spuren, auch bei den Protagonisten. Thomas Kemmerisch scheint diese Beobachtung nun gerade aufs Neue eindrücklich belegen zu wollen.

Nun aber zu den Strategien, mit denen die extreme Rechte in verschiedenen Ländern selbst auf die Corona-Krise zu antworten versucht.

Teil II : Faktenpräsentation – Zum konkreten Verhalten der rechtsextremen Kräfte in der Corona-Krise

Wollt Ihr, im Angesicht der aktuellen Krise, lieber den Ausnahmestaat – oder darf’s ein bisschen mehr völkische Volksbewegung sein? Ungefähr zwischen diesen beiden Polen oszillieren die Reaktionen der meisten rechtsextremen Parteien und Bewegungen, in Europa und darüber hinaus. Einige von ihnen, etwa die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Deutschland, nahmen dabei im Laufe der Wochen wandelnde Positionen ein.

Modell Trump & Co…

Im internationalen Maßstab lassen sich die Positionen in etwa zwischen zwei Extrempunkten einordnen. Auf der einen Seite stehen „modellhaft“ die beiden Rechtspolitiker Donald Trump in den USA und Jair Messias Bolsonaro (heißt wirklich so, was seinen zweitem Vornamen betrifft) in Brasilien, die in ihren jeweiligen Ländern Straßenbewegungen mit entfachen, um gegen die – in ihren Augen überflüssigen oder überteuren - sanitären Maßnahmen von Lokalregierungen oder Gouverneuren mobil zu machen. Dabei geht es im Kern darum, endlich wieder der freien wirtschaftlichen Entfaltung der Kapitalkräfte zum Durchbruch zu verhelfen; und wenn dann ein paar Alte hier oder Diabetiker dort sterben sollten, dann hätten diese sich eben besser schützen müssen – punktum, sonst: Pech für die Schwächlinge – wären ja ohnehin gestorben (irgendwann).

In beiden Fällen gilt, dass Trump wie auch Bolsonaro in den vergangenen Jahren Koalition hinter sich aufbauten, die sich zwar sicherlich nicht auf die extreme Rechte beschränken – sondern besonders auch wirtschaftsliberale und manche konservativen Kräfte sowie die religiöse Rechte umfassen -, jedoch faschistische Elemente einschließen. (Ähnlich wie auch Viktor Orban in Ungarn, oder in jüngerer Vergangenheit Silvio Berlusconi – er regierte drei mal mit der rechtsextremen Lega und dem früheren MSI – sowie Benjamin Netanyahu in Israel u.a. mit kolonialfaschistischen Siedlerrepräsentanten.)

Bei jüngsten Demonstrationen von Teilen der nordamerikanischen Rechten zwischen Seattle und Philadelphia und Concord (New Hampshire) trafen sich Aktivisten vom rechten Flügel der Trump-Anhängerschaft oder aus den Reihen der Bewegung für freien Waffenbesitz mit Neonazis und weißen Rassisten. In Lansing, Michigan am 15. April d.J. riefen dazu auch die Michigan Militia, eine der gegen den Zentralstaat – als zur Einrichtung einer „Weltregierung“ dienende Verschwörung – kämpfenden regionalen „Milizen“, und die Michigan Conservative Coalition auf. Letztere unterhält eine Facebookseite, die regelmäßig durch den Suprematisten (Anhänger weißer Überlegenheit) „Stonesoss“ illustriert wird. Angefeuert wurden die Demonstrierenden direkt durch Trump, auf dessen Twitter-Konto dazu aufgefordert wurde: „Befreit Michigan! Befreit Minnesota! Befreit Virginia!“ Frei nach dem Motto: Befreien Sie drei Länder Ihrer Wahl… Die Protestierenden riefen etwa „Lasst uns arbeiten!“… und als im Staat Colorado Krankenschwestern und Krankenpfleger ihren Weg blockierten, beschimpften sie diese als „Kommunisten“, die doch „nach China gehen“ sollten. // Vgl. https://www.youtube.com// Letztere Aufforderung // vgl. https://www.marketwatch.com // wurde daraufhin in den einschlägigen Milieus zum geflügelten Begriff und auf einer Reihe von Facebookseiten affirmativ übernommen.

In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai d.J. erneuerten die rechten, militant-konservativen bis faschistischen Provokateure in Lansing, der Hauptstadt des US-Bundesstaats Michigan, ihre Aktionen – und marschierten dieses Mal bedrohlich mit Waffen innerhalb des Parlamentsgebäudes auf. Kurz, man spielte Putsch, mindestens auf symbolischer Ebene! Wobei das Waffentragen in amtlichen Gebäuden in diesem US-Bundesstaat allerdings legal ist… Vgl. https://www.motherjones.com/

Dass solcherlei Aktivitäten absolut nichts mit irgendwie antiautoritären Positionen zu haben, belegte kurz darauf auch Bolsonaro, der sich am 19. April d.J. bei einer Demonstration vor dem Hauptquartier der Armee zujubeln ließ und dortselbst die Militärs zum Putschen aufforderte // vgl. https://www.lefigaro.fr///, um den brasilianischen Kongress nach Hause zu schicken. Seit dem 21. April ermittelt deswegen sogar ein Richter am Obersten Gerichtshof gegen die Organisatoren der Veranstaltung. // Vgl. (AFP): https://www.lefigaro.fr/ // Vgl. zum Fortgang der Ereignisse in Brasilien u.a. auch: https://www.fr.de/politik/

oder Modell Duterte? (Und Viktor Orban)

Den anderen Gegenpol im rechtsautoritären Spektrum nimmt unterdessen der philippinische Präsident Rodrigo Duterte ein. Jener genießt sichtlich die Notstandsvollmachten, die die Corona-Krise in seinen Augen legitimiert, und forderte dazu auf, diejenigen zu erschießen, die Ausgangssperren übertreten. // Vgl. https://www.parismatch.com/ // Womit er allerdings auch nur in einem anderen Kontext aktualisiert, was er bereits vor vier Jahren in anderem Zusammenhang über Drogensüchtige oder -verkäufer äußerte.

In geringfügigerem Ausmaß zählt(e) auch Ungarn zu jenen Ländern, in denen eine regierende nicht-wirklich-demokratische Rechte – obwohl Mitgliedspartei der so genannten Europäischen Volkspartei / EVP – dazu überging, die Corona-Seuchensituation dazu zu nutzen, Ausnahmebestimmungen einzuführen und mit ihnen zu regieren. In diesem Falle ging Premierminister (übrigens nicht „Präsident“, wie man oft fälschlich liest) Viktor Orban dazu über, sich die Macht einräumen zu lassen, auf unbefristete Zeit hin mit Notverordnungen zu regieren. Dies ist ein qualitativer Sprung gegenüber den grundsätzlich zeitlich befristeten Ausnahmemaßnamen, die es auch sonst in diversen parlamentarisch-kapitalistischen Demokratien gegeben hat und noch gibt. Auch wenn dies an der Stelle auch durch einen linken Autor durch Verwischen wichtiger Unterschiede durchaus sträflich verharmlost wird: https://www.heise.de/

Allerdings ist sich auch ein Viktor Orban darüber bewusst, dass er – an der Spitze eines Mitgliedslands der EU stehend, während in selbiger bislang überwiegend Regierungen ohne faschistische oder rechtsnationalistische Beteiligung amtieren – nicht über unbegrenzte Handlungsspielräume verfügt und Ungarn nicht isoliert betrachten kann. Auch deswegen wohl kündigte er am 15.05.20 seine Absicht an, seine Sondervollmachten wohl (vordergründig aus eigenen Stücken) zum Ende des Monats Mai 20 wieder aufzuheben: vgl. https://www.lefigaro.frWobei dieses „freiwillige Aufgeben“ der Sondervollmachten zu einem Zeitpunkt, zu dem Ungarns Regierung nicht oder noch nicht unter massiveren Druck von innen oder außen geriert, ja auch zu seinem politischen Erfolg beitragen könnte – denn führt er nicht dadurch scheinbar vor, dass er eben Maß zu halten wusste und es nicht zur manchmal befürchteten größeren Katastrophe kam? Selbstverständlich bleibt das ungarische „Demokratie“modell unter Viktor Orban eine Dauerkatastrophe an sich, auch jenseits der Corona-Krise…. Und dabei ist Orbans völkisch-konservativ durchwirkte Partei FIDESZ noch nicht einmal die „offizielle“ faschistische Formation in ihrem Land, denn rechts von ihr steht noch die anfänglich z.T. paramilitärisch auftretende, inzwischen jedoch geschwächte und eher parlamentarisch-angepasst daherkommende, Partei Jobbik. – Im Übrigen verkündete die ungarische Regierung, nach ihrer jüngsten Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 14.05. d.J. // vgl. https://curia.europa.eu// aufgrund absolut menschenunwürdiger Zustände in „Transitlagern“ für Asylsuchende, am 21.05.20 einen Beschluss zu ihrer Schließung. // Vgl. https://www.lefigaro.fr // Das ist „immerhin etwas“.

Neofaschistische und verwandte Parteien im allgemeinen europäischen Kontext (mit Abweichungen oder mindestens Nuancen in Ungarn & Polen, in denen allerdings konservativ-autoritäre und nicht faschistische Partei regieren), welcher unter anderem durch eine gewisse Stabilität der parlamentarischen Demokratie in den letzten Jahrzehnten und ein – im Vergleich etwa zu Brasilien und den USA –relativ geringes alltägliches Gewaltniveau geprägt ist, können nicht in identischer Form agieren. Jedenfalls dann nicht, wenn sie als halbwegs seriös erscheinen möchten, also die bei parlamentarischen Wahlen antretenden und mehr oder minder erfolgreichen Hauptparteien, nicht die folkoristischen Nazitruppen an ihrer Seite oder in ihrem Windschatten.

Doch zwischen dem hemmungslosen Ausleben von Fantasien über die Vollmachten des Notstandsstaats einerseits und dem Aufruf zum rechten Volksprotest gegen Vertreter eines schlechtes Establishments, die doch nur die Tüchtigen gängelten, um Schwächlinge vor sanitären Risiken zu schützen, auf der anderen Seite schwanken auch hier die Positionen. Hinzu kommt jedoch der Anspruch, in Zeiten der Not den Anschein staatsbürgerlichen Verantwortungsbewusstseins zu erwecken.

Zur FPÖ in Österreich

In den, in unregelmäßigen Abständen per E-Mail ausgesandten Newsletters der FPÖ in Österreich beispielsweise wurde im Laufe des Krisenausbruchsmonats März zunächst die Einheit der Nation gegen den Virusfeind beschworen. „FPÖ ist Teil des nationalen Schulterschlusses gegen den Coronavirus“, war etwa am 15. März d.J. zu lesen. Und am 19. März d.J.: „Österreich muss jetzt zusammenhalten!“

Doch diese Linie… war gestern. Je länger die Krise anhielt, desto stärker setzte sich die Ibiza-geschädigte Rechtspartei vom – seit dem 1. Januar 2020 nunmehr schwarz-grünen - Regierungslager ab, darauf setzend, dass die Maßnahmen der Regierenden mit steigender Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahl wohl unpopulärer als am Anfang würden. Am 1. April 20 hieß es noch, in einer Art von verbalem Balanceakt: „Nationaler Schulterschluss heißt nicht Gleichschaltung, sondern Bündelung der Kräfte.“ Der rechtsextreme Ex-Innenminister Herbert Kickl gibt in einem dort verlinkten Interview seinen Carl Schmitt, der daran erinnert, dass der Staat über den Ausnahmezustand gebietet, also dass das Recht der Politik zu folgen hat“ – die „Richtigkeit und die Gültigkeit dieses Satzes“ würden durch die Krisenerlässe ja bestätigt. (( Vgl. https://www.youtube.com/ )) Allerdings, fügte er hinzu, sei der entscheidende Punkt, „dass das Recht natürlich der richtigen Politik zu folgen hat“. Und diese, war darin impliziert, verkörperten nun einmal nicht die ÖVP oder gar die Grünen. Überdeutlich wird hier der autoritäre Führungsanspruch, welcher wie selbstverständlich beinhaltet, dass man explizit angibt, sich auch über Rechtsnormen hinwegsetzen zu dürfen: Die Politik, und zwar nur die eigene!, gebietet über den Notstand.

Wenige Wochen später hat sich der Ton tüchtig gewandelt, jedenfalls vordergründig; und nun steht der amtierende Kanzler (Sebastian Kurz) in den Worten der FPÖ für eine unzulässige Bevormundung der Bevölkerung: „Kurz‘ <neue Normalität> ist ein anderer Begriff für Ausnahmezustand“, wird ihm am 21. April 20 vorgeworfen, und am folgenden Tag: „Kurz versetzt die Bevölkerung in Angst und Schrecken.“ Gegenstand der Kritik sind allerdings nicht beispielsweise die Modalitäten von Polizeikontrollen, sondern die Umsatzverluste für Unternehmen, die nicht arbeiten dürfen. Die Rede ist von einer „Angstmaschinerie, und es wird bemängelt: „Die Kritiker wurden als ungläubige Ketzer hingestellt.Als positives Gegenbeispiel wird das vermeintliche schwedische Modell, das auch in diesem Artikel bereits angesprochen wurde, gesetzt.

Am Montag, den 27. April 20 publizierte die FPÖ in diesem Sinne eine Petition unter dem Titel: „Allianz gegen den Corona-Wahnsinn“. Und bei ihrer virtuellen 1. Mai-Demonstration dieses Jahres legte die FPÖ-Spitze von A bis Z den Schwerpunkt auf die Nöte der armen leidenden Unternehmen, die durch eine unverantwortliche österreichische Regierung mit ihrer unbegründeten Corona-Hysterie in den Ruin getrieben würden. Seitdem rief die rechtsextreme Partei im Laufe des Monats Mai // vgl. https://www.youtube.com  // zu weiteren // vgl. https://www.diepresse.comn  // Straßenprotesten auf. // Vgl. https://www.youtube.com/  // Dabei ging es ihren Worten zufolge „gegen den Corona-Wahnsinn und für die Freiheit aller Österreicherinnen und Österreicher“ (( vgl. https://www.ots.at/), die natürlich bei der vom einstigen Staatssekretär unter Adolf Hitler – Anton Reinthaller – aufgebauten Partei in besonders guten Händen zu liegen scheint. Auch die plakative Forderung „Masken weg!“ war dabei ein Thema. Vgl.: https://www.krone.at/2158203

AfD und Verschwörungspresse in Deutschland

Einen ähnlichen Schwenk vollzog die deutsche AfD. Anfänglich stimmte sie den Beschlüssen der Bundesregierung vom 16. und 23. März d.J. für den Lock-down, welcher erheblich schwächer ausfiel als in Frankreich, Italien oder Spanien, noch zu.

Zu den Hauptinitiatoren von Versuchen, rechten, an Wirtschaftsinteressen orientierten und/oder verschwörungstheoretisch aufgeladenen Protest dagegen zu bündeln, zählt unterdessen Jürgen Elsässer, seines Zeichens Chefredakteur von Compact Magazin. Ein früherer Linker, der sich vor gut dreißig Jahren gerne selbst für eine Mischung aus Götz George/Kommissar Schimanski (der damalige Elsässer und der Schauspieler hatten denselben Look,) und zeitgenössischem Lenin hielt – der Autor dieser Zeilen begegnete Elsässer erstmals 1987 – und heute auf einer anderen Welle zu reiten versucht. Aus juristischen Gründen werden wir an dieser Stelle nicht Fragen wie die zu beantworten versuchen, ob er heute nicht beispielweise eher einem misslungenen Verschnitt aus Dieter Bohlen und Joseph Goebbels ähnelt. Stärker gesichert erscheint, dass er am Wettbewerb für den Titel des GröGraz („Größten Großmauls alle Zeiten“) zwischen Stromboli und Stralsund, zwischen Gummersbach und Güngören, zwischen Wisconsin, Wien und Wuhan) teilnimmt und sich redlich abmüht.

Elsässer gibt in der aktuellen Corona-Krise nun schon seit Monaten den Seuchenrisiken-Leugner – Covid-19 sei auch nicht gefährlicher als eine Grippe, behauptet er insistierend, die Bevölkerung werde durch die Regierenden mit Lüge und Manipulation überflutet, um eine skrupellose „Corona-Diktatur“ zu errichten. Alles in Allem übernimmt er dabei jedoch auch nur eine selbstgewählte Rolle, die bis in den Wortlaut hinein seine Selbstdarstellung in vergangenen ökologischen Krisen ohne Abwandlung kopiert; von Tschernobyl 1986 (damals tönte er höhnisch über „Becquerellos“ aka über radioaktive Nahrungsbelastung besorgte Eltern von Schulkindern) über den Rinderwahnsinn 1996 bis zu seinem aktuellen manifesten Klimawandel-Leugnertum verspottete er stets die Befürchtungsträger/innen. Und dies auch schon in Zeiten, in denen er noch als Linker durchging. Dies sollte und soll (ob nun in linker Verkleidung, wobei die Inhalte jedoch jedenfalls damals in den fast ausschließlichen Dienst eines zügellosen persönlichen Geltungsdrangs gestellt schienen, oder heute als Rechtsautoritärer) irgendwie als rebellische Haltung erscheinen. Inhaltlich ist es das selbstverständlich keineswegs. Denn jüngst lobt Jürgen Elässer nun ausgerechnet den bösen alten Mann der deutschen Politik und obersten Verfechter der kalten Staatsräson, und zwar just für seine Positionen zum Tod in der Corona-Krise, also Wolfgang Schäuble. Vgl.: https://www.compact-online.de Zu Schäuble wurde an anderer Stelle bereits das Nötige ausgeführt; vgl. : https://www.heise.de/tp/

Bei einer gut einstündigen Debattensendung auf Compact TV mit Elsässer vom 1. April 20 (es handelte sich allerdings nicht um einen Aprilscherz) unter dem Titel „Todesvirus für den Euro?“ // vgl. https://www.youtube.com/  // drehte der AfD-Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer in einem Moment sichtlich genervt und demonstrativ die Augen zur Decke: Nein, gar so dreist könne eine Bundestagspartei einfach nicht am Gefährdungsgefühl der Bevölkerung vorbei argumentieren. Boehringer zählt zwar selbst zu den Verschwörungstheoretikern, er publizierte etwa Texte über den Einfluss der Freimaurerei auf die UN // vgl. https://de.wikipedia.org/wiki  //, hob sich jedoch als scheinbar staatsmännisch gegenüber dem geifernden und eifernden Chefredakteur von Compact Magazin ab. Boehringer hält ihm entgegen, Schäuble habe einmal aus Sicht der Eliten geäußert: „Man lässt keine gute Krise ungenutzt verstreichen!“; diese nutzten die Gunst der Stunde, die sanitäre Problematik existiere jedoch real. Eine sicherlich objektiv zutreffende Feststellung.

Der Chefredakteur versuchte seinerseits der AfD eine Art faschistisch gewendeten Leninismus nahe zu legen: In Stunden der Krise komme es nicht darauf an, was die versumpfte Mehrheit sage, sondern dass die Avantgarde das Richtige erkenne. Ähnlich, wie Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im August 1914 bei der damaligen Pro-Kriegs-Stimmung nicht mitgemacht hätten; diese seien nun „leider Kommunisten“ gewesen, doch ihr Ansatz sei dennoch der richtige gewesen. (Auf diese Weise versucht der notorische Bewegungsunternehmer Jürgen Elsässer frühere linke Inhalte, die er damals für seine persönlichen Zwecke einsetzte, nunmehr in das rechte bis faschistische Spektrum zu überführen: Die Methode zählt für ihn dabei, nicht etwa die früher vorgegebene emanzipatorische und menschheitsuniverselle Zielsetzung.)

Einige Tage später hatte sich jedoch nunmehr auch die Position der AfD weitgehend in diesem Sinne gedreht, ohne freilich so weit im Sinne eines rechten und autoritären Avantgardismus zu gehen wie Elsässer. Am 12. März 20 noch hatte ihre Co-Bundesvorsitzende Alice Weidel die Bundesregierung dafür kritisiert, dass diese nicht ausreichend Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS Cov-2 und zum Schutz der Bevölkerung ergreife. // Vgl. https://www.afd.de/n/ // Einige Wochen später hatten sich die Töne der Partei dann jedoch völlig anders an. Auch AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen forderte, ebenfalls im März 2020, noch offensiv einen Lock-down, bevor ein solcher dann wirklich kam. // Vgl. https://jungle.world///

Diese Partei versuchte sich nunmehr gewissermaßen an die Spitze jener Stimmen zu setzen, die von den Mobilitäts- und vor allem den wirtschaftlichen Tätigkeitsbeschränkungen die Nase voll hatten und sich bevormundet wähnten, und die auch durch Teile der FDP angesprochen wurden. So forderte die rechtsextreme Partei bereits kurz vor dem Osterwochenende (vom 11. bis 13. April dieses Jahres) eine „Öffnung der Kirchen für die Christen“. Bei der Aussprache im Bundestag vom 23. April dieses Jahres preschte die AfD vor und forderte eine sofortige Öffnung etwa von Restaurants, Hotels, Sportstätten wie auch Gotteshäusern, was jedoch auf Ablehnung bei den übrigen Parteien traf. // Vgl. https://www.braunschweiger-zeitung.de //

Eine der Behauptungen der Partei, wie auch vieler sonstiger Gegner des Corona-Maßnahmenpakets, lautet dabei, dieses sei für die (mutmaßlich) heraufziehende Wirtschaftskrise verantwortlich. Was selbstverständlich Unfug ist: Hätte das Wirtschaftssystem nicht zuvor bereits eine erhebliche Krisenanfälligkeit aufgewiesen, könnte es nach dem Lock-down wieder anfahren. Doch in 2018 und 2019 pfiffen es die Spatzen auch in bürgerlichen Wirtschaftszeitungen // vgl. https://www.capital.fr // bereits von den Dächern, dass die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise nach jener der Jahre 2007 bis 2009 sich längst zusammenbraue. // Vgl. https://www.lesechos.fr/i  // Diese nun ursächlich allein oder hauptsächlich auf die Corona-bedingten Einschnitte im öffentlichen Leben zurückführen zu wollen, grenzt an magisches Denken. Im Übrigen fuhren Renault, VW und andere Konzerne ihre Produktion bereits vor der Verhängung staatlicher Lock-down-Beschlüsse herunter, u.a. weil ihnen im Zuge der Pandemie ohnehin die (auch auswärtigen) Absatzmärkte vorläufig wegbrachen oder um Risiken einer Ausbreitung der Krankheit in ihren Produktionshallen zu minimieren und dadurch verursachte, noch stärkere Einbrüche zu verhindern.

Bereits am 15. April d.J. hatte u.a. ein Landtagsabgeordneter der AfD in Baden-Württemberg, Stefan Räpple an einer Kundgebung rund um die Heidelberger Anwältin Beate Bahner teilgenommen, auf der rund 200 Menschen „Wir sind das Volkskandierten. Gegen diese wird nunmehr wegen Verletzung der Corona-Maßnahmen ordnungsrechtlich ermittelt, vgl.: https://www.heidelberg24.de Rechtsanwältin Bahner hatte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Corona-Maßnahmen geklagt, am Karfreitag (10. April d.J.) dort verloren, hielt sich danach zwei Tage in Behandlung in einer psychiatrischen Abteilung auf – nein, nicht, um eine Dissidentin zu zwangspsychiatrisieren (die Dame blieb ja auch nur kurz), sondern weil die Frau auf Polizisten zugegangen war, dabei extrem wirr wirkte und behauptete, von bewaffneten Männern in einer Tiefgarage verfolgt zu werden - und zelebrierte ihren Auftritt kurz nach ihrer Entlassung aus der Klapsmühle.

Die wirre Anwältin behauptet unter anderem auf ihrer Webseite, die Corona-Maßnahmen bildeten „die blitzschnelle Etablierung der menschenverachtensten (Rechtschreibung im Original) Tyrannei, die die Welt jemals gesehen hat“. Hitler, Mussolini und Pol Pot waren nichts dagegen. Auch wenn wir selbstverständlich an dieser Stelle keine Ferndiagnose wagen möchten und nicht vom Fach sind, bliebe es doch zu untersuchen, ob ihr Fall aus psychiatrischer Sicht nicht doch ziemlich ernst aussieht.

Ab nach Kassel

Im nordhessischen Kassel beteiligte sich u.a. der hessische AfD-Politiker Manfred Mattis am 25. April als Ordner an einer Demonstration gegen die Pandemiemaßnahmen. Er war zur Bundestagswahl 2017 als Direktkandidat der AfD im Wahlkreis der Stadt Kassel angetreten. Vgl. u.a.: https://www.hna.de

Zu einer der mittlerweile eingespielten // vgl. https://www.tagesspiegel.de/  // „Hygienedemonstrationen“ // https://www.tagesspiegel.de/ // am selben Wochenende in Berlin waren neben NPD-Politikern, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern, Esoterikern und Hooligans ebenfalls Mitglieder der AfD-Landtagsfraktionen aus Berlin und Brandenburg. Aber auch verwirrte oder frühere Linke waren anzutreffen, ähnlich wie offenkundig in Kassel… // Vgl. https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/// Allerdings hat es - nicht nur dort - auch antifaschistisch motivierten Protest dagegen gegeben; vgl. https://www.tagesspiegel.de/ )

Auch In Bayern traf oder trifft man auf Mandatsträger der AfD, vom Herrn Kreisrat (O-Ton: „Das Leben ist immer lebensgefährlich“) //vgl. https://www.merkur.de/// bis zu Abgeordneten im Bundestag wie Petr Bystron, Hansjörg Müller und Johannes Huber. // Vgl. https://www.tz.de/ //.

In Italien

Eine andere Angriffslinie wählt die Lega in Norditalien, die auf regionaler Ebene seit Jahren in so genannter Regierungsverantwortung steht, also in ihren Verlautbarungen nicht unbedingt das gesamte Etablishment – jedenfalls nicht auf örtlicher Ebene - in die Wüste schicken kann. Die rechtsextremen Regionalisten müssen überdies damit kämpfen, dass sie eine wesentliche Rolle bei der Privatisierung der lukrativen Filetstücke des Gesundheitswesens in Oberitalien spielten und auf diese Weise mit zur Krankenhauskatastrophe beitrugen. // Vgl. https://www.rassegna.it/ //

In ihren Augen ist jedoch ein tauglicher Schuldiger ausgemacht, den man in der Öffentlichkeit anprangern kann, nämlich die EU. Vertreter der Lega wie auch der eher in Süditalien verankerten neofaschistischen Fratelli d’Italia nahmen mehrfach an Verbrennungen der EU-Flagge teil. Seit der zweiten Aprilhälfte d.J. hat Lega-Chef Matteo Salvini ferner ein Kampagnenthema entdeckt, bei dem seine Partei auf bekanntem Terrain spielt. Nachdem 300.000 überwiegend osteuropäische Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft aufgrund Corona-bedingter Grenzschließungen ausblieben, beschloss die amtierende Regierung, rund 200.000 „papierlosen“, illegalisierten Einwanderern Aufenthaltstitel zu geben – vor allem, um sie zu regulärer Arbeit auf die Felder schicken zu können. Die Lega wettert nun // vgl. https://www.lesechos.fr/ // in altbekannter Manier gegen die vermeintliche ausländische Invasion.

Die Rolle der prominenten, quartalsirren Verschwörungstheoretikerin bleibt im italienischen Falle der Abgeordneten Sara Cunial überlassen. Diese wurde im April 2019 von ihrer früheren Fraktion – jener der Retortenpartei „Fünf-Sterne-Bewegung“ (M5S) – ausgeschlossen // vgl.

https://www.corriere.it/ //, nachdem sie Impfungen als „Genozid“ (sic) bezeichnet hatte; vgl. : https://it.wikipedia.org/wiki Nun, in der Corona-Krise, lief die Dame zu Hochform auf. Im italienischen Parlament griff sie Anfang Mai d.J. in einem Rundumschlag unter anderem den – auch andernorts, weit jenseits seiner realen Kapitalistenfunktion, vielfach zum Gegenstand irrer Projektionen // vgl. https://projekte.sueddeutsche.de // werdenden – US-Milliardär Bill Gates, Impfungsprojekte, die WHO und „quantische Tätowierung zur automatischen Gesichtserkennung“ (sic) an. ( Vgl. in Italienisch und Französisch: https://www.youtube.com/watch?v=MDAgjzT5Cc0  ) Infolge ihrer Rundum-Attacken, die auch den italienischen Staatspräsidenten einbezogen, kam es zu Reaktionen ihrer Parlamentskollegen. Vgl. https://www.ilfattoquotidiano.it

Die Ergüsse der möglicherweise behandlungsbedürftigen Abgeordneten erfuhr im deutschsprachigen Raum ein Hype auf Facebook-Seiten von bekennenden Angehörigen der rechtsextrem-verschwörungsgläubigen Sekte QAnon (( vgl. https://www.facebook.com/ )), und in Frankreich bei rechtsextrem-katholischen Internetmedien (( https://www.lesalonbeige.fr/)). Man hat eben die Vorbilder, die man sich leisten kann…

Frankreich: über die politische Funktion von Verschwörungsglauben

Ende März d.J. befragte ein Umfrageinstitut im Auftrag der sozialdemokratischen Jean Jaurès-Stiftung sowie des sich mit Verschwörungstheorien beschäftigenden Think-tanks Conspiracy Watch eine Auswahl von 1.008 Französinnen und Franzosen über ihre Auffassungen zu den Ursachen der Covid19-Pandemie. // Vgl. https://jean-jaures.org  // Dabei stellte sich heraus, dass eine krasse Polarisierung auftrat, wenn man die Ergebnisse in ihrer Gesamtheit mit den Angaben zur parteipolitischen Einstellung der Befragten kreuzte.

Insgesamt gaben demnach 17 Prozent der Befragten an, das neue Coronavirus (SARS Cov-2) sei „im Labor entstanden“, und zwar „absichtlich“ dort geschaffen worden. Weitere neun Prozent gingen demnach davon, das Virus sei zwar unabsichtlich, jedoch „durch einen Unfall“ in einem Biowaffen- oder sonstigen Forschungs-Laboratorium entstanden. Damit liegt Frankreich, mit einem Anteil von insgesamt einem Viertel der Befragten für beide Antwortmöglichkeiten zusammengenommen, unterhalb des Prozentsatzes etwa in der US-amerikanischen Bevölkerung: Dort stimmten anlässlich einer Umfrage des Pew Research Center zwischen dem 10. und dem 16. März dieses Jahres respektive 23 Prozent („absichtlich“) und sechs Prozent, für die These vom Laborunfall, einem der beiden Antwortvorschläge zu. Zwischen den USA und China war die Behauptung einer künstlichen Erschaffung des Virus, durch die jeweilige Gegenseite, bekanntlich mehrfach wechselseitig eingesetzt worden; vgl. https://edition.cnn.com/2020

Auffällig wird es jedoch auf der französischen Seite, sobald man die innenpolitischen Präferenzen der Befragten berücksichtigt. Die zur Verschwörungstheorie neigenden Antworten liegen nämlich in quasi jeder einzelnen Wählergruppe mit einer, wie auch immer gearteten, Parteiorientierung unterhalb des Gesamtdurchschnitts. Bei den nicht parteigebundenen Wählerinnen und Wählern liegt der Wert knapp über dem Schnitt, bei denen der linkspopulistischen Wahlplattform La France insoumise (LFI, „Das unbeugsame Frankreich“) auf der Durchschnittslinie. Doch die Anhängerschaft des rechtsextremen Rassemblement National (RN, „Nationale Sammlung“, bis 2018 Front National) stellt gewissermaßen den dicken Ausreißer dar.

In ihr glauben allein 40 Prozent, das Virus sei „mit Absicht“ in finsteren Laborhallen erzeugt werden, und noch einmal fünfzehn Prozent kommen hinzu, die an eine Erzeugung im Labor ohne Absicht glauben. Zum Vergleich: Bei der Präsidentenpartei LREM (La République en marche), deren Anhängerinnen und Anhänger zweifellos in jeglicher Hinsicht an die Rationalität der regierenden Eliten glauben – oft auch zu Unrecht - sind es in Gänze nur zwei Prozent für beide Antwortoptionen zusammengenommen.

Diese Ausgangssituation führte kurz nach Veröffentlichung dieser Umfragewerte zu einer innenpolitischen Kontroverse. Am 30. März d.J. reagierte Marine Le Pen in einem Interview beim Sender Franco Info auf eine Nachfrage dazu, indem sie die offenkundig in ihrer eigenen Wählerschaft verbreiteten Einstellungen offensiv verteidigte: „Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, wie schlecht ich über diese Art von Studie über das Verschwörungsdenken (le complotisme) denke. Dass die Leute sich fragen, ob dieser Virus natürlicher Herkunft ist oder ob er nicht aus einem Labor entsprungen sein kann, das ist eine Frage des gesunden Menschenverstands.“ // Vgl. https://www.lefigaro.fr // Die LREM-Abgeordnete Aurore Bergé griff die RN-Vorsitzende daraufhin am folgenden Tag beim Rundfunksender Sud Radio in den Worten an, Marine Le Pen versuche, „den Virus des Verschwörungsdenkens (virus du complotisme) in unserem Land einzupflanzen“. // Vgl. https://www.lefigaro.fr/ // Die Chefin der rechtsextremen Partei fühlte sich deswegen wohl herausgefordert. In einer elektronischen Aussendung an alle, auf ihre Mailinglisten eingetragenen Sympathisant/inn/en vom selben Tag erfährt die geneigte Leserschaft: „Die Regierung ist der größte Lieferant von Fake News seit Beginn dieser Krise!“

Inhaltlich dreht es sich dabei dieses Mal jedoch nicht um verschwörungstheoretische Pseudoerklärungen der globalen Wirklichkeit, sondern eher um handfeste und zum Teil auch begründete innenpolitische Attacken gegen das Regierungslager. Es geht um dessen manifeste Planlosigkeit in den ersten Wochen der Corona-Krise; die vor allem in der Anfangsphase verbreiteten manifesten Lügen – Gesichtsmasken böten keinerlei Schutz, wurde zunächst behauptet, was allerdings nur kaschierte, dass es nicht ausreichend Gesichtsmasken gab -, denen die Regierung später selbst widersprach; die Unfähigkeit, ausreichend Tests zum Nachweis einer Infektion bereit zu stellen… An dieser Stelle verrichtet der RN in gewissem Sinne schlicht seinen Job als Oppositionspartei, wie es im Übrigen andere Oppositionskräfte auch tun.

Es ist übrigens wahrscheinlich, dass es Marine Le Pen und den übrigen Anführern und Anführerinnen des RN in Wirklichkeit selbst relativ egal ist, ob der Virus nun aus einem biochemischen Labor, einem Fledermauskörper oder einem Gürteltier stammt… und dass sie selbst möglicherweise nicht an die verschwörungstheoretische Erklärung dafür glauben. Es kann ihnen jedoch nicht gleichgültig bleiben, dass solche Thesen in ihrer eigenen Wählerschaft einen starken Anklang finden und dort offenkundig Bedürfnisse bedienen.

Was ihre Tätigkeit als Oppositionskraft betrifft, nimmt die französische extreme Rechte dabei eine Position ein, die sich insofern diametral von jener etwa der deutschen AfD unterscheidet, als die französische Partei in ihrer jüngeren Argumentation stets Wert auf den staatlichen Schutz der Bevölkerung legte und dabei u.a. Ausgangsbeschränkungen befürwortete. Dies gilt jedenfalls für den Rassemblement National (RN), als mit Abstand wichtigsten Hauptpartei im neofachistischen Lager, und jedenfalls ab Ende März dieses Jahres.

Wenige Tage zuvor hatte die Chefin der Partei allerdings noch das Gegenteil vertreten. // Vgl. https://oeilsurlefront.liberation.fr // Auch Marine Le Pen vollzog also einen taktischen Schwenk in ihrer Argumentation, ähnlich wie die deutsche AfD – jeweils, um einen Angriffswinkel für Attacken auf die Regierung zu finden -, doch in umgekehrter Richtung. Dort, wo die AfD erst einen Lock-down einforderte, um ihn dann später in immer heftiger werdenden Tönen zu kritisieren, als er dann kam, schwenkte der RN (genau umgekehrt) von einer anfänglich eher ablehnenden Haltung auf eine, Lock-down-Manahmen befürwortende Linie um. Ungefähr parallel übrigens zum Regierungslager, das selbst einen ähnlichen Schwenk vollzog, wobei die rechtsextreme Opposition allerdings stets den Eindruck zu erwecken versuchte, sie treibe dieses Regierungslager vor sich her und Letzteres tue nicht genug.

Schwächere, minoritäre Kräfte innerhalb des rechtsextremen Lagers in Frankreich nehmen mitunter davon abweichende Positionen ein. Allerdings setzt nur eine Kleinpartei wie die durch den früheren Front National-Politiker Carl Lang gegründete, eng mit dem neonazistischen Milieu verwobene Splitterpartei PdF (diese trägt den hochtrabenden Namen Parti de la France; vgl. zu diesem Verein und dessen jetzigen Chef Thomas Joly u.a.: http://www.trend.infopartisan.net/trd1110/t391110.html ) darauf, eine Proteststimmung anzufachen. Auch ihre Positionen schwanken allerdings mehr oder weniger im Zuge der Schwankungen des aktuellen Geschehens. Am 21. März 20 übernahm ihre Webseite (wir verzichteten bewusst auf eine Verlinkung an dieser Stelle) einen Twitter ihres aktuellen Vorsitzenden Thomas Joly, in dem den „afro-maghrebinischen“ Bevölkerungsteilen vorgeworfen wurde, diese seien es, die – ausdrücklich wird hinzugefügt: anders als „die Abstammungsfranzosen“ - „die Ausgangsbeschränkungen nicht respektier(ten)“ (Confinement non respecté). Doch im Laufe der kommenden Wochen änderte sich der Tonfall radikal. Und am 14.05.20 (Datum der Übernahme der Nachricht auf die Webseite der Partei) twitterte derselbe Joly unter der Überschrift „Sowjetisches Frankreich“ drauf los: „Sanitäre/Gesundheitspolitische Hysterie, sakralisiertes Abstandhalten, Mobilitätsbeschränkungen, Tracing, social Distancing – aber bloß kein rassisches Distanzhalten (…): Dieses unglaubliche, Orwellsche-sowjetische Regime wird natürlich nicht von vorübergehender Dauer sein.“ Die maßgeblich ebendieser Kleinpartei nahe stehende Webseite Synthèse nationale – wir verzichteten hier ebenfalls bewusst auf eine Verlinkung – jubiliert ihrerseits am 24. Mai 20 über die, durch die neofaschistische und -franquistische Partei Vox in Spanien gestarteten Autokorsos: „Spanien: enormer Erfolg für die im ganzen Land durch Vox lancierten ‚Freiheitskarawanen‘…“.

An die „Corona-Proteste“ in Deutschland anzuknüpfen versuchten wiederum rechtsextrem-katholische Spinner, in diesem Falle jene der von Laurent Glauzy betriebenen Webseite Pro Fide Catholica, am 14. Mai 20 unter der Überschrift: „Was die französische Presse versteckt/verbirgt: Deutschland am Rande einer politischen Revolution.“ (Sic!) Zu allem Unglück bzw. Überfluss wurden diese Ergüsse auch durch mindestens eine Publikation aus dem „Gelbwesten“-Spektrum, welche wohl eher zum Irrenhausflügel dieser 2018/19 entstandenen und politisch-ideologisch ziemlich heterogenen Protestbewegung zählt, übernommen. Vgl.: https://www.facebook.com/

Auch sonst hatte man im rechtsextrem-katholischen Spektrum darauf orientiert, dass man Anderes oder Wichtigeres zu tun habe, als die Bekämpfung des Corona-Virus in irgendeiner Weise zu unterstützen. In diesem Falle ging es allerdings hauptsächlich darum, dass die freie Ausübung des Glaubens bzw. katholischer Glaubensrituale über allem Irdischen stehe, und erst recht über allen Regierungsbeschlüssen (jedenfalls unter einer falschen Regierung). Sowohl die katholisch-fundamentalistische Kleinpartei Satanas, nein falsch…: Citivas unter Alain Escada als auch die vom früheren FN-Politiker Bernard Antony aufgebaute katholisch-traditionalistische Gruppierung AGRIF, wie auch die rechtkonservativ-katholische Kleinpartei Parti chrétien-démocrate (PCD) unter Jean-Frédéric Poisson riefen jeweils den Conseil d’Etat („Staatsrat“), also das höchste Verwaltungsgericht in Frankreich an, um eine Erlaubnis zur Wiedereröffnung der Kirchen trotz Corona-bedingter Kontaktbeschränkungen zu erwirken. In der Folge gab der Conseil d’Etat den Klägerpartei übrigens teilweise Recht bzw. kam ihnen insofern weit entgegen, als er dem Regierungschef (Premierminister Edouard Philippe) unter Setzung einer Frist von acht Tagen anordnete, ein Konzept für die Wiederzulassung von Gottesdiensten. Das oberste Verwaltungsgericht vermied es auf dieser Weise, den Klägerparteien direkt Recht zu geben und die Regierung unmittelbar auf ihren Antrag hin zu verurteilen - erteilte jedoch Anordnungen, die darauf hinauslaufen, ihre Anträge „gegenstandslos werden“ zu lassen.

Vgl. dazu:

Offizielle Zielschreiben rechtsextremer Agitation

Die Parteiführung des RN konzentriert sich unterdessen in ihren eigenen Angriffen eher auf andere Zielscheiben. In ihrer Agitation (wie auch zum Teil in jener anderer neofaschistischer Kräfte, vgl. oben zum PdF) stehen vor allem Angehörige der sozialen Unterklassen in den banlieues, also in Trabantenstädten mit Hochhaussiedlungen, im Vordergrund.

Ihnen wird von Seiten des RN und in der Spalten ihm nahe stehender Medien wie dem Wochenmagazin Valeurs actuelles // vgl. https://www.valeursactuelles.com// oder durch den TV-Journalisten Eric Zemmour // vgl. https://oumma.com/ // immer wieder und wieder vorgeworfen, sie seien es, die sich nicht an Ausgangssperren und Mobilitätsbeschränkungen hielten. Nun trifft es zu, dass in einigen besonders markanten Sozialghettos Verstöße gegen die Auflagen, und eine von diesen überforderte oder aber zum Einschreiten unwillige Polizei zu beobachten sind. Es ist allerdings auch leichter, sich daran zu halten, wenn man in einem Landhaus oder in einem geräumigen Innenstadtappartement als in einer überbelegten Hochhauswohnung lebt, wie auch Innenminister Christophe Castaner bei einer Pressekonferenz einräumen musste.

Die Zahl der mutwilligen Verstöße dürfte allerdings auch nicht höher liegen als unter individualistisch gesonnenen Besserverdienenden, die sich partout nicht von ihrem Sonnenbad oder Jogging abhalten lassen möchten (oder vom Aufenthalt am Zweitwohnsitz; lt. Angaben der Telefon-Anbieter befanden sich seit Beginn der Aufenthaltsbeschränkungen 17 Prozent der Pariser Abonnent/inn/en in anderen Landesteilen…), nur weil irgendwo ein paar Rentner an Covid-19 erkranken könnten. Dies betonte selbst Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye, die auch einräumte, es gebe „ein rassistisches Geschmäckchen“ //vgl. https://www.lefigaro.fr// bei der Ausrichtung eines Teil der Polizeikontrollen.

Dies hielt und hält die extreme Rechte nicht von intensiver Hasspropaganda gegen diese angeblich von lauter undisziplinierten Sozialschmarotzern bevölkerten Zonen ab. François de Voyer, Präsident des Cercle Audace – ein Zirkel, in dem RN-Anhänger und Konservative zusammen kommen sollen – sprach in diesem Zusammenhang, // vgl. https://www.mediapart.fr // in Abwandlung des auf der Rechten traditionell verwendeten Begriffs der zones de non-droit (rechtsfreien Räume), Ende März d.J. von zones de non-France. Und Marine Le Pen behauptete, es finde eine „Eskalation“ statt, weil nunmehr die Moscheen – die während der Dauer der Ausgangsbeschränkungen, ebenso wie Kirchen, sämtlich geschlossen blieben – über Lautsprecher ihre Gebetsaufrufe verbreiteten. // Vgl. https://www.lefigaro.fr/  // In einem von ihr angeführten, angeblichen Beispiel in der Nähe von Montpellier recherchierte die französische Presse jedoch nach. // Vgl. https://oeilsurlefront.liberation.fr/  // Es entpuppte sich jedoch als Falschbehauptung. Die Moschee hatte vollständige Ruhe bewahrt. Unterdessen war aus dem geöffneten Balkonfester eines Anwohners kurzzeitig Gebetsgesang aus einer Stereoanlage in seiner Privatwohnung gedrungen.

Ansonsten nutzte und nutzt die französische extreme Rechte die Gunst der Stunde vor allem, um wiederholt ein grundsätzliches Plädoyer für Grenzschließungen und -kontrollen, die angeblich Schutz böten, vorzutragen. // Vgl. https://actu.orange.fr  // Ein Artikel der Politologin Speranta Dumitru vom 07. April dieses Jahres in der renommierten populärwissenschaftlichen Zeitschrift The Conversation // vgl. https://theconversation.com/  // widerlegte dies allerdings ausdrücklich: Sei das Virus einmal auf einem Staatsgebiet präsent, machten Grenzschließungen keinerlei Unterschied mehr. Mittlerweile wurde ja bekannt, bei nachträglichen Tests an Lungenentzündungspatienten vom vergangenen Winter habe sich ergeben, dass der erste Coronavirus-Fall, damals noch unerkannt, wohl schon am 16. November 2019 im elsässischen Colmar verzeichnet worden sei; // vgl. https://www.heise.de/t // im Raum Paris wurde ein erster Lungenkranker, welcher an Covid-19 litt, mit dem Datum 27. Dezember 2019 identifiziert. Ab da half wohl definitiv kein Grenzschutz mehr. Doch was kratzt dies die extreme Rechte?

Ihre erbitterte Agitation hat der extremen Rechten im Augenblick allerdings keinen zusätzlichen Sympathiebonus eingehandelt. Im Popularitätsbarometer der führenden Politikfiguren rutschte Marine Le Pen von 26 Prozent Zustimmungswerten Anfang März d.J. auf 23 Prozent, Anfang April dieses Jahres, zurück. // Vgl. https://oeilsurlefront.liberation.fr// Dies hängt den Demoskopen zufolge vor allem mit einem Rückgang ihrer Popularität in älteren Jahrgängen und in Ostfrankreich, etwa dem besonders von der Pandemie heimgesuchten Elsass, zusammen. Dort werden ihre Angriffe auf die Regierenden derzeit nicht sonderlich goutiert, sondern wird die Bekämpfung der Krankheit als die Aufgabe der Stunde betrachtet, auch unter Zurückstellung parteipolitisch motivierter Profilierungsversuche. Doch die Wirtschaftstageszeitung Les Echos, die die Umfrage am 02. April 20 vorstellte, // vgl. https://www.lesechos.fr/politique-societe/politique/coronavirus-marine-le-pen-ne-tire-pas-profit-de-sa-strategie-agressive-dans-lopinion-1191440 // warnt jedoch vor möglichen künftigen Entwicklungen: Die extreme Rechte bereite bereits ihre Positionierung für die Krise nach der Krise vor, also die am Horizont heraufziehende Wirtschafts- und Sozialkrise.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Beitrag vom Autor für diese Ausgabe. Eine gekürzte Version erschien am 25.03.2020 bei telepolis.