Aggressive Lobbys
Deutsche und französische Konzerne konkurrieren mit Hilfe des Staates um Einfluß und Machtanteile. Am Beispiel der Affäre Siemens/Alstom


Von Bernhard Schmid (Paris)
07/04

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Dass es im real existierenden Kapitalismus oftmals nicht so zugeht wie in den Lehrbüchern des Wirtschaftsliberlismus und anderen bürgerlichen Theoriegebäuden, ist eine ­ unter Linken altbekannte ­ Binsenweisheit. Das gilt namentlich auch für die Frage staatlicher «Eingriffe» in die Wirtschaft, die theoretisch im Namen der Freiheit von Markt und Konkurrenz, der Eigentumsfreiheit der Produktionsmittelbesitzer verdammt werden. In der Praxis aber rufen gerade auch letztere gerne nach dem Staat, wenn es beispielsweise darum geht, Verluste zu sozialisieren oder das «nationale Interesse» für die Verteidigung ihrer Interessensphäre anzurufen.

Dennoch lassen sich Protagonisten von Staat und Wirtschaft immer wieder dazu herbei, diesen Widerspruch zwischen wirtschaftstheoretischem Anspruch und kapitalistischer Wirklichkeit zum Anlass für ernsthafte Streitereien zu nehmen. Oft aber verbergen sich hinter diesen Konflikten in Wirklichkeit Versuche, nationale Interessensphären und ­blöcke gegeneinander abzugrenzen. Das gilt auch dann, wenn nunmehr vielfach die Rede ist von der Herausbildung sogenannter «europäischer Champions», die auf dem Wege von Fusionen und Kapitalkonzentration im EU-weiten Maßstab die notwendige Masse auf¹s Tapet bringen sollen, um mit den us-amerikanischen und ostasiatischen global players im Wettbewerb bestehen können. Denn auch innerhalb der EU sind die Widersprüche zwischen nationalen Kapitalien ­ und ihren politischen Stützen ­ keineswegs verschwunden. Vielmehr stoßen ihre Interessen jetzt direkter aufeinander, wenn es darum geht, welches Land bei den anstehenden und sich vollziehenden Firmenverschmelzungen den Kürzeren zieht und «seine» Konzerne den Wirtschaftskapitänen des Nachbarn sich unterordnen sieht. Bei einer Unternehmensverschmelzung herrscht deswegen auch ein knallhartes Ringen darum, wer in letzter Instanz das Sagen hat. Dazu das Handelsblatt : «Trotz aller rhetorischen Nebelkerzen, die eine <Fusion unter Gleichen> stets begleiten : Nach spätestens fünf Jahren ist klar zu erkennen, wer sich durchgesetzt hat. Das war bei Daimler-Chrysler so, das wird auch bei Sanofi-Avantis so kommen.»

Die Fusion der Pharmakonzerne Sanofi und Aventis

Stichwort Sanofi-Aventis : Die beiden Pharmakonzerne (überwiegend) französischer Herkunft gaben am 25. April dieses Jahres ihre Entscheidung bekannt, zu fusionieren: Ein «feindlicher Übernahmeversuch» war plötzlich, quasi über Nacht, zur «freundlichen Übernahme» geworden. Die verhältnismäßig kleine, aber profitable Konzerngruppe Sanofi-Synthélabo, die vor allem im Forschungsgeschäft führend ist, hatte im Januar 2004 den Aktionären der weit größeren Aventis einen Aufkauf ihrer Aktien zu einem Preis, der um 14 Prozent höher lag als ihr damaliger Kurs, angeboten. Dies geschah ohne das Einverständnis der Führung des Aventis-Konzerns (der selbst 1998 aus einer Fusion zwischen dem deutschen Hoechst-Konzern ­ einem der Rechtsnachfolger der IG Farben - und der französischen Firma Rhône-Poulenc hervorgegangen war), deswegen das Adjkektiv «feindlich». Wochenlang tobte über teure und bunte Großanzeigen in der Presse, die auf Aktieninhaber und Kunden wirken sollten, der Propagandakrieg. Es gehe um das Interesse der medizinischen Forschung in Frankreich, behaupteten die Einen; im Falle einer Fusion seien die Arbeitsplätze bedroht, die Anderen. Für den Fall, dass Sanofi ihnen gefährlich werden könnte, eröffneten die Konzernführer von Aventis auch Fusionsverhandlungen mit dem Schweizer Pharmariesen Novartis (ehemals Sandoz sowie Ciba-Geigy) ­ und sahen schon einmal äußerst großzügige Abfindungszahlungen für sich vor.

Und dann sah, im April, plötzlich alles ganz anders aus. Was vorher noch angeblich konträr zu den Interessen der Patienten, der Mitarbeiter und der Nation stand, versprach plötzlich, den Verlautbarungen beider Seiten zufolge, die besten Zukunftsaussichten für alle Betroffenen. Mitte März hatte Premierminister Jean-Pierre Raffarin seine Präferenz für eine Lösung im «nationalen Interesse» erklärt, unter Ausschluss des Novartis-Konzerns, der als nicht-französischer Anwärter auf den Rängen saß.

Und dann ging alles sehr schnell: Am 23. April schickte der ebenso aktivistische wie vom Ehrgeiz zerfressene Wirtschafts- und Finanzminister Nicolas Sarkozy ­ der vormalige Innenminister ­ einen seiner Berater bei den beiden Konzernchefs, Jean-François Dehecq und Igor Landau, vorbei. Beide sollten sich möglichst schnell treffen, was sie dann auch am folgenden Tag taten. Keine 24 Stunden später war die Superfusion unterschriftsreif. Sanofi-Synthélabo hatte, auf staatlichen Druck hin, akzeptiert, sein Angebot für die Übernahme von bisher 48,5 auf jetzt 55,3 Milliarden Euro aufzurunden. Pro Aktie wollte der Übernehmer jetzt 69, statt bloß 60 Euro herausrücken. Die französische Regierung hatte sich ganz massiv eingeschaltet. Sie hatte ein ausgezeichnetes Druckmittel in der Hand : In den kommenden Wochen soll nun auch in Frankreich eine «Gesundheitsreform» durchgesetzt werden, die natürlich vorwiegend auf Kosten der Kranken und Lohnabhängigen gehen wird. Im Zuge der «Reform» soll ein in Bälde neu einzurichtendes Gremium namens «Hohe Gesundheitsbehörde» einen sogenannten «Arzneimittel-Warenkorb» festlegen. Dabei soll definiert werden, welche Medikamente künftig noch durch die gesetzliche Krankenkasse erstattet werden, welche nur noch in verringertem Maße, und welche überhaupt nicht mehr. Und wenn es nun demnächst beispielsweise darum gehen wird, zu entscheiden, ob ein Medikament von Aventis dabei «durchfällt» oder weiterhin von der gesetzlichen Kasse bezahlt wird, ist augenfällig, dass der Staat über ein enormes Druckmittel verfügte.

Sauer aber waren, neben den Schweizern in der Vorstandsetage von Novartis, auch die Deutschen. Denn konzernintern wird sich das Schwergewicht beim Hoechst-Erben nunmehr auf die westliche Seite des Rheins verlagern. Der Berliner Finanzminister Hans Eichel äußerte sich gegenüber der Financial Times ungehalten über das Verhalten der französischen Regierung. Oppositionspolitiker warfen der Bundesregierung vor, sich nicht genügend für deutsche Interessen eingesetzt zu haben. Aber auch die Gewerkschaften und der deutsche Aventis-Betriebsrat bliesen eifrig in dasselbe, nationalistische Horn. Die IG BCE sprach sich gegen die Fusion mit Sanofi und für den Übernahmekandidaten Novartis aus, obwohl dieses zweitgenannte Szenario explizit den Abbau von doppelt so viel Arbeitsplätzen (20.000) vorsah. In den deutschen Werken des Konzerns profilierte die IG BCE sich mit der Suche nach dem «besten Franzosenwitz». Protestversammlungen des Betriebsrats fanden unter Anleitung und Aufsicht des Managements stand. Dagegen spricht eine Ende April veröffentlichte, gemeinsame Erklärung von linken Gewerkschaftern aus Frankreich, der Schweiz und der BRD ­ etwa aus den Reihen der linksalternativen SUD Chimie und der oppositionellen «Chemiekreis»-Liste ­ sich gegen solcherlei Chauvinismus aus. Sie warnt vor den Konzernstrategien beider Seiten Beteiligten und vor der Vernichtung von Arbeitsplätzen in allen betroffenen Ländern.

Am Beispiel Siemens und Alstom

Nun bliesen aber die Deutschen zur Revanche. Eine Gelegenheit sollte sich ihnen alsbald bieten, denn Mitte Mai dieses Jahres stand die Entscheidung des EU-Wettbewerbskommissars Mario Monti in dem seit acht Monaten hängigen Verfahren zum französischen Alstom-Konzern unmittelbar bevor. Alstom ist ein französischer Mischkonzern, der namentlich den Hochgeschwindigkeitszug TGV, Installationen für Atomanlagen sowie Schiffe baut(e). Im Frühsommer 2003 schlitterte der Konzern tief in die roten Zahlen. Das hing einerseits mit dem Zusammenbruch der Nachfrage im Schiffbau zusammen ­ u.a. aufgrund des Rückgangs der US-Kreuzfahrtbranche nach dem 11. September 2001. Andererseits hatte der Konzern mit Investitionsruinen Milliarden in den Sand gesetzt, etwa mit Großturbinen für Kraftwerke, die nicht richtig funktionierten und ihm enorme Regresszahlungen einhandelten. Und schließlich hatte der Konzern, während die Talfahrt bereits eingesetzt hatte, seine Aktionäre durch großzügige Ausschüttungen belohnt. An der mangelnden Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft durch Alstom kann es jedenfalls nicht gelegen haben. Denn in diesem Bereich erprobte der Konzern längst ausgereifteste Strategien. So wurde das Kreuzfahrtschiff der Superlative, die Queen Mary 2, auf der Alstom-Werft in Saint-Nazaire zu bedeutenden Teilen durch immigrantische Arbeitskräfte errichtet, die durch Sub-Subfirmen unter prekärsten Bedingungen über befristete Kurzverträge «importiert» worden waren. Die franzözsische Wirtschaftszeitung La Tribune schrieb dazu im August 2003: «In der Mehrzahl der Fälle beträgt die Arbeitszeit rund 60 Stunden pro Woche, für einen Lohn, der unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns SMIC», rund 1.000 Euro im Monat, «liegt und von dem der Arbeitgeber noch die Unterbringungskosten abzieht.» Im März desselben Jahres streikten die Inder auf der Werft, im April die Griechen, und im August wurde der Schiffbau durch rumänische Arbeiter blockiert, die seit Monaten ohne Lohn geblieben waren ­ man glaubt sich zu Zeiten von Emile Zola.

Nach einem Rettungsplan vom 6. August vorigen Jahres wollte der französische Staat 800 Millionen Euro Einlage in das Alstom-Kapital tätigen. Damit wäre er, mit 31 Prozent Anteil, zum größten Einzelaktionär des Konzerns geworden. Zudem sollten die Gläubigerbanken, durch das staatliche Engagement in ihrer Angst vor «faulen Krediten» beruhigt, rund 1,5 Milliarden Euro Vorschuss auf den Tisch legen. Doch dann zog die EU-Kommission Anfang September 2003 die Bremse : Die Staatsbeihilfen bedeuteten eine Wettbewerbsverzerrung, und dürften deswegen nicht ohne Genehemigung ausgegeben werden. Seitdem prüfte der für den Wettbewerb zuständige EU-Kommissar Mario Monti die Zulässigkeit der Pläne.

In der Zwischenzeit entfaltete der deutsche Siemens-Konzern, der in ähnlichen Sparten wie Alstom tätig ist es und es bei dem Konkurrenten vor allem auf den Anlagenbau ­ den Turbinenbereich -, aber auch auf die Eisenbahntechnik abgesehen hat, enormen Druck mit Unterstützung deutscher Regierungskreise. Siemens hat klar gemacht, dass man in München an einer Übernahme der zitierten Kernsparten von Alstom interessiert sei, dabei aber eine Minderheitsbeteiligung nicht in Frage komme. Die FAZ sprach am 25. Mai von «der aggressiven Lobbyarbeit des Münchener Konzerns in Brüssel und Berlin». Das für die Finanzen zuständige Alstom-Vorstandsmitglied Philippe Jaffré (ehemals Vorstandschef beim Erdölkonzern Elf-Aquitaine) drückte es undiplomatisch so aus : Der Druck, den Siemens in den vorangegangen Wochen auf den französischen Konzern ausgeübt habe, «kommt einer organisierten Vergewaltigung gleich».

Die französische Regierung dagegen favorisierte zunächst einen anderen möglichen «industriellen Partner» für Alstom, nämlich den französischen staatlichen Nuklearindustriellen Areva (ehemals Cogema). Doch damit handelte Paris sich die Gegnerschaft aller Seiten ein: Die Deutschen waren verärgert, die EU-Kommission sah durch die Idee des Einstiegs eines Staatskonzerns die heiligen Grundsätze des Wettbewerbs verletzt, und ­ die Areva-Spitze selbst hielt nichts davon, da wesentlich mächtigere Interessen sie mit der Münchener Konzernzentrale verbinden. Denn Areva und Siemens unterhalten eine gemeinsame Filiale (Framatome), die in naher Zukunft die nächste Generation von Atomkraftwerken, den EPR-Druckwasserreaktor, bauen soll. Also legten Siemens und Areva Anfang Mai einen gemeinsamen Plan «zur Sanierung von Alstom» vor; der französische Atomproduzent hatte sich wie ein trojanisches Pferd der Siemens-Interessen verhalten.

Der in der letzten Maiwoche ausgehandelte Deal zwischen Mario Monti und Nicolas Sarkozy sieht zudem vor, dass Alstom sich binnen vier Jahren einen «industriellen Partner» in seinen Kernsparten Energie und Transport suchen muss ; dieser muss der Privatwirtschaft entstammen. Siemens wetzt bereits die Krallen, auch wenn andere Interessenten Aufstellung genommen haben: Der Nordamerikaner General Electric, die japanische Mitsubishi-Gruppe sowie die schweizerisch-schwedische Unternehmensgruppe ABB. Bei letzterem hat zwar Konzernchef Jürgen Dormann sein Interesse bekundet, doch manifestiert das Management äußerste Skepsis, da ABB erst vor vier Jahren seinen Turbinenbereich ­ mit dem Alstom dann erhebliche technische und in der Konsequenz wirtschaftliche Probleme bekommen hat ­ an den Konzern aus Belfort veräußert hat. Als wahrscheinlich gilt, dass letztendlich doch Siemens den Zuschlag erhalten könnte, da ein europäischer Konzern den nordamerikanischen und japanischen Rivalen vorgezogen würde. Der Münchener Konzern seinerseits hat bisher nicht ausgeschlossen, gegen die Staatseinlage bei Alstom vor Gericht zu ziehen, da das dafür gegebene grüne Licht aus Brüssel die Wettbewerbsregeln verletze.

Bundeskanzler Gerhard Schröder schimpfte in der Financial Times Deutschland über Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Sarkozy, dieser sei «extrem nationalistisch». Wie die Faust auf¹s Auge zu dem Kanzlerspruch passten dessen manifeste Drohungen. «Schröder befürchtet», referiert die FTD vom 7. Juni 04, dass Sarkozys Politik «die Durchschlagskraft der deutsch-französischen Zusammenarbeit in Europa gefährdet». Dem durchschlagenden Argument setzte er hinzu: «Man darf nicht erlauben, dass unsere freundschaftlichen Beziehungen darunter leiden.»

Nicht seine nationalistische, den Konzerninteressen von Siemens dienende Politik jedoch kritisierte der oberste deutsche Gewerkschaftsbürokrat an Schröders Politik: « DGB-Chef Michael Sommer kritisierte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), dass er sich nicht ausreichend für die Interessen des Siemens-Konzerns eingesetzt habe.» Dies berichtet jedenfalls die «taz» (02. Juni). In ein ähnliches Horn stießen die Oppositionsparteien im Berlin Bundestag. Die Heimatfront steht offenkundig.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor schickte uns am 17. Juli 2004 seinen Artikel in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung. Eine gekürzte Fassung erschien in der Ausgabe 07/2004 der Zeitschrift KONKRET.