Editorial
Reform oder Revolution?

von
Peter Schulz
07/05

trend
onlinezeitung

Alle aus der Redaktion machen Urlaub und ich darf mal wieder als Ausputzer einspringen. „Hi Peter, könntest Du die Schlussredaktion alleine machen?“ lautete Ende Juni die Anfrage. „Na guut!“ Wie üblich ein Berg von Dateien zu sortieren, auszuwählen, zu setzen… und ein „schönes“ Editorial zu formulieren, das hatte ich mir damit eingehandelt.  

Schon nach der ersten Durchsicht war klar, in dieser Ausgabe soll es dem politischen Reformismus an den Kragen gehen. Sogar eine eigene TREND-Artikelübersicht „Reformismus“ wurde zusammengestellt.  

PDS und  WASG basteln zügig an dem Projekt: „Wir sind die wahren Sozialdemokraten“ was letztlich heißt, dass sich nur noch an ihren personellen Rändern der klassische politische Reformismus larviert verkörpert. In der Hauptseite ist die „Links“partei keine – was eh bekannt ist – und wenn man ein entsprechendes Etikett für sie erfinden müsste, dann hieße es: Das Bad Godesberger SPD-Revival  incl. nationaler Besoffenheit.  

Wo der klassische politische Reformismus stattdessen unschwer zu finden ist, zeigt der Brief von FELS und Co. Hier wird wird mit radikaldemokratischen Floskeln („Für die Auflösung aller Abschiebelager!“) bei der „Linkspartei“ schwadroniert, gegen die kein „guter“ Mensch etwas einzuwenden hätte. Um solche guten Ziele sollen sich PDS und WASG  bitte kümmern, meint FELS, dann wären sie ganz schön links und man könnte ohne Skrupel unter deren Dach und mit deren parlamentarischen Fleischtöpfen die „Rahmenbedingungen der Arbeit“ der eigenen Gruppe verbessern. 

Als Mini-Splitter-Gruppe konnte FELS – und diese Strömung steht wahrlich nicht alleine da – es sich leisten, den Kapitalisten und ihrem Staat die eigenen theoretischen und politisch-paktischen Unzulänglichkeiten in die Schuhe zu schieben. Ähnlich ideologisch konfiguriert ist die PDS seit Anbeginn, allerdings mit einer ganz anderen Breitenwirkung und Substanz. In ihrer parlamentarischen Praxis hielt sie seit 1990 jeden Spagat zwischen linkem Programm und rechtem Alltagshandeln aus. Den Kitt dazu bildete die Vorstellung, dass die politische Kleinarbeit des Tages für die Umwälzung der Verhältnisse letzten Endes doch nützlich sei. 

Lafontaine, seine Ex-SPD-Kumpels und Gewerkschaftsbeamten von der WASG sind da von anderem Format. Für sie bedeutet „Business as Usual“ Rummakeln und Rumfingern in den Nischen des Sozialstaats als selbst ernannte Sprecher des besseren Teils Menschheit. Seitdem die kapitalistische Krise die Extraprofite schmälert, ist der „soziale Frieden“ – nicht mehr so leicht zu finanzieren, so dass zwangsläufig auch ein bestimmtes Personal – nämlich unsere WASG-Kumpels – überflüssig wird. Da wird man sauer, das will man nicht hinnehmen.

Sahra Wagenknecht scheint dies irgendwie zu spüren: Wenn Lafontaine und Gysi fraternisieren, dann ist über Kurz oder Lang Schluss mit der PDS-Knete für radikales Wortgeklingel. Wer als drittstärkte Partei im Bundestag sitzt, der muss sich auf die Detailarbeit konzentrieren. Linke bitte links (r)austreten. Dort – jenseits der „Linkspartei“ - warten irgendwo zwischen Affirmation und Reformismus die Freunde von FELS.   

Nun lautet eine gängige Auffassung unter revolutionären Linken, dass man doch das Parlament als „Tribüne des Klassenkampfes“ gebrauchen müßte. Ihnen kommt es gar nicht in den Sinn zu fragen, ob dies unter den Bedingungen des „Spätkapitalismus“ globaler Prägung überhaupt möglich ist. Stattdessen reden sie vom „echten Sozialismus“ (Wer jetzt an die MLPD denkt ist selbst ein Schelm) und bescheinigen der „Links“partei Verrat an den Zielen der untergegangenen Arbeiterbewegung. 

Mich freute es, in dieser Ausgabe Agnolis Thesen über die Transformation der Demokratie zu finden. Da hätten wir ja schon mal einen gedanklichen Fingerzeig, ob revolutionäre Politik unwiderruflich am Parlament zu kleben habe. 

Auch Dieckmann Artikels (Auf dem "Dritten Weg" ins 21. Jahrhundert?) passt gut zum Thema "Kritik des politischen Reformismus", wenn es dort heißt „Demgegenüber hat Joachim Hirsch mit dem etwas unglücklichen Begriff des "radikalen Reformismus" in erster Linie nicht- und anti-staatliche Selbstorganisierungsprozesse gemeint, die sich als Gegenmacht auch institutionell niederschlagen beziehungsweise absichern.“ 

Wie Agnolis Thesen bereits anzeigen und Dieckmanns Artikel dringend nahelegt, kommt man bei der Kritik am politischen Reformismus nicht daran vorbei, den Staatsfetischismus einer Kritik zu unterziehen. Hier wird vorausgesetzt, dass man über einen Staatsbegriff verfügt, worin die Gewaltfrage den wirklichen Verhältnissen angemessen eingebunden ist. Dies wird nur gelingen, wenn der Staatsbegriff auch seinen historischen Bezugspunkt die bürgerliche Gesellschaft - nämlich die Verdopplung der Gesellschaft in Staat und Gesellschaft – zum Gegenstand hat. Sowohl der Artikel von Ingo Stützle (Staatstheorien oder ) als auch der von Karl Reitter (Verdopplung und Entgegensetzung) liefern zu diesem Thema m. E. zentrale Hinweise. 

Vielleicht böte ja die Formel von der „revolutionären Realpolitik“ einen Ausweg aus der Beantwortung der dilemmatorischen Frage „Reform oder Revolution?“ Jedenfalls bedeutete „revolutionäre Realpolitik“ zu Zeiten der Altvorderen Marx&Engels eine grundsätzliche und unwiderrufliche Parteilichkeit für die Sache des Proletariats. Diese Parteinahme für das Proletariat war für sie keine leere Formel, sondern hierin drückte sich ihre Analyse einer gegebenen historisch-sozialökonomischen Situation, deren reale Klassenverhältnisse sowie deren Form, Inhalt und Stand der Klassenkämpfe aus. 

Daher: We will do our best!