Der Neue Imperialismus

von Eric Hobsbawm

07/05

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Drei Kontinuitäten verbinden die USA des Kalten Krieges mit jener welche seit 2001 versucht ihre Vormachtstellung in der Welt geltend zu machen. Die erste ist ihre internationale Dominanz außerhalb der Einflußsphäre der kommunistischen Länder zur Zeit des Kalten Krieges, und weltweit seit dem Zusammenbruch der UdSSR. Diese Hegemonie basiert heute nicht mehr auf der schieren Größe der US-Wirtschaft. Groß wie sie ist, hat sie doch seit 1945 relativ abgenommen, und dieser relative Abstieg geht weiter. Sie ist nicht länger der Gigant der globalen Industrieproduktion. Das Zentrum der industrialisierten Welt verschiebt sich rapide in die östliche Hälfte Asiens. Anders als ältere imperialistische Länder, und anders als die meisten übrigen entwickelten Länder, hat die USA damit aufgehört ein Nettoexporteur von Kapital zu sein; sie hat sogar damit aufgehört der größte Akteur beim internationalen Spiel des Kaufens und Gründens von Firmen in anderen Ländern zu sein, und die finanzielle Stärke des Staates basiert auf der anhaltenden Bereitschaft anderer Länder, hauptsächlicher asiatischer, ein sonst unhaltbares Defizit aufrechtzuhalten.

Der Einfluß der amerikanischen Wirtschaft basiert heute hauptsächlich auf ihrem Erbe aus der Zeit des Kalten Krieges: von der Rolle des US-Dollars als Weltwährung, der internationalen Vernetzungen von US-Firmen, welche während dieser Zeit eingerichtet worden sind (besonders die Militärindustrien [im O.: defence]) und den Umgestaltungen der internationalen Wirtschaftstransaktionen und Geschäftspraktiken gemäß amerikanischer Richtlinien, oft unter der Aufsicht von amerikanischen Firmen. Das sind Besitzungen welche viel Macht verleihen, und die sich wahrscheinlich nur langsam vermindern werden. Andererseits basierte der enorme politische Einfluß der USA auf andere Länder, wie der Irakkrieg gezeigt hat, auf einer echten „Koalition der Willigen“ gegen die UdSSR und hat seit dem Fall der Berliner Mauer kein ähnliches Fundament mehr. Nur die enorme militärisch-technologische Macht der USA ist konkurrenzlos. Durch diese ist die USA heute die einzige Macht welche dazu fähig ist auf kurzfristige Entscheidung hin an jedem Ort der Welt militärisch zu intervenieren, und sie hat zweimal ihre Fähigkeit gezeigt kleine Kriege sehr rasch gewinnen zu können. Und dennoch ist, wie der Irakkrieg zeigt, nichteinmal diese unvergleichliche Zerstörungskapazität ausreichend, um die tatsächliche Kontrolle über ein sich wehrendes Land zu gewinnen, und viel weniger, über die Welt. Dennoch ist die Vorherrschaft der USA echt, und der Zusammenbruch der UdSSR hat diese global gemacht.

Das zweite Element der Kontinuität ist der besondere Hausstil des US-Imperiums, der anstatt formaler Kolonien immer Satellitenstaaten oder Protektorate bevorzugt hat. Der Expansionismus welcher im Namen steckt den die 13 unabhängigen Kolonien der Ostküste des Atlantiks sich gaben (Vereinigte Staaten von Amerika) war kontinental, nicht kolonial. Der spätere Expansionismus gemäß der „manifest destiny“ [,also ihrer „offenkundigen Bestimmung“ dazu,] war sowohl hemisphärisch, als auch nach Ostasien ausgerichtet, und war der global dominierenden Handels- und Seemacht des Britischen Imperiums nachempfunden. Man könnte sogar sagen, daß die USA mit ihrer Zielsetzung der totalen Vorherrschaft über die westliche Hemisphäre zu ambitiös war, um sich auf die koloniale Verwaltung von Teilen dieser zu beschränken.

Das amerikanische Imperium bestand dementsprechend aus technisch gesehen unabhängigen Staaten, die auf Washington hörten; aber wegen deren Unabhängigkeit bedurfte es immer der Bereitschaft Druck auf ihre Regierungen auszuüben, auch Druck zum „Regimewechsel“ und, wo gangbar (wie in den Minirepubliken der Karibikzone), periodischer militärischer US-Interventionen.

Die dritte Kontinuität verbindet die Neokonservativen George Bushs mit der Überzeugung der puritanischen KolonistInnen, Gottes Werkzeug auf Erden zu sein, und mit ihrer Amerikanischen Revolution – welche, wie alle großen Revolutionen, weltweite missionarische Bestrebungen entwickelte, die nur durch den Wunsch begrenzt worden sind, die neue Gesellschaft der potentiellen universellen Freiheit von der Korruption der unveränderten alten Welt abzuschirmen. Der effektivste Weg um innerhalb dieses Konflikts von Isolationismus und Globalismus zu manövrieren sollte im 20. Jahrhundert systematisch ausgenutzt werden, und leistet Washington auch im 21. Jahrhundert noch gute Dienste. Es galt einen äußeren Feind zu entdecken, welcher eine akute tödliche Gefahr für den American Way of Life und die US-BürgerInnen darstellt. Das Ende der UdSSR entfernte diesen offensichtlichen Kandidaten, aber mit den frühen 90ern wurde mit einem „Zusammenstoßen“ von westlichen und anderen Kulturen, hauptsächlich der islamischen, welche erstere nicht akzeptieren wollten, gefunden. Deswegen wurde das enorme politische Potential der Gräueltaten al-Kaidas am 11. September von den Weltherrschern in Washington sofort erkannt und ausgenutzt.

Der Erste Weltkrieg, welcher die USA zu einer globalen Macht emporhob, sah den ersten Versuch diese weltumbauenden Visionen in die Realität umzusetzen, aber Woodrow Wilsons Versagen war spektakulär; möglicherweise sollte es eine Lektion für die derzeitigen IdeologInnen der Weltvorherrschaft in Washington sein, welche, ganz richtig, in Wilson einen ihrer Vorgänger sehen. Bis zum Ende des Kalten Krieges legte die Existenz einer anderen Supermacht ihnen Grenzen auf, aber der Fall der UdSSR entfernte diese. Francis Fukuyama verkündete vorfrüh „das Ende der Geschichte“ – der universelle und permanente Triumph der US-Version einer kapitalistischen Gesellschaft. Gleichzeitig spornte die militärische Übermacht der USA einen Staat an der mächtig genug war um sich selbst für fähig zu halten die Welt zu beherrschen, wie es das Britische Imperium zu seiner Zeit nie getan hat. Und tatsächlich hatten die USA, als das 21. Jahrhundert begann, mit ihrer globalen Macht und ihrem Einfluß eine historisch einzigartige Stellung. Heute ist sie, wenn man den traditionellen Kriterien der internationalen Politik folgt, die einzige Großmacht; und sicherlich die einzige, deren Macht und Interessen den ganzen Erdball bedecken. Sie thront über allen anderen.

Alle großen Mächte und Imperien der Geschichte wußten, daß sie nicht alleine waren, und daß niemand in einer Position ist um echte globale Herrschaft zu erlangen. Keine glaubte an ihre eigene Unverwundbarkeit.

Und dennoch erklärt dies nicht vollständig den offensichtlichen Größenwahn der US-Politik seit eine Gruppe von Washington-Insidern beschlossen hatte, daß der 11. September ihnen die ideale Möglichkeit dafür gäbe zu verkünden, daß die USA die Welt ohne fremde Hilfe beherrschen werde. Zum einen mangelte es diesen an Unterstützung durch die traditionellen Säulen des US-Imperiums seit 1945, dem State Department, dem Militär, den Geheimdiensten und der Staatsmänner und Ideologen aus der Zeit des Kalten Krieges und der damaligen Vormachstellung der USA– Männer wie Kissinger und Brzezinski. Diese Leute waren genauso rücksichtslos wie die Rumsfelds und Wolfowitzs. (Es war zu ihrer Zeit, als in den 80ern in Guatemala ein Genozid an den Mayas stattfand). Diese Männer hatten für zwei Generationen eine Politik der imperialen Hegemonie über den Großteil des Globus entwickelt und verwaltet, und waren nur zu bereit dazu, diese auf die ganze Erde auszuweiten. Sie waren und sind den Pentagonplanern und neokonservativen Weltvorherrschaftlern gegenüber kritisch, da diese offensichtlich überhaupt keine konkreten Ideen haben, außer eben, daß sie durch militärische Übermacht ihre Vorherrschaft ohne Hilfe anderer aufzwingen wollen, und nebenbei die ganze angehäufte Erfahrung der US-Diplomatie und der militärischen Planung über Bord werfen. Das Debakel im Irak wird sie in ihrer Skepsis zweifellos bekräftigen.

Sogar jene welche nicht die Ansichten der alten Generäle und Prokonsule des US-Weltimperiums teilen (welche sowohl von Regierungen der Demokraten als auch der Republikaner stammten) werden zustimmen, daß es keine rationale Rechtfertigung der derzeitigen Politik Washingtons geben kann, was die imperialen Interessen Amerikas betrifft, oder auch die Interessen des US-Kapitalismus.

Es könnte sein, daß dies nur mit Kalkulationen welche auf die amerikanische Innenpolitik abgestimmt sind, was Wahlen oder anderes betrifft, Sinn macht. Es könnte sein, daß dies die – man kann nur hoffen kurzlebige – Kolonialisierung der Macht in Washington durch eine Gruppe von quasi-revolutionären Doktrinen ist. (Zumindest ein enthusiastischer ex-marxistischer Unterstützer Bushs hat mir nur halb im Scherz gesagt: „Schließlich ist dies die einzige Chance einer Weltrevolution welche mir über den Weg zu laufen scheint.“) Solche Fragen können noch nicht beantwortet werden. Es ist ziemlich sicher, daß ihr Projekt scheitern wird. Aber während es weitergeht wird es die Welt für jene welche direkt einer militärischen Besatzung der USA ausgesetzt sind unerträglich machen, und zu einem unsicheren Ort für den Rest von uns.

 

Editorische Anmerkungen

Eric Hobsbawm ist der Autor von Zeitalter der Extreme: Das kurze 20. Jahrhundert 1914-1991. Dies ist ein bearbeiteter Auszug aus seinem Vorwort zu einer neuen Auflage von V.G. Kiernans America: The New Imperialism

Der Text wurde aus dem Znet gespiegelt.