Im Namen der "Schlacht um Beschäftigung":
Neue Prekarisierungs-Maßnahmen beschlossen bzw. auf dem Weg

von
Bernhard Schmid
07/05

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"Chirac und Villepin erklären die Schlacht um die Beschäftigung für eröffnet" titelte die konservative Tageszeitung Le Figaro am 23. Juni martialisch. Anlass war die Verabschiedung eines Gesetzentwurfs im Kabinett, der es der Villepin-Regierung erlaubt, eine Reihe von wirtschafts- und sozialpolitischen Bestimmungen per "ordonnances" zu verabschieden.

"Ordonnances" sind eine Art Notverordnungen, mit deren Hilfe die Regierung am Parlament vorbei Bestimmungen in Kraft setzen kann, denen Gesetzeskraft zukommt. Die Verfassung der Fünften Republk von 1958 sieht dieses Instrument zum Regieren in härteren Zeiten vor. Zuletzt hatte die Regierung von Alain Juppé (1995 ­ 97), die sich mit massiver sozialer Gegenwehr konfrontiert sah und nach kurzer Zeit in der Defensive steckte, mit solchen
Quasi-Notverordnungen regiert.

Seit dem 28. Juni debattiert nun auch das Parlament über die Gesetzesvorlage, die eine knappe Woche zuvor vom Kabinett verabschiedet wurde. Die Nationalversammlung kann nun nicht den Inhalt der zur Verabschiedung anstehenden Bestimmungen abändern, sondern nur generell ihr grünes oder rotes Licht zur Annahme des Pakets erteilen. Angesichts der erdrückenden konservativen Parlamentsmehrheit der UMP, die sie 2002 nur aufgrund des Wahlrechs (Mehrheitswahlrecht, "the winner takes it all") erringen konnte, dürften am Ergebnis daher wenig Zweifel bestehen. Allerdings werden auch in ihren Reihen Unmut und Kritik lauten, da sich auch viele Abgeordnete der Rechten durch den Rückgriff auf das
Notverordnungssystem "entmachtet" fühlen. Schon bis zur Schlussabstimmung am Dienstag, 5. Juli sollen die Parlamentarier jetzt das Spezialgesetz, das der
Regierung als Ermächtigungsgrundlage dienen wird, durchwinken.

Rückgriff auf Notverordnungen

Gerechtfertigt wird der jetzige Rückgriff auf dieses Instrument mit der Dringlichkeit des Themas "Beschäftigungspolitik". Dominique de Villepin trat am 8. Juni sein neues Amt als Premierminister (nachdem sein Amtsvorgänger Jean-Pierre Raffarin das Bauernopfer infolge des Referendumsergebnissens abgab) an, mit dem Versprechen, "in 100 Tagen" die Franzosen zu überzeugen. Und zwar vor allem dadurch, dass er das drängende Problem der
Arbeitslosigkeit anpacke ­ auf diesem Feld wolle er seine politische Verantwortung messen lassen. Der Pressekarikaturist Plantu, der u.a. auf den Titelseiten von "Le Monde" zeichnet, stellt Dominique de Villepin seitdem gern als Napoléon dar: Der selbsternannte "Kaiser der Franzosen" regierte seit seiner Rückkehr von der Insel Elba nochmals für die sprichwörtlichen "100 Tage". An deren Ende stand allerdings die Niederlage von Waterloo.

Die neue sozialpolitische Offensive der Regierung geht mit drohend grollendem rhetorischem Donner einher. "Frankreich hat zu lange über seine Verhältnisse gelebt", ein "auf Kredit finanziertes Sozialmodell" sei nicht haltbar, tönt etwa Wirtschaftsminister Thierry Breton. Und Premierminister Dominique de Villepin erklärte Ende Juni schon einmal drohend: "Wenn kein Geld in der Kasse ist, dann ist kein Geld in der Kasse. Meine Vorgänger haben zu viel Geld für kategorielle Interessen (Anm.: der Beschäftigten!) ausgegeben, ich werde mich nicht beugen." Und: "Wenn das, was ich vorschlage, nicht klappt, dann wird der nächste Präsident 2007 das Arbeitsrecht umstoßen" (Libération, 29. Juni). Sollte der Mann da an seinen Innenminister Nicolas Sarkozy denken, den mutmaßlichen nächsten Präsidentschaftskandidaten der Rechten, der marktradikalen Wirtschaftsliberalismus mit autoritärem Populismus verknüpft? Oder aber an seine eigenen Präsidentschaftsambitionen, die ja auch de Villepin nachgesagt werden?

Der Inhalt des Maßnahmenbündels

Nun zum Inhalt des Pakets. Die spektakulärste der in ihm enthaltenen Maßnahmen betrifft die Einführung eines neuen Typus von Arbeitsvertrag. Er soll auf den Namen "Neueinstellungs-Vertrag" (contrat de nouvelle embauche) hören und in den kleinen und mittelständischen Betrieben anwendbar sein.

Zunächst war in diesem Zusammenhang die Rede von einer "Probezeit von zwei Jahren", die diesen neuen Vertragstypus auszeichnen soll. Die Haupteigenschaft einer Probezeit besteht darin, dass der Arbeitgeber während dieser Periode das Arbeitsverhältnis ohne nähere Angaben von Gründen aufkündigen kann. Doch von dem ursprünglichen Vorhaben, den "Neueinstellungs-Vertrag" als unbefristeten Vertrag unter Einfügung einer solchen zweijährigen "Probefrist" zu definieren, rückte die Regierung zwischenzeitlich ab. Es zeichnete sich nämlich ab, dass die juristischen Probleme damit zu groß würden: Das Verfassungsgericht (das in Frankreich nur von Abgeordneten, nicht aber von BürgerInnen, und nur vor der Verabschiedung eines Gesetzestextes angerufen werden kann, um dessen Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen) hätte möglicherweise eine so lange "Probezeit" nicht als verfassungskonform betrachtet. Denn der Sinn einer Probezeit muss ja eigentlich darin bestehen, dem Arbeitgeber eine Abschätzung der Fähigkeiten des Lohnabhängigen zu erlauben; dafür ist aber eine so lange Periode kaum als erforderlich zu betrachten. Und, vor allem, besteht in Frankreich beim Thema "Probezeit" ein Vorrang für den Kollektivvertrag (ungefähr identisch mit dem deutschen Begriff Tarifvertrag) vor dem Gesetz. In jenen Branchen und für jene Beschäftigten, deren Kollektivverträge Bestimmungen zur Probezeit vorsehen, wäre eine solche gesetzliche Regelung der Probefrist also gar nicht anwendbar gewesen.

Nunmehr hat die Regierung deswegen eine neue juristische Begründung bzw. Bezeichnung ersonnen, dabei hält sie aber an ihrem ursprünglichen Vorhaben fest. Nunmehr soll die neue Bestimmung jedoch nicht mehr "Probezeit" heißen, sondern "erleichtertes Kündigungsverfahren". Wirtschaftsminister Thierry Breton (der auch nicht mehr von "Probezeit" reden will) spricht dagegen nebulös von einer "Periode, um sich kennenzulernen" (Le Monde vom 22. Juni). Ach wie schön: eine Kennenlern- und Wohlfühlperiode, das hört sich richtig menschlich an.

Ohne besondere Angabe von Gründen soll also der Arbeitgeber in den ersten zwei Jahren das (ansonsten unbefristete) Arbeitsverhältnis aufkündigen können. Dennoch sollen, anders als bei einem Abbruch des Arbeitsverhältnisses während der Probezeit (der sofort wirksam wird), dabei eine minimale Kündigungsfrist eingehalten werden und eine Abfindungszahlung
erfolgen. Als "Zugeständnis" für die abhängig Beschäftigten wird nunmehr vorgesehen, dass die solcherart aus ihrem Arbeitsverhältnis geflogenen Lohnanbhängigen sich auch schon nach dem zweiten oder dritten Arbeitsmonat erwerbslos melden können. Normalerweise können erst nach sechs Monaten Beschäftigung (während der letzten 22 Monate) Bezüge aus der Arbeitslosenkasse kassiert werden, aber diese Schwelle soll für den neuen
Arbeitsvertrag abgesenkt werden. Dieses "Zuckerl" soll allerdings nur die Tatsache versüßen, dass die Schwelle, unterhalb derer der neue Vertragstyp Anwendung finden soll, bei einer Beschäftigtenzahl des Betriebs von 20 Lohnabhängigen angesiedelt werden soll. Ursprünglich hieß es noch, dass der "Neueinstellungsvertrag" nur für Mikrobetriebe (also etwa solche mit einem einzigen Beschäftigten, oder mit maximal 5 Mitarbeitern) gelten solle. Damit werden nunmehr zahlreiche mittelständische Unternehmen unter die neue Obergrenze fallen.

Der "Neueinstellungs-Vertrag" soll damit manche Züge der bisherigen Vertragstypen CDI (unbefristeter Vertrag) und CDD (befristeter Vertrag) miteinander kombinieren: Er soll für Unternehmen, die nur auf kürzere Frist hin ihren Bedarf an Mitarbeitern abschätzen können, zur Verfügung stehen. Allerdings unterscheidet er sich vom klassischen CDD dadurch, dass beim bisherigen befristeten Vertrag während der vereinbarten Frist (zum Beispiel: 6 Monate, 12 Monate...) das Arbeitsverhältnis nur bei Vorliegen ganz besonderer Gründe aufgelöst werden kann. Ferner entfällt durch den neuen Vertragstypus die "Prekaritätsprämie" in Höhe von 10 Prozent des Gesamtverdiensts, der bislang befristet eingestellten Lohnabhängigen am Ende ihres Arbeitsverhältnisses zustand. Gegenüber dem klassischen CDI
(unbefristeter Vertrag) wird die Notwendigkeit, konkrete Gründe für die Aufkündigung des Beschäftigungsverhältnisses zu benennen, während der ersten beiden Jahre abgeschafft.

Abbau von Gewerkschaftsrechten und "Lohnnebenkosten"

Eine weitere Maßnahme, die es in sich hat, bildet das Vorhaben, jüngere Beschäftigte (bis 25 Jahre) bei Neueinstellungen zukünftig nicht bei der Berechnung des Personalstands zu berücksichtigen. Demnach wird ein Betrieb oder Unternehmen, das bisher 40 Beschäftigte hat und ein Dutzend jüngerer Mitarbeiter einstellt, rechnerisch bzw. juristisch auch weiterhin unterhalb der "Schwelle" von 50 Mitarbeitern liegen: Ab deren Überschreiten wäre der Betrieb verpflichtet, die Wahl eines Comité d¹entreprise (ungefähre Entsprechung zum deutschen Betriebsrat) und die Ernennung von teilweise freigestellten gewerkschaftlichen Vertrauensleuten (délégués syndicaux) zuzulassen. Die Gewerkschaften haben in ihrer Kritik bereits festgestellt, dass in bestimmten Unternehmen wie beispielsweise McDonalds oder Virgin¹s (Musikkaufhaus) damit künftig fast gar nirgendwo mehr gewerkschaftliche Vertrauensleute oder Betriebsräte existieren könnten. Denn vor allem im Fastfood-Sektor ist der Anteil der unter 25- oder 30-jährigen Beschäftigten (jobbende Studierende, Jugendliche aus Migrantenfamilien...) absolut dominierend.

Ansonsten deutete Dominique de Villepin in seiner Antrittsrede vom 8. Juni an, wie er sich die berufliche Zukunft von Jugendlichen ohne Berufsqualifizierung (sofern sie nicht bei McDo enden) vorstellt: Um sie könnten sich ja auch die Rekrutenwerber der Armee kümmern. Frankreich beschloss Ende 1995 unter Jacques Chirac, von der Wehrpflicht zu einer Berufsarmee überzugehen, ähnlich wie die USA nach dem Ende des Vietnamkrieges. Seit 5 Jahren werden keine wehrpflichtigen Rekruten mehr eingezogen. In seiner Antrittsrede erklärte de Villepin dazu: "Wir haben ein funktionierendes Modell für unsere Jugendlichen aus den Überseegebieten, die besonders hart von der Arbeitslosigkeit getroffen sind: der angepasste Militärdienst (Anm. BS: d.h. mit Ausbildungsangebot für jene, die es wünschen und so bei der Armee ein Diplom erwerben können) Ich habe die Verteidigungsministerin aufgefordert, ein analoges Angebot in der Metropole einzurichten. (...) Ab September wird ein erstes Zentrum eingerichtet, um es zu testen."

Für junge Arbeitslose von 18 bis 26 Jahren, die bisher von Stütze lebten und ein neues Beschäftigungsverhältnis antreten, soll ein Steuerkredit von 1.000 Euro (also eine negative Einkommenssteuer) im ersten Jahr eingeführt werden. Aber nur, wenn sie ihren neuen Arbeitsplatz in einem Sektor antreten, in dem Arbeitskräftemangel besteht, so werden bspw. Bäcker gesucht (wegen der nächtlichen Arbeitszeiten). Durch den anfänglichen Steuerkredit soll ihnen so die Arbeitsaufnahme in einem der betroffenen Sektoren schmackhaft gemacht
werden.

Im gesamten Niedriglohnsektor soll die Politik des Abbaus von "Lohnnebenkosten" für die Arbeitgeber fortgesetzt werden. In mehreren Schüben sind seit 1993 zwar die Versuche abgewehert worden, den gesetzlichen Mindestlohn (SMIC) zu senken, dafür aber die Sozialabgaben und andere "Lohnnebenkosten" bei den SMIC-Beziehern und anderen Niedriglöhnen drastisch gesenkt worden. Das bedeutet Einsparungen für den Arbeitgeber, aber Einkommensverluste für die Sozialversicherungssysteme, denen die "Austrocknung" droht, sofern der Staat die fehlenden Einnahmen nicht aus Steuermitteln zuschießt. Diese Politik betraf zunächst (unter der konservativen Regierung Balladur, 1993 ­ 95) die Löhne zwischen 1 und 1,3 mal dem gesetzlichen Mindestlohn SMIC. Unter der sozialdemokratischen Regierung von Lionel Jospin wurde die Senkung der Lohnnebekosten auf den weiten Sektor zwischen dem Mindestlohn und dem 1,8-fachen des SMIC ausgedehnt, als "Gegenleistung" für die Arbeitgeber im Gegenzug zur
Verkürzung der gesetzlichen Regelarbeitszeit auf theoretisch 35 Stunden (bei gleichzeitiger Flexibilisierung der Länge der Arbeitswochen im Jahresmaßstab). Allerdings sollten diese weitgehenden Nachlässe nur für die Dauer von fünf Jahren gelten, um die "35-Stunden-Reform" zu begleiten und für die Arbeitgeber noch schmackhafter zu machen. Doch die neue bürgerliche Regierung unter Jean-Pierre Raffarin verlängerte 2003 diese Sozialabgaben-Senkung auf unbestimmte Frist und dehnte sie auf alle Unternehmen aus, auch jene, die die Arbeitszeitverkürzung gar nie mitmachten. Ergebnis: Derzeit bezahlt ein Arbeitgeber für einen Lohn in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns SMIC (derzeit rund 1.200 Euro BRUTTO) nur noch etwa 4,5 % an diversen Sozialversicherungsbeiträgen, statt ursprünglich 30 %. Jetzt kündigt die Villepin-Regierung an, diesen Anteil bis im Jahr 2007 auf SMIC-Höhe bis auf Null abzusenken.

Zugeständnisse und Rückzieher

Aber auf einigen Feldern macht die neue Regierung auch Rückzieher gegenüber Vorhaben ihres Vorgängerkabinettes unter Jean-Pierre Raffarin, die auf allzu viele soziale Widerstände gestoßen waren.

Beispielsweise ist das Gesetz zur "Schulreform", das im März zu Demonstrationen von hunderttausenden OberschülerInnen und im April zu einer Welle von Schulbesetzungen geführt hatte, nunmehr auf Eis gelegt worden. Zwar wurde es bereits am 24. März vom Parlament definitiv verabschiedet, so dass es kaum noch verrückbar erschien. Doch benötigt das Gesetz, um wirklich in Kraft zu treten, noch einige Ausführungsbestimmungen. Alle Sitzungen der zuständigen Gremien, die im Laufe des Juni stattfinden und die Ausarbeitung dieser Ausführungsbestimmungen ermöglichen sollten, wurde durch Premierminister de Villepin bei seinem Amtsantritt annulliert. Das neue Schulgesetz (das u.a. eine Einschränkung der Fächerwahl zugunsten arbeitsmarktrelevanter Schlüsselkompetenzen und Einsparungen vorsah) ist damit zwar nicht abgeschafft, aber auch nicht anwendbar.

Auch soll die flächendeckende Schließung von "unrentablen" Einrichtungen öffentlicher Dienste, etwa von Postbüros im ländlichen Raum, vorerst nicht fortgesetzt werden. Auch dagegen hatte es in den vorangehenden Monaten sichtbare Widerstände gegeben: Im ländlichen Département La Creuse hatten im Oktober über 200 Bürgermeister ihre Ämter niedergelegt, aus Protest gegen den Kahlschlag bei den "nicht rentablen" öffentlichen Diensten (Schulen, Postämtern...). Am 5. März 2005 hatten über 6.000 Personen aus vielen Teilen Frankreichs, darunter auch aus Paris und seinem Vorstadt-Département Seine-Saint Denis, in der Bezirkshauptstadt von la Creuse, Guéret, dagegen demonstriert.

Die besonders umstrittene Maßnahme der Streichung des Pfingstmontags als gesetzlicher Feiertag soll ebenfalls zurückgenommen werden. In diesem Jahr sollte der Pfingstmontag erstmals einen "normalen Arbeitstag" bilden, doch hatte die Regierung sich damit eine ziemliche Pleite eingehandelt. Weniger als die Hälfte der abhängig Beschäftigten ließen sich am Pfingstmontag an ihrem Arbeitsplatz blicken: Entweder waren sie im Streik (24 %) oder aber ihre Betriebe und Büros hatten ihnen sowieso frei gegeben, um ein heil- und planloses Chaos durch Arbeitsausfälle und Krankmeldungen zu vermeiden. Im kommenden Jahr soll wohl auf eine Wiederholung der Erfahrung verzichtet werden.

Schließlich soll 2005 der bereits laufende Stellenabbau in den öffentlichen Diensten langsamer als geplant vonstatten gehen. Statt der geplanten Streichung von 12.000 Stellen in den öffentlichen Diensten (vor allem durch Nichtersetzung altersbedingter Abgänge, oder in Form ihrer Ersetzung durch prekäre privatrechtliche Verträge) sollen es im laufenden Jahr "nur" 5.000 werden.

Diese Beispiele zeigen, dass zwar einerseits die neoliberale Dampfwalze mit dieser Regierung mit unverminderter Geschwindigkeit weiter rollt, andererseits aber soziale Widerstände auch ihre Ergebnisse zeitigen können. Die aufgezählten Rückzieher und "Zugeständnisse" bilden freilich nur Frontbegradigungen, d.h. sie betreffen Regierungsmaßnahmen, die aufgrund hohen sozialen Drucks kaum noch haltbar schienen.

Weitere Vorhaben laut Wirtschaftsminister Thierry Breton: Arbeiten ab 65,
Mobilität der Arbeitskräfte...

Anregungen für weitere "beschäftigungspolitische Wohltaten" (jedenfalls wenn man der Regeriung Glauben schenkt) machte Wirtschaftsminister Thierry Breton auf einer Pressekonferenz vom 21. Juni.

So soll etwa Erwerbslosen, die ein Arbeitsverhältnis in über 200 Kilometern Entfernung von ihrem Wohnort antreten, für ein Jahr das Zahlen von Einkommenssteuern erlassen werden. Ob diese Maßnahme in irgendeiner Weise fruchten wird, muss dahin gestellt bleiben, da man die zu erwartenden Transportkosten mit einkalkulieren und in Relation zu dem Steuernachlass (der zudem nur für ein Jahr gelten würde) setzen muss. Aber solche Vorschläge tragen nur dazu bei, die Idee zu verankern, dass die Leute deswegen keine Beschäftigung finden würden, weil sie "zu wenig flexibel und anpassungsbereit" seien und also selbst an ihrer Erwerbslosigkeit Schuld trügen.

Den älteren Franzosen "wünscht", so sein Ausdruck, der amtierende Wirtschaftsminister, "auch jenseits von 65 Jahren arbeiten zu können". Wem also seine Armutsrente nicht ausreicht (u.a. dank der 2003 verabschiedeten "Rentenreform"), der soll zukünftig auch in höherem Alter als 65 weiter arbeiten dürfen. Bisher war es zwischen 60 (dem theoretischen gesetzlichen Rentenalter der Periode von 1983 bis 2003) und 65 Jahren möglich, gleichzeitig eine Pension und Arbeitseinkommen zu beziehen; dabei durfte aber die Summe aus beiden nicht das bisherige Einkommen aus der Zeit vor der Verrentung nicht überschreiten. Und jenseits der Altersgrenze von 65 (die das neue gesetzliche Rentenalter seit 2003 bildet) war es rechtlich kaum möglich bzw. sehr erschwert, gleichzeitig Renter/in zu sein und ein Erwerbseinkommen zu beziehen. Bei Erreichen dieser Altersgrenze musste der oder die Betroffene bislang mindestens 6 Monate (ŒKarenzfrist") abwarten, bevor er oder sie wieder in seinem/ihrem bisherigen Unternehmen "für einzelne Aufträge" tätig werden konnte. Diese bisherigen Hemmnisse sollen fallen, so dass der oder die Beschäftigte auch nach Erreichen aller denkbaren Altersgrenzen einfach am bisherigen Arbeitsplatz weiter arbeiten kann, um am Monatsende über die Runden kommen zu können.

Ein weiterer Vorschlag von Thierry Breton (Ex-Chef von France Télécom und Wirtschaftsminister seit Ende Februar 20005, nach dem Rücktritt seines korrupten Vorgängers Hervé Gaymard) lautet, den in französischen Exportunternehmen tätigen Beschäftigten vermehrt Steuernachlässe zu gewähren, wenn sie für ihre Unternehmen im Ausland arbeiten. So soll die bisherige Richtlinie, wonach solche Mitarbeiter bei Auslandseinsätzen von der Einkommenssteuer befreit werden, beibehalten und ausgedehnt werden. Statt der Untergrenze von 180 Tagen Auslandseinsätzen im Jahr soll eine neue
Untergrenze von 120 Tagen pro Jahr, ab deren Überschreiten die Steuerbefreiung eintritt, angesetzt werden.

Ferner spricht sich Thierry Breton, ganz im Sinne des um seine Attraktivität buhlenden "nationalen Wettbewerbsstaats", für eine ausgesprochen "selektive Immigration" aus. Die höchstqualifizierten potenziellen Anwärter auf Einwanderung nach Frankreich sollen durch die 2.000 Außendienstbeamten des französischen Arbeitsministeriums ausfindig gemacht und angezogen werden. Die nicht so hoch qualifizierten Arbeitskräfte, und erst recht die
Überflüssigen und Hungerleider..., soll hingegen das Ausland behalten. Daneben forderte Thierry Breton am Dienstag, dass künftig Stipendien an französischen Hochschulen "auf die ausländischen Studenten mit hohem Niveau in den strategischen Fachbereichen konzentriert werden" sollen. Auch hier soll der Rest dann in den Mond gucken dürfen.

Gewerkschaftliche Reaktionen

Wie reagieren die Gewerkschaften auf all diese Pläne? Bisher überwiegend kritisch, aber ohne deswegen allzu sehr aus ihrer Deckung hervor zu kommen und aktiv zu werden. Als einzige Gewerkschaftsorganisation hat bisher die CGT eine erste (Probe-)Mobilisierung unternommen, indem sie am 21. Juni zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen aufrief. So demonstrierten an jenem Tag zwischen 3.000 (laut Medien) und 10.000 (so die CGT) abhängig Beschäftigte in Paris, auf Aufruf der CGT. Auch in weiteren französischen Städten kam es zu kleineren bis mittelgroßen Protestzügen. Vor allem bei der Pariser Post waren an jenem Tag die Auswirkungen von Arbeitsniederlegungen spürbar. Insgesamt bewertet Regierungschef Dominique de Villepin jedoch den Erfolg dieses gewerkschaftichen Aktionstags als schwach und damit als Aufforderung zum weiteren Verfolgen eines "harten Kurses in sozialen Angelegenheiten" (so Libération, 29. Juni).

Dagegen haben die anderen Gewerkschaften sich dieser Initiative der CGT gar nicht erst angeschlossen, und sprechen überwiegend von der Perspektive einer Mobilisierung im September (dann werden die 100 Tage, die Villepin seiner Regierung gegeben hat, vorüber sein und eine erste Bilanz anstehen). So die rechtssozialdemokratische CFDT und die christliche CFTC.

Auf verbaler Ebene verurteilt bisher, unter den größeren Dachorganisationen, die ("postkommunistische") CGT die Regierungspläne am vehementesten. Vor allem die neue zweijährige Ex-Probezeit bzw. "erleichterte Kündigungsprozedur" stößt bei der CGT auf härtere Widerstände. Am "Aktionstag" am 21. Juni drohte Bernard Thibault der Regierung von Dominique de Villepin damit, dass sie (wenn sie darauf anlege) "erneut die schmerzhafte Erfahrung, die sie mit dem Rentenkonflikt von 2003 machen musste", erleben könne. Dabei muss freilich gesagt werden, dass es im Mai/Juni 2003 u.a. dank der Manöver des CGT-Apparats (der insbesondere den Transportstreik nach dem 13. Mai 2003 abwürgte) für die damalige Raffarin-Regeriung im Endeffekt gar nicht so schmerzhaft geworden ist.

Die rechtssozialdemokratische CFDT in Gestalt ihres Chefs François Chérèque erklärte am Abend desselben Tages, als er aus den Beratungen im Kabinett (zu der alle "Sozialpartner" eingeladen waren) heraus kam, dass "die Minister anscheinend bereit sind, neue Sicherheitsmechanismen" in den so genannten Neueinstellungs-Vertrag "einzubauen". Damit meinte er wohl v.a. das Recht für den Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis innerhalb der ersten zwei Jahre aufgelöst worden ist, Arbeitslosengeld zu beziehen. Kritisch äußerste sich CFDT-Generalsekretär François Chérèque allerdings zu dem Punkt, wonach der Arbeitgeber künftig (im Rahmen des "Neueinstellungs-Vertrags") keinerlei Gründe mehr für die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses angeben muss: Damit bleibe "ein bedeutender Streitpunkt" mit den Regierungsvorhaben bestehen. Solchart abwägende Äußerungen bereiten freilich bestimmt keine soziale Massenmobilisierung gegen die Regierungspläne vor.

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 3.7.2005 zur Verfügung gestellt.