"Chirac und Villepin erklären die
Schlacht um die Beschäftigung für eröffnet"
titelte die konservative Tageszeitung Le Figaro am 23. Juni
martialisch. Anlass war die Verabschiedung eines
Gesetzentwurfs im Kabinett, der es der
Villepin-Regierung erlaubt, eine Reihe von wirtschafts- und
sozialpolitischen Bestimmungen per "ordonnances" zu
verabschieden.
"Ordonnances" sind eine Art
Notverordnungen, mit deren Hilfe die Regierung
am Parlament vorbei Bestimmungen in Kraft setzen kann,
denen Gesetzeskraft zukommt. Die Verfassung
der Fünften Republk von 1958 sieht dieses Instrument
zum Regieren in härteren Zeiten vor. Zuletzt hatte die
Regierung von Alain Juppé (1995 97), die
sich mit massiver sozialer Gegenwehr konfrontiert sah
und nach kurzer Zeit in der Defensive steckte, mit solchen
Quasi-Notverordnungen regiert.
Seit dem 28. Juni debattiert nun
auch das Parlament über die
Gesetzesvorlage, die eine knappe Woche zuvor vom Kabinett
verabschiedet wurde. Die
Nationalversammlung kann nun nicht den Inhalt der zur
Verabschiedung anstehenden Bestimmungen abändern, sondern
nur generell ihr grünes oder rotes Licht
zur Annahme des Pakets erteilen. Angesichts der
erdrückenden konservativen Parlamentsmehrheit der UMP, die
sie 2002 nur aufgrund des Wahlrechs
(Mehrheitswahlrecht, "the winner takes it all")
erringen konnte, dürften am Ergebnis daher wenig Zweifel
bestehen. Allerdings werden auch in ihren
Reihen Unmut und Kritik lauten, da sich auch
viele Abgeordnete der Rechten durch den Rückgriff auf das
Notverordnungssystem "entmachtet" fühlen. Schon bis zur
Schlussabstimmung am Dienstag, 5. Juli
sollen die Parlamentarier jetzt das Spezialgesetz, das der
Regierung als Ermächtigungsgrundlage dienen
wird, durchwinken.
Rückgriff auf Notverordnungen
Gerechtfertigt wird der jetzige
Rückgriff auf dieses Instrument mit der
Dringlichkeit des Themas "Beschäftigungspolitik". Dominique de
Villepin trat am 8. Juni sein neues Amt als
Premierminister (nachdem sein Amtsvorgänger
Jean-Pierre Raffarin das Bauernopfer infolge des
Referendumsergebnissens abgab) an, mit dem
Versprechen, "in 100 Tagen" die Franzosen zu überzeugen.
Und zwar vor allem dadurch, dass er das drängende Problem
der
Arbeitslosigkeit anpacke auf diesem Feld wolle er seine
politische Verantwortung messen lassen. Der
Pressekarikaturist Plantu, der u.a. auf den
Titelseiten von "Le Monde" zeichnet, stellt Dominique de Villepin
seitdem gern als Napoléon dar: Der
selbsternannte "Kaiser der Franzosen" regierte
seit seiner Rückkehr von der Insel Elba nochmals für die
sprichwörtlichen "100 Tage". An deren Ende
stand allerdings die Niederlage von Waterloo.
Die neue sozialpolitische Offensive
der Regierung geht mit drohend grollendem
rhetorischem Donner einher. "Frankreich hat zu lange über seine
Verhältnisse gelebt", ein "auf Kredit finanziertes
Sozialmodell" sei nicht haltbar, tönt etwa
Wirtschaftsminister Thierry Breton. Und Premierminister
Dominique de Villepin erklärte Ende Juni schon einmal
drohend: "Wenn kein Geld in der Kasse ist,
dann ist kein Geld in der Kasse. Meine Vorgänger
haben zu viel Geld für kategorielle Interessen (Anm.: der
Beschäftigten!) ausgegeben, ich werde mich
nicht beugen." Und: "Wenn das, was ich
vorschlage, nicht klappt, dann wird der nächste Präsident 2007 das
Arbeitsrecht umstoßen" (Libération, 29. Juni). Sollte der
Mann da an seinen Innenminister Nicolas
Sarkozy denken, den mutmaßlichen nächsten
Präsidentschaftskandidaten der Rechten, der marktradikalen
Wirtschaftsliberalismus mit autoritärem Populismus
verknüpft? Oder aber an seine eigenen
Präsidentschaftsambitionen, die ja auch de Villepin nachgesagt
werden?
Der Inhalt des Maßnahmenbündels
Nun zum Inhalt des Pakets. Die
spektakulärste der in ihm enthaltenen
Maßnahmen betrifft die Einführung eines neuen Typus von
Arbeitsvertrag. Er soll auf den Namen
"Neueinstellungs-Vertrag" (contrat de nouvelle embauche)
hören und in den kleinen und mittelständischen Betrieben
anwendbar sein.
Zunächst war in diesem Zusammenhang
die Rede von einer "Probezeit von zwei
Jahren", die diesen neuen Vertragstypus auszeichnen soll. Die
Haupteigenschaft einer Probezeit besteht darin, dass der
Arbeitgeber während dieser Periode das
Arbeitsverhältnis ohne nähere Angaben von Gründen
aufkündigen kann. Doch von dem ursprünglichen Vorhaben, den
"Neueinstellungs-Vertrag" als unbefristeten Vertrag unter
Einfügung einer solchen zweijährigen
"Probefrist" zu definieren, rückte die Regierung
zwischenzeitlich ab. Es zeichnete sich nämlich ab, dass die
juristischen Probleme damit zu groß würden:
Das Verfassungsgericht (das in Frankreich nur
von Abgeordneten, nicht aber von BürgerInnen, und nur vor
der Verabschiedung eines Gesetzestextes
angerufen werden kann, um dessen Verfassungsmäßigkeit
zu überprüfen) hätte möglicherweise eine so lange
"Probezeit" nicht als verfassungskonform
betrachtet. Denn der Sinn einer Probezeit muss ja
eigentlich darin bestehen, dem Arbeitgeber eine Abschätzung
der Fähigkeiten des Lohnabhängigen zu
erlauben; dafür ist aber eine so lange Periode kaum
als erforderlich zu betrachten. Und, vor allem, besteht in
Frankreich beim Thema "Probezeit" ein
Vorrang für den Kollektivvertrag (ungefähr identisch
mit dem deutschen Begriff Tarifvertrag) vor dem Gesetz. In
jenen Branchen und für jene Beschäftigten,
deren Kollektivverträge Bestimmungen zur
Probezeit vorsehen, wäre eine solche gesetzliche Regelung der
Probefrist also gar nicht anwendbar
gewesen.
Nunmehr hat die Regierung deswegen
eine neue juristische Begründung bzw.
Bezeichnung ersonnen, dabei hält sie aber an ihrem ursprünglichen
Vorhaben fest. Nunmehr soll die neue
Bestimmung jedoch nicht mehr "Probezeit" heißen,
sondern "erleichtertes Kündigungsverfahren".
Wirtschaftsminister Thierry Breton (der
auch nicht mehr von "Probezeit" reden will) spricht dagegen
nebulös von einer "Periode, um sich kennenzulernen" (Le
Monde vom 22. Juni). Ach wie schön: eine
Kennenlern- und Wohlfühlperiode, das hört sich richtig
menschlich an.
Ohne besondere Angabe von Gründen
soll also der Arbeitgeber in den ersten
zwei Jahren das (ansonsten unbefristete) Arbeitsverhältnis
aufkündigen können. Dennoch sollen, anders
als bei einem Abbruch des
Arbeitsverhältnisses während der Probezeit (der sofort wirksam
wird), dabei eine minimale Kündigungsfrist
eingehalten werden und eine Abfindungszahlung
erfolgen. Als "Zugeständnis" für die abhängig Beschäftigten wird
nunmehr vorgesehen, dass die solcherart aus
ihrem Arbeitsverhältnis geflogenen
Lohnanbhängigen sich auch schon nach dem zweiten oder dritten
Arbeitsmonat erwerbslos melden können.
Normalerweise können erst nach sechs Monaten
Beschäftigung (während der letzten 22 Monate) Bezüge aus
der Arbeitslosenkasse kassiert werden, aber
diese Schwelle soll für den neuen
Arbeitsvertrag abgesenkt werden. Dieses "Zuckerl" soll allerdings
nur die Tatsache versüßen, dass die
Schwelle, unterhalb derer der neue Vertragstyp
Anwendung finden soll, bei einer Beschäftigtenzahl des
Betriebs von 20 Lohnabhängigen angesiedelt
werden soll. Ursprünglich hieß es noch, dass der
"Neueinstellungsvertrag" nur für Mikrobetriebe (also etwa
solche mit einem einzigen Beschäftigten,
oder mit maximal 5 Mitarbeitern) gelten solle. Damit
werden nunmehr zahlreiche mittelständische Unternehmen
unter die neue Obergrenze fallen.
Der "Neueinstellungs-Vertrag" soll
damit manche Züge der bisherigen
Vertragstypen CDI (unbefristeter Vertrag) und CDD (befristeter
Vertrag) miteinander kombinieren: Er soll
für Unternehmen, die nur auf kürzere Frist
hin ihren Bedarf an Mitarbeitern abschätzen können, zur Verfügung
stehen. Allerdings unterscheidet er sich
vom klassischen CDD dadurch, dass beim
bisherigen befristeten Vertrag während der vereinbarten Frist (zum
Beispiel: 6 Monate, 12 Monate...) das
Arbeitsverhältnis nur bei Vorliegen ganz
besonderer Gründe aufgelöst werden kann. Ferner entfällt durch den
neuen Vertragstypus die "Prekaritätsprämie"
in Höhe von 10 Prozent des
Gesamtverdiensts, der bislang befristet eingestellten
Lohnabhängigen am Ende ihres
Arbeitsverhältnisses zustand. Gegenüber dem klassischen CDI
(unbefristeter Vertrag) wird die Notwendigkeit, konkrete Gründe
für die Aufkündigung des Beschäftigungsverhältnisses
zu benennen, während der ersten beiden
Jahre abgeschafft.
Abbau von Gewerkschaftsrechten
und "Lohnnebenkosten"
Eine weitere Maßnahme, die es in
sich hat, bildet das Vorhaben, jüngere
Beschäftigte (bis 25 Jahre) bei Neueinstellungen zukünftig nicht
bei der Berechnung des Personalstands zu
berücksichtigen. Demnach wird ein Betrieb
oder Unternehmen, das bisher 40 Beschäftigte hat und ein Dutzend
jüngerer Mitarbeiter einstellt, rechnerisch
bzw. juristisch auch weiterhin unterhalb
der "Schwelle" von 50 Mitarbeitern liegen: Ab deren Überschreiten
wäre der Betrieb verpflichtet, die Wahl
eines Comité d¹entreprise (ungefähre
Entsprechung zum deutschen Betriebsrat) und die Ernennung von
teilweise freigestellten gewerkschaftlichen
Vertrauensleuten (délégués syndicaux)
zuzulassen. Die Gewerkschaften haben in ihrer Kritik bereits
festgestellt, dass in bestimmten
Unternehmen wie beispielsweise McDonalds oder Virgin¹s
(Musikkaufhaus) damit künftig fast gar nirgendwo mehr
gewerkschaftliche Vertrauensleute oder
Betriebsräte existieren könnten. Denn vor allem im
Fastfood-Sektor ist der Anteil der unter 25- oder
30-jährigen Beschäftigten (jobbende
Studierende, Jugendliche aus Migrantenfamilien...) absolut
dominierend.
Ansonsten deutete Dominique de
Villepin in seiner Antrittsrede vom 8. Juni
an, wie er sich die berufliche Zukunft von Jugendlichen ohne
Berufsqualifizierung (sofern sie nicht bei McDo enden)
vorstellt: Um sie könnten sich ja auch die
Rekrutenwerber der Armee kümmern. Frankreich
beschloss Ende 1995 unter Jacques Chirac, von der
Wehrpflicht zu einer Berufsarmee
überzugehen, ähnlich wie die USA nach dem Ende des
Vietnamkrieges. Seit 5 Jahren werden keine wehrpflichtigen
Rekruten mehr eingezogen. In seiner
Antrittsrede erklärte de Villepin dazu: "Wir haben ein
funktionierendes Modell für unsere Jugendlichen aus den
Überseegebieten, die besonders hart von der
Arbeitslosigkeit getroffen sind: der angepasste
Militärdienst (Anm. BS: d.h. mit Ausbildungsangebot für
jene, die es wünschen und so bei der Armee
ein Diplom erwerben können) Ich habe die
Verteidigungsministerin aufgefordert, ein analoges Angebot in der
Metropole einzurichten. (...) Ab September
wird ein erstes Zentrum eingerichtet, um es
zu testen."
Für junge Arbeitslose von 18 bis 26
Jahren, die bisher von Stütze lebten und
ein neues Beschäftigungsverhältnis antreten, soll ein Steuerkredit
von 1.000 Euro (also eine negative
Einkommenssteuer) im ersten Jahr eingeführt werden.
Aber nur, wenn sie ihren neuen Arbeitsplatz in einem Sektor
antreten, in dem Arbeitskräftemangel
besteht, so werden bspw. Bäcker gesucht (wegen der
nächtlichen Arbeitszeiten). Durch den anfänglichen
Steuerkredit soll ihnen so die
Arbeitsaufnahme in einem der betroffenen Sektoren schmackhaft
gemacht
werden.
Im gesamten Niedriglohnsektor soll
die Politik des Abbaus von
"Lohnnebenkosten" für die Arbeitgeber fortgesetzt werden. In
mehreren Schüben sind seit 1993 zwar die
Versuche abgewehert worden, den gesetzlichen
Mindestlohn (SMIC) zu senken, dafür aber die Sozialabgaben
und andere "Lohnnebenkosten" bei den
SMIC-Beziehern und anderen Niedriglöhnen drastisch
gesenkt worden. Das bedeutet Einsparungen für den
Arbeitgeber, aber Einkommensverluste für
die Sozialversicherungssysteme, denen die
"Austrocknung" droht, sofern der Staat die fehlenden Einnahmen
nicht aus Steuermitteln zuschießt. Diese
Politik betraf zunächst (unter der
konservativen Regierung Balladur, 1993 95) die Löhne zwischen 1
und 1,3 mal dem gesetzlichen Mindestlohn
SMIC. Unter der sozialdemokratischen
Regierung von Lionel Jospin wurde die Senkung der
Lohnnebekosten auf den weiten Sektor
zwischen dem Mindestlohn und dem 1,8-fachen des SMIC
ausgedehnt, als "Gegenleistung" für die Arbeitgeber im
Gegenzug zur
Verkürzung der gesetzlichen
Regelarbeitszeit auf theoretisch 35 Stunden (bei
gleichzeitiger Flexibilisierung der Länge der Arbeitswochen
im Jahresmaßstab). Allerdings sollten diese
weitgehenden Nachlässe nur für die Dauer
von fünf Jahren gelten, um die "35-Stunden-Reform" zu begleiten
und für die Arbeitgeber noch schmackhafter
zu machen. Doch die neue bürgerliche
Regierung unter Jean-Pierre Raffarin verlängerte 2003 diese
Sozialabgaben-Senkung auf unbestimmte Frist und dehnte sie
auf alle Unternehmen aus, auch jene, die
die Arbeitszeitverkürzung gar nie
mitmachten. Ergebnis: Derzeit bezahlt ein Arbeitgeber für einen
Lohn in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns
SMIC (derzeit rund 1.200 Euro BRUTTO) nur noch
etwa 4,5 % an diversen Sozialversicherungsbeiträgen, statt
ursprünglich 30 %. Jetzt kündigt die
Villepin-Regierung an, diesen Anteil bis im Jahr 2007
auf SMIC-Höhe bis auf Null abzusenken.
Zugeständnisse und Rückzieher
Aber auf einigen Feldern macht die
neue Regierung auch Rückzieher gegenüber
Vorhaben ihres Vorgängerkabinettes unter Jean-Pierre Raffarin, die
auf allzu viele soziale Widerstände
gestoßen waren.
Beispielsweise ist das Gesetz zur
"Schulreform", das im März zu
Demonstrationen von hunderttausenden OberschülerInnen und im April
zu einer Welle von Schulbesetzungen geführt
hatte, nunmehr auf Eis gelegt worden. Zwar
wurde es bereits am 24. März vom Parlament definitiv
verabschiedet, so dass es kaum noch
verrückbar erschien. Doch benötigt das Gesetz, um wirklich
in Kraft zu treten, noch einige Ausführungsbestimmungen.
Alle Sitzungen der zuständigen Gremien, die
im Laufe des Juni stattfinden und die Ausarbeitung
dieser Ausführungsbestimmungen ermöglichen sollten, wurde
durch Premierminister de Villepin bei
seinem Amtsantritt annulliert. Das neue
Schulgesetz (das u.a. eine Einschränkung der Fächerwahl zugunsten
arbeitsmarktrelevanter Schlüsselkompetenzen und
Einsparungen vorsah) ist damit zwar nicht
abgeschafft, aber auch nicht anwendbar.
Auch soll die flächendeckende
Schließung von "unrentablen" Einrichtungen
öffentlicher Dienste, etwa von Postbüros im ländlichen Raum,
vorerst nicht fortgesetzt werden. Auch
dagegen hatte es in den vorangehenden Monaten
sichtbare Widerstände gegeben: Im ländlichen Département La
Creuse hatten im Oktober über 200
Bürgermeister ihre Ämter niedergelegt, aus Protest gegen
den Kahlschlag bei den "nicht rentablen" öffentlichen
Diensten (Schulen, Postämtern...). Am 5.
März 2005 hatten über 6.000 Personen aus vielen Teilen
Frankreichs, darunter auch aus Paris und seinem
Vorstadt-Département Seine-Saint Denis, in
der Bezirkshauptstadt von la Creuse, Guéret, dagegen
demonstriert.
Die besonders umstrittene Maßnahme
der Streichung des Pfingstmontags als
gesetzlicher Feiertag soll ebenfalls zurückgenommen werden. In
diesem Jahr sollte der Pfingstmontag
erstmals einen "normalen Arbeitstag" bilden, doch
hatte die Regierung sich damit eine ziemliche Pleite
eingehandelt. Weniger als die Hälfte der
abhängig Beschäftigten ließen sich am Pfingstmontag an
ihrem Arbeitsplatz blicken: Entweder waren sie im Streik
(24 %) oder aber ihre Betriebe und Büros
hatten ihnen sowieso frei gegeben, um ein heil- und
planloses Chaos durch Arbeitsausfälle und Krankmeldungen zu
vermeiden. Im kommenden Jahr soll wohl auf
eine Wiederholung der Erfahrung verzichtet
werden.
Schließlich soll 2005 der bereits
laufende Stellenabbau in den öffentlichen
Diensten langsamer als geplant vonstatten gehen. Statt der
geplanten Streichung von 12.000 Stellen in
den öffentlichen Diensten (vor allem durch
Nichtersetzung altersbedingter Abgänge, oder in Form ihrer
Ersetzung durch prekäre privatrechtliche
Verträge) sollen es im laufenden Jahr "nur" 5.000
werden.
Diese Beispiele zeigen, dass zwar
einerseits die neoliberale Dampfwalze mit
dieser Regierung mit unverminderter Geschwindigkeit weiter rollt,
andererseits aber soziale Widerstände auch ihre Ergebnisse
zeitigen können. Die aufgezählten
Rückzieher und "Zugeständnisse" bilden freilich nur
Frontbegradigungen, d.h. sie betreffen Regierungsmaßnahmen,
die aufgrund hohen sozialen Drucks kaum
noch haltbar schienen.
Weitere Vorhaben laut
Wirtschaftsminister Thierry Breton: Arbeiten ab 65,
Mobilität der Arbeitskräfte...
Anregungen für weitere
"beschäftigungspolitische Wohltaten" (jedenfalls wenn
man der Regeriung Glauben schenkt) machte
Wirtschaftsminister Thierry Breton auf
einer Pressekonferenz vom 21. Juni.
So soll etwa Erwerbslosen, die ein
Arbeitsverhältnis in über 200 Kilometern
Entfernung von ihrem Wohnort antreten, für ein Jahr das Zahlen von
Einkommenssteuern erlassen werden. Ob diese Maßnahme in
irgendeiner Weise fruchten wird, muss dahin
gestellt bleiben, da man die zu erwartenden
Transportkosten mit einkalkulieren und in Relation zu dem
Steuernachlass (der zudem nur für ein Jahr
gelten würde) setzen muss. Aber solche
Vorschläge tragen nur dazu bei, die Idee zu verankern, dass die
Leute deswegen keine Beschäftigung finden
würden, weil sie "zu wenig flexibel und
anpassungsbereit" seien und also selbst an ihrer Erwerbslosigkeit
Schuld trügen.
Den älteren Franzosen "wünscht", so
sein Ausdruck, der amtierende
Wirtschaftsminister, "auch jenseits von 65 Jahren arbeiten zu
können". Wem also seine Armutsrente nicht
ausreicht (u.a. dank der 2003 verabschiedeten
"Rentenreform"), der soll zukünftig auch in höherem Alter
als 65 weiter arbeiten dürfen. Bisher war
es zwischen 60 (dem theoretischen gesetzlichen
Rentenalter der Periode von 1983 bis 2003) und 65 Jahren
möglich, gleichzeitig eine Pension und
Arbeitseinkommen zu beziehen; dabei durfte
aber die Summe aus beiden nicht das bisherige Einkommen aus der
Zeit vor der Verrentung nicht
überschreiten. Und jenseits der Altersgrenze von 65 (die
das neue gesetzliche Rentenalter seit 2003 bildet) war es
rechtlich kaum möglich bzw. sehr erschwert,
gleichzeitig Renter/in zu sein und ein
Erwerbseinkommen zu beziehen. Bei Erreichen dieser Altersgrenze
musste der oder die Betroffene bislang
mindestens 6 Monate (ŒKarenzfrist") abwarten,
bevor er oder sie wieder in seinem/ihrem bisherigen
Unternehmen "für einzelne Aufträge" tätig
werden konnte. Diese bisherigen Hemmnisse sollen
fallen, so dass der oder die Beschäftigte auch nach
Erreichen aller denkbaren Altersgrenzen
einfach am bisherigen Arbeitsplatz weiter arbeiten
kann, um am Monatsende über die Runden kommen zu können.
Ein weiterer Vorschlag von Thierry
Breton (Ex-Chef von France Télécom und
Wirtschaftsminister seit Ende Februar 20005, nach dem Rücktritt
seines korrupten Vorgängers Hervé Gaymard)
lautet, den in französischen
Exportunternehmen tätigen Beschäftigten vermehrt Steuernachlässe
zu gewähren, wenn sie für ihre Unternehmen
im Ausland arbeiten. So soll die bisherige
Richtlinie, wonach solche Mitarbeiter bei Auslandseinsätzen von
der Einkommenssteuer befreit werden, beibehalten und
ausgedehnt werden. Statt der Untergrenze
von 180 Tagen Auslandseinsätzen im Jahr soll eine neue
Untergrenze von 120 Tagen pro Jahr, ab deren Überschreiten die
Steuerbefreiung eintritt, angesetzt werden.
Ferner spricht sich Thierry Breton,
ganz im Sinne des um seine Attraktivität
buhlenden "nationalen Wettbewerbsstaats", für eine ausgesprochen
"selektive Immigration" aus. Die
höchstqualifizierten potenziellen Anwärter auf
Einwanderung nach Frankreich sollen durch die 2.000
Außendienstbeamten des französischen
Arbeitsministeriums ausfindig gemacht und angezogen werden.
Die nicht so hoch qualifizierten Arbeitskräfte, und erst
recht die
Überflüssigen und Hungerleider..., soll hingegen das Ausland
behalten. Daneben forderte Thierry Breton
am Dienstag, dass künftig Stipendien an
französischen Hochschulen "auf die ausländischen Studenten mit
hohem Niveau in den strategischen
Fachbereichen konzentriert werden" sollen. Auch hier
soll der Rest dann in den Mond gucken dürfen.
Gewerkschaftliche Reaktionen
Wie reagieren die Gewerkschaften
auf all diese Pläne? Bisher überwiegend
kritisch, aber ohne deswegen allzu sehr aus ihrer Deckung hervor
zu kommen und aktiv zu werden. Als einzige
Gewerkschaftsorganisation hat bisher die
CGT eine erste (Probe-)Mobilisierung unternommen, indem sie am 21.
Juni zu Arbeitsniederlegungen und
Demonstrationen aufrief. So demonstrierten an
jenem Tag zwischen 3.000 (laut Medien) und 10.000 (so die
CGT) abhängig Beschäftigte in Paris, auf
Aufruf der CGT. Auch in weiteren französischen
Städten kam es zu kleineren bis mittelgroßen Protestzügen.
Vor allem bei der Pariser Post waren an
jenem Tag die Auswirkungen von Arbeitsniederlegungen
spürbar. Insgesamt bewertet Regierungschef Dominique de
Villepin jedoch den Erfolg dieses
gewerkschaftichen Aktionstags als schwach und damit als
Aufforderung zum weiteren Verfolgen eines "harten Kurses in
sozialen Angelegenheiten" (so Libération,
29. Juni).
Dagegen haben die anderen
Gewerkschaften sich dieser Initiative der CGT gar
nicht erst angeschlossen, und sprechen überwiegend von der
Perspektive einer Mobilisierung im
September (dann werden die 100 Tage, die Villepin seiner
Regierung gegeben hat, vorüber sein und eine erste Bilanz
anstehen). So die rechtssozialdemokratische
CFDT und die christliche CFTC.
Auf verbaler Ebene verurteilt
bisher, unter den größeren Dachorganisationen,
die ("postkommunistische") CGT die Regierungspläne am
vehementesten. Vor allem die neue
zweijährige Ex-Probezeit bzw. "erleichterte
Kündigungsprozedur" stößt bei der CGT auf härtere Widerstände. Am
"Aktionstag" am 21. Juni drohte Bernard Thibault der
Regierung von Dominique de Villepin damit,
dass sie (wenn sie darauf anlege) "erneut die
schmerzhafte Erfahrung, die sie mit dem Rentenkonflikt von
2003 machen musste", erleben könne. Dabei
muss freilich gesagt werden, dass es im
Mai/Juni 2003 u.a. dank der Manöver des CGT-Apparats (der
insbesondere den Transportstreik nach dem
13. Mai 2003 abwürgte) für die damalige
Raffarin-Regeriung im Endeffekt gar nicht so schmerzhaft geworden
ist.
Die rechtssozialdemokratische CFDT
in Gestalt ihres Chefs François Chérèque
erklärte am Abend desselben Tages, als er aus den Beratungen im
Kabinett (zu der alle "Sozialpartner"
eingeladen waren) heraus kam, dass "die Minister
anscheinend bereit sind, neue Sicherheitsmechanismen" in
den so genannten Neueinstellungs-Vertrag
"einzubauen". Damit meinte er wohl v.a. das Recht
für den Beschäftigten, dessen Arbeitsverhältnis innerhalb
der ersten zwei Jahre aufgelöst worden ist,
Arbeitslosengeld zu beziehen. Kritisch äußerste
sich CFDT-Generalsekretär François Chérèque allerdings zu
dem Punkt, wonach der Arbeitgeber künftig
(im Rahmen des "Neueinstellungs-Vertrags") keinerlei
Gründe mehr für die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses
angeben muss: Damit bleibe "ein bedeutender
Streitpunkt" mit den Regierungsvorhaben
bestehen. Solchart abwägende Äußerungen bereiten freilich bestimmt
keine soziale Massenmobilisierung gegen die
Regierungspläne vor.
Editorische
Anmerkungen
Der Text wurde uns vom Autor am
3.7.2005 zur Verfügung gestellt.
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