Bakunin,
Michail Alexandrowitsch,
30. 5. 1814 Prjachmuchino (Gouv.Twer)
- 1. 7. 1876 Bern; russischer
kleinbürgerlicher Revolutionär, Begründer und Ideologe des
politischen Anarchismus. In der I.
Internationale war B. ein entschiedener
Gegner der Theorie und Politik von Marx und
Engels.
Als Kleinadliger zum Offizier bestimmt,
besuchte B. von 1828 bis 1833 die
Petersburger Artillerieschule, quittierte aber 1835 den verabscheuten
Dienst und wandte sich philosophischen
Studien zu. Er beschäftigte sich mit der Philosophie
Immanuel Kants (1724-1804) und
Johann Gottlieb Fichtes(1762-1814) und widmete sich im weiteren
dem Studium der Philosophie Georg Friedrich Wilhelm Hegels
(1770-1831). Er hat sich um die Popularisierung der klassischen
deutschen Philosophie in Rußland verdient gemacht. In Moskau fand
B. Anschluß an progressive literarisch-philosophische
Zirkel, z. B. den um Nikolai Stankewitsch, Wissarion Belinski und
Alexander Herzen. 1840 ging er nach Berlin, 1842 nach Dresden und
1843 gemeinsam mit Herwegh in die Schweiz. Hier lernte er Weitling
kennen und arbeitete für den »Bund der Gerechten«. Als die
»Kommunistenverfolgungen« in der Schweiz einsetzten, floh er über
Brüssel nach Paris, wo er Marx und Engels kennenlernte und die
Bekanntschaft von Proudhon machte. 1848 nahm er in führender
Stellung am Prager Slawenkongreß teil, ging nach Deutschland und
war im Mai 1849 am Dresdner Aufstand beteiligt; er war Mitglied
der revolutionären Regierung in Dresden und wurde nach der
Niederschlagung des Aufstandes durch preußische Truppen verhaftet
und zum Tode verurteilt.
Später zu lebenslänglicher Haft begnadigt, wurde er 1851 an
Rußland ausgeliefert. Bis 1857 war er in der Peter-Pauls-Festung
gefangen. Hier schrieb B. seine Ansichten über die Revolution
nieder, seine vielumstrittene »Beichte« (Michail Bakunins Beichte
... an Zar Nikolaus I.). 1857 wurde er nach
Sibirien verbannt, von wo ihm 1860 über Japan und Amerika die
Flucht nach London gelang, wo er sich Herzen anschloß. 1864 begab
er sich nach Italien, wo er anarchistische Geheimbünde, sog.
Bruderschaften, gründete (z. B. 1865 die Allianz der.
Internationalen Brüder). 1868 hatte er die Alliance Internationale
de la Democratie Socialiste gegründet und trat im gleichen Jahr
der I. Internationale bei, wurde aber wegen Spaltertätigkeit und
organisationsschädlichem Verhalten 1872 ausgeschlossen.
B.s Ansichten sind ein Gemisch von
Anarchismus und utopischem Kommunismus, sie wurden von Marx und
Engels scharf kritisiert. Seine Ansichten fanden unter den
Narodniki in Rußland sowie unter kleinbürgerlichen Kräften, vor
allem Italiens und Spaniens, Widerhall.
Der von B. ausgehende Bakunismus
war ursprünglich eine Reflexion der antifeudalen Bestrebungen der
leibeigenen Bauern Rußlands, als Doktrin und Strömung radikalstes
Element der revolutionär-demokratischen Bewegung. Von der
Volkstümlerorganisation »Land und Freiheit« aufgenommen, kam ihm
noch in den 70er Jahren im Kampf gegen Selbstherrschaft und
Leibeigenschaft trotz kleinbürgerlicher und anarchistischer
Beimengungen positive Bedeutung zu.
Übertragen auf Westeuropa, nahm der Bakunismus seit Mitte der 60er
jähre ausgesprochen anarchistischen Charakter an; er bildete sich
zum Anarchokommunismus aus (fortgeführt von Pjotr Kropotkin), der
sich durch das Bekenntnis zur Revolution und zu kollektivistischen
Formen der künftigen Gesellschaft vom Anarcho-Individualisnus (Max
Stirner, Proudhon) unterscheidet. Er spielte eine reaktionäre
Rolle. B. wurde zum Haupt kleinbürgerlicher Gruppierungen und
Erzfeind des wissenschaftlichen Sozialismus. Die von ihm
proklamierte Negation der Politik bedeutete die Unterordnung des
Proletariats unter bürgerliche Politik. Das russische Volk war für
B. der geborene Rebell, stets zum Aufstand bereit. Die Not und der
Glaube des Volkes an sein Recht auf den Boden würden die soziale
Revolution unvermeidlich machen. B. formulierte drei - angeblich
sozialistische - »Volksideale«: aller Boden in Volkes Hand, seine
Nutzung im Verband der Dorfgemeinschaft, Autonomie der
Landgemeinde in Gegnerschaft zum Staat und zur Ämterwahl. Den von
B. gepredigten Anti-Etatismus faßte man in der Volkstümlerbewegung
als Aufruf zur Beseitigung der Selbstherrschaft auf, den von ihm
geforderten Verzicht auf politische Arbeit als Verneinung solcher
Betätigung auf dem Boden der bestehenden Ordnung, die
beabsichtigte Abschaffung des Erbrechts als Bestätigung des Rechts
des Volkes auf den Boden. Von Proudhon übernahm B. hauptsächlich
den uneingeschränkten Anti-Etatismus und die Utopie der absoluten
Freiheit, blieb aber im Grunde der
Ideologie der Bauernrevolution verhaftet, betrieb deren Anpassung
an kleinbürgerliche Tendenzen in der westeuropäischen
Arbeiterbewegung. Mit dem Blick auf den Zarenstaat qualifizierte
B. den Staat an sich als zynische und absolute Verneinung der
Menschheit. Die bürgerlichen Regimes nach der Französischen
Revolution - für B. das Muster aller politischen Revolution -
galten ihm als zusätzliche Bestätigung seiner These, daß
Staatlichkeit, und sei es eine proletarisch-sozialistische, stets
in die Knechtschaft zurückführe. Nur aus der totalen Zerstörung
könnten neue lebendige Materialien und damit neue Organismen
hervorgehen; einzige Quelle der Kräfte der Revolution wie der
Neugestaltung sei die völlige Anarchie.
Die Rolle des Zarenstaates in der
Geschichte überschätzend, schrieb B. dem Staat als solchem
Allmacht zu und erklärte ihn zum Schöpfer der sozialökonomischen
Verhältnisse. Wie die russischen Bauern, die weder die Fähigkeit
zu umfassender politischer Organisation noch die Möglichkeit
parlamentarischer Vertretung hatten, sollten auch die
westeuropäischen Arbeiter auf politische Tätigkeit verzichten, die
als solche schon autoritäre Tendenzen in sich berge. Da für B. die
Revolution nach den Erfahrungen der Bauernkriege im wesentlichen
eine Sache des Instinkts war, sollte auch das Proletariat die
Theorie geringschätzen. Abschaffung des Erbrechts sowie
Organisation von Arbeiterassoziationen nach dem Vorbild der
Dorfgemeinschaft galten als Hauptziele der Revolution.
Haltlosigkeit der theoretischen
Grundsätze und Abenteuerlichkeit der politischen Konzeption
entwerteten das Bekenntnis B.s zu den revolutionären Potenzen der
Arbeiterklasse, machten seine scharfe, teils richtige Kritik am
Kapitalismus zur Phraseologie und brachten viel Widersprüchliches
hervor. So behauptete B. die Spontaneität der Revolution, forderte
jedoch gleichzeitig eine Organisation von Berufsrevolutionären; er
predigte die absolute individuelle Freiheit, verlangte aber
unbedingten Gehorsam gegenüber den Leitern der Organisation; er
verdammte das Erbrecht, sicherte indes Millionen kleinen
Landwirten den Bodenbesitz zu; er wollte die Großindustrie
liquidieren und das Fabrikproletariat in kleine, abgeschlossene
Produktionsvereinigungen zurückführen, versprach aber dennoch eine
breite Entfaltung der weltwirtschaftlichen Beziehungen.
Editorische
Anmerkungen
Der Text stammt
aus: Krause, Werner; Graupner,
Karl-Heinz & Sieber, Rold (1989). Ökonomenlexikon. Berlin: Dietz.
S. 21ff
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