Der Deutsche Freiheitssender 904
Die Stimme der KPD von 1956 – 1971
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Karl Müller über Christian Sennes Magisterarbeit
07/05

trend
onlinezeitung

Aufgrund eines Übermittlungsfehlers war in der Redaktion der Eindruck entstanden, als habe Christian Senne für die Spiegelung der gekürzten Fassung seiner Magisterarbeit, die sich auf  der Website des linken/linksliberalen Internetprojekts www.kulturation.de  befindet, sein Okay gegeben. Nun ließ er die Redaktion zwischenzeitlich wissen, dass er die Veröffentlichung seiner Magisterarbeit nur auf einer "politisch neutralen" Homepage wünscht. Gleichzeitig forderte er uns auf, den gespiegelten Text zu löschen, so wie er es auch bei der Website "Kommunisten online" verlangt habe.

Angesichts des politischen Selbstverständnisses von Kulturation ein merkwürdiges Verständnis von politisch neutral - aber sei es drum. Wir wollen politisch nicht neutral sein. Schon gar nicht glauben wir das Märchen von der wertfreien Wissenschaft.

Zwar ist die vorliegende Arbeit von Christian Senne das Ergebnis seiner individuellen intellektuellen Leistung, doch sie wäre so nicht möglich gewesen ohne die konkreten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als da wären: der Zugang zu den Archiven, Beratung während der Abfassung der Arbeit durch HochschullehrerInnen und Mitstudierende, Bereitstellung sonstiger öffentlicher Ressourcen, Mithilfe durch Zeitzeugen, bereits vorliegende Untersuchungsergebnisse usw.

Dass unser Gemeinwesen das Privateigentum auch gerade dann schützt, wenn es auf der kostenlosen Aneignung fremder Leistung beruht, mag man bedauern oder sogar für abschaffenswert halten, im Rahmen unser publizistischen Betätigung - und sogar bei der Verbreitung wissenschaftlicher Arbeiten für wissenschaftliche Zwecke - müssen wir es akzeptieren. Daher haben wir uns entschieden, dem Wunsch des Autors ohne Wenn und Aber nachzugeben. Weil wir aber seine Arbeit für das Verständnis der deutschen Nachkriegsgeschichte als eine im imperialistischen Ringen "West-Ost" eingebettete Geschichte des Klassenkampfes für eminent wichtig halten, werden wir natürlich für die Verbreitung seines durch Dritte ermöglichte Wissen über den Freiheitssender 904 eintreten.

Wir bieten daher folgende Leseauszüge und weiterführende Links an.

Der vollständige Titel der seiner Magisterarbeit lautet:

Der Deutsche Freiheitssender 904
Die „Stimme der KPD“ von 1956-1971

Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades Magister Artium (M.A.) im Fach  Neuere und Neuste Geschichte am Institut für Geschichtswissenschaften der  Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin
vorgelegt im Mai 2003 von Christian Senne

Leseauszüge:

...Der Deutsche Freiheitssender 904 (DFS 904) tauchte als „Stimme der KPD“ wie aus dem Nichts am Tage des Verbots der KPD, dem 17. August 1956, um 20 Uhr im Äther auf Mittelwelle auf. Er sollte über 15 Jahre in Richtung Bundesrepublik Deutschland senden, bevor er genauso plötzlich am 30. September 1971 wieder verstummte. Während seiner gesamten Lebensdauer umhüllte sich der Sender mit einem Schleier der Konspiration, welcher auch über 30 Jahre später noch nicht restlos gelüftet ist....

...Heinz Priess (1915-2001), langjähriger Chefredakteur des DFS 904, erinnert sich in seiner Autobiographie jedoch an den Umstand, der ihn zum Sender brachte. Anfang August 1956 wurde Priess ins ZK der SED einbestellt, wo er Herrmann Matern (1893-1971) treffen sollte./2/ Matern war es, der Priess den Politbürobeschluss zur Installierung eines Radiosenders mitteilte, um die Agitation und Propaganda der KPD vor Ort ersetzen zu können. Dies bedeutete, dass die SED wohl schon vor Anfang August von einem wahrscheinlichen Verbot der KPD in der BRD ausgegangen war. Ein von Priess beschriebener Politbürobeschluss der SED ließ sich jedoch nicht auffinden./3/ Die Marschrichtung gab Matern jedoch in dem zehnminütigen Gespräch unmissverständlich vor: Elf Jahre nach Beendigung des Naziregimes werde nun die KPD wiederum verboten. Dies sei auch als Schlag gegen die DDR zu werten und erfordere deshalb die Klassensolidarität mit den Genossen der KPD in der BRD. Der wichtigste Punkt sei dabei die Ersetzung der Propaganda und Agitation vor Ort durch einen konspirativen Sender...

...So meldete er sich also in der Westabteilung, wo er von Max Spangenberg (1907-1987) näher instruiert wurde. Spangenberg, ebenfalls ein Spanienkämpfer und in der DDR seit 1954 stellvertretender Abteilungsleiter bzw. Leiter des Arbeitsbüros der Westkommission des PB des ZK der SED /6/, beauftragte Priess, eine Redaktion und ein Sendeschema zusammenzustellen....

...Priess dachte laut eigener Erinnerung bei diesem Auftrag „sofort“ an den „Soldatensender-Calais“, der im Zweiten Weltkrieg mit Jazz und Big-Band-Sound, sowie frechen und lässigen Sprechern mit großer Wirkung Informationen bei den deutschen Landsern einschleuste und suchte daher auch besonders nach Sprechern mit westdeutschem Akzent, um einen Sendestandort des DFS 904 in der BRD besser vortäuschen zu können./9/

Die Aufgabenstellung des Senders wurde schon durch die allgemeine Vorgabe seitens Materns gegenüber Priess beim Gründungsgespräch deutlich. Präzisiert durch das ZK der SED und den eigenen Vorstellungen der KPD-Führung wurde diese Grundaufgabenstellung während der gesamten Sendezeit des DFS 904 beibehalten. Priess selbst sah den Sender zwar als „Stimme der KPD“, aber die Sendungen sollten nicht nur als solche gesehen werden, sondern vielmehr als eine „oppositionelle Stimme in der bundesdeutschen Landschaft gelten“./10/ Die Ansage erläuterte dies allabendlich: „Hier ist der Deutsche Freiheitssender 904! Der einzige Sender der Bundesrepublik, der nicht unter Regierungskontrolle steht.“ ....

...Der tatsächliche Sendestandort war Reesen bei Burg in der Nähe von Magdeburg. Über einen der beiden Sendemasten wurde 904 dazugeschaltet, um durch Grenznähe und günstiger Ausbreitung nach Norden und Süden von Westdeutschland das Zielpublikum gut erreichen zu können. Vom Sendestandort war dies eine gute Ausgangslage, jedoch hätte man dazu auch eine störungsfreie Frequenz benötigt. Anfangs benutze man die exakte namensgebende Frequenz von 904 kHz, wanderte aber in den Jahren auf etwa 908 kHz, was aber bei den damaligen Empfangsgeräten nicht weiter auffiel. Ursprünglich war die Frequenz dem sowjetischen Sender Radio Wolga zugeteilt, der Sendungen für ein „Hilfskomitee zur Rückführung russischer Emigranten in die Heimat“ ausstrahlte, aber schon seit längerer Zeit außer Betrieb war. Insgesamt stand eine recht starke Sendeleistung von 250 kW zur Verfügung, die allerdings durch starke Interferenzen der Nachbarkanäle beeinträchtigt wurde. 904 quetschte sich regelrecht zwischen den Sender Mailand sowie die BBC-London und begrenzte dadurch eine bei ähnlicher Sendeleistung und freier Frequenz zu erzielende Reichweite erheblich./12/

Als Studio stand dem Sender immer Einrichtungen des Staatlichen Rundfunks der DDR zur Verfügung, von dort kamen auch die Technikerinnen und Techniker zum Sender, die nicht der KPD, sondern ausschließlich der SED angehörten./13/ Die ersten Sendungen kamen noch aus dem Hauptgebäude des DDR-Rundfunks in der Nalepastraße in Berlin. Das Sendestudio nahm daraufhin sein erstes festes „Gast-Domizil“ in Grünau ein, auf dem Gelände eines Ausweichstudios des DDR-Rundfunks, wo auch die technischen Gerätschaften schon vorhanden gewesen waren./14/ 1957 wurde das „Versteck“ immer bekannter, ein weiterer Umzug stand an, um die Konspiration wahren zu können. Selbst die BRD-Presse erhielt später den Hinweis auf den genauen Standort des Sendestudios: Regattastrasse 277, Berlin-Grünau./15/ Da war die Redaktion aber schon wieder umgezogen, diesmal nach Friedrichshagen, wo man sich in einem Waldstück heimlich in einer Villa einrichtete. Diese war eine ehemalige Ausbildungsschule des DDR-Rundfunks, deren Gelände auch von der Volkspolizei genutzt wurde. Erst Mitte der 60er Jahre bekam der Sender ein eigenes Domizil, für damalige Verhältnisse großzügig in Anwesen und Studiotechnik ausgestattet. Diese letzten Jahre verbrachten die Redaktion und das Sendestudio in Bestensee bei Königs-Wusterhausen, auf einem abgeschirmten Gelände direkt am See./16/

Ohne Hilfe der SED war also gar nicht an einen Aufbau eines Geheimsenders zu denken gewesen, schließlich hatte die KPD keinerlei technische Ausrüstung zur Verfügung. Auch das technische Know-how kam von SED-Seite, so dass sich am Sender eine Organisationsstruktur gemischt aus KPD und SED herausbildete.....

...Während seiner gesamten Sendezeit umfasste die Redaktion des DFS 904 im Schnitt etwa 15 Redakteure. Diejenigen, die auch hinter dem Mikrofon saßen, waren alle westdeutschen Ursprungs, um mundartlich einen Sendestandort in der BRD besser vortäuschen zu können. Neben einigen jungen Redakteuren, wie dem vom Verfasser als Zeitzeugen interviewten Adolf Broch (1929 – 2003), waren viele ältere verdiente kommunistische Journalisten in den Reihen der Redaktion zu finden. Außer Emil Carlebach fand auch Grete Thiele (1913-1993), die ebenso wie Max Reimann Mitglied des Ersten Deutschen Bundestags gewesen war, ihren Weg zum Freiheitssender. Thiele blieb bis etwa Mitte der 60er Jahre und war dann eine der Hauptakteurinnen in einer Gruppe von KPD-Leuten, die 1968 bei Innenminister Gustav Heinemann vorsprachen und die Weichen für die DKP-Gründung legten.....

....Ihre Informationen zur Programmgestaltung nahmen die Redakteure zum größten Teil aus den westdeutschen Presseerzeugnissen, Hauptargumentationslinien wurden von den Agitationsabteilungen der KPD und SED vorgegeben. Um auch mit den neusten Vorgängen in Westdeutschland vertraut zu sein, zapfte man illegal den Fernschreiber der Deutschen-Presse-Agentur (dpa) an./40/ Man versammelte sich täglich, sichtete die Westpresse und verschaffte sich somit einen Überblick über die von dpa und der Staatlichen Nachrichtenagentur der DDR (ADN) gesendeten Ankündigungen zu Themen des Tages. Ebenso war das westdeutsche Fernsehen eine vielbeobachtete Quelle für die Redaktion. So wurde z.B. regelmäßig der „Höfer-Frühschoppen“ ausgewertet./41/ Im Kollektiv wurden Themen für die Sendung diskutiert und schließlich auch zu Papier gebracht. Dabei war die Redaktion für DDR-Verhältnisse ungewöhnlich autark für Entscheidungen, was gesendet werden soll....

....In der Anfangsphase meldete sich der Sender zunächst täglich um 20 und 22 Uhr mit je einer Stunde Programmdauer auf Mittelwelle. Die Sendezeit wurde in den kommenden Jahren ständig aufgestockt, beachtet man die überlieferten Sendeansagen. Kadermäßiger Abbau und sonstige Sparzwänge zwangen den Sender Ende 1968 zu Programmkürzungen. Auf Beschluss des PB der KPD fiel die Frühsendung weg, und in den Abendsendungen wurde mit vielen Wiederholungen gearbeitet:

19.00 – 19.30 Uhr - Politische Sendung mit Musik
21.00 – 21.30 Uhr - Erste Wiederholung mit Ergänzungen
22.00 – 22.45 Uhr - Wiederholungen der Sendung von 19.00 Uhr/44/

Ende 1969 fielen die Sendungen der „Bruderparteien“ einer Programmkürzung zum Opfer./45/

Das Grundgerüst der Programme bestand während der gesamten Lebensdauer des DFS 904 aus einer abwechslungsreichen Mischung von aktueller Schlagermusik und Wortbeiträgen. Die Musik wurde kurzerhand von Radio Luxemburg oder auch dem RIAS mitgeschnitten und dann wieder in die eigenen Programme eingefügt. Auch aktuelle Plattenkäufe in der BRD waren nicht selten. Da es in der BRD wohl eine Abmachung gab, dass die neusten Schlagermelodien erst einmal in den Plattenläden verkauft werden sollten, um Mitschnitte vom Rundfunk zu unterbinden, hatte der DFS 904 schon durch Nichtbeachtung dieser Abmachung einen Vorteil um die Hörergunst./46/

Zwischen den Musikeinlagen gab es zumeist kurze Nachrichten und Informationen oder vermeintliche Agentendurchsagen, wie z.B.:

„Achtung, Achtung, wir rufen Kleingärtner. Zum Rasieren Rasenmäher benutzen. Ich wiederhole. Achtung, Achtung, wir rufen Kleingärtner. Zum Rasieren Rasenmäher benutzen. Ende der Durchsage.“/47/

„Achtung, Achtung, wir rufen Kräuterhexe. Wir brauchen dringend Baldrian. Ich wiederhole. Achtung, Achtung, wir rufen Kräuterhexe. Wir brauchen dringend Baldrian. Ende der Durchsage“/48/

Die sog. „Eidechsen“ waren jedoch nicht vermeintliche Agentendurchsagen, sondern ein reines Stilmittel, um die Konzeption des Senders als Geheimsender zu unterstützen. Die Redaktion dachte sich jeden Tag neue Eidechsen aus, um die Hörer an einer vermeintlichen geheimen Durchsage,
die zumeist mitten in die Musik gesprochen wurde, teilhaben zu lassen und gleichzeitig zu unterhalten. War es wirklich einmal von Nöten, Genossen in der BRD zu warnen, wurden diese Informationen der Wichtigkeit wegen am Anfang der Sendung platziert, z.B. bei drohenden Hausdurchsuchungen. Dies stellte aber eine Ausnahme dar./49/

Neben den Kurzinformationen und Musik waren u. a. Sendungen für die Bundeswehr, die Sendung „Hier spricht die KPD“ und „Aus Betrieb und Gewerkschaft – Sendung für die Bergarbeiter“ als längerer Beiträge feste regelmäßige Bestandteile des Programms des DFS 904....

....Grundsätzlich muss jedoch auf die Empfangsbedingungen des DFS 904 vorab eingegangen werden, diese waren natürlich wichtigste Vorraussetzung für eine Massenwirksamkeit. Hierbei mangelte es jedoch schon gewaltig. Zwischen zwei starken Sendern aus Mailand und London eingequetscht, verursachten die Sendungen des DFS 904 in vielen Regionen des Hauptzielgebietes BRD ein nervtötendes Pfeifen, das durch die Überlagerung der Sender zustande kam. Die Frequenzwahl muss wohl eines der Rätsel bleiben. Vermutlich war die offizielle Zuteilung an die Sowjetunion, die diese an den DFS 904 abtrat, der ausschlaggebende Punkt. Über die Probleme in der Frequenzwahl machte man sich offensichtlich im PB von SED und KPD keine Gedanken.

In der Mitte und im Süden der BRD war der Empfang sehr dürftig, ebenso im Ruhrgebiet. Lediglich im Norden der Republik und natürlich in der Reichweite der Bodenwelle, also der direkten Welle des Senders, war der Empfang gut./63/ Seltsamerweise war in den Urlaubsgebieten Italiens der Empfang besser, und der Sender war stärker als der im Norden stationierte Sender Mailand, wie Urlauber dem DFS 904 berichteten./64/ In Berlin war der Empfang des Senders auch nur unter erschwerten Hörbedingungen möglich, vermutlich einer der Hauptgründe, warum nicht häufiger Programmanalysen von SED-Seite angefertigt wurden. Es war den Genossen der SED vermutlich einfach zu mühsam, sich dem Pfeifen auszusetzen, um die Sendungen abzuhören. Nur bei einem der seltenen Ausfälle des Senders Burg wurde ersatzweise der Sender Königs-Wusterhausen angeschaltet, damit die Sendung nicht ausfiel. Dies ermöglichte dann zur Freude der in Berlin wohnenden Redakteure einmal guten Empfang des DFS 904./65/ Die KPD-Führung reagierte auf diese schlechte Ausgangsbasis für eine große Wirksamkeit des Senders, wenn auch vergebens. Nachdem sich Beschwerden der westdeutschen Genossen, insbesondere aus Bayern, Süd-West, und besonders Rheinland-Pfalz über die schlechten Empfangsmöglichkeiten häuften, beschloß das KPD-PB Vorschläge für die Verbesserung des Empfangs u.a. direkt an Walter Ulbricht anzutragen. Die insgesamt drei Vorschläge, weitere Sendeanlagen auf 904 kHz dazuzuschalten, einen anderen Sendemast, z.B. des Deutschlandsenders, der in der BRD besser zu empfangen war, anstatt des in Burg befindlichen zu benutzen oder sogar UKW-Sendungen einzurichten, wurden jedoch nicht realisiert....

Weiterführende Links

Die vollständige Fassung der Magisterarbeit als PDF-File gibt es bei: http://www.dokufunk.org/upload/dsf_904.pdf