Stadtteilkämpfe in Berlin
Die Entwicklung Neuköllns

Ein Überblick von "Neukölln verteidigen"

07-2012

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Bis zur Jahrtausendwende wurde Neukölln in den Medien als ein Bezirk dargestellt, in dem ausschließlich arbeitsscheue Säufer in vergammelten Wohnungen leben und die Straßen von kriminellen Banden mit Migrationshintergrund kontrolliert werden. Ein typischer Artikel aus dieser Zeit erschien 1999 im Spiegel
Das Stigmatisieren von Stadtteilen und deren BewohnerInnen ist der erste Schritt zur Umwandlung in einen Bezirk für Besserverdienende. Die Politiker im Abgeordnetenhaus und im Bezirk reagieren auf die Schlagzeilen der Medien, eine höhere Polizeidichte und damit einhergehende Repressionsmaßnahmen sind die Folge. Zusätzlich wurden mit den Quartiersmanagments neue Formen der Überwachung und Diffamierung geschaffen.
Nachdem in Kreuzberg seit 10 Jahren eine extreme Erhöhung der Wohnungsmieten zu verzeichnen ist, begannen ab 2002 vermehrt KünstlerInnen, Studierende und Besserverdienende nach Nord-Neukölln zu ziehen. Sie profitierten von dem schlechten Ruf des Viertels weil ihre Ansiedlung vom Bezirk und von den Hauseigentümern unterstützt wurde. Diese Personengruppen sollten einen stabilisierenden Faktor bilden und für die soziale Mischung sorgen.
Zwar wurde weiter gegen Neukölln gehetzt, relativ unbemerkt verwandelte sich jedoch der Kiez um den Reuterplatz. Innerhalb weniger Jahre mussten viele türkische und arabische Familien die Gegend verlassen um Leuen mit höherem Einkommen Platz zu machen. Seitdem ist die Weserstraße auf dem Weg zu einer zweiten Simon-Dach-Str.

Der Spiegel als Leitorgan der deutschen Rechten verbreitete in immer neuen Artikeln den Wahn vom migrantischen Intensivtäter in Neukölln, siehe zum Beispiel:  hDie Intensivtäter sind ein Sprengsatz". Für die Kinder aus Familien nichtdeutscher Herkunft kennen die Herrschenden nur einen Platz, den Knast.

Denn Neukölln wird dringend gebraucht um die wenigen boomenden Wirtschaftsfaktoren Berlins zu bedienen: den Party-Tourismus und die Immobilienspekulation. Nachdem Prenzlauer Berg zu einem langweiligen schwäbischen Dorf umgebaut wurde, Friedrichshain eine einzige Partymeile ist und Kreuzberg schon von Yuppies besetzt ist, muss neuer Platz geschaffen werden. Durch Wachschützer an Schulen, dem rigidesten Jobcenter Deutschlands, ständigen Fahrscheinkontrollen in der BVG und hunderten Bullen, Ordnungsamtsschergen und Ein-Euro-Securitys auf den Straßen versucht Buschkowsky Neukölln von den Menschen zu säubern, die den Plänen der Investoren im Weg stehen: Hartz4 BezieherInnen und MigrantInnen.

Was im Reuterkiez noch schnell ging, stößt im Schillerkiez auf mehr Widerstand. Auch hier wurde zunächst rassistisch gegen Roma gehetzt und arbeitslose Säufer als Problem herbei halluziniert. Die plumpe Hetze des Quartiersmanagment „Task Force Okerstraße“ rief Proteste hervor. Seitdem wehren sich dort MieterInnen gegen die Luxusmodernisierung und damit die Vertreibung aus ihren Häusern. Für viele stellt sich nämlich die Frage wo sie noch hin ziehen können. Berlin baut ständig neuen Wohnraum, jedoch nur Eigentumswohnungen, Lofts oder Penthouses. In den letzten 15 Jahren wurde in Berlin nicht eine einzige Wohnung neu geschaffen, deren Miete vom Jobcenter gezahlt wird. Geringverdiener zahlen bis zu 70% ihres Einkommens für Miete.

Damit werden auf Dauer Verhältnisse geschaffen wie beispielsweise in Paris: das Zentrum wird von den Eliten und der Mittelschicht bewohnt, die Mieten dort liegen bei 1000 Euro für eine kleine Einzimmer Wohnung. Die ArbeiterInnen, Arbeitslosen und MigrantInnen wohnen in den Banlieues vor der Stadt; Hochhaussiedlungen mit geringer Infrastruktur, der öffentliche Nahverkehr ins Zentrum wird um 23:00 eingestellt und die Viertel leiden unter Polizeigewalt. Die Oberschicht hat damit zwar eine relative Ruhe im Zentrum geschaffen, an den Rändern entladen sich jedoch regelmäßig die Spannungen.

Wenn es nicht gelingt dieser Entwicklung etwas entgegen zusetzen, werden wir in wenigen Jahren alle in Marzahn oder Spandau wohnen müssen. Dabei geht es nicht nur um die Vertreibung aus den Innentadtbezirken sondern auch um die Zertörung sozialer Strukturen. Während in Zeiten bezahlbarer Mieten auch Freundschaften oder familiäre Bindungen Kriterien bei der Wohnungssuche sind, werden MieterInnen in Zukunft nur noch Spielball von Wohnungsbaugesellschaften und Stadtplanern sein.

Die jüngste Studie zu diesem Thema offenbart jedenfalls die Rücksichtslosigkeit ihrer Auftraggeber.

Editorische Hinweise

Wir spiegelten den Artikel von
http://neukoellnverteidigen.blogsport.de/2012/06/18/die-entwicklung-neukoellns/