Spanien: Arbeiter/innen kämpfen gegen Sparmaßnahmen und Repression

Zwei Indymedia- Artikel: Bericht & Kommentar

07-2012

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„Rajoy – höre die kämpfenden Bergarbeiter!“
von Matthias Berg

Madrid, 10. Juli 2012, kurz vor Mitternacht. Die Straßen um den nordöstlichen Verkehrsknotenpunkt Moncloa sind voll von Menschen. 100.000 Madrider warten auf das Eintreffen des „Schwarzen Marsches“ der streikenden Bergarbeiterinnen und Bergarbeiter.

Ein kurzer Rückblick:

Im Mai kündigte das spanische Industrieministerium eine 64 % Kürzung der staatlichen Subventionen für den Bergbau an. Was im Fall der Umsetzung eine sofortige Schließung aller Bergwerke bedeuten würde. Die nordspanischen Bergbauprovinzen Asturien, Castilla y Leon und Aragon zählen zu den wirtschaftlich strukturschwachen Regionen. Die spanische Arbeitslosenquote beträgt derzeit 25 %. Darunter sind eine Million „Ninis“, spanische Jugendliche, die keinen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz haben.

Nach dem die Schließungspläne bekannt wurden, besetzten die Kumpels Ende Mai alle Bergwerke und traten in den Vollstreik. Da sie keine Streikgelder beziehen, sind sie seitdem ohne finanzielle Bezüge. Wichtige Aktionsformen der Mineros sind die Blockaden von Hauptverkehrswegen. An den brennenden Barrikaden kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Hierbei setzen die Kumpels selbstgebaute Bazookas ein, mit denen sie Feuerwerksraketen auf die Polizei abfeuern:

Am 22. Juni starteten mehrere hundert Mineros, darunter auch einzelne Frauen, einen 20 Tage dauernden Marsch nach Madrid. Organisiert wurde die Aktion von den beiden großen Gewerkschaften CCOO und Suma-UGT. Auf ihrem 480 km langem, Kräfte zehrenden Marsch trafen Mineros allerorts auf begeisterten Zuspruch und große Solidarität.
Doch der Einmarsch der Kumpels am 10. Juli in Madrid sollte alles vorher Erlebte und alle Erwartungen noch übertreffen.

Die Wartezeit bis zum Eintreffen der Bergarbeiter nutzt ein Teil der Menge, um in unmittelbarer Nähe eine mehrspurige Autobahn zu blockieren. Als die Mineros gegen 23.30 Uhr endlich am Moncloa eintreffen, sind die Straßen mit jubelnden Menschenmassen vollständig verstopft. Raketen steigen in den Nachthimmel und Böllern explodieren. Solidarische Feuerwehrleute, die lange Seile vor sich tragen, bahnen den Kumpels einen Weg durch die Menschenmassen. Die Madrider und die Kumpels rufen zusammen Parolen, singen, ballen ihre Fäuste, schütteln Hände, umarmen sich, lachen und weinen. Ein emotionaler Höhepunkt großer Klassensolidarität!

Für die hier versammelten Menschen, sind die Bergleute Hoffnungsträger im Kampf gegen die antisoziale Politik der Regierung. Am folgenden Tag wird Ministerpräsident Rajoy im Parlament ein neues Umverteilungsprogramm zu Gunsten der Banken und Konzerne ankündigen, welches „weh tun werde“: Kürzung der Arbeitslosenhilfe, Mehrwertsteuererhöhung auf 21%, usw.

Die in der Nacht am häufigsten gerufen Parolen sind:

Wir sind alle Minenarbeiter!
Wenn das nicht zurückgenommen wird, gibt es Krieg, Krieg, Krieg!
Lang lebe der Kampf der Arbeiterklasse!
Das ist unser Team! (in Anlehnung auf die erfolgreiche Fußball-Nationalmannschaft)
Wir haben Eierstockeier – wir Frauen der Bergleute!
Rajoy – höre die kämpfenden Bergarbeiter!
Die vereinten Mineros werden niemals besiegt werden!
Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden!
Wenn keine Lösung – dann Revolution!
Dynamit! Dynamit!
Madrid fühlt sich eins mit den Bergarbeitern!

Der lange Tag findet sein Ende gegen 2.30 Uhr auf dem Puerta del Sol. Die Bergleute werden auch dort mit großem Applaus begrüßt. Sie marschieren durch die Menge mit erhobenen Fäusten und singen mit den Anwesenden die Bergbauhymne „Santa Barbara“.

Ein Bergmann ergreift das Wort und sagt: "Wir sind Kämpfer und wir werden uns wehren!" und „Vielen Dank an alle, die uns geholfen haben!“ und als Warnung an den Minister für Industrie José Manuel Soria: "Beim nächsten Besuch wird Dynamit dabei sein!"

8 Stunden später, 11.00 Uhr, auf der Paseo de la Castellana, einer großen Prachtpromenade in Madrid. Hier startet bei brütender Hitze die große Demo zum Industrieministerium, zu der tausende von Kumpels, ihre Familien und Unterstützer mit Bussen eintreffen. Insgesamt kommen mehrere zehntausend Menschen zusammen. Die Stimmung ist im Vergleich zur Vornacht eher gedrückt. Ein kleinerer Teil der Kumpels reißt vor dem Industrieministerium die Absperrung nieder und attackiert die Polizei mit vergammelten Bananen, schweren Böllern, Steinen und Stöcken. Die Polizei schießt mit Gummigeschossen. Über 70 Menschen werden verletzt, 8 verhaftet.

Mit ihrem harten Widerstand stellen sich die spanischen Bergarbeiter gegenwärtig an die Spitze der sozialen Kämpfe in ganz Europa.

Die reformistischen Gewerkschaftsführer fordern von Seiten der spanischen Regierung ein „konstruktives Verhalten“ und ein „gewisses Entgegenkommen“. Damit wird deutlich, das diese „Arbeitervertreter“ wieder einmal auf einen faulen Kompromiss setzen.

Langsam wächst unter den Bergarbeitern weltweit der Gedanke, nach der Notwendigkeit der internationalen Koordinierung der Arbeiterkämpfe. Hierzu ist, auf Grundlage einer weltanschaulichen Offenheit für revolutionäre Positionen, eine 1. Internationale Bergarbeiterkonferenz vom 1. bis 3. März 2013 in Arequipa (Peru) geplant.

Hier die Fotoreportage zum Bericht, chronologisch geordnet, als kleine Diashow:

Spanische Arbeiter/innen gegen Sparkurs
Autor/in des Beitrags

Seit der Ankunft des Protestmarsches der streikenden Bergarbeiter in Madrid und dem gleichzeitigen Regierungsbeschluss über verschärfte Sozialkürzungen sind die Straßen des Landes seit Tagen voller Proteste. In rund 20 Städten gab es Demonstrationen und Kundgebungen gegen den Sparkurs der Konservtiven.

Die brutalen Angriffe auf Demonstrant/innen in Madrid am 11.07. durch die paramilitärische Guardia Civil zeigen, wie weit die Regierung bereits ist, die Schraube der Repression weiter anzuziehen. Mit Gummigeschossen und Tränengas verletzten sie dutzende Demonstrant/innen, darunter auch Alte und Kinder. Auch zahlreiche Festnahmen wurden vorgenommen und die Pressefreiheit mit Knüppeln zerschlagen.

Die Massenmedien verschweigen diese öffentliche Staatsgewalt und überlassen das Wort den Anführern der reformistischen Gewerkschaften, die weiterhin zu symbolischen Protesten aufrufen, aber grundsätzlich ihre Zustimmung zum Sparkurs der sozialdemokratischen Vorgängerregierung weiterverfolgen.

Doch zehntausende Arbeiter/innen, darunter auch Arbeitslose, Rentner/innen und Studierende, gehen Tag für Tag auf die Straßen und zeigen ihren Zusammenhalt angesicht der Milliardengeschenke an die kapitalistische Wirtschaft. Mit Massenkundgebungen und Blockaden stehen sie an der Seite der unbefristet streikenden Bergarbeiter/innen und Warnstreiks im Öffentlichen Dienst.

Die Kürzungen der öffentlichen Versorgung, sowie bei Arbeitslosengeld, Renten und Löhnen sind die Kehrseite der von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds durchgepeitschten Bankenrettung. Hohe Arbeitslosigkeit und Verdichtung der Arbeitsleistung führen massenhaft zu Depression und Verzweiflung. Daher ist es verständlich, wenn z.B. ganze Bergarbeiterdörfer in Asturien in unbefristeten Streik gehen und sich gegen die Gummigeschosse der Polizei mit Feuerwerkskörpern, Steinschleudern und brennenden Straßenbarrikaden zur Wehr setzen.

Angesichts steigender Mieten, Steuern und Preise sind nämlich die winzigen Verbesserungen schnell aufgebraucht, welche von den sozialdemokratischen Gewerkschaftszentralen (UGT und CC.OO) überhaupt erreicht werden konnten. Die Arbeitsmarktreform, die sie selbst mitgetragen haben, bedeutet konkret nur weitere Prekarisierung, Leistungsstress, Kaufkraftverlust und den Abbau sozialer Rechte, sowie eine Anhebung des Rentenalers auf 67 Jahre.

Mit Steuergeschenken und Privatisierungen wird gleichzeitig von der Volkspartei PP den Kapitalist/innen wertvolles Gemeinschaftseigentum überlassen, während die Lebensbedingungen der Bevölkerung weiter den Bach runtergehen.

Gegen diese Angriffe müsste es jedoch mehr gemeinsame Proteste und Arbeitskämpfe geben, nicht nur in den am meisten betroffenen Regionen, sondern überall auf der vom Kapitalismus globalisierten Welt. Wirksame, direkte Aktionen am Arbeitsplatz und auf der Straße können ergänzt werden durch den Aufbau einer Widerstandskultur voller Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und gegenseitiger Hilfe.

Zahlreiche Beispiele dafür finden sich nicht nur in den Geschichtsbüchern über die Spanische Revolution (1936), sondern auch heutzutage in den vielfältigen kollektiven Betrieben und Besetzungen überall auf der Welt: von Argentinien, Chile und Chiapas über die USA, Kanada, Nordafrika, Israel und Griechenland bis in die vielen europäischen und asiatischen Metropolen.

Gegen Staat und Kapital – unser Kampf ist global!

Für die soziale Revolution!

Editorische Hinweise

Der erste Text erschien am 14.7.2012, der zweite am 15.7.2012 .