"Unsere Glaubwürdigkeit wächst im gleichen Maße, wie die der Mainstreammedien und Politiker abnimmt."
Die "Junge Welt" und ihr DDR-Bild / Ralph Hartmann und die sozialen Errungenschaften

von Anne Seeck

07-2012

trend
onlinezeitung

Der Satz „Unsere Glaubwürdigkeit wächst im gleichen Maße, wie die der Mainstreammedien und Politiker abnimmt.“ stammt von Oberstleutnant a. D. Wolfgang Schmidt, von 1957 bis 1990 Mitarbeiter des MfS der DDR, er ist Kriminalist. Gemeinsam mit Oberst a. D. Dr. Reinhard Grimmer, von 1960 bis 1990 Mitarbeiter des MfS, er ist Jurist, hat er die Bücher „Fragen an das MfS“ und „Die Sicherheit“ herausgebracht. Sie würden kämpfen mit ihren Büchern. 2010 hätten sie bundesweit 50 Lesungen zu dem Buch „Fragen an das MfS“ gehabt, wo sie sich mit 3500 Menschen ausgetauscht hätten. Das Buch sei in dritter Auflage erschienen. Mit ihrem Buch „Die Sicherheit“ hätten sie 200 Lesungen bestritten. Grimmer: „Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, daß die DDR nicht wegen Mangel an Demokratie, Menschenwürde und Unfreiheit weg mußte. Die DDR wurde beseitigt, weil sie die Bundesrepublik objektiv allein durch die Existenz daran hinderte, die Nummer eins auf dem Kontinent zu werden.“ 1

Das alles ist zu lesen in der linken Tageszeitung Junge Welt, die viele aus der ehemaligen DDR- Elite schreiben läßt bzw. wie in dem Beispiel interviewt. Stasioffizier Schmidt spricht von einer „Mitmenschlichkeit und Grundsolidarität“, die es in weiten Teilen der DDR- Gesellschaft gab.

Ob er diese wohl damals auch bei seinen inoffiziellen Mitarbeitern und anderen gesellschaftlichen Zuträgern (wie freiwilligen Helfern der Volkspolizei oder Hausbuchbeauftragten etc.) auch angemahnt hat, diese Mitmenschlichkeit und Grundsolidarität. Oder bei seinen Stasimitarbeitern, die Wohnungen durchsucht oder Menschen überwacht haben. Ja immer diese „Stasihysterie“...

Weiteres nachzulesen bei: http://www.mfs-insider.de/

Danke für den Mauerbau

Den Höhepunkt vollbrachte die Junge Welt mit ihrem Titelblatt am 13. August 2011, anläßlich von 50 Jahren Mauerbau. Darin bedankten sie sich für den Mauerbau.

Ich berichtete damals im Trend: http://www.trend.infopartisan.net/trd7811/t817811.html

Der stellvertretende Chefredakteur Rüdiger Göbel sah das so:

"Es war eine Provokation, 'ne bewusste Provokation angesichts der parteipolitisch gewollten Instrumentalisierung des Tages, des 13. Augustes 1961. Dieses historische Ereignis, der Beginn der Grenzschließung, des Mauerbaus, wird vollkommen aus dem historischen Kontext gerissen. Entpolitisiert, emotional aufgeladen. Und das 22 Jahre nachdem die DDR tot ist, nicht mehr existiert, wird noch mal nachträglich auf ihr herumgetrampelt."

Ein Bericht im Deutschlandradio: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/marktundmedien/1534586/

Und 3sat: http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/157009/index.html

Wenn rund 98 Prozent der Ermittlungsverfahren eingestellt werden mußten, kann die DDR nicht der „Unrechtsstaat“ gewesen sein, als den ihn Politik und Medien seit 1990 unablässig darstellten .“ 2

In der Jungen Welt findet die ehemalige DDR- Elite ihr Refugium. Während die heute Herrschenden die DDR diffamieren und den Kapitalismus legitimieren, tun diese Herrschaften (die ehemalige DDR-Elite) das Gegenteil. Es ist ein Kampf um das DDR- Bild. Insbesondere wird natürlich der Elitenaustausch und die Strafverfolgung kritisiert.

2004 fand der 2. Politbüroprozeß statt, der als Abschluß der juristischen Bewältigung der DDR galt. Friedrich Wolff, Strafverteidiger in der DDR und IM, schreibt 2004 in der JW, dass es 100 000 Ermittlungsverfahren zur „Delegitimierung der DDR“ gegeben hätte, aber nur 289 Verurteilungen. Eine Tat könne nur bestraft werden, „wenn sie zur Zeit, als sie geschah, für den Täter, der sie verübte, strafbar war.“ 3 Im „Rechtsstaat“ gilt also das Rückwirkungsverbot4 im Hinblick auf DDR- Unrecht.

Angesichts dessen, was in der DDR strafbar war, ein Hohn. Hätten die „Opfer“ in der DDR auch solch ein Recht genossen. Wer „staatsfeindliche Hetze“ in der DDR beging, konnte inhaftiert werden. Das tun diese DDR- Verharmloser und D- Kritiker heute jeden Tag, trotzdem kommt ihnen nicht der Gedanke, dass die DDR ein „Unrechtsstaat“ war. Wer ein „staatliches Symbol“ öffentlich herabwürdigte, konnte inhaftiert werden. Wenn der Stasi bekannt wurde, dass jemand fliehen wollte (!), wurde dieser inhaftiert wegen versuchter Republiksflucht.

Freudig berichtet Wolff, dass nur bei 25 MFS-Angestellten Straftaten festgestellt wurden. Wie viele Menschen hat die Stasi unschuldig ins Gefängnis gebracht? Wie viele Menschen hat die Stasi zersetzt? Wie viele Biographien zerstört?

Und sie sprechen von der heutigen Siegerjustiz5?

Herbert Kierstein und Gotthold Schramm, beide beim MfS der DDR tätig, schreiben 2010 in der JW, dass 87 032 Anträge auf Rehabilitierung und 110 195 Anträge auf Wiedergutmachung (Zahlen BSTU von 2007) gestellt wurden. Im Jahre 2009 gab die Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP folgende Antwort: Anträge insgesamt 60 198, bewilligt 39 797, noch anhängig 9469. Damit blieben 50 000 Anträge übrig, „bei denen die BRD- Bürokratie eine 'DDR-Opferschaft' anerkannt hat. Das entspricht also etwa 20 Prozent der behaupteten 250 000 'Opfer'!“6

Was freuts die Stasis, nur 50 000. Wissenschaftliche Studien sagen was anderes. Und was ist mit jenen, die zum Beispiel in den 50er Jahren drangsaliert wurden und schon längst verstorben sind?

Kierstein und Schramm schreiben: „Nach 20 000 bis 30 000 Verdachtsprüfungen wegen MfS- Straftaten gegen Mitarbeiter des MfS erfolgten 131 Anklagen mit 62 Freisprüchen (47 Prozent), 36 Bewährungsstrafen (28 Prozent) und 31 Geldstrafen (24 Prozent). Lediglich zwei Haftstrafen wurden ausgesprochen“ 7

Zwei Haftstrafen für Stasimitarbeiter, und wie viele Menschen haben sie zersetzt und inhaftiert?

Es ist schon gruselig, dass sich 91 000 hauptamtliche Stasimitarbeiter, viele in Berlin, in dieser Gesellschaft tummeln, besonders im Hinblick auf ihre „operative Psychologie“. Ganz zu schweigen von jenen Spitzeln, die andere geschädigt haben. Im Laufe seiner Existenz führte das MfS rund 624.000 Menschen als Inoffizielle Mitarbeiter.

Zum Schluß fragen die beiden ehemaligen Stasimitarbeiter: „Wann findet diese Gesellschaft endlich die Kraft, mit der Ausgrenzung Hunderttausender ehemaliger DDR- Bürger aufzuhören?“

Die Frage bleibt, wer ist mehr ausgegrenzt, die ehemalige DDR- Elite, viele beziehen heute hohe Renten oder sind bestens mittels ihrer Seilschaften integriert, oder die ehemaligen Opfer des DDR- Systems. Wie es den politischen Gefangenen nach der Wende geht, hat Sibylle Plogstedt untersucht.8 Die Studie über die soziale Lage von politischen Häftlingen wurde an der Universität Essen durchgeführt. In einem quantitativen Teil haben 802 ehemalige politische Häftlinge einen Fragebogen ausgefüllt. 24 ehemalige politische Häftlinge und drei Hinterbliebene sind darüber hinaus intensiv befragt worden. Weiter gaben drei Expertinnen Auskunft. Zu den Langzeitfolgen der Haft gehört für viele der ehemaligen politischen Häftlinge ein niedriger sozialer Status. [...] Von den Befragten befanden sich gerade mal 7,5% noch im Beruf. […] Die zweitgrößte Gruppe waren mit 13,1% die Bezieher von Leistungen nach Hartz IV. […] Die größte Gruppe bildeten mit 58,4% die Rentner. Heute verdienen 49 Prozent der ehemaligen Häftlinge weniger als 1.000 Euro im Monat, acht Prozent haben sogar nur bis 500 Euro.

Der Strafvollzug in der DDR entsprach weltweit hohem Niveau.“...9 (Junge Welt vom 21.6. 2012)

So jedenfalls Hans Bauer, der bis 1990 stellvertretender Generalstaatsanwalt der DDR war.

Ihm würde ich zunächst das Buch „Ich kam mir vor wie'n Tier: Knast in der DDR“ von Torsten Heyme, BasisDruck 1990 empfehlen. Mit Bildern und Interviews wird die Situation in den DDR- Knästen bestens illustriert.

Viele Zeitzeugen können von den miserablen Zuständen in diesen Gefängnissen berichten. So dieser Zeitzeuge, der als BRD-Bürger einem DDR-Bürger seinen Ausweis schenkte:

http://www.fr-online.de/wiesbaden/beruf-jurist--berufung-zeitzeuge,1472860,16618720.html

Die Haftbedingungen in der Zeit von 1945 bis 1989 in der DDR veränderten sich,
die schlechten hygienischen Verhältnisse, der Hunger, der Mangel an Bewegung, körperliche Mißhandlung etc. in der Anfangszeit nahmen ab, trotzdem blieben die Verhältnisse in den DDR-Knästen unerträglich. Merkmale des Knastes in der DDR waren:
- unzureichende Ernährung
- Überbelegung in den Haftanstalten
- unzureichende medizinische Versorgung
- schlechte hygienische Bedingungen
- Arbeitszwang bei sehr geringer Bezahlung
- Isolation und psychische Foltermethoden in MfS-U-Haft
- Anwendung von Arrest
- Erziehungsmaßnahmen wie politisch-aktuelle Gespräche
- Entzug von Vergünstigungen
- Schikanen von Wärtern und Verhörern
- Kontaktsperre und Zensur
- Zellenüberwachung und Bespitzelung
Das Haftregime orientierte sich am Militär.

Weitere Infos: http://www.freiheitpur.i-networx.de/polgef.html

Wie vor kurzem in den Medien offenbart wurde, arbeiten viele Häftlinge für den Export ins westliche Ausland.

„Zusammengetragen haben diese Geschichten die DDR-Bürgerrechtler Uwe Bastian und Hildigund Neubert vom Berliner Verein Bürgerbüro, die im Jahr 2003 eine Studie mit dem Titel „Schamlos ausgebeutet – Das System der Haftzwangsarbeit politischer Gefangener des SED-Staates“ vorlegten. Die Studie beruhte auf der Befragung von 361 ehemaligen politischen Häftlingen. Ihr Fazit: Was den rechtlichen Hintergrund und die Arbeitsbedingungen betrifft, sei die in DDR-Haft verrichtete Gefangenenarbeit der 1957 von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verbotenen Zwangsarbeit zuzurechnen – die DDR hatte das entsprechende Abkommen nicht unterzeichnet.“

http://www.fr-online.de/politik/ausbeutung-in-ddr-gefaengnissen-zwei-von-drei-haeftlingen-leiden-an-spaetfolgen,1472596,15093570.html

Hans Bauer in der JW: „Strafvollzug in der DDR zielte auf vollwertige Wiedereingliederung.10

Was bedeutete das im Konkreten? Wiedereingliederung? Die Entlassenen wurden mit Auflagen belegt. Arbeitsplatzbindung, Wohnraumbindung und Umgangsverbot mit bestimmten Personen sowie Aufenthaltsverbot an bestimmten Orten (wie Kneipen).

„Wer sich beispielsweise den "Erziehungs- und Kontrollmaßnahmen" nach dem berüchtigten Paragraphen 48 entzog, konnte gleich wieder zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt werden.

Und besagter Paragraph 48 machte eine Vielzahl entwürdigender Schikanen möglich, die völlig willkürlich eingesetzt werden konnten. Weil die Aufzählung beinahe unglaublich klingt, soll an dieser Stelle aus dem spröden Gesetzestext ausführlicher zitiert werden:

"(3) Der Leiter der zuständigen Dienststelle der Deutschen Volkspolizei erhält durch die gerichtliche Entscheidung das Recht, dem Verurteilten Auflagen zu erteilen. Die Auflagen können enthalten:

die Verpflichtung zur Meldung bei einer Dienststelle der Deutschen Volkspolizei, einschließlich der vorherigen Mitteilung eines Arbeitsplatz oder Wohnungswechsels sowie zusätzliche Meldepflichten;

die Untersagung des Aufenthaltes an bestimmten Orten oder Gebieten, des Besuches bestimmter Örtlichkeiten oder des Umgangs mit bestimmten Personen;

die Anordnung, den zugewiesenen Aufenthaltsort und den ihm zugewiesenen Arbeitsplatz nicht ohne die Zustimmung der Deutschen Volkspolizei zu wechseln;

die Beschränkung von Ausreisemöglichkeiten aus dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik.

Die Festlegung mehrerer Auflagen ist zulässig.

Außerdem können staatliche Erlaubnisse und Genehmigungen durch die zuständigen Organe versagt, entzogen oder eingeschränkt werden. Die Kontrolle und Durchsuchung der Aufenthaltsräume, der Wohnung und anderer umschlossener Räume durch die Deutsche Volkspolizei ist jederzeit zulässig."

Hier der Fall von Dietmar Walter u.a.: http://www.horch-und-guck.info/hug/archiv/2008-2009/heft-60/06007/

Hier weitere Infos, wie mit Randständigen in der DDR umgegangen wurde: http://www.freiheitpur.i-networx.de/untersch.html

Was gelernte DDR-Bürger manchmal so im Kopf haben, zeigen zum Beispiel drei Interviews.

Wir verstehen uns aber als offensiver Ideologiebetrieb.11

Frank Schumann war von 1973 bis 1991 bei der Tageszeitung Junge Welt, dem FDJ- Organ. 1991 gründete er den Verlag Edition Ost, der zum Beispiel Bücher von Erich Honecker, Egon Krenz und von früheren Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit wie Wolfgang Schwanitz herausbringt. Ideologieproduktion hat er bestens in der DDR gelernt. Er sagt: „Die Leute sind nicht blöd, wissen, was sie hatten, und sehen, was sie bekommen haben(...) Wir registrieren eine steigende Nachfrage nach Publikationen, die wir in den 90er Jahren gemacht haben(...) Bei Veranstaltungen mit unseren Autoren außerhalb Berlins sagen uns die Einlader, daß viele Besucher nicht zu ihrem Zirkel gehören. Wir erleben zunehmend, daß Lokalredakteure freundlich berichten.(...) Die Frage nach einer Alternative stellt sich sehr ernsthaft.“ 12

Und genau das ist das Problem, wenn die Alternative solch ein autoritärer und spießiger Scheiß wie in der DDR sein soll, dann Prost Mahlzeit.

„(...)und da ist es eben auch naheliegend, sich zu fragen, ob die in der DDR praktizierten Modelle nicht beispielgebend sein könnten.“13

Judith Demba, die heute bei der Partei Die Linke ist, 1980 aus der SED ausgetreten ist und sich lange bei den Grünen engagiert hat, hat die Kleinbürgerlichkeit, Trägheit und Spießigkeit in der DDR verabscheut. Trotzdem erinnert sie sich an ein „solidarisches Miteinander“, das möglich war, „weil der Konkurrenzdruck im Alltag fehlte und die Menschen sozial abgesichert“ waren.

Da frage man sich allerdings, was ist das für eine Solidarität, die sofort wegbricht, sobald der Kapitalismus vor der Tür steht. Zudem spricht das Spitzelwesen eine andere Sprache und war es nicht auch eine Art Tauschwirtschaft in der Mangelgesellschaft.

Natürlich haben die geringen Lebenshaltungskosten und das Recht auf Arbeit dafür gesorgt, dass es in die DDR keinen oder kaum Existenz- und Konkurrenzdruck gab. Aber es gab auch eine Pflicht zur Arbeit und im Gegensatz zur BRD keine Sozialleistungen für Arbeitsfähige. Die DDR war eine Industriegesellschaft mit ebenso entfremdeten Arbeitsverhältnissen wie im Westen. Nur das viele die Arbeitsdisziplin unterliefen, weil sie ja zum Beispiel Kündigungsschutz hatten. Trotzdem waren gerade viele Arbeiter unzufrieden und zogen sich in die Kollektive und ins Private zurück.

Und die Mieten waren zwar gering, aber die Altbausubstanz verfiel. Die DDR saß auf einem Pulverfaß. Marode war auch vieles im Verkehrs-, Gesundheits- und sonstigem „Wesen“.

Für Judith Demba ist auch das Schulsystem in der DDR beispielgebend. Wie man dieses autoritäre Frontalunterricht- Schulsystem und dieses ideologisch aufgeladene Erziehungs- und Bildungssystem, in dem alles staatlich organisiert war, gut finden kann, bleibt mir ein Rätsel.

Ich habe mich in der DDR nach der selbstverwalteten Kinder- und Schülerladenbewegung und Freien Schulen mit anti-autoritärer Erziehung (nicht laissez fair) gesehnt. Selbstverwaltung, außerhalb staatlicher Institutionen, war in der DDR nicht möglich. So konnte der Staat die Kleinen zu seinen „sozialistischen Persönlichkeiten“ (oder besser zum autoritären Charakter) erziehen. Was dabei herauskam, war Anfang der 90er Jahren bei den rassistischen Pogromen zu „bestaunen“.

Weitere Infos: http://www.trend.infopartisan.net/trd0909/t5290909.html

Der Mauerbau 1961 war für mich Anlaß, bereits mit 17 stolze Kandidatin der SED zu werden.“ 14

Helga Adlers Vater trat 1939 freiwillig der Wehrmacht bei, diente dann u.a. in der „Wolfsschanze“. „Nach 1945 wollte mein Vater auf der richtigen Seite stehen, nicht nur aus Opportunismus. Im Osten wurde vermittelt, auf der Seite der Sieger der Geschichte zu stehen. Damit wurde man gewissermaßen selbst zum Sieger und war nicht mehr gezwungen, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Mein Vater engagierte sich in der SED, 1956 wurde er 1. Kreissekretär von Genthin.“ 15

Sie sagt, dass der Untergang der DDR so lautlos war, hatte „auch etwas mit dem humanistischen Anspruch der Gesellschaft, die auch ich mitgetragen habe, zu tun.“

Wie „humanistisch“ dieser Anspruch war, möchte ich an folgenden politischen Paragraphen des DDR- Strafgesetzbuches aufzeigen:

Unter dem Vorwurf der "staatsfeindlichen Hetze" wurden viele Oppositionelle der DDR verhaftet, insbesondere weil die Formulierungen des § 106 StGB (DDR) so offen gestaltet waren, dass beinahe jede kritische Äußerung unter Bezug auf diesen Artikel geahndet werden konnte. Es drohten ein bis zehn Jahre Haft.

  • § 106 – „Staatsfeindliche Hetze

(1) Wer die verfassungsmäßigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik angreift oder gegen sie aufwiegelt, indem er

1. die gesellschaftlichen Verhältnisse, Repräsentanten oder andere Bürger der Deutschen Demokratischen Republik wegen deren staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit diskriminiert;

2. Schriften, Gegenstände oder Symbole zur Diskriminierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, von Repräsentanten oder andern Bürgern herstellt, einführt, verbreitet oder anbringt;

3. die Freundschafts- oder Bündnisbeziehungen der Deutschen Demokratischen Republik diskriminiert;

4. Verbrechen gegen den Staat androht oder dazu auffordert, Widerstand gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik zu leisten;

5. den Faschismus oder Militarismus verherrlicht oder Rassenhetze treibt, wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu acht Jahren bestraft.

(2) Wer zur Durchführung des Verbrechens mit Organisationen, Einrichtungen oder  Personen zusammenwirkt, deren Tätigkeit gegen die Deutsche Demokratische Republik gerichtet ist oder das Verbrechen planmäßig durchführt, wird mit Freiheitsstrafe von zwei bis zu zehn Jahren Haft bestraft.

(3) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.

  • § 213 – „Ungesetzlicher Grenzübertritt

(1) Wer widerrechtlich in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik eindringt oder sich darin widerrechtlich aufhält, die gesetzlichen Bestimmungen oder auferlegte Beschränkungen über Ein- und Ausreise, Reisewege und Fristen oder den Aufenthalt nicht einhält oder wer durch falsche Angaben für sich oder einen anderen eine Genehmigung zum Betreten oder Verlassen der Deutschen Demokratischen Republik erschleicht oder ohne staatliche Genehmigung das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik verläßt oder in dieses nicht zurückkehrt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe oder öffentlichem Tadel bestraft.

(2) In schweren Fällen wird der Täter mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft. Ein schwerer Fall liegt insbesondere vor, wenn

1. die Tat durch Beschädigung von Grenzsicherungsanlagen oder Mitführen dazu geeigneter Werkzeuge oder Geräte oder Mitführen von Waffen oder durch die Anwendung gefährlicher Mittel oder Methoden durchgeführt wird;
2. die Tat durch Mißbrauch oder Fälschung von Ausweisen oder Grenzübertrittsdokumenten, durch Anwendung falscher derartiger Dokumente oder unter Ausnutzung eines Verstecks erfolgt;
3. die Tat von einer Gruppe begangen wird;
4. der Täter mehrfach die Tat begangen oder im Grenzgebiet versucht hat oder wegen ungesetzlichen Grenzübertritts bereits bestraft ist.

(3) Vorbereitung und Versuch sind strafbar.

Gesetz vom 12. Januar 1968 in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 1974 zur Änderung des Strafgesetzbuches, des Anpassungsgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung von Ordnungswidrigkeiten (GBl. I Nr. 64 S. 591)

  • § 220 – „Öffentliche Herabwürdigung der staatlichen Ordnung

Der Paragraf 220 des Strafgesetzbuches von 1968 bestraft die öffentliche Herabwürdigung staatlicher Organe oder gesellschaftlicher Organisationen, das Tragen von Symbolen, die die öffentliche Ordnung und das sozialistische Zusammenleben beeinträchtigen können oder die gesellschaftliche Ordnung verächtlich machen, mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren.

Besitzer eines PM 12 waren insbesondere von Repressalien betroffen:

Bezeichnung für einen vorläufigen Personalausweis (Behelfsausweis) in der DDR. Der PM 12 ist nur formal ein Ersatz – zum Beispiel für einen verlorenen Personalausweis. Bei jeder der zahlreichen Kontrollen wirkt er als Signal für den Überprüfenden, weitergehende Informationen einzuholen. Der Inhaber des PM 12 ist also immer in irgendeiner Weise verdächtig. Dies liegt daran, dass dieser Ausweis an Haftentlassene, Ausreiser, sozial Auffällige und politische Gegner ausgegeben wird. Dazu wird ihnen oft ein gültiger Ausweis entzogen. Der PM 12 berechtigt nicht zum Grenzübertritt in osteuropäische Länder. Wer ihn besitzt, muss im Regelfall Auflagen erfüllen, zum Beispiel eine Meldepflicht bei der Polizei. Der PM 12 ist oft verbunden mit dem Verbot, bestimmte Orte zu verlassen oder aufzusuchen beziehungsweise den Arbeitgeber zu wechseln.

HWG im Personalausweis:

Prostituierte und Frauen, die eine Vielzahl von Partnern aufwiesen, wurden im Amtsdeutsch als Personen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“ (HWG) bezeichnet und besonders überwacht. HWG bekamen in der DDR Prostituierte (die waren öfter auch IM) oder politisch unangenehme Frauen in den Ausweis gestempelt.

Was für eine „humanitäre Gesellschaft“ das war, habe ich in weiteren Texten veröffentlicht:

http://www.freiheitpur.i-networx.de/ddr.html

Auch im Ossietzky?

Aber nicht nur die Junge Welt verbreitet die Ansichten der DDR- Elite, im Haus der Demokratie fiel mir vor kurzem die Zweiwochenschrift „Ossietzky“ vom 14.4. 2012 in die Hände.

Enttäuscht bin ich von Heinrich Hannover, der Hans Modrow verteidigte und schreibt: „DDR- Bürger, die die in ihrem Staat geltenden Gesetze befolgt oder selbst Staatsgewalt ausgeübt hatten, fanden sich plötzlich als Kriminelle wieder.“ 16

Es scheint also egal zu sein, was für Gesetze ein Staat aufstellt, Hauptsache sie werden befolgt. Und es scheint egal, wie die Staatsgewalt ausgeübt wird. Dann ist ja alles in Ordnung...

Ralph Hartmann, ehemaliger DDR- Botschafter in Jugoslawien, läßt sich dann über den Bericht der Bundesregierung „Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR“ aus, das sei ein schaurig- komischer Bericht. Ob das so komisch für die Heimkinder in der DDR war, bleibt zu bezweifeln. Als Beweis, wie niedlich es in den Heimen der DDR zuging, zitiert er Eberhard Mannschatz, den „Guru“ der DDR- Heimerziehung. „Die zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Heimgemeinschaft erfahren eine spezifische Ausprägung. Wir bezeichnen sie mit dem Begriff Geborgenheit...“ usw. 17 Geborgen muß es in den Heimen zugegangen sein, wenn so viele Heimkinder abhauten und schließlich im Jugendwerkhof Torgau landeten.

Hier Infos zu Torgau und Mannschatz: http://www.berliner-zeitung.de/panorama/gewalt-in-der-ddr-die-kinder-von-torgau,10808334,16546774.html

Zum 1. Juli wurde ein Fonds für ehemalige DDR- Heimkinder eingerichtet. Hartmann erregt vor allem die Gleichsetzung von BRD- und DDR- Heimerziehung. Welch ein Hohn, im Westen gab es ein 68, eine Heimkampagne und in den 70er Jahren Reformen. Davon konnte in der DDR keine Rede sein.

Soziale Errungenschaften der DDR

Ralph Hartmann ist auch Autor des Buches „Mit der DDR ins Jahr 2000“, wo er die „sozialen Errungenschaften“ der DDR aufzählt.

„Der Sozialismus braucht mehr Menschenrechte als je im Kapitalismus möglich (W.Janka)“ (Spruch auf dem Demonstration am 4.11.1989 auf dem Alexanderplatz in Ostberlin)

M.E. sind die Hauptursachen des Scheiterns des Realsozialismus, dass das Eigentum nicht wirklich vergesellschaftet wurde und die Verhältnisse autoritär waren. Der sogenannte Sozialstaat war für mich nicht vorbildlich, er wies zu viele repressive Momente auf. Aber immer noch betonen die ehemals Privilegierten und viele Normalbürger die sozialen Errungenschaften in der DDR. So zählt der ehemalige DDR-Botschafter in Jugoslawien Ralph Hartmann im Buch „Mit der DDR ins Jahr 2000“18 auf, was aufgegeben wurde. Ich benenne seine „Errungenschaften“ und setze dem Erfahrungen entgegen.

  • Vollbeschäftigung und keine Angst um den Arbeitsplatz

Dabei übersieht er, dass es in der DDR auch eine Pflicht zur Arbeit gab und ein Asozialengesetz. Menschen, die nicht arbeiteten, konnten durchaus inhaftiert werden. Davon betroffen war vor allem die Unterschicht in der DDR, aber auch subkulturelle Randgruppen wie Punks. Ich hatte durchaus Existenzängste in der DDR, wenn ich mal nicht arbeitete, denn es gab keine Sozialleistungen für Arbeitsfähige. Meine Erwerbsbiographie war diskontinuierlich, die Subkultur in der DDR war geprägt von solchen Biographien. Außerdem gab es in der DDR auch Menschen, die Angst um ihre Arbeitsplätze hatten, so Ausreiseantragsteller, die oft gekündigt wurden, und Oppositionelle, die auch in der Arbeit zersetzt wurden. Zudem gab es in vielen Betrieben eine verdeckte Arbeitslosigkeit, weil einfach zu viele Menschen dort beschäftigt wurden, die sich auf den Füßen herum trampelten. Vollbeschäftigung war ein Mythos. Das erinnert mich an heutige Beschäftigungsmaßnahmen, in denen oft Beschäftigung simuliert wird und Arbeitstugenden wie Pünktlichkeit getestet werden, obwohl es vollkommen unsinnig ist, zur Arbeit zu erscheinen, weil nichts zu tun ist. Irrsinn gibt es in jedem System, dafür sorgen schon die Herrschenden.

  • niedrige Mieten und keine Obdachlosigkeit

Ja viele, gerade Jugendliche, die aus der Republik nach Ostberlin kamen, halfen sich selbst und besetzten leerstehenden Wohnraum. Es gab in der DDR eine staatliche Wohnraumlenkung, die vor allem junge Familien mit Kindern bevorzugte. Also heirateten die meisten früh und zeugten Kinder, um eine Wohnung zu bekommen. Die Wohnungseinrichtung wurde dann „abgekindert“. Ja, so kann ein Staat auch Bevölkerungspolitik betrieben. Außerdem ist Wohnungspolitik bestimmt kein Ruhmesblatt für die DDR, während am Stadtrand Plattenbauten entstanden, verfiel die Altbausubstanz in den Innenstädten. Das hätte bald eine Wohnungsnot gegeben, langfristig wären so Menschen obdachlos geworden.

  • beträchtliche soziale Gleichheit und überschaubare Unterschiede in Löhnen und Gehältern

Das ist das Mindesteste, was man von einer sozialistischen Gesellschaft erwarten kann. Dadurch unterschied sich die DDR vom Kapitalismus. Aber leider hatten wiederum gerade Funktionäre Privilegien, wie bessere Bildungschancen für ihre Kinder. Zudem war die DDR auch durch eine Zweitwährung (D-Mark) und Zwei-Klassen-Struktur an Waren (Intershop, Exquisit, Delikat) gespalten. Viele Waren und Dienstleistungen waren nur gegen D-Mark zu haben. Kann man da von einer sozial gerechten Gesellschaft sprechen.

  • niedrige Pachten, Tarife und sichere Wochenendgrundstücke sowie Kleingärten

Die DDR entwickelte sich immer mehr zu einer Nischengesellschaft. Der Normalbürger zog sich in die Privatsphäre zurück. Deshalb diente die geförderte Freizeitgestaltung auch der Befriedung der DDR-Bevölkerung. Außerdem gab es auch in diesem Bereich der Wochenendgrundstücke viele Privilegien, die die DDR-Gesellschaft spaltete.

  • umfassende Fördermaßnahmen für Frauen und Jugendliche, junge Eheleute und kinderreiche Familien

Ja, das kann man wirklich sagen, der Staat DDR förderte das Modell der Kleinfamilie, die natürlich Kinder haben mußte. Der Staat sorgte dafür, dass Jugendliche schnell diese kritische Phase abschlossen und in den Hafen der Arbeit, der Ehe und der Elternschaft einliefen. Die Ausbildung und das Studium wurden schnell abgewickelt, um gleich in die Erwerbsbiographie einzumünden. Da war die DDR mal effizient, so schnell hätten es die heutigen Herrschenden auch gern. Nur „leider“ gibt es im Westen für viele Jugendliche noch ein Moratorium. (Mit der Verschulung des Studiums durch Bachelor und Master verkürzt sich das.) Die DDR war in der Bevölkerungspolitik auch wirklich vorbildlich. So wurden bei der Wohnungsvergabe durch die staatliche Wohnraumlenkung Familien mit Kindern bevorzugt. Was taten die jungen Leute also, sie heirateten und bekamen Kinder. Und schon waren sie in der Normalbiographie der DDR gefangen. Es gab eine typische DDR-Familie. Max Weber hat solch eine Normalbiographie als „stahlhartes Gehäuse“ bezeichnet. In der Subkultur wurde der starre, standardisierte Lebenslauf, alles vorstrukturiert von der Wiege bis zur Barre, abgelehnt. Viele DDR-Normalbürger trauern genau dem nach.

  • vorbildliche Betreuung von Schwangeren und kein mittelalterlicher §218

Da halfen auch gut gemeinte Gesetze nichts, die Realität sah oft anders aus, wie z.B. ein Schwangerschaftsabbruch gehandhabt wurde. (langes Warten auf dem Gang, Zusammenlegen mit jungen Müttern etc.) Die DDR war häufig durch einen unpsychologischen Umgang miteinander geprägt. Wer sensibel in diesem Land war, hatte dementsprechend einschneidende Erlebnisse...

  • entwickelte gegenseitige Hilfe in Betrieben, Wohngebieten und im Dorf

Da die DDR eine Mangelgesellschaft war, half man sich. Das ist mit Zeiten nach einem Krieg vergleichbar. Die Not schmiedet zusammen. Die „solidarische Gemeinschaft“ fiel sofort in sich zusammen, als die Konsumgesellschaft auf den „Plan“ trat. Außerdem hatten die Organisationen in den Betrieben, Wohngebieten und Dörfern Kontrollfunktionen. Wie kann man von einer solidarischen Gesellschaft sprechen, wenn genau diese Gesellschaft von Spitzeln durchsetzt ist. Der aussagekräftigste Satz, der mir (und anderen) im Miteinander in der „solidarischen“ DDR von einem Blockwart (Hausbuchbeauftragter) gesagt wurde, war: „Unter Hitler hätten sie euch vergast“.

  • dichtes Netz von Theatern, Orchestern, Museen, Bibliotheken, Kulturhäusern und Klubs für die Jugend

Das gibt es im Kapitalismus auch, hier existiert eine riesige Kulturindustrie. Außerdem war auch die Kulturpolitik in der DDR kein Ruhmesblatt. Wie viele Filme wurden verboten? Wie viele Bücher landeten im Giftschrank? Ich arbeitete im „Leseland“ DDR mal in einer kleinen Zweigbibliothek. Die Weltliteratur stand herum, sehr beliebt war das Regal an der Tür- Krimis und Sciene Fiction. Die Mitarbeiterinnen, natürlich viel zu viele, unterhielten sich über Stricken und Mode. Die Theaterbesuche waren da schon interessanter, Theater in der DDR hatte oft Oppositionscharakter, wie auch der Jazz. In der DDR blühte eine künstlerische Boheme, die oftmals vom normalen Kulturbetrieb ausgeschlossen war.

  • niedrige Preise für Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie für die Benutzung von Bibliotheken, für Kino-, Theater-, Konzert- und Museumsbesuche

Natürlich geht es in einer sozialistischen Gesellschaft um Teilhabe an der Kultur. Nur gab es auch in der DDR Bildungsprivilegien. Gerade die Bildungsschicht nutzte die niedrigen Preise der kulturellen Infrastruktur, obwohl sie wahrscheinlich auch mehr zahlen konnten. Im Sozialismus muß es darum gehen, das Bildungsniveau der Massen zu heben, aber gerade das wurde durch die selektive Bildungspolitik und die Zensur von Bildungsgütern verhindert.

  • Eisenbahn- und Nahverkehrsverbindungen bis in die letzten Dörfer

Auch in der DDR fuhren nicht viele Dorfbusse. Zugegeben nach der „Wende“ wurden viele Verbindungen in der Provinz eingestellt, aber warum- weil sie nicht genutzt wurden. Denn die Infrastruktur des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs hatte nichts mit einem Umweltbewußtsein der Menschen zu tun, sondern mit dem Mangel. In der DDR mußte man 10 Jahre und manchmal länger auf ein Auto warten, das betraf vor allem junge Menschen. Auch in der DDR war das Auto ein Statussymbol. Die Mehrheit der Bevölkerung war am Westen orientiert und sehnte sich nach einem Westauto. Nach der Währungsunion konnten sie sich den Wunsch erfüllen und ließen den öffentlichen Nah- und Fernverkehr „links“ liegen.

  • weitgehende Chancengleichheit im Bildungswesen und übersichtliche Bildungswege von Kinderkrippe und Kindergarten bis zur Universität

Das ist wohl ein Witz. Auch die Schule in der DDR selektierte. Wurden in den 1950er Jahren Arbeiterkinder bevorzugt, so waren es in den 1980er Jahren Funktionärs- und Akademikerkinder. Wo bleibt die Chancengleichheit, wenn es einerseits Eliteschulen (z.B. Spezialschulen) gibt und andererseits in normalen Schulen nur zwei Kinder aus einer Klasse zur EOS (wie heute Gymnasium) gehen dürfen. Natürlich entscheidet da die schichtspezifische Herkunft und vor allem das Bildungsniveau im Elternhaus. Da waren die Bildungswege wirklich sehr übersichtlich. Wo studierten mehr Kinder, in der DDR oder in Westdeutschland? Wie ist es denn in der Bundesrepublik zum „Fahrstuhleffekt nach oben“ (Ulrich Beck) gekommen?

  • kostenloser Besuch aller staatlichen Bildungseinrichtungen und Stipendien für Schüler der Abiturstufe und Studenten

Ws ist ja löblich, dass dieser Besuch kostenlos war und es auch Stipendien gab, aber leider krankte das gesamte Bildungssystem. Denn in der DDR war gerade der Übergang von der Schule ins Ausbildungssystem erschwert, da hier die staatliche Berufs- und Studienlenkung wirkte. Wie viele Menschen in der DDR sind an dieser Schwelle unglücklich gewesen, weil sie sich ihre Berufswünsche nicht erfüllen konnten, keine Wahl hatten, ihnen einfach ein Beruf und ein Studium zugewiesen wurden. Im Westen gibt es mehrheitlich eine andere tragische Schwelle, ausgenommen jene Jugendliche, die erst gar keinen Ausbildungsplatz finden. Hier ist der Übergang von der Ausbildung/ Studium ins Erwerbsleben erschwert.

Meine Kritik am Erziehungs- und Bildungssystem war auch, dass alles staatlich organisiert wurde. Es gab weder alternative Kinder- und Schülerläden noch Freie Schulen. Es geht nicht nur um Kostenlosigkeit, sondern um die Selbstverwaltung. Der Staat sicherte sich die Einflußmöglichkeiten, der Organisationsgrad der Kinder (Pioniere, FDJler) war hoch.

  • minimale Preise für Essen und Milch in Kinderkrippen und -gärten sowie für Schulspeisung und Teilnahme an Ferienlagern

Natürlich ist es vorbildlich eine Schulspeisung zu gewährleisten, wenn man sich die Verhältnisse an vielen heutigen Schulen ansieht. Aber wie war die Qualität dieser Ernährung?...So viel zu gesunder Ernährung und Eßkultur in der DDR. Heute kommen viele Kinder aus armen Haushalten ohne Essen in die Schule. Wie es damals war, vermag niemand zu sagen, weil es keine kritische Gegenöffentlichkeit gab. Tatsache ist aber, dass auch viele Familien gestreßt waren, bei einem 8 ¾ Stunden- Arbeitstag beider Elternteile. Die Frauen waren auch noch doppelt belastet, Erwerbsarbeit und Familienarbeit. Der Staat nahm den Eltern vieles ab, aber entmündigte die Eltern damit auch und sicherte sich den Einfluß auf die Kinder. Die Ferienlager dienten nicht nur der Freizeitgestaltung, sondern auch der politischen Bildung der Kinder im Sinne des Staates.

  • entwickeltes System der Berufsausbildung ohne Mangel an Ausbildungsplätzen und nahtloser Übergang zur Ausübung des erlernten Berufs

Schön, jeder Jugendliche konnte in der DDR einen Ausbildungsplatz bekommen. Aber was für einen? Die staatliche Berufslenkung wies Ausbildungsplätze nicht aufgrund der Berufswünsche, sondern nach gesellschaftlichen Erfordernissen zu. So kann auch das Leben eines Menschen „versaut“ werden. Und viele, die dann einen Beruf erlernt hatten, wurden dann in der Produktion wie Ungelernte eingesetzt, was wiederum zu Arbeitsunzufriedenheit führte. Damit nahm die Bedeutung der Kollektive zu, der soziale Faktor kompensierte diese Unzufriedenheit. Und man zog sich schließlich in die Privatsphäre zurück.

  • soziale Sicherheit der Studenten und rationelle Studienorganisation, leistungs- und zeitgerechter Studienabschluß

Die „soziale Sicherheit“ der Studenten bestand darin, dass sie in der Mehrzahl eingepfercht in Studentenwohnheimen lebten. Natürlich hatte diese Unterbringungsform den Zweck, die Studenten besser unter Kontrolle haben zu können. Das Studium war wirklich sehr rationell organisiert, das muß man sagen. Studieren in der DDR war wie Schule. Der Unterricht straff reglementiert, ein fester Stundenplan, keine Wahlmöglichkeiten, Leistungsdruck. Jeder mußte das Studium in 4 Jahren absolvieren, von wegen Langzeitstudenten. Auch hier ging es in der DDR sehr effizient zu. Da die Herrschenden das auch hier gerne hätten- ein verschultes, schnelles Studium, darum haben sie das Bachelor- und Master-Studium eingeführt.

  • vorbildliche gesundheitliche Betreuung der Kinder und Jugendlichen von obligatorischen Schutzimpfungen bis zu wiederkehrenden prophylaktischen Untersuchungen auf allgemein- und zahnmedizinischen Gebiet

Ja natürlich, dass das gewährleistet wurde, ist schon gut. Da das verpflichtend war, wurde natürlich auch die familiäre Zuverlässigkeit getestet. Kinder, deren Eltern aus dem Rahmen fielen, kamen schnell ins Heim. Das konnte bis in den geschlossenen Jugendwerkhof Torgau führen. Außerdem war auch das Gesundheitssystem in der DDR kein Ruhmesblatt. Mangelhaft war vor allem die technische Ausstattung. Wer mit Zahnärzten in der DDR zu tun hatte, kann sein Leid klagen. Das lag nicht an der Inkompetenz der Ärzte, sondern an dem Material, das ständig wieder herausfiel. Oftmals wurden nur Notbehandlungen durchgeführt. Als ich in den Westen kam, fiel mir sofort der gute Zustand der Zähne der Mehrheit der Westdeutschen auf. Der Zustand der Zähne spiegelt den Wohlstand oder die Armut in der jeweiligen Gesellschaft wider, wie ich z.B. in den USA und in der Ukraine feststellen mußte.

  • geringe Kriminalität und keine Drogenszene

Die DDR war eingemauert, wohin sollten die Täter fliehen...Da war es leicht, die Kriminalität gering zu halten. Außerdem hatte das Geld einen geringen Wert, was sollte man in der Mangelgesellschaft damit anfangen. Da die DDR eine proletarische Gesellschaft war, waren die Männer oft geneigt, ihre körperliche Manneskraft unter Beweis zu stellen. Wie viele Schlägereien habe ich in der DDR in Tanzsälen und Kneipen gesehen? Viele...Je größer die Orte waren, desto zivilisierter wurde es. Körperliche Auseinandersetzungen und Anmache waren Normalität, Gewalt alltäglich. Wahrscheinlich auch in Familien, aber das wurde natürlich nicht thematisiert. Außerdem sorgte der Repressionsstaat für Abschreckung. Es gab in der DDR kriminelle Karrieren, der Weg führte meistens vom Heim in den Knast. Die Bedingungen in den DDR-Gefängnissen waren katastrophal. Auch in der DDR existierte eine Unterschicht, die zum Beispiel wegen „Asozialität“ kriminalisiert wurde. Viele standen unter Kontrolle- vor dem Gefängnisaufenthalt, im Gefängnis und danach. Es stellte sich ein Drehtüreffekt ein, wie auch heute bei vielen psychiatrischen Karrieren. Da die DDR keine offene Gesellschaft und das Geld international wertlos war, konnte sich kein Drogenmarkt etablieren. Sowieso wären die Drogenkonsumenten sofort im Gefängnis gelandet. Das Land wurde von sichtbarer Armut gesäubert, dafür sorgte die Polizei mit ihren Kontrollen. Auch wer einfach nur anders aussah, konnte Probleme bekommen, so hatten viele Punks Alex-Verbot. Oder Berliner hatten Berlin-Verbot...Oder Unangepaßten wurde der PM 12 (provisorischer Ausweis, der bei jeder Kontrolle auffällig machte) verpaßt. Ja in der DDR war es wirklich nett- mit geringer Kriminalität und ohne Drogenszene. Die Volksdroge war übrigens der Alkohol. 1987/88 nahm die DDR in der Welt den Spitzenplatz beim Spirituosenverbrauch ein.

Ein Prosit auf die Errungenschaften in der DDR!!!

Anmerkungen
 

1Gespräch mit Grimmer und Schmidt, An der Spaltung der Gesellschaft soll festgehalten werden, JW 5.2.2011

2Hans Kaiser, Klassenjustiz, Junge Welt 7.10. 2000

3Friedrich Wolff, DDR-Bewältigung, Junge Welt 24.8.2004

4http://www.grundrechte-report.de/1997/inhalt/details/back/inhalt-1997/article/recht-und-gerechtigkeit-rueckwirkende-strafrechtliche-abrechnung-mit-der-ddr-1/

5 http://www.siegerjustiz.de/autoren

6Kierstein, Schramm, Vom Haß zur Lüge, Junge Welt 15.1.2010

7Kierstein, Schramm, Vom Haß zur Lüge, Junge Welt 15.1.2010

8 Sibylle Plogstedt, Knastmauke, Gießen 2010, S. 443.

9Gespräch mit Hans Bauer, Strafvollzug in der DDR zielte auf vollwertige Wiedereingliederung, JW 21.6.2012

10Gespräch mit Hans Bauer, Strafvollzug in der DDR zielte auf vollwertige Wiedereingliederung, JW 21.6.2012

11Gespräch mit Frank Schumann, Ist die Rübe ab, spielt die Frisur keine Rolle mehr, JW 22.10.2011

12Gespräch mit Frank Schumann, Ist die Rübe ab, spielt die Frisur keine Rolle mehr, JW 22.10.2011

13Gespräch mit Judith Demba, Sozialismus kann nur mit den Menschen verwirklicht werden, JW 27.8.2011

14Gespräch mit Helga Adler, Der Westen war für mich was ganz Schlimmes, Junge Welt 7.Oktober 2009

15Gespräch mit Helga Adler, Der Westen war für mich was ganz Schlimmes, Junge Welt 7.Oktober 2009

16Ossietzky 8, 14.4.2012, S.296

17Ossietzky 8, 14.4.2012, S.313

18 Ralph Hartmann, Mit der DDR ins Jahr 2000, Dietz Verlag Berlin 1999, S. 209f.

 

Editorische Hinweise

Den Text  erhielten wir von der Autorin für diese Ausgabe.

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