Sekundarschule Werne
trägt den Namen Marga Spiegel


von Paul

07-2012

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onlinezeitung

Die neue Sekundarschule Werne auf dem Gelände der ehemaligen Städt. Realschule Werne/Konrad-Adenauer-Realschule hat jetzt einen - sehr schönen - Namen: Marga-Spiegel-Sekundarschule.

Bevor alle guten Gründe für die Namensgebung hinter Versöhnungs-Arien über eine "Grande Dame des Münsterlandes“"u. ä. die Eitelkeit lockende Schmeicheleien zum 100. Geburtstag von Frau Spiegel verschwinden, soll Frau Spiegel selbst zu Wort kommen. Unter filmreporter im Netz erfährt man von Marga Spiegel direkt, wer sie ist und wofür die jüdische Antifaschistin aus Ahlen steht.

Hier nur drei Zitate aus dem Interview:

"Für mich waren weder Kardinal von Galen noch Graf von Stauffenberg wirkliche Widerstandskämpfer."

"In der Zeit vor Stalingrad gab es für mich keine Hoffnung."

"Ein befreundeter Kommunist besuchte uns in dieser Zeit häufig und sagte zu meinem Mann: "Menne, du musst nur durchhalten!" Ich hätte diesen Kerl am liebsten rausgeschmissen, doch er hat tatsächlich Recht behalten."

Von diesen "Kerlen" gab es in Frau Spiegels Heimatstadt, Ahlen, einige.

Die Zeche "Westfalen" in Ahlen war praktisch eine der "Elite-Universitäten" der revolutionären und antifaschistischen Arbeiterbewegung in Deutschland (für den legendären Max Reimann und auch für den aus Rünthe stammenden NRW-Gründervater Josef Ledwohn u. v. a.).

"Wenn es in Ahlen ruhig ist, dann ist es in Deutschland ruhig!" brachte es der Volksmund auf den Punkt. Spartakus, die KPD, war vor der faschistischen Machtergreifung stärkste Fraktion in Ahlen.

Trotz verzweifelter Gegenwehr der antifaschistischen Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten wurde der Kampf gegen die Nazi-Bewegung und ihre ewig willigen Helfer im preußischen Staats-, Justiz- und Polizeiapparat verloren. Die Nazis konnten es nicht erwarten, 1939 Ahlen zur ersten "judenfreien Stadt" Deutschlands zu erklären.

Wenn im Jahre 2009 wieder Dutzende von Nazis mit Fackeln und Hakenkreuzfahnen in Ahlen marschierten, das Horst-Wessel-Lied grölten, sich auch noch dabei filmen ließen, um mit ihrer "70 Jahre judenfreies Ahlen-Feier“ im Internet zu prahlen, wenn ein Nazi aus der „Kameradschaft Bergkamen“ gerade wegen Brandstiftung gegen eine Moschee verurteilt wurde, zeigt das, wie bitter nötig es ist, dass Schulen nach anständigen Menschen in Deutschland benannt werden und eben nicht nach treuen Dienern Adolf Hitlers wie einem Ex-Bundeskanzler und Wehrmachtsoffizier Helmut Schmidt oder gar den von der SPD-Führung beauftragten Arbeitermördern aus dem Freikorps Jauch (Großvater des Günther Jauch).

Der Mut der katholischen Bauern Aschoff (Herbern), Pentrop (Nordkirchen), Südfeld (Südkirchen), Silkenbörner (Nordkirchen) und Sickmann (Werne), die die jüdische Familie Spiegel vor den Nazis versteckten, kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden (eben: Gerechte unter den Völkern), denn das Münsterland war nicht nur ein Zentrum des Katholischen Widerstandes gegen das Vernichtungsprogramm der Nazi-Ärzte (vollständige "Vernichtung lebensunwerten Lebens", d. h. psychisch Kranke, körperlich Behinderte u. a. - so genannte AKTION T4), sondern auch Raum brutalster Lynchmorde ("Fliegermorde"), die auch von den damaligen Kriegskindern (unseren Eltern) beobachtet wurden.

Selbst Hausfrauen wurde von den Briten nachgewiesen, dass sie Hand anlegten und an den vor aller Augen und möglichst grausam inszenierten Lynchmorden beteiligt waren.

Wer nicht begriff, was die Berichte der von der Front zurückkehrenden Soldaten über die ununterbrochen laufenden Vernichtungslager bedeuteten, konnte - selbst als Kind - mit eigenen Augen sehen, wie es den verschleppten Sklavenarbeitern auf den Bauernhöfen des Münsterlandes, in den Fabriken und den abgeschossenen britischen/ amerikanischen Gefangenen in der Gewalt faschistischer Dorfgemeinschaften erging, eben was konkret droht, wenn man Juden hilft.

Die Redewendungen: "Sieh zu!", "Musst du machen lassen!", "Mit den Wölfen heulen!", "Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe!" erhielten einen schauderhaften Sinn. Alle wussten es!

Gegen diese, nicht nur in die Umgangssprache eingezogene, alltägliche Abgestumpftheit in einer gnadenlos brutalisierten Umgebung stehen der Mut und die Glaubensstärke der in Yad Vashem/Israel geehrten katholischen Bauern ( Es heißt dort u. a.: "Die Gerechten aus den Völkern haben einen Platz in der kommenden Welt.").

Die aktuelle Mordserie der NSU, der erneut unfähige/unwillige Staats- und Polizeiapparat und der Mangel an menschlichen Reaktionen auf die Nazi-Morde in allen gesellschaftlichen Bereichen zeigen, dass das Vergangene nicht tot ist - es ist nicht einmal vergangen.

Die Sekundarschule hat jetzt einen antifaschistischen Namen.

Leider entspricht das derzeitige Konzept der Marga-Spiegel-Schule noch nicht einmal dem, was die Alliierten für demokratische Schulen in Westdeutschland als notwendiges Minimum erachteten, damit zukünftig nie wieder Hakenkreuzfahnen zu sehen sind.

Zitat: "Die amerikanische Bildungspolitik orientiert sich an einer Studie der 1946 gegründeten Zook-Kommission . Im Wesentlichen stellt das Papier die Bedeutung der Schule im Prozess der Demokratisierung Deutschlands heraus. Es fordert ein Mehr an Chancengleichheit für Schüler aller Gesellschaftsschichten (soziale Integration, Einheitsschule) und eine Stärkung der Individualität und Qualifizierung in oberen Klassen (Vorläufer des Kurssystems)." (im Netz zu finden unter: http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/nachkriegsdeutschland/die-fruehe-besatzungszeit )

Da für die Marga-Spiegel-Sekundarschule Werne keine gymnasiale Oberstufe vorgesehen ist, kann von Chancengleichheit keine Rede sein und im Rückblick sieht man, dass der aggressive Kampf der deutschen Lehrerschaft gegen die von ihr gehasste britisch-amerikanische Einheitsschule und für ihr preußisches dreizügiges Untertanen-Schulsystem (einschließlich Wiedereinführung der Prügelstrafe/des Rohrstocks ab 1947) gegen eine demokratisch-antifaschistische Gesellschaftsentwicklung gerichtet war.

Wenn sich die Eltern der SchülerInnen der neuen Werner Schule entscheiden, für die Chancen ihrer Kinder (u. a. für eine gymnasiale Oberstufe an der Marga-Spiegel-Schule) Druck zu machen, werden sie mit Frau Spiegel sicher eine Unterstützerin finden.

Frau Spiegels Retter waren damals zwischen 50 und 60 Jahre alt. Niemand ist zu alt, um für eine menschenwürdige Zukunft und gegen eine reaktionäre (Schul-)Politik zu kämpfen.


Zum 100. Geburtstag für Frau Spiegel:
may your song always be sung
 (aus: "Forever Young" von Bob Dylan)

Tod dem Faschismus! Krieg dem Krieg!

 

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Artikel von Autor.

Die Stadt Werne veröffentlichte auf ihrer Seite am 18. Juni 2012 die Nachricht, dass die Sekundarschule den Namen Marga Spiegel tragen wird.